Anamnese

Ein 11-jähriger Junge stellt sich mit Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks vor und berichtet von einem 3 Tage zurückliegenden Distorsionstrauma beim Trampolinspringen. Direkt nach dem Sturz ist das Knie deutlich geschwollen und in der Beweglichkeit stark eingeschränkt. Angaben zu subjektiver Instabilität und Blockadephänomenen werden nicht gemacht. Jedoch liegt eine eingeschränkte Beweglichkeit vor. In der Sprechstunde ist der Patient an Unterarmgehstützen unter Teilbelastung mobil und stellt sich nun mit aktueller MRT-Bildgebung vor.

Klinischer und radiologischer Befund

Klinisch imponiert ein ausgeprägter intraartikulärer Erguss des rechten Kniegelenks mit deutlichem Streck- und Beugedefizit (rechtes Knie: „range of motion“ [ROM] 0‑30-90; linkes Knie: ROM 5‑0-130). Schmerzen werden am lateralen Gelenkspalt angegeben. Die Bandstabilität ist aufgrund der starken Schmerzen und Bewegungseinschränkung des Patienten nur eingeschränkt beurteilbar. Der Lachman-Test und die vordere Schublade sind positiv. Das hintere Kreuzband sowie die Seitenbänder scheinen, soweit beurteilbar, stabil. Die Meniskuszeichen sind für den Außenmeniskus positiv. Das Patellofemoralgelenk ist klinisch unauffällig.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) des rechten Kniegelenks bestätigt den klinischen Verdacht einer Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) und eine komplexe Läsion des Außenmeniskushinterhorns (Abb. 1a). Außerdem zeigt sich am posterolateralen Tibiaplateau eine Knorpelfragmentabsprengung/-avulsion von 20 × 15 mm mit einer Dehiszenz von 3 mm (Abb. 2a). Die weiteren intraartikulären Strukturen sind altersentsprechend und unauffällig.

Abb. 1
figure 1

Magnetresonanztomographie (MRT) T2 sagittal: rupturiertes vorderes Kreuzband (VKB) direkt nach dem Unfall (a). Röntgenaufnahme a.-p. (b) und lateral (c) nach erfolgter VKB-Plastik

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomographie (MRT) T2 sagittal. a Knorpelfragmentablösung am posterolateralen Tibiaplateau direkt nach dem Unfall. b Eingeheiltes Knorpelfragment 6 Wochen postoperativ (Pfeile: eingeheiltes Knorpelfragment)

Es wurde die Diagnose einer VKB-Ruptur, Außenmeniskushinterhornläsion sowie Knorpelfragmentablösung des posterolateralen Tibiaplateaus gestellt.

Therapie und Verlauf

Aufgrund der klinischen und radiologischen Befunde wird eine zeitnahe operative Versorgung aller verletzten Strukturen empfohlen. Im Rahmen der Arthroskopie imponiert in der Notch ein von posterolateral subluxiertes und umgeschlagenes Knorpelabscherfragment des Tibiaplateaus (Abb. 3a). Das VKB ist komplett rupturiert. Im Bereich des lateralen Kompartiments zeigt sich im dorsalen Drittel des Tibiaplateau eine knorpelfreie Fläche, aus welcher der abgesprengte Knorpel in die Notch umgeschlagen ist (Abb. 3b). Zusätzlich werden ein Hinterhornhorizontalriss und eine Wurzelavulsion des Außenmeniskus detektiert. Der eingeklemmte Knorpelanteil wird mit dem Tasthaken reponiert, anatomisch ins native Knochenbett eingepasst und zeigt sich unmittelbar tasthakenstabil. Das Außenmeniskushinterhorn wird mittels All-inside-Naht adaptiert. Die Refixation der Außenmeniskuswurzel erfolgt mit arthroskopischer transtibialer Auszugsnaht, welche zusätzlich den reponierten Knorpelkomplex stabilisiert. Somit wird auf eine weitere Fixierung des Knorpels verzichtet.

Abb. 3
figure 3

Arthroskopie, diagnostischer Rundgang: in die Notch subluxiertes Knorpelfragment (a), von der posterolateralen Tibia abgelöstes Knorpelfragment (b) (Pfeil: Luxiertes Knorpelfragment )

Intraoperativer Entschluss zum weiteren zweizeitigen Vorgehen hinsichtlich der Versorgung des VKB, um in der ersten postoperativen Phase eine gute Knorpeleinheilung zu gewährleisten. Eine zeitgleiche VKB-Versorgung hätte ein postoperatives Schema mit mehr Bewegungsfreiheit des Kniegelenks erfordert und dadurch die Knorpeleinheilung gefährdet.

Postoperativ wird das Knie zum Schutz des reponierten Knorpels für 6 Wochen mit einer 4‑Punkt-Hartrahmenorthese in Streckstellung 0‑0‑0 ruhiggestellt. In der Kontroll-MRT 6 Wochen postoperativ sieht man ein gut eingeheiltes Knorpelfragment (Abb. 2b). Zur Stabilisierung des Kniegelenks wird nun in einem zweiten operativen Eingriff eine epiphysenschonende VKB-Plastik mit ipsilateraler Semitendinosussehne durchgeführt (Abb. 1b, c).

Diskussion

Unser Patient erleidet durch ein Distorsionstrauma eine Kombinationsverletzung von VKB, Außenmeniskus und posterolateralem Tibiaknorpel. Besonders ungünstig ist in diesem Fall die überwiegend chondrale Abscherung des posterolateralen Gelenkknorpels.

