Zusammenfassung
Hintergrund
Die Erfassung der In-vivo-Schulterkinematik gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Fragestellung
Welche neuen Methoden stehen für die In-vivo-Diagnostik der Schulterkinematik zur Verfügung?
Material und Methode
Es wird eine Übersicht über aktuelle Literatur und Technologien gegeben.
Ergebnisse
Neben der etablierten markerbasierten Bewegungsanalyse können markerlose Bewegungsanalyse, elektromagnetische Systeme, ultraschallbasierte Bewegungsanalyse, tragbare Sensoren und medizinische Bildgebung zur In-vivo-Diagnostik der Schulterkinematik verwendet werden. Jedes dieser Systeme birgt Chancen, muss aber im Kontext der jeweiligen (technischen) Vor- und Nachteile beurteilt werden.
Schlussfolgerung
Neue Methoden zur In-vivo-Diagnostik der Schulterkinematik erlauben die Erfassung komplexer Bewegungsmuster sowie Alltagsbewegungen und können einen direkten Bezug zur Anatomie und jeweiligen Pathologie herstellen.
Abstract
Background
The assessment of shoulder kinematics in vivo is becoming increasingly more important.
Objective
Which new methods are available for the in vivo diagnostics of shoulder kinematics?
Material and method
A review of the current literature and technologies was carried out.
Results
Besides the established marker-based motion analysis, novel methods for the in vivo diagnostics of shoulder kinematics include markerless motion analysis, electromagnetic systems, ultrasound-based motion analysis, wearable sensors, and medical imaging. Each of these systems provides options but must be evaluated in the context of the respective (technical) advantages and disadvantages.
Conclusion
Novel methods for the in vivo diagnostics of shoulder kinematics enable the assessment of complex movement patterns and routine movements and can establish a direct link to the anatomy and the specific pathology.
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Rupturen der Rotatorenmanschette sind häufige Verletzungen, deren Prävalenz mit dem Alter stetig zunimmt. Ein besseres Verständnis der Bewegung des glenohumeralen Gelenks und eine genaue Analyse der Schulterkinematik in der klinischen Routine sind Voraussetzung für die Erkennung von Bewegungsstörungen, Verbesserung von Diagnose- und Rehabilitationsverfahren und Beurteilung von Outcomes von Operationen oder Rehabilitationsprozessen. In diesem Beitrag werden aktuelle und neue Methoden zur objektiven und quantitativen Erfassung der detaillierten In-vivo-Schulterkinematik vorgestellt.
Das Glenohumeralgelenk ist das menschliche Gelenk mit dem größten Bewegungsumfang und biomechanisch als Kugelgelenk definiert, wobei die gesunde Schulter zusätzlich eine gewisse anteroposteriore und inferosuperiore Translation erlaubt [1]. Pathologien des Schultergelenks wie Rupturen der Rotatorenmanschette oder Instabilitäten können zu einer Dezentrierung des Gelenks führen, insbesondere bei Rupturen der Infraspinatussehne kann es zu einer zunehmenden superioren glenohumeralen Translation kommen [26].
Die Bewegung des Arms erfordert eine präzise und koordinierte Bewegung des Glenohumeralgelenks und des skapulathorakalen Gleitlagers [19]. Da verschiedene Schulterpathologien zu unterschiedlichen Änderungen der Schulterkinematik führen, ist bei der Diagnose neben der statischen medizinischen Bildgebung eine funktionelle klinische Untersuchung essenziell [20]. Hierbei spielt die Bewegungsanalyse eine wichtige Rolle, die jedoch aufgrund der Komplexität der Schulteranatomie und -biomechanik vor allem bei schnellen Bewegungen eine große technische Herausforderung darstellt.
Für die Analyse der In-vivo-Schulterkinematik stehen verschiedene Technologien, wie Bewegungsanalysesysteme (markerbasierte optische Systeme, markerlose optische Systeme, elektromagnetische Systeme), medizinische Bildgebung (Fluoroskopie, Magnetresonanztomographie [MRT], Ultraschall) und tragbare Sensoren (Inertialsensoren, Dehnungssensoren) zur Verfügung (Beispiele in Abb. 1). Jedes dieser Systeme hat besondere Anforderungen, so dass je nach dem Zweck der Untersuchung eine andere Methode besser geeignet ist (Tab. 1).
