Zusammenfassung
Niedriggradige Verletzungen (Grad I und II nach Rockwood) des Akromioklavikulargelenks (ACG) können in den meisten Fällen mit gutem Outcome konservativ behandelt werden. Hierbei gibt es keine Methode der Immobilisation, welche sich als Überlegen herausgestellt hätte. Höhergradige Verletzungen (Grad IV und V), welche eine relevante Instabilität und konsekutiv häufig eine Dyskinesie des skapulothorakalen Rhythmus zur Folge haben, profitieren von einer chirurgischen Rekonstruktion. Kein Konsens trotz breiter akademischer Diskussion besteht bei Grad-III-Verletzungen. In Langzeitstudien und im Rahmen von Metaanalysen zeigten sich keine Vorteile eines operativen Vorgehens gegenüber der konservativen Behandlung nach 1 bis 2 Jahren, während einzelne Fallserien Vorteile in der anatomischen Rekonstruktion aufzeigten, insbesondere wenn für das ACG spezifische Outcome-Scores verwendet wurden. In Grenzfällen sollte das individuelle Arbeits- und Sportprofil, insbesondere regelmäßige Überkopfaktivität, in die therapeutische Entscheidungsfindung einfließen. Sowohl bei niedrig- wie auch hochgradigen Verletzungen des ACG kann durch eine fokussierte Therapie zur Verbesserung der skapulothorakalen Mobilität und Stabilität eine Skapuladyskinesie in vielen Fällen (gelegentlich auch ≥ Grad III nach Rockwood) vermieden oder erfolgreich behandelt werden.
Abstract
Low-grade acromioclavicular joint (ACJ) injuries (Rockwood grades I and II) can be treated conservatively in most cases with a good outcome. There is no method of immobilization that has been shown to be superior. Higher grade injuries (grades IV and V) that result in relevant instability and often subsequent dyskinesia of the scapulothoracic rhythm benefit from surgical reconstruction. There is no consensus for grade III injuries despite broad academic discussion. Long-term studies and meta-analyses showed no benefits of a surgical intervention over conservative treatment after 1–2 years, whereas individual case series showed benefits in anatomic reconstruction, especially when outcome scores specific for the ACG were used. In borderline cases the individual work and sports profile, especially regular overhead activity, should be considered in therapeutic decision making. In both low-grade and high-grade injuries of the ACJ, using focused therapy to improve scapulothoracic mobility and stability, scapular dyskinesia can be prevented or successfully treated in many cases (occasionally in ≥ grade III according to Rockwood).
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Das Akromioklavikulargelenk (ACG) spielt eine Schlüsselrolle bei der Kinematik des Schultergürtels. Als Dreh- und Angelpunkt zwischen der Klavikula und der Skapula spielt es eine zentrale Rolle für die ungestörte Bewegungsführung der Skapula auf dem Thorax und somit für die ungehinderte Flexion und Abduktion des Arms im Raum [1, 2]. Eine Störung im Bereich des ACG und die damit einhergehende Skapuladyskinesie, nach Trauma oder in Folge einer symptomatischen Degeneration, führt häufig zu sekundären Pathologien, nicht selten in Form einer subakromialen Bursitis [3,4,5,6,7]. Aus diesen Gründen ist es für eine gute klinische Prognose zentral, dass nach einer Verletzung des ACG die ursprüngliche Kinematik auch bei veränderter posttraumatischer Anatomie wiederhergestellt wird. Bei niedriggradigen Verletzungen vom Typ I und II nach Rockwood ist zwar eine vorübergehende Störung des skapulothorakalen Rhythmus regelmäßig zu beobachten [8], unter adäquater konservativer Therapie kann jedoch meist ein gutes Resultat erreicht werden [9]. Dies bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss bei höhergradigen ACG-Verletzungen mit vollständiger Dissoziation des Gelenks (Typ III und höher) kein Erfolg mittels konservativer Therapie erzielt werden kann [10, 11]. Ein gewisser Konsens in der verfügbaren Literatur besteht über die Notwendigkeit zur Operation bei vollständiger Sprengung des ACG mit ausgeprägter horizontaler Instabilität (Typ IIIB/IV) und/oder Durchspießung der lateralen Klavikula durch die klavipektorale Faszie bzw. den M. trapezius (Typ V; [12]). Im Folgenden sollen die konservative Therapie von ACG-Verletzungen und – wo vorhanden – evidenzbasierte Kriterien zur Operationsindikation im Grenzbereich der als instabil klassifizierten Verletzungen beleuchtet werden.
