Die Rotatorenmanschette besteht aus den Sehnen folgender Muskeln: M. infraspinatus (ISP), M. supraspinatus (SSP), M. subscapularis und M. teres minor, welche alle von der Skapula entspringen und am Humeruskopf ansetzen. Das Lig. korakohumerale vervollständigt die Rotatorenmanschette [1], deren Hauptfunktion darin besteht, den Humeruskopf im Zentrum der Fossa glenoidale zu halten, um somit sowohl die Abduktion als auch die Anteversion des Arms effizient zu gestalten [2]. Rupturen der Rotatorenmanschette präsentieren sich hinsichtlich Pathogenese, der Rupturmorphologie und den daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen in variablen Ausprägungen. Die am häufigsten beschriebene Läsion ist die posterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur. Diese ist in den meisten Fällen degenerativ bedingt. Betroffen sind meist die Supraspinatussehne, der kraniale Anteil der Infraspinatussehne und der komplette Footprint der Infraspinatussehne [3]. Die Einteilung der Rotatorenmanschettenruptur nach Bateman richtet sich nach der Rupturgröße:

  • Grad 1: Rupturgröße ≤1 cm,

  • Grad 2: Rupturgröße 1–3 cm,

  • Grad 3: Rupturgröße 3–5 cm,

  • Grad 4: Rupturgröße ≥5 cm.

Die Sehnenretraktion kann nach Patte eingeteilt werden. Bei Grad 1 befindet sich der Sehnenstumpf zwischen Tuberculum majus und dem Apex des Humeruskopfes, bei Grad 2 liegt der Stumpf zwischen dem Apex und dem Glenoidrand und bei Grad 3 hinter dem Glenoidrand [4].

Fallbeschreibung

Der 57-jährige Patient stellte sich mit seit 6 Monaten bestehenden Schmerzen in der linken Schulter vor. Die Schmerzsymptomatik konnte keinem Trauma zugeordnet werden. Eine einmalig e. d. durchgeführte Injektionstherapie (Medikament bei Vorstellung unbekannt) führte zu einer leichten Verbesserung der Beschwerdesymptomatik. Neben Schmerzen, die insbesondere bei Überkopfbewegungen und Belastung bestanden, konnte auch ein Kraftverlust detektiert werden.

Bei der körperlichen Untersuchung ließ sich eine freie aktive sowie passive Beweglichkeit feststellen. Der Nackengriff war vollständig durchführbar, der Schürzengriff konnte bis zum 1. Lendenwirbelkörper ausgeführt werden, Bear-Hug und Speed-Test waren positiv. Die Kraftprüfung nach Janda zeigte eine Kraftminderung des M. supraspinatus (Janda Stufe 3) und des M. infraspinatus (Janda Stufe 4), bei der Testung des M. subscapularis konnte hingegen keine Kraftminderung festgestellt werden.

In der Magnetresonanztomographie (MRT; Abb. 1) ließ sich eine Komplettruptur der Supraspinatussehne und der kranialen Infraspinatussehne objektivieren. Die Rissgröße wurde mit Grad 3 nach Bateman klassifiziert, die Retraktion des Sehnenstumpfes wurde als Grad 3 nach Patte und die trophische Muskelqualität als Grad 3 nach Goutallier eingestuft. Darüber hinaus zeigte sich eine Tendinitis der langen Bizepssehne (LBS). In der Röntgenbefundung der linken Schulter präsentierten sich ein Humeruskopfhochstand und eine Arthrose des Akromioklavikulargelenks.

Abb. 1
figure 1

Magnetresonanztomographie (MRT) der Schulter. In der T2-gewichteten koronaren Aufnahme (a) ist die Komplettruptur der Supraspinatussehne deutlich zu sehen, während sich in der axialen T1-gewichteten Aufnahme (b) die Ruptur der kranialen Infraspinatussehne objektivieren lässt

In Zusammenschau der Befunde war eine Weiterführung der konservativen Therapie aus der Sicht des behandelnden Arztes nicht erfolgversprechend, weshalb man sich gemeinsam mit dem Patienten zur operativen Therapie in Form einer Schulterarthroskopie entschloss, in welcher in erster Linie eine Rekonstruktion der superioren Kapsel mittels LBS-Patch und Readaptation des Infraspinatus, eine Tenotomie der langen Bizepssehne (LBS) und eine subakromiale Dekompression durchgeführt werden sollten.

Der primäre arthroskopische Zugang erfolgte über das posteriore Standardportal, anschließend wurde das anterosuperiore Arbeitsportal gesetzt. Bei der palpatorischen und dynamischen Untersuchung zeigte sich das Pulley-System der Bizepssehne rupturiert. Der radiologische Befund der Supra- und Infraspinatussehne bestätigte sich auch arthroskopisch, des Weiteren war eine deutliche Bursitis zu sehen. Anschließend wurde über den posterioren Zugang in den Subakromialraum eingegangen, woraufhin sich auch hier eine deutliche Bursitis zeigte. Anschließend wurden mittels Shaver eine Bursektomie der Bursa subacromialis und eine elektrothermische Blutstillung durchgeführt. Durch die Präzisionsakromioplastik nach Ellmann, welche mithilfe einer rotierenden Fräse umgesetzt wurde, konnte eine gute subakromiale Defilee-Erweiterung erreicht werden. Nach dem erneuten Eingehen in den Gelenkraum erfolgte auch hier zunächst die Bursektomie mit anschließender Blutstillung.