Markerbasierte Bewegungsanalyse
Die dreidimensionale (3D) kinematische Analyse mit markerbasierten optischen Systemen (z. B. Vicon, Qualisys) ist ein geeignetes Instrument für die Bewertung der Schulterfunktion [21]. Mehrere synchronisierte Kameras schätzen die 3D-Positionen von Markern (passiv: photoreflektierend, aktiv: infrarotlichtemittierend) durch Triangulation innerhalb eines kalibrierten Volumens. Die Literatur zu Schulterkinematik basierend auf dieser Technologie ist hinsichtlich der jeweils verwendeten kinematischen Modelle, Markersets, analysierten Bewegungen und Outcomes sehr heterogen [21]. Zur Bestimmung der lokalen Koordinatensysteme von Körpersegmenten (Thorax, Skapula und Humerus) werden in der Regel Marker gemäß den ISB-Leitlinien [30] auf der Haut über tastbaren anatomischen Landmarken angebracht. Die Datenqualität kann durch Artefakte (Hautbewegung, Okklusion) während funktionellen Bewegungen eingeschränkt werden, was durch die Verwendung von Clustermarker reduziert werden kann. Da das Glenohumeralgelenk und das humerale Drehzentrum nicht tastbar sind, deren Position aber für die Messung der Schulterbewegung zur Beurteilung von Pathologien der Schulter unerlässlich ist, werden sie häufig durch eine Regressionsanalyse von Bewegungsdaten abgeschätzt [30].
Markerbasierte Bewegungsanalysesysteme sind zeitaufwendig, teuer und fehleranfällig
Eine weitere Herausforderung ist die Messung der Skapulakinematik, da die Skapula ohne festen Drehpunkt auf dem Thorax gleitet. Außerdem ändert sich ihre Ausrichtung bei Bewegungen der oberen Extremitäten, was die umliegenden Weichteile verformt. Das Einsetzen von Knochenpins zur Erfassung der Skapulabewegungen ist zwar möglich, jedoch invasiv und mit potenziellen Komplikationen verbunden, was keine routinemäßige klinische Anwendung erlaubt und die Bereitschaft der Patienten zur Teilnahme an Forschungsprojekten reduziert [21]. Daher wird häufig ein Akromion-Markercluster verwendet, welches jedoch weniger genaue Daten liefert, die nur bis zu einem Elevationswinkel des Humerus von 120° validiert sind [21]. Außerdem ist eine adäquate Messung der glenohumeralen Translation mittels markerbasierten optischen Systemen vermutlich nicht möglich. Markerbasierte Bewegungsanalysesysteme sind zudem zeitaufwendig, teuer und aufgrund der Markerplatzierung fehleranfällig [17]. Messungen außerhalb des Labors sind nur schwer durchführbar [10, 17], weswegen sie im klinischen Setting wenig Anwendung finden [10].
Markerlose Bewegungsanalyse
In den letzten Jahren hat sich die markerlose Bewegungsanalyse (z. B. Theia3D) zu einer kommerziellen Software entwickelt. Die Software verwendet Deep Learning mittels eines Convolutional Neural Network in Kombination mit inverser Kinematik zur Schätzung der 3D-Position menschlicher Körpersegmente. Das Modell der oberen Extremitäten in Theia3D besteht aus den Segmenten Thorax, Klavikula, Humerus, Ulna und Hand. Die Datenerfassung ist unkompliziert und bedarf keiner besondere Vorbereitung. Da sie auch außerhalb von Laboren möglich ist, stellt sie eine vielversprechende Alternative beispielsweise für die Analyse von Sportaktivitäten dar. Allerdings hängt die Genauigkeit der abgeschätzten Kinematik in der Regel von der Qualität der 2D-Videodaten ab, die insbesondere durch die räumliche Auflösung, den Blickwinkel sowie die Belichtungszeit bestimmt wird [17]. An der unteren Extremität konnte im Vergleich zur markerbasierten Bewegungsanalyse sowohl im Labor als auch in Alltagsumgebungen eine gute Wiederholgenauigkeit aufgezeigt werden [15]. Daten zur Genauigkeit der Kinematik der oberen Extremitäten mit Theia3D sind lediglich für die Sportart Boxen verfügbar [17], wobei in dieser Analyse die Datenqualität für das Schultergelenk diejenige aller anderen analysierten Gelenke sogar übertraf.