Bei Kreuzbandverletzungen im Kindesalter wird ein operatives Vorgehen empfohlen

Bei Kreuzbandverletzungen im Kindesalter wird mittlerweile ein operatives Vorgehen empfohlen, da ein fehlendes Kreuzband aufgrund der entstehenden Kniegelenkinstabilität bereits in jungen Jahren prädisponierend für sekundäre Meniskusläsionen und Knorpelschäden ist [10]. Anhand von chronologischem, physiologischem und skeletalem Alter erfolgt die Abschätzung zur Operationsreife. Grundsätzlich kann die epiphysenschonende von der transepiphysealen Technik unterschieden werden. Die Ergebnisse in der Literatur sind hierzu vergleichbar. Je jünger der Patient, desto eher wird ein epiphysenaussparendes Operationsverfahren in Betracht gezogen, um das bei präpubertären Kindern noch ausstehende Längenwachstum durch eine iatrogene Epiphysenverletzung nicht zu gefährden oder negativ zu beeinflussen [10]. Die Nachbehandlungsergebnisse wachstumsfugenschonender VKB-Plastiken sind bezüglich funktionellen Outcomes, Wachstumsstörungen und Graftrupturrate vielversprechend [8]. Bei Kombinationsverletzungen wird eine zeitnahe Versorgung aller verletzten Strukturen empfohlen [9]. Dennoch bleibt die operative Indikationsstellung für jeden Patienten individuell zu treffen.

Mit traumatischen Kreuzbandverletzungen im Kindesalter sind häufig auch akute laterale Meniskushinterhornläsionen assoziiert. Aufgrund der guten Heilungsrate von kindlichem Meniskusgewebe sollte, wenn möglich, immer eine meniskuserhaltende Operationstechnik mit Meniskusnaht angestrebt werden [2]. Gemäß diesem therapeutischen Prinzip wird die Meniskuslängsruptur bei unserem Patienten genäht.

Als Sonderform beschreiben laterale Meniskuswurzelausrisse ein besonders komplexes Verletzungsmuster [6]. Ein von der Wurzel abgelöster Meniskus führt zum Verlust der Ringspannung und nachfolgend zu einer erhöhten Druckbelastung des Gelenkknorpels. Hierdurch können bereits im jungen Alter deutliche degenerative Veränderungen des Gelenks bedingt sein [7]. Wegen der nicht zufriedenstellenden postoperativen Ergebnisse nach konservativer Therapie oder Meniskusteilresektionen [3] wird die arthroskopische transtibiale Auszugsnaht zur Wurzelrefixierung empfohlen [5].

In reponierter und fixierter Stellung kann der Knorpel in seiner ursprünglichen Position einheilen

Zusätzlich zum jungen Patientenalter und der komplexen Meniskusverletzung stellt die Besonderheit des vorliegenden Falls die Abscherverletzung des posterolateralen Gelenkknorpels dar. Traumatische Verletzungen sind die häufigste Ursache für chondrale Läsionen des Kniegelenks im Kindesalter [4]. Das Grundprinzip in der Behandlung von dislozierten Knorpelverletzungen besteht darin, ausgebrochene oder abgescherte Knorpelfragmente wieder in Kontakt mit dem umliegenden Gewebe zu bringen. Je nach Lokalisation und Fragmentbeschaffenheit werden diese zumeist mit Fadenankern, Fadenzerklagen, Pins oder Schrauben befestigt [1]. Die bei Erwachsenen durchgeführten Operationstechniken können nach individueller Adaptation auch bei Kindern angewandt werden. In reponierter und fixierter Stellung kann der Knorpel durch das bei Kindern besonders ausgeprägte Knorpelheilungspotenzial wieder in seiner ursprünglichen Position einheilen.

Das Alleinstellungsmerkmal unseres Falls ist das einzigartige Verletzungsmuster von Knorpelfragment und Verletzung der Außenmeniskuswurzel. Die initiale Überlegung, den ausgebrochenen Knorpel mit einem Fadenanker zu befestigen, wird aufgrund der sehr guten und stabilen Reposition sowie durch die zusätzliche Refixation des Knorpels durch die abgespannte Meniskushinterhornwurzel intraoperativ verworfen. Aufgrund des daraus resultierenden Nachbehandlungsschemas in Streckstellung und Teilbelastung erfolgt die Rekonstruktion des Kreuzbands zweizeitig.

Zusammenfassend stellt eine kindliche Kombinationsverletzung aus Kreuzbandruptur, Meniskus- und Knorpelläsionen eine seltenere und äußerst schwerwiegende Kniegelenkverletzung dar. Eine Stabilisierung des Kniegelenks ist bei notweniger operativer Behandlung des Meniskus und Knorpels zum Schutz des vulnerablen Meniskus- und Knorpelgewebes unumgänglich. Aufgrund der konträren Nachbehandlungsschemata im vorliegenden Fall wurde ein zweizeitiges Vorgehen mit Knorpelreposition und Schienenruhigstellung in Streckstellung sowie anschließender VKB-Rekonstruktion gewählt.

Fazit für die Praxis

  • Eine kindliche Kombinationsverletzung von vorderem Kreuzband (VKB), Außenmeniskus und Knorpel stellt eine schwerwiegende Kniegelenkverletzung dar.

  • Bei Kombinationsverletzungen des Kniegelenks wird eine zeitnahe Versorgung aller verletzten Strukturen empfohlen.

  • Abhängig von den Nachbehandlungsschemata nach Kreuzbandplastik und Knorpeltherapie werden diese Kombinationsverletzungen ein- oder zweizeitig versorgt.

  • Wesentlich ist beim operativen Vorgehen auch die Aufklärung der Erziehungsberechtigten und des Kindes über die Wichtigkeit des operativen Vorgehens und der Nachbehandlung.