Was sagt die Literatur?
Es bietet sich zwar an, zum Zweck der schnellen Übersicht, aber auch zur Einstufung der verfügbaren Evidenz, systematische Reviews, Metaanalysen oder Konsensuspapiere zu Rate zu ziehen. Dies kann aber darüber hinwegtäuschen, dass die kumulierten zugrunde liegenden Einzelarbeiten bezüglich Evidenzgrad selbst möglicherweise für eine solide Aussage ungenügend sind und gepoolte Patient/-innendaten regelmäßig ein verwässertes Bild zu einer konkreten Fragestellung abgeben. Deshalb ist es empfehlenswert, sich für die eigene Meinungsbildung und als Beratungsgrundlage seiner Patient/-innen gelegentlich mit der Primärliteratur auseinanderzusetzen. Dies trifft vor allem auch zu, da insbesondere bei den chirurgischen Behandlungsmethoden der ACG-Verletzungen mittlerweile weit über 100 Techniken beschrieben wurden, ohne dass sich ein klarer Gewinner bis zum heutigen Tage herauskristallisiert hätte.
Die verfügbaren Studien sollten gezielt im Hinblick auf den/die im Fokus stehenden Outcome-Parameter interpretiert werden, bei ACG-Verletzungen wären dies: Schmerzverlauf, Funktionalität des Schultergürtels im Alltag, Arbeits- und Sportfähigkeit, Kosmesis und Risiken (v. a. perioperative) in Abhängigkeit der Behandlungsform.
Bei niedriggradigen Verletzungen (Rockwood Typ I und II) besteht eigentlich kein Zweifel, dass mittels adäquater konservativer Therapie gute bis sehr gute Resultate erreicht werden können, auch wenn gelegentlich ein prolongierter Schmerzverlauf auftreten kann [13, 14]. Bei der nichtoperativen Therapie gibt es trotz mannigfaltiger Hilfsmittel, welche von speziellen Verbänden über Bandagen (Beispiel in Abb. 1) bis hin zu Taping reichen, keine wissenschaftliche Evidenz, dass diese einer einfachen kurzfristigen analgetischen Ruhigstellung bezüglich Funktion oder Kosmesis mittel- und langfristig überlegen wären (Finsterwald et al., unpublished data).
Was allerdings sinnvoll erscheint, ist die posttraumatische Einleitung einer fokussierten physiotherapeutischen Rehabilitation zur Behandlung und Prävention von durch die AC-Separation verursachten skapulothorakalen Bewegungsstörungen, welche einen entscheidenden Einfluss auf das Behandlungsresultat haben können [15, 16]. Eines dieser Rehabilitationsprogramme ist das Gladstone-Protokoll [17]. Dieses beinhaltet 4 Phasen und beginnt mit immobilisierenden Maßnahmen zur Schmerzelimination (3–10 Tage), gefolgt von der Wiederherstellung der vollen Beweglichkeit und progressiven Kräftigung mit isotonischen Übungen. In Phase 3 wird die dynamische Stabilisierung des ACG angestrebt, und in Phase 4 werden sportartenspezifische Übungen implementiert, um die Rückkehr zum Sport vorzubereiten. In unserer Institution wird zudem bei der Rehabilitation nach ACG-Verletzung besonderer Wert auf die frühzeitige Aktivierung der skapulastabilisierenden und -mobilisierenden Muskulatur und hier besonders auf die Pars inferior des M. trapezius und den M. serratus anterior gelegt. Es konnte gezeigt werden, dass auch bei chronischen ACG-Verletzungen vom Typ III nach Rockwood mit ausgeprägter Skapuladyskinesie bei mehr als drei Viertel der Patient/-innen nach einer 6‑wöchigen, fokussierten Rehabilitation die skapulothorakale Bewegungsstörung reversibel war [9].
Neben der Ruhigstellung und Installierung einer adäquaten physikalischen Behandlung können kurzfristig nichtsteroidale Antirheumatika eingesetzt werden. Im seltenen Fall von persistierenden Schmerzen (> 6 Monate) kann auch eine Infiltration mittels lokalen Steroiden ins ACG evaluiert werden. Sollte die konservative Therapie von niedriggradigen ACG-Verletzungen langfristig versagen (z. B. bei einer Osteolyse der lateralen Klavikula), kann eine offene oder arthroskopische ACG-Resektion zielführend sein [18].
Im Gegensatz zum literarischen Konsens bei der Therapie von niedriggradigen ACG-Verletzungen scheint sich bei höhergradigen ACG-Läsionen trotz einer Fülle von Untersuchungen (noch) keine Einigkeit bezüglich Überlegenheit der konservativen oder operativen Behandlung abzuzeichnen. Generell kann hier festgehalten werden, dass die bisher publizierten Metaanalysen und Langzeitstudien meist keine überlegene Behandlungsoption hervorbringen, insbesondere, wenn es um klinische Outcome-Scores nach 1 bis 2 Jahren geht. Die für Patient/-innen meist zweitrangigen Untersuchungsparameter wie ACG-Alignment in der Röntgenuntersuchung, Kosmesis oder durch den Untersucher festgestellte horizontale Instabilität bei den chirurgischen Therapien schneiden dagegen meist besser ab. Dafür verspricht ein konservatives Vorgehen eine schnellere Rückkehr zu Arbeit und Sport und ist naturgemäß nicht mit chirurgischen Komplikationen behaftet [19,20,21].
Es gibt verschiedene Erklärungen, weshalb eine Diskrepanz zwischen den Resultaten von gewissen Fallserien und den Erkenntnissen von Metaanalysen bei ACG-Verletzungen vorliegen könnte. Eine wesentliche Komponente scheinen die verschiedenen eingesetzten Mess-Tools zu sein. Viele, insbesondere ältere Untersuchungen setzten bei den klinischen Parametern auf allgemeingehaltene Schulter-Scores wie den Constant-Murley-Score, während neuere Arbeiten spezifischere Tools wie den Taft-Score oder den Acromioclavicular Joint Instability Score (ACJI) verwenden [22]. Auch bei der radiologischen Analyse werden in den letzten Jahren vermehrt Aufnahmen, welche eine horizontale Instabilität identifizieren können (z. B. Alexander oder Basmania View), und/oder die Magnetresonanztomographie (MRT) in die Entscheidungsfindung zur Behandlung miteinbezogen.
Evidenzbasierte Kriterien für die Operationsindikation
Die ausgeprägte posttraumatische Instabilität könnte als gemeinsamer Nenner für ein operatives Vorgehen der verfügbaren Evidenz ins Feld geführt werden. So unpräzise, wie diese Bezeichnung sein mag, genauso vielfältig erscheinen die Klassifikationen, welche zwischen stabiler und instabiler ACG-Verletzung zu unterscheiden vorgeben [12, 23,24,25,26]. Als regelrechten akademischen Battleground könnte man die Diskussion über die Behandlung der Typ-III-Verletzungen nach Rockwood bezeichnen. Hier ist die verfügbare Literatur bis heute uneins bezüglich der favorisierten Therapieoption, und auch Versuche der weiteren Unterteilung in IIIA und IIIB (stabil vs. instabil; [12]) konnten zu keiner relevanten Vereinfachung des Behandlungsalgorithmus im klinischen Alltag führen. Verschiedene unterstützende, röntgenologische Verfahren zur Unterscheidung zwischen stabiler und instabiler Verletzung wurden in den letzten Jahren evaluiert. Als Beispiel einer einfachen röntgenologischen Messmethode sei hier die Kreismethode und die damit verbundene ABC-Klassifikation von Murphy et al. [27] genannt. Diese Methode ist zwar anwenderfreundlich und zeichnet sich durch eine hohe Messzuverlässigkeit aus, allerdings reflektiert auch sie nur einen statischen Zustand und kann keine Aussage über die erhaltene oder gestörte Kinematik des skapulothorakalen Gleitlagers und Hypermobilität der lateralen Klavikula tätigen, welche für das klinische Outcome relevant ist.
Bei Typ-IV- und Typ-V-Separationen scheint die Sache auf den ersten Blick wieder klar zu sein. Sobald eine signifikante horizontale Instabilitätskomponente bei der klinischen und/oder röntgenologischen Analyse zu finden ist, wird ein chirurgisches Vorgehen favorisiert [12]. Allerdings ist nirgends quantitativ beschrieben, wieviel bei einer dynamischen horizontalen Verschieblichkeit in der klinischen Untersuchung wirklich zu viel ist. Eine äußerst untersucherabhängige Komponente spielt somit bei der Beurteilung jedes Mal mit.
Aber auch hier keine These ohne Antithese: Natera Cisneros und Sarasquete Reiriz haben mit ihrer Untersuchung zeigen können, dass ihr Patient/-innenkollektiv mit hochgradigen Verletzungen (4-mal Typ III und 17-mal Typ V) mittels konservativer Behandlung bezüglich klinischem Outcome und Lebensqualität (Constant-Score, DASH-Score, visuelle Analogskala [VAS], SF36) gleich gute Ergebnisse hatten wie die operierten Patient/-innen [11]. Schlussendlich muss konstatiert werden, dass eine ausgeprägte horizontale Instabilität bei der dynamischen Untersuchung (Overriding der Klavikula über das Akromion) oder die Irreponibilität der lateralen Klavikula im ACG (z. B. bei Durchstoßung der Muskulatur) eine auf Basis der verfügbaren Literatur hohe Wahrscheinlichkeit eines schlechten Outcomes bei konservativer Therapie zur Folge haben kann.
Analyse und Vorgehensweise des Autors
Am Anfang der akuten Traumatisierung eines ACG mit vollständiger Separation steht ein Dilemma. Es kann in vielen Fällen nicht abgeschätzt werden, ob sich der skapulothorakale Rhythmus und somit das in der Regel damit verbundene klinische Outcome mittels adäquater Rehabilitation in den folgenden Wochen und Monaten normalisieren lässt oder nicht. Diese Gewissheit wäre aber nötig, um die Möglichkeit einer primären Rekonstruktion, welche typischerweise keine biologische Augmentation notwendig macht, in den ersten 1 bis 3 Wochen nach Trauma nicht zu verpassen. In wenigen Fällen ist die Entscheidung für ein operatives Vorgehen einfacher, nämlich dann, wenn sich das ACG passiv nicht reponieren lässt und somit eine Durchspießung der Faszie bzw. der Muskulatur wahrscheinlich ist. Auch bei Fällen von ausgeprägter horizontaler Instabilität bei der klinischen Untersuchung ist das therapeutische Vorgehen meist klar. In allen anderen Fällen, welche in der Erfahrung des Autors die Mehrheit bilden, spielt das individuelle berufliche Tätigkeits- und Sportprofil eine entscheidende Rolle für die Beratung des/der Verletzten. Bei regelmäßigen Tätigkeiten über der Horizontalen (Maler, Gipser etc.) oder sportlichen Aktivitäten, welche repetitive Überkopfbewegungen beinhalten (Handball, Volleyball u. v. m.), besteht in der Erfahrung des Autors ein relevantes Risiko für spätere Restbeschwerden, welche bis zur Arbeits- oder Sportunfähigkeit führen können. Dieser Umstand sollte unter Berücksichtigung aller Vor- und Nachteile eines konservativen und operativen Vorgehens inklusive Unterschiede in der Rehabilitation mit den Patient/-innen im Detail besprochen und der Therapieentscheid gemeinsam gefällt werden.
Fazit für die Praxis
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Entscheidend für das mittel- und langfristige klinische Outcome nach Verletzungen des Akromioklavikulargelenks (ACG) ist eine erhaltene oder wiederhergestellte skapulothorakale Kinematik, die oft durch gezielte Kräftigung der periskapulären Muskulatur und Training des skapulothorakalen Rhythmus erreicht werden kann.
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Niedriggradige ACG-Verletzungen (Typ Rockwood I und II) können meist konservativ behandelt werden, wobei keine Methode der Immobilisation klar überlegen ist.
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Bei den regelmäßig vorkommenden Grenzfällen (Typ Rockwood III) spielen die individuellen Ansprüche der Patient/-innen an ihre Überkopfbelastungen in Beruf und Sport bei der Entscheidung zur konservativen oder operativen Behandlung eine entscheidende Rolle.
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Höhergradige ACG-Sprengungen (Typ IV und V) profitieren von einer anatomischen Rekonstruktion, wobei das Dilemma der chirurgischen Frühbehandlung zur Vermeidung der Rückbildung der korakoklavikulären Ligamente darin besteht, der Option zur (immer wieder) erfolgreichen konservativen Therapie vorzugreifen.
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Funding
Open access funding provided by University of Zurich.
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Interessenkonflikt
S. Bouaicha gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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K. Beitzel, Köln
A.M. Müller, Basel
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Bouaicha, S. Konservative Therapie von Verletzungen des Akromioklavikulargelenks. Arthroskopie 35, 267–272 (2022). https://doi.org/10.1007/s00142-022-00545-3
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