Der Kinect-Sensor (Microsoft) ist ein weiteres markerloses Bewegungsanalysesystem, das 3 Sensoren kombiniert (RGB-Farbkamera mit Infrarot- und Tiefensensoren), um die 3D-Position von Skelett-Landmarken zu erfassen [10]. Gute bis sehr gute Korrelationen mit einem markerbasierten Bewegungsanalysesystem wurden für die Abduktion bis 90°, maximale Außenrotation bei 0° Abduktion und maximale Innenrotation bei 90° Abduktion gezeigt [7]. Eine mäßige bis gute Korrelation wurde für die maximale Extension und die maximale horizontale Adduktion und eine geringe Korrelation für die maximale Flexion gefunden [7]. Obwohl Messunterschiede zwischen den beiden Systemen in allen Dimensionen gering waren, überstiegen sie den klinisch relevanten Schwellenwert von 5° [7]. Somit erscheint Kinect für die detaillierte Analyse der Schulterkinematik oder der Bestimmung des Gelenkzentrums nicht zuverlässig, jedoch ermöglicht sie eine globale Bewegungsanalyse, z. B. des Bewegungsumfangs, der Bewegungszeit oder der mittleren Geschwindigkeit [10], und hat Potenzial für die Bewertung von Schultererkrankungen und für Rehabilitationsübungen [7]. Aufgrund der unzureichenden Tiefengenauigkeit des Kinect-Sensors [10] ist eine höhere Genauigkeit bei Bewegungen parallel zur Bildebene zu erwarten, und die Anordnung der Kinect-Kamera für spezifische funktionelle Bewegungen muss jeweils explizit geprüft werden [7].
Elektromagnetische Systeme
Elektromagnetische Systeme (z. B. Fastrak) können ebenfalls zur Untersuchung der Schulterkinematik eingesetzt werden. Diese Systeme nutzen in der Regel nichtinvasive Sensoren, die auf einer Kunststoffvorrichtung oder direkt auf der Haut positioniert werden und die Rotation des Rumpfes, der Skapula und des Humerussegments in Bezug auf ein globales Koordinatensystem berechnen [25]. Da es sich auch hier um ein nichtinvasives System handelt, können Artefakte durch Hautbewegung von der jeweiligen Platzierung der Sensoren auf dem Körper entstehen. Die Sensoren werden normalerweise an Humerus, Skapula und Thorax angebracht. Je nach der zu untersuchenden Bewegung und der Forschungsfrage kann der Thoraxsensor entweder auf dem Sternum oder auf dem T3-Wirbel platziert werden [25], wobei die Platzierung für die Messung der Armflexion weniger relevant ist als bei Bewegungen des Arms in anderen Ebenen.
Tragbare Sensoren
Tragbare Systeme sind vielversprechend, um quantitative und aussagekräftige Informationen über die Schulterkinematik zu generieren und systematisch auch im klinischen Setting eingesetzt zu werden. Auch zur Beurteilung der motorischen Funktionen im Rehabilitationsverlauf werden tragbare Sensoren bei Patienten mit neurologischen oder muskuloskeletalen Erkrankungen immer häufiger eingesetzt. Die Patientenakzeptanz von Monitoring-Systemen, die über einen langen Zeitraum getragen werden sollen, ist abhängig von den Eigenschaften der Sensoren, die leicht, nichtinvasiv und einfach zu bedienen sein müssen (mit einer minimalen Anzahl von Sensoren; [6]).
Magnet- und Inertialsensoren
Am häufigsten werden Magnet- und/oder Inertialsensoren wie Beschleunigungssensoren, Gyroskope und Magnetometer verwendet, wobei deren Platzierung und Anbringungsart am Körper stark variiert [6]. Durch eine Kombination aus diesen Sensoren alleine, in Kombination mit anderen Sensoren oder als integrierte Sensoren in anderen Geräten (z. B. Smartphones, Smartwatches) können Rotationsbewegungen abgeschätzt werden. Für Gyroskope gibt es keine externe Referenz. Daher leiden sie aufgrund der notwendigen mathematischen Integrationsverfahren unter zeitabhängigem zunehmendem Datenversatz. Aus diesem Grund werden die Sensoren oft mit Magnetometern kombiniert, die jedoch durch ferromagnetisches Material im Umfeld (z. B. Stahlbeton, Großgeräte) negativ beeinflusst werden. Die Kombination aller Informationen erlaubt eine genaue Schätzung der dreidimensionalen Orientierung und 3D-Bewegung eines starren Körpers.