Im nächsten Schritt wurde ein laterales Arbeitsportal gesetzt, wodurch eine Twist-in-Arbeitskanüle (Arthrex GmbH, München, Deutschland) eingebracht wurde. Die folgende Anfrischung des SSP- und ISP-Footprint wurde mit dem Shaver durchgeführt. Hier wurde darauf geachtet, dass dies solange erfolgte bis Blutaustritte aus dem Knochen zu sehen waren. Auch der superiore Glenoidrand wurde mit dem Shaver präpariert.

Danach wurde die lange Bizepssehne armiert und beim Eintritt in den Sulcus intertubercularis mit zwei FiberWire®-Fäden (Arthrex GmbH, München, Deutschland) mittels einer arthroskopischen FastPass Scorpion SL-Zange (Arthrex GmbH, München, Deutschland) durchstochen, woraufhin die lange Bizepssehne distal der Armierung, im Sinne einer Tenotomie, abgesetzt und somit als Autograft für die obere Kapsel vorbereitet wurde. Der nächste Schritt bestand in der Fixierung der langen Bizepssehne mit zwei 5,5-mm-SwiveLock®-Ankern (Arthrex GmbH, München, Deutschland), jeweils am ventralen und dorsalen Rand (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Abgesetzte lange Bizepssehne (LBS) mit ventralem (V) und dorsalem (D) Rand (a), Einbringen eines Fadenankers im Supraspinatus(SSP)-Footprint (b)

Mit dem freien FibreWire®-Faden wurde die Infraspinatussehne durchstochen und so eine Teilrekonstruktion des ISP durchgeführt. Danach erfolgte die Side-to-side-Naht der langen Bizepssehne durch Verknüpfung mit der kranialen Infraspinatussehne, um so den kompletten Verschluss des posterosuperioren Gelenkraums zu bewerkstelligen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Durstechen (a) von langer Bizepssehne (LBS) und Infraspinatussehne (ISP) zur Komplettierung (b) des Verschlusses des posterosuperioren Gelenkraums

Siebeneinhalb Monate nach dem Eingriff war jeweils eine schmerzfreie aktive Abduktion und Flexion bis 90° möglich. Der Schürzengriff konnte bis zum 5. Lendenwirbelkörper ausgeführt werden, während der Nackengriff mit vorgeneigtem Ellenbogen durchgeführt werden konnte.

Diskussion

Pathologien der Rotatorenmanschette sind für ca. 70 % aller ärztlichen Konsultationen im Rahmen von Schulterschmerzen verantwortlich [5]. Die Inzidenz der Rotatorenmanschettenrupturen steigt mit dem Alter und beträgt bei Personen zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr etwa 25 %, über dem 80. Lebensjahr hingegen schon über 50 % [6]. Ein Defekt der superioren Kapsel hat biomechanisch eine erhöhte glenohumerale Translation in alle Richtungen zur Folge [7]. Der Verlust dieses stabilisierenden Faktors des Glenohumeralgelenks führt dazu, dass v. a. eine durch den M. deltoideus bedingte Translation nach anterosuperior geschieht, was zu einer unzureichenden Funktion der Schulter führt.

Ziel der superioren Kapselrekonstruktion (SCR) ist eine Verbesserung der oben beschriebenen Problematik. Durch eine Rezentrierung des Humeruskopfes kann die ursprüngliche Biomechanik wiederhergestellt werden. Mihata et al. leisteten dahingehend Pionierarbeit und bewiesen, dass durch eine SCR die superiore Stabilität der Rotatorenmanschette wieder vollständig hergestellt werden kann [8].

Ein Fascia-lata-Allotransplantat sollte zumindest 8 mm Dicke aufweisen

Die ursprüngliche SCR-Technik wurde von Mihata et al. in Form eines Fascia-lata-Allotransplantats beschrieben, später in Form eines Fascia-lata-Autotransplantats [8]. Aus Überlegungen der kürzeren Operationszeit, der verringerten Invasivität betreffend der Entnahme und der einfacheren Herstellung gewann das Allograft immer mehr an Popularität, obwohl die Gleichwertigkeit der Transplantate noch nicht nachgewiesen ist [9]. Sowohl Fascia-lata-Allotransplantate als auch humane dermale Allotransplantate scheinen in der Lage zu sein, die Humeruskopftranslation zu verringern [10]. Die Dicke des gewählten Transplantats ist ein entscheidender Faktor, inwiefern die Biomechanik des Glenohumeralgelenks wiederhergestellt werden kann. So sollte ein Fascia-lata-Allotransplantat zumindest 8 mm Dicke aufweisen, