Zusammenfassung
Tuberculum-majus-Frakturen machen etwa 20 % der proximalen Humerusfrakturen aus und sind häufige Begleitverletzungen bei glenohumeralen Luxationen. Während isolierte, nichtdislozierte Frakturen konservativ behandelt werden können, sind dislozierte Frakturen durch ihre Auswirkung auf die Biomechanik des Schultergelenks, insbesondere aufgrund der Beeinträchtigung der Rotatorenmanschette, als Indikation zur operativen Versorgung anzusehen. Während die meisten operativen Ansätze eine direkte Zuggurtungs- oder Plattenosteosynthese der Fraktur fokussieren, ist in manchen Fällen auch eine indirekte Zuggurtungsosteosynthese mittels Knochenankerfixationstechnik möglich. Dieser Artikel soll einen solchen Fall beschreiben sowie die Vor- und Nachteile der indirekten Zuggurtung gegenüber anderen Versorgungstechniken diskutieren.
Abstract
Fractures of the greater tuberosity account for about 20% of proximal humerus fractures and are frequent concomitant injuries in glenohumeral dislocations. While isolated nondisplaced fractures can be treated conservatively, dislocated fractures are considered to be an indication for surgical treatment due to their impact on the biomechanical function of the shoulder joint, especially due to the impairment of the rotator cuff. While most surgical approaches focus on a direct compression or plate osteosynthesis of the fracture, in some cases indirect compression using a bone anchor fixation technique is also possible. This article describes such a case and discusses the advantages and disadvantages of indirect osteosynthesis in comparison to other treatment techniques in detail.
Klinischer Fall
Ein 18-jähriger Patient stellt sich mit persistierenden Schmerzen sowie Funktionseinschränkungen der rechten Schulter 7 Tage nach einer traumatischen, anterioren Schulterluxation mit anschließender Reposition in Analgosedierung in unserer Sprechstunde vor. Das Schultergelenk zeigt sich reizfrei, jedoch besteht eine deutliche Druckdolenz über dem Tuberculum majus (TM). Die Beweglichkeit des Schultergelenks ist stark beeinträchtigt, Abduktion und Anteversion sind aufgehoben. Bei Testung der Sensibilität fällt eine Hypästhesie des lateralen Oberarms mit Verdacht einer Axillarisparese auf – eine neurologische Untersuchung soll dies klären.
Radiologischer Befund
Das Röntgenbild des Patienten zeigt eine leicht dislozierte TM-Fraktur ohne Hinweis auf eine zusätzliche Glenoidfraktur (Abb. 1a). Die zusätzlich angefertigte Computertomographie (CT) zeigt eine mehrfragmentäre TM-Fraktur (Abb. 1b). Frakturen des TM machen etwa 20 % der proximalen Humerusfrakturen aus [4] und treten in 15–30 % der Fälle als Begleitverletzung bei glenohumeralen Luxationen auf [3].
Die Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt eine zusätzliche anteroinferiore Labrumläsion (Bankart-Läsion; Abb. 2a). Die Rotatorenmanschette ist trotz defektem TM intakt (Abb. 2b).
Im Zuge der morphologischen Klassifikation von TM-Frakturen nach Mutch et al. [6] handelte es sich um eine Fraktur vom Splittyp. Während insbesondere für Frakturen des Impressionstyps ein konservatives Vorgehen angeraten wird, sind Avulsions- sowie Splittyp-Frakturen mit einer Dislokation von > 2 mm bzw. bei Überkopfsportlern immer als Indikation zur operativen Therapie zu werten. Auf Basis der klinischen und radiologischen Befunde wurde die Indikation zum arthroskopischen Bankart-Repair sowie einer Refixation des TM mittels Fadenankern gestellt.
Neurologischer Befund
Die Elektromyographie (EMG) ergab eine Aktivitätsminderung des M. deltoideus. Die Nervenleitgeschwindigkeit des N. axillaris sowie des N. suprascapularis zeigen sich als reduziert. Während isolierte Schädigungen des N. axillaris mit einer Häufigkeit von etwa 10 % bei vorderen Schulterluxationen beschrieben werden [7], dokumentierten Visser et al. (1999) in 62 % von 215 nachkontrollierten Patienten mit proximalen Humerusfrakturen und Schulterdislokationen eine muskuläre Aktivitätsstörung [8]. Die Autoren schlussfolgerten, dass eine größere Anzahl an Nervenläsionen klinisch übersehen wird. Während sich dislokationsbedingte sensorische Paresen meist innerhalb weniger Wochen erholen, können motorische Ausfälle noch nach mehreren Monaten präsent sein [8].
Therapie
Der Patient wurde in Intubationsnarkose und unter Anwendung eines Skalenusblocks in Beach-chair-Position gelagert. Über das posteriore Standardportal wurde ein diagnostischer Rundgang durchgeführt, welcher eine anteroinferiore Labrumläsion (Bankart-Läsion) bei weiter Kapsel offenbarte. Die lange Bizepssehne (LBS), der Bizepssehnenanker (SLAP) sowie die Rotatorenmanschette zeigten sich intakt, allerdings wiesen die TM-Fragmente eine deutlich Medialisierung auf und waren in die durchgängig dargestellte Supraspinatussehne (SSP) retrahiert.
Die Versorgung der Bankart-Läsion erfolgt nach internem Standard mithilfe von 3 FiberTak-Soft-Ankern (Arthrex, Naples, FL, USA; [1]). Im zweiten Operationsteil wurde die arthroskopisch-gestützte Versorgung der bereits intraartikulär gut einsehbaren TM-Fraktur mittels Minimal-open-Knochenankerfixationstechnik (KFx) fokussiert ([5]; Abb. 4a). Für die indirekte Zuggurtung der Fraktur wurde die SSP-Sehne initial mithilfe des SutureLasso™ SD (Arthrex, Naples, FL, USA) über eine von lateral vorgelegte Kanüle penetriert. Nach dem Einholen des monofilen Lassofadens über das anterolaterale Portal, wurde ein FiberTape-Faden (Arthrex, Naples, FL, USA) eingefädelt und schlussendlich das Lasso über die laterale Hautinzision entfernt (Abb. 4b).
Nach der Bergung des zweiten FiberTape-Endes aus dem anterolateralen Portal ist eine U‑förmige Schlinge durch die SSP-Sehne entstanden, die aus der lateralen Hautinzision eine erste Zügelung der Sehne sowie den in der Sehne retrahierten Fragmenten ermöglicht. Dieses Vorgehen wurde insgesamt dreimal durchgeführt (Abb. 3d und 4c), um eine flächige Zügelung der Sehne und später eine suffiziente Refixation des TM-Fragments zu gewährleisten.
Die FiberTape-Fäden wurden nun gekreuzt und mittels zweier SwiveLock-Anker (Arthrex, Naples, FL, USA) distal des TM-Fragments über eine Miniinzision in den Humerusschaft eingebracht (Abb. 3d, e und 4d). Durch die Fixierung und Augmentation der Sehneninsertion der SSP wird eine indirekte Zuggurtung und Reposition der TM-Fraktur erreicht.
Postoperativer Verlauf
Die Nachbehandlung des Patienten erfolgte mittels einer Armschlinge für die ersten 24 h, die folgend v. a. nachts und bei längeren Gehbelastungen für die nächsten 6 Wochen getragen wird. Die aktive Abduktion und Flexion wurden für die ersten 3 Wochen auf 45° und anschließend für weitere 3 Wochen auf 90° beschränkt. Die Freigabe der freien Beweglichkeit des operierten Schultergelenks erfolgte nach der 6 Wochen postoperativ durchgeführten klinischen und radiologischen Verlaufskontrolle, die eine gute Fixierung des Fragments darstellte (Abb. 5). Die Sensorik des N. axillaris war nun wieder intakt und der M. deltoideus zeigte eine gute Funktion (Abb. 6).
Diskussion
Da der Insertionspunkt der SSP- und Infraspinatussehne (ISP) am TM als wichtigster Faktor für die Stabilität des Schultergelenks und somit Zentrierung des Humeruskopfes gilt, ist die Refixation des TM auch bei leicht dislozierten Frakturen indiziert. Im vorliegenden Fallbeispiel wurde ein arthroskopisch-gestütztes Verfahren zur TM-Versorgung gewählt, die eine gleichzeitige Adressierung des Bankart-Repair ermöglichte.
Im Vergleich zur klassischen, plattenbasierten Osteosynthese unterliegt die KFx-Technik zwar in puncto mechanischer Belastbarkeit [2], ist allerdings dafür in der Lage, auch mehrfragmentäre Frakturen adäquat durch deren Zusammenhalt im Weichteilverbund zu adressieren [5]. Weiterhin wurde durch die Fixierung der SSP-Sehne mit 2 Ankern unterhalb der TM-Fraktur eine Sicherung gegen eine sekundäre Dislokation des Fragments durch den Zug der ISP geschaffen. Die arthroskopisch gestützte Versorgung der TM-Frakturen ermöglicht somit ein minimal-invasives Therapiekonzept mit Schonung des Weichteilverbands sowie der Vermeidung einer weiteren notwendigen Operation zur späteren Metallentfernung.
Fazit für die Praxis
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Bei Schulterluxationen sollte die sensible und motorische Funktion des N. axillaris getestet werden.
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Die rein arthroskopische bzw. Mini-open-Knochenankerrefixation ermöglicht eine suffiziente Zuggurtungsversorgung von TM-Frakturen.
Literatur
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Franz, A., Hinz, M., Beitzel, K. et al. Indirekte Zuggurtungsosteosynthese bei isolierter Tuberculum-majus-Fraktur. Arthroskopie 34, 227–232 (2021). https://doi.org/10.1007/s00142-021-00450-1
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