Die obere Extremität kann als kinematische Kette starrer Segmente modelliert werden
Die obere Extremität kann als kinematische Kette starrer Segmente modelliert werden [6]. Die Platzierung und Befestigungsmethode der Sensoren auf jedem Segment muss sorgfältig gewählt werden, da ähnlich wie bei der markerbasierten Bewegungsanalyse Weichteilartefakte (Hautelastizität, Muskelaktivität und Körperfett) die Messungen negativ beeinflussen können. Bei aktuellen Systemen werden die Sensoren mit Klettbändern befestigt oder in Hosenträger und modulare Kleidungsstücke eingesetzt.
Die Sensormessung wird mithilfe einer statischen Kalibrierung in Neutralposition oder einer funktionellen anatomischen Kalibration vor der Datenaufnahme mit der Bewegung des zu analysierenden Körpersegments verknüpft. Bis dato sind hierfür keine Standards definiert, was die Extrapolation kinematischer Parameter und den Vergleich von Studienergebnissen erschwert [6]. Eine Fehlplatzierung der Sensoren kann zu Crosstalk zwischen den Bewegungsebenen und entsprechend zu Fehlinterpretationen von Daten führen, weswegen Monitoring-Daten von Bewegungen alltäglicher Aktivitäten mittels tragbarer Sensoren streng bewertet und mit Vorsicht interpretiert werden sollten [6]. Die Genauigkeit der Erfassung der Skapulabewegungen ist trotz eines vorgeschlagenen standardisiertes Protokolls (ISEO®, INAIL Shoulder and Elbow Outpatient Protocol) für die Schätzung der Skapulakinematik mittels Magnet-Inertialsensoren [9, 23] vermutlich nicht ausreichend für eine detaillierte kinematische Analyse der Schulter.
Ein modernes Smartphone oder eine Smartwatch mit eingebauten Inertialsensoren kann auch als mobiles Monitoring-Gerät verwendet werden. Zum Beispiel wurden anhand der Daten von Inertialsensoren einer am Handgelenk getragenen Smartwatch verschiedene Übungen für die Schulterphysiotherapie erfasst [5]. Diese Ergebnisse zeigen den zunehmenden Trend zur Verwendung kommerzieller Geräte für Rehabilitationszwecke. Hierfür werden die Daten mit Machine-Learning-Algorithmen verarbeitet, um klinisch relevante Merkmale zu extrahieren und den Zusammenhang von Gesten mit der jeweiligen Schulterbewegung zu erkennen.
Intelligente Textilien
Quantitative Ergebnisse zu Schulterbewegungen sind im klinischen Umfeld wertvoll, da sie Zeit sparen und eine vielversprechende Ergänzung zu subjektiven „patient-reported outcomes“ darstellen. Außerdem können entsprechende Daten dem Therapeuten reproduzierbare und vergleichbare Informationen über die Wirksamkeit der Behandlung und den gewählten Genesungspfad liefern [6]. Um die Ausführung von Bewegungen – sei es zu Hause oder im klinischen Umfeld – nicht durch Messsysteme zu behindern, sollten tragbare Sensorsysteme nichtinvasiv, modular, leicht und unauffällig sein und eine minimale Anzahl von Sensoren enthalten [6]. Intelligente Textilien ermöglichen Bewegungsanalysen und die Erfassung kinematischer Parameter [18]. Integrierte piezoresistive Dehnungssensoren werden durch die Bewegung der Körpersegmente gedehnt oder gestaucht, wodurch sich ihr elektrischer Widerstand ändert. Mit diesem Sensortyp erhobene Daten zum Bewegungsumfang der Schulter resultierten in einer guten Übereinstimmung (< 10° für Flexion, Extension, Abduktion, Adduktion der Schulter) im Vergleich zu einem markerbasierten optischen Bewegungsanalysesystem [18].
