Einleitung

Intrakranielle Blutungen sind im Säuglingsalter seltene, aber lebensbedrohende Ereignisse und durch Vigilanzminderung, verminderte Spontanmotorik, verlangsamte Reaktionen, Trinkunlust bis hin zur Reanimationspflichtigkeit charakterisiert [22]. Ursächlich kommen neben Gefäßfehlbildungen sowie Stoffwechseldefekten und Gerinnungsstörungen v. a. Traumata in Betracht. Insbesondere für das Schütteltrauma, die vermutlich häufigste traumatische Ursache für intrakranielle Blutungen des jungen Säuglings, ist die Befundkonstellation aus subduralen Blutungen über der Hirnkonvexität, retinalen Blutungen, klinisch-neurologischen Ausfällen und unauffälligem Gerinnungssystem nahezu pathognomonisch, wenn andere Ursachen ausgeschlossen sind [3, 6, 11, 25, 26]. Die neurologischen Ausfälle und die Kreislaufinsuffizienz sind dabei wohl v. a. Folgen einer diffusen axonalen Schädigung, nicht der subduralen Blutung, die normalerweise nicht raumfordernd ist [8, 9, 11, 15, 19, 23]. Die erst in Entwicklung begriffene Myelinisierung der Nervenfasern im Säuglingsgehirn machen dieses besonders vulnerabel, da es im Vergleich zu einem adulten Gehirn sehr weich ist [17].

Der Verdacht auf ein nichtakzidentelles Trauma steht daher gerade bei einem ansonsten gesunden und bislang klinisch unauffälligen Säugling an erster Stelle. Dennoch sind andere Ursachen, etwa Gefäßfehlbildungen, Gerinnungsstörungen oder entzündliche Prozesse differenzialdiagnostisch zu erwägen [10].

Kasuistik

Ein 9 Wochen alter weiblicher Säugling wurde unter laufender Reanimation in die Universitätskinderklinik Würzburg aufgenommen, nachdem er zu Hause plötzlich bewusstlos geworden sei und gekrampft habe. In den Tagen zuvor sei das Kind unleidig gewesen. Etwa 3 Tage vor dem Ereignis seien Hämatome im Bereich beider Flanken aufgetreten, zudem seien bräunlich gefärbte Stühle und vermehrte Bauchschmerzen aufgefallen. Schwangerschaft und Geburt seien unauffällig gewesen, ebenso die kindliche Entwicklung. Der Säugling sei voll gestillt worden. Die Vorsorgeuntersuchungen U1–U3 seien zeitgerecht erfolgt, Besonderheiten nicht festgestellt worden. Die empfohlene Vitamin-K-Prophylaxe sei von den Eltern trotz mehrmaliger Aufklärung durch Hebamme und Kinderarzt abgelehnt worden.

Bei Krankenhausaufnahme fanden sich sonographisch eine ausgedehnte rechtstemporale Blutung im Gehirnparenchym sowie eine große Subduralblutung mit Mittellinienverlagerung nach links. Dieser Befund wurde im kraniellen MRT bestätigt (Abb. 1 und 2). Das augenärztliche Konsil erbrachte ausgeprägte retinale Blutungen des rechten Auges bei unauffälligem linkem Augenhintergrund. Das Röntgenskelettscreening erbrachte keine Hinweise auf frische oder ältere Frakturen. In der Labordiagnostik zeigte sich eine massive Entgleisung der Gerinnungsparameter (Quick-Wert <7 %, PTT >150 s, Thrombinzeit 19 s, Fibrinogen 2,6 g/l, Faktor II <10 %, Faktor V 110 %, Faktor VII <5 %, Faktor IX <1 %, Faktor X <10 %, Faktor XIII 146 %). Die Werte normalisierten sich sehr rasch nach i.v.-Gabe von 0,5 mg Vitamin K. Die Patientin konnte erfolgreich kardiopulmonal reanimiert werden. Die neurologische Situation besserte sich im Verlauf hingegen nicht. Die Pupillen blieben weit und lichtstarr; in mehreren EEG konnte keine Hirnaktivität mehr nachgewiesen werden. Vier Tage nach Aufnahme in die Klinik verstarb der Säugling, nachdem der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt worden war.

Abb. 1
figure 1

T1-Wichtung (a) und T2-Wichtung (b) eines kranialen MRT ohne Kontrastmittel: intraparenchymale Blutung mit Spiegelbildung im rechten Temporal- und Frontallappen bei altersgerecht noch gering myelinisiertem Gehirn; passend zu einer frischen, aber nicht hyperaktiven Blutung überwiegend T1-hyperintenses Signal. Zusätzliches, typisch sichelförmiges Subduralhämatom entlang der Kalottenkurvatur rechts. Sehr diskret miterfasste intrasulkale Blutanteile links parietal im Sinne einer Subarachnoidalblutung

Abb. 2
figure 2

Lokale Magnetfeldstörungen durch Eisenabbauprodukte, v. a. Hämosiderin im Rahmen einer Blutung, zu sehen als dunkle Flecken in der T2-Wichtung

Bei der gerichtlichen Obduktion im Institut für Rechtsmedizin der Universität Würzburg 2 Tage post mortem fanden sich an beiden Brustkorbseiten, an den Außenseiten beider Oberarme und an der Außenseite des rechten Oberschenkels verwaschene, bis zu 2 cm große Hautunterblutungen (Abb. 3). Die Totenflecken waren spärlich, das Hautkolorit blass-gelblich. Bei der inneren Leichenbesichtigung zeigten die Hämatome spärliche, verwaschene Blutungen im Unterhautfettgewebe. Abseits davon waren keine weiteren Blutungen des Rumpfes oder der Extremitäten zu finden. Das Gehirn war sehr weich. Es wog 630 g und wurde ohne weitere Manipulationen zunächst in 10 %igem Formalin fixiert. Hinweise auf ein stumpfes Schädeltrauma lagen nicht vor: Weder waren knöcherne Verletzungen der Kalotte noch Quetschungen der Kopfschwarte zu finden.

Abb. 3
figure 3

Rechte Körperseite mit Hämatomen an Oberarm und Brustkorb

Bei der neuropathologischen Untersuchung des Gehirns zeigte sich an der Konvexität betont rechts frontal und frontoparietal eine Auflagerung von teils koaguliertem Blut. Die äußere Begutachtung war infolge eines deutlichen Hirnödems mit Konsistenzminderung des Hirnparenchyms nur sehr eingeschränkt möglich. Bei der Anlage von frontoparallelen Schnitten zeigte sich in der linken Großhirnhemisphäre, frontoparietal und temporal sowie in der Basalganglienregion eine ausgedehnte Blutung mit Ventrikeleinbruch, wobei die Seitenventrikel nicht sicher abgrenzbar waren.

Mikroskopisch imponierten die intrazerebrale Blutung in der linken Großhirnhemisphäre sowie die subdurale und fokal subarachnoidale Blutung als frisch (Abb. 4 und 5). Es waren keine Hämosiderinablagerungen erkennbar, ebenso wenig eine begleitende zelluläre Reaktion. Das angrenzende Hirnparenchym war deutlich ödematös aufgelockert, mit zahlreichen Nervenzellen, welche eine hypoxische Schädigung aufwiesen (starke Eosinophilie des Zellkörpers, Kernschrumpfung). An mehreren Stellen kamen zusammengelagerte ektatische venöse Gefäße vor. Das Kleinhirn wies eine altersentsprechende persistierende superfizielle Körnerzellschicht auf. Die Hypophyse stellte sich teilweise hyperämisch dar, und abschnittsweise ließen sich keine Kernstrukturen mehr abgrenzen, wie unter dem Bild einer ischämischen Schädigung. Die untersuchten Abschnitte des Hirnstamms (in Höhe der Brücke) mit deutlichem Ödem und zahlreichen hypoxisch geschädigten Nervenzellen sowie mit herdförmig frischen Blutungen.

Abb. 4
figure 4

Blutung in Seitenventrikel. HE-Färbung in 100× Vergrößerung

Abb. 5
figure 5

Fokale Subarachnoidalblutung mit begleitendem Hirnödem. HE-Färbung in 100× Vergrößerung

In den immunhistologischen Färbungen mit CD68 und TMEM119 zeigte sich lediglich eine diskrete Mikrogliaaktivierung. Eine Abräumungsreaktion der Blutungen mit Vermehrung von Makrophagen lag nicht vor. Regelrechte Reaktivität für das saure Gliafaserprotein (GFAP) am Hirnparenchym. In der PAS-Reaktion kein Pilznachweis. Keine spezifische Reaktivität in den Färbungen für Zytomegalie- und Herpesviren (CMV, HSV I und HSV II) an mehreren untersuchten Proben.

Bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung konnte keine Hinweise auf eine Intoxikation gefunden werden.

Insgesamt wurde ein Tod durch zentrales Regulationsversagen infolge spontaner Hirnmassenblutung angenommen.

Diskussion

Blutungen des Schädelinneren sind unmittelbar lebensbedrohlich, wenn sie mit einer Hirndruckerhöhung oder direkten Schädigung des Gehirns einhergehen [16]. Die klinische Diagnostik umfasst hinsichtlich der Blutungsgenese neben Sonographie und MRT als bildgebende Verfahren auch eine Fundoskopie sowie laborchemische Analysen, insbesondere der Gerinnungsparameter [10]. Für die Produktion dieser ist Vitamin K essentiell.

Vitamin K ist ein fettlösliches Vitamin, das für die Blutgerinnung, insbesondere die Bildung der Faktoren II, VII, X und XI in der Leber notwendig ist [21]. Vitamin K kommt in pflanzlicher Nahrung vor und wird auch im menschlichen Darm von den dortigen Bakterien gebildet. Frauenmilch enthält jedoch einen sehr niedrigen Vitamin-K-Gehalt, weshalb die Gabe von Vitamin K zur Prophylaxe von Blutungen empfohlen wird. Kinder, die nicht ausschließlich durch Frauenmilch ernährt werden, nehmen über die industrielle Säuglingsnahrung, der Vitamin K zugesetzt ist, ausreichend von diesem Vitamin auf [18, 20, 24].

Wenn nicht ausreichend Blutgerinnungsfaktoren gebildet werden, können spontane, schwer stillbare Blutungen ohne vorangehendes Trauma auftreten. Unterschieden werden frühe, klassische und späte Vitamin-K-Mangel-Blutungen: Die frühen, häufig schwerwiegenden Blutungen treten in den ersten 24 h nach der Geburt auf und lassen sich in der Regel auf die Einnahme von Vitamin-K-hemmenden Arzneimitteln während der Schwangerschaft zurückführen. Die sog. klassischen Blutungen treten zwischen 24 h und 7 Tagen nach der Geburt auf und erklären sich durch ein Absinken des Vitamin-K-Spiegels beim Neugeborenen. Ihr Schweregrad ist sehr variabel. Späte Blutungen werden von der zweiten bis zur 24. Woche nach der Geburt beobachtet und sind häufig gastrointestinale Blutungen oder Hirnblutungen. Diese Blutungen haben eine hohe Letalität [1, 21]. Daher wird in vielen Ländern den Neugeborenen Vitamin K mittels i.m.-Injektion (1 mg) verabreicht, was als die sicherste Prävention einer Vitamin-K-bedingten Hirnblutung gilt. Das Blutungsrisiko beträgt hier weniger als 0,2:100.000 Säuglinge [2, 4, 21]. Aktuell wird in Deutschland die 3‑malige orale Gabe von jeweils 2 mg Vitamin K am 1. Lebenstag (U1), zwischen dem 3. und dem 10. Lebenstag (U2) und erneut zwischen der 4. und der 6. Lebenswoche (U3) empfohlen [2]. Diese Form der Prophylaxe kann aber nicht alle Fälle von späten Vitamin-K-Mangel-Blutungen verhindern; bei gestillten Kindern mit Cholestase wird das Blutungsrisiko mit 0,44:100.000 Säuglinge angegeben. Das Risiko von Hirnblutungen bei nichtverabreichter Vitamin-K-Prophylaxe für vollgestillte Kinder beträgt 7:100.000 Säuglinge, ist also rund 16-fach höher [4, 13].

Es gibt jedoch zunehmend Berichte über eine Vitamin-K-Mangel-Blutungen bei jungen Säuglingen, nachdem die empfohlene Prophylaxe zuvor durch die Eltern verweigert wurde. Diese ist dann häufig Folge einer weltanschaulich begründeten Ablehnung der wissenschaftlichen Medizin und ein zunehmendes Phänomen in wohlhabenden Industrieländern [5, 12, 14].

Auch im vorgestellten Fall eines 9 Wochen alten weiblichen Säuglings war unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und der klinischen, autoptischen und histologischen Befunde von einer späten Vitamin-K-Mangel-Blutung auszugehen. Die Eltern haben die prophylaktische Gabe von Vitamin K abgelehnt, wie sie in der Klinik auf Befragen angaben. Ein entsprechender Vermerk fand sich auch in den Unterlagen des betreuenden Kinderarztes. Die klinische Labordiagnostik erbrachte die typische Konstellation der Gerinnungsparameter für eine Vitamin-K-Mangel-Blutung ohne Nachweis eines Stoffwechseldefekts oder anderer Vorerkrankungen.

Differenzialdiagnostisch kam im vorgestellten Fall neben spontanen Blutungen auf der Basis eines Vitamin-K-Mangels v. a. eine Misshandlung in Betracht. Insbesondere die retinalen Blutungen ließen daran denken. Die Weichteilblutungen an den Brustkorbseiten waren durch das Hochnehmen des Säuglings zu erklären. Unter Berücksichtigung der entgleisten Blutgerinnung sprachen sie nicht für ein übermäßig festes Zupacken, etwa im Rahmen einer Misshandlung, konnten eine solche jedenfalls nicht belegen. Die einseitigen retinalen Blutungen des rechten Auges können durch die rechtsseitige, raumfordernde intrazerebrale Blutung mit konsekutiver Behinderung des Blutabflusses erklärt werden [6, 7]. Die Befundkonstellation (intrazerebrale Massenblutung mit Subduralblutung, ipsilaterale Blutung des Augenhintergrunds, kleine, verwaschene Hämatome der Brustkorbseiten und Armaußenseiten) war insgesamt durch eine Entgleisung des Gerinnungssystems bei Vitamin-K-Mangel zu erklären; auch wenn ein zusätzliches Schütteln des Säuglings naturgemäß nicht auszuschließen war. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde mittlerweile eingestellt.