Dehnungssensoren können in bequeme Kleidung integriert werden
Dank der Entwicklung leitfähiger Elastomere und der resultierenden Flexibilität können Dehnungssensoren direkt unauffällig in bequeme Kleidung integriert werden [22]. Obwohl diese Systeme die Hauptnachteile von Trägheitssensoren überwinden und vielversprechend für die kinematische Analyse sind [6], sind sie hauptsächlich durch ihr Hystereseverhalten, einachsige Messungen, nicht vernachlässigbare Einschwingzeiten sowie möglicher Gleitbewegungen relativ zum Körper eingeschränkt [22].
Medizinische Bildgebung
Technologische Weiterentwicklungen in der dynamischen Bildgebung erlauben sowohl die Beurteilung der anatomischen Strukturen als auch die Visualisierung und Quantifizierung der Schulterkinematik.
Ultraschallbasierte Bewegungsanalyse
Bei der Verwendung ultraschallbasierter Bewegungsanalysesystem (z. B. Zebris) werden 16 anatomische Punkte auf dem Humerus, der Skapula und dem Thorax mithilfe von ultraschallbasierten Tripletts ermittelt. Winkelparameter und Positionen von Humerus und Skapula sowie die Relativbewegung werden zueinander (Rotation und Verschiebung) berechnet [14]. Die gesamte kinematische Kette (Skapulothorakal‑, Glenohumeral- und Humerus-Elevationswinkel) kann untersucht werden. Zusätzlich sind der Gelenkspalt und die glenohumeralen Translation mit hoher Zuverlässigkeit messbar [13]. Diese Methode ist nichtinvasiv, sicher, kostengünstig, und generiert Echtzeit-Feedback. Ultraschall ist für die Analyse des Glenohumeralgelenks sehr gut geeignet, da eine direkte Visualisierung der Knochen und Weichteilstrukturen während der Bewegung und somit eine direkte Bewertung der manuellen Technik ermöglicht wird [3, 27]. Ein wesentlicher Nachteil des Ultraschalls ist jedoch die Abhängigkeit der Bildqualität von der Erfahrung des Untersuchers und des Patientenhabitus [27].
Eine Kombination von Ultraschallbildgebung und den Signalen eines elektromagnetischen 3D-Sensors auf dem Ultraschallwandler wurde kürzlich an einem anatomischen Modell validiert [29] und ermöglicht die Aufzeichnung der Position und Orientierung eines Koordinatensystems in Bezug zu einem globalen Referenzsystem. Die Informationen aus der Ultraschallbildgebung werden in die Informationen des Bewegungswandlers des elektromagnetischen Systems integriert, wodurch die Skapulagleitbewegung verfolgt werden kann und somit eine dynamische Bewegungsanalyse möglich ist. Die Vorteile dieses Systems liegen in der einfachen Anwendung in der klinischen Praxis und den nichtvorhandenen Hautinterferenzen. Allerdings erlauben die 2D-Ultraschallbilder keine vollständige 3D-Analyse, die Breite des Ultraschallbildes ist auf die Größe des Ultraschallkopfes beschränkt, und die Echogenität kann bei Personen mit unterschiedlichem Bindegewebe unterschiedlich sein [29].
Fluoroskopie
Die durchleuchtungsbasierte Messung der Schulterkinematik bietet eine ausreichend hohe Genauigkeit für die dynamische Schulteranalyse, jedoch sind die Patienten ionisierender Strahlung ausgesetzt. Mit der Durchleuchtung in einer Ebene und der Aufnahme von 2D-Bildern kann die Schulterkinematik nicht vollständig in 3D untersucht werden, aber je nach Fragestellung (z. B. superiore Translation bei Rotatorenmanschettenrissen) kann die 2D-Kinematik ausreichend sein. In diesem Fall haben sich Durchleuchtungsbilder in einer Ebene mit niedriger Pulsrate und somit geringer Strahlenbelastung als ausreichend erwiesen [8], jedoch ist die Messgenauigkeit für die Bewegung außerhalb der Ebene schlecht [32]. Die biplanare Fluoroskopie erlaubt eine 3D-Schulterkinematikanalyse und unterliegt geringeren Messfehlern, ist jedoch mit doppelt so hoher ionisierenden Strahlung verbunden, in der Klinik nicht allgemein verfügbar [32] und aufgrund der notwendigen Synchronisation und Kalibrierung der Fluoroskope technisch anspruchsvoller.
Knochenmodelle des Humerus und der Skapula werden bei 3D-zu-2D-Modell-zu-Bild-Registrierungstechniken an das Profil der Knochen in den Durchleuchtungsbildern angepasst [2, 16], wodurch die Genauigkeit erhöht und die Bewegung des Glenohumeralgelenks unter dynamischen Bedingungen in vivo nichtinvasiv und genau gemessen werden kann [2]. Allerdings ist dieses Verfahren aufgrund des begrenzten Sichtfelds des Fluoroskops nur für die Analyse einfacherer Bewegungen einer Schulter geeignet.
Magnetresonanztomographie
Das Standardbildgebungsverfahren zur klinischen Beurteilung der Weichteile an der Schulter ist die Magnetresonanztomographie. Die MRT ist nichtinvasiv und beinhaltet keine Strahlenbelastung. Die Möglichkeit der gleichzeitigen Beurteilung der Weichteile und der Schulterkinematik ist klinisch wünschenswert, allerdings dauert die MRT-Aufnahme mehrere Minuten, so dass die Beurteilung der Schulterkinematik hier meist durch mehrere Aufnahmen in verschiedenen statischen Positionen erfolgt [11]. Neue MRT-Verfahren, z. B. Multi-Slice-Cine-MRT mit volumetrischer 3D-Erfassung in Echtzeit [24], ermöglichen die Erfassung der 3D-Schulterkinematik während kontinuierlicher Bewegung.
In der Studie von Pierrart et al. [24] abduzierten die Patienten den Arm langsam isotonisch, während schnelle Bilder mit einer balancierten 3D-Gradientenechosequenz mit mehreren Schichten aufgenommen wurden. Jedoch ist die Bewegung noch zu langsam, um eine echte physiologische Armbewegung darzustellen. Das Bildrauschen ist umgekehrt proportional zur Aufnahmegeschwindigkeit, somit muss ein Kompromiss zwischen Bildqualität und Bewegungsgeschwindigkeit gefunden werden [28]. Die Bildqualität mit dieser MRT-Sequenz war für die Verfolgung der Knochen zwar ausreichend, erlaubte aber keine klinische Beurteilung von Sehnen und Muskeln. Außerdem wurden ein geschlossener MRT-Scanner und eine Schulterspule verwendet, und der begrenzte Raum schränkte den Bewegungsumfang ein (ca. 45° für die humerothorakale Abduktion). Dieses Protokoll kann in Zukunft vermutlich auch auf einen Open-Bore-MRT-Scanner übertragen werden, der den vollen Umfang der Schulterabduktion in aufrechter Position ermöglicht. Mit einer solchen dynamischen MRT wäre es möglich, die Gelenkstabilität – wie z. B. die glenohumerale Translation oder Instabilität – während der Bewegung zu messen. So war eine Ruptur der Rotatorenmanschette besser durch eine dynamische Testung der Instabilität als durch eine statische Messung der relativen Position des glenohumeralen Gelenkzentrums zum Humerus zu erkennen [26].
Fazit für die Praxis
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Die Analyse der Schulterkinematik ist relevant als Ergänzung zur klinischen Untersuchung für die Diagnosestellung, Therapieplanung und das Monitoring des Therapieerfolgs.
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Eine einfache Anwendung, Zeitaufwand und Kosten sind gegen Genauigkeit abzuwägen.
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Die markerlose Bewegungsanalyse stellt eine mögliche Alternative zur markerbasierten Bewegungsanalyse dar.
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Tragbare Sensoren erlauben die Analyse der Schulterkinematik im Alltag sowie über einen längeren Zeitraum.
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Die Erfassung der Skapulabewegung stellt weiterhin eine Herausforderung dar.
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Dynamische medizinische Bildgebung gibt einen Einblick in das Verhalten anatomischer Strukturen während der Schulterbewegungen.
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Die Wahl der Methode zur Erfassung der Schulterkinematik wird durch die angestrebte Anwendung/Fragestellung bestimmt.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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A. M. Müller, Basel
J. Paul, Basel
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Croci, E., Baum, C. & Mündermann, A. Neue Methoden zur In-vivo-Diagnostik der Schulterkinematik. Arthroskopie 36, 171–177 (2023). https://doi.org/10.1007/s00142-023-00608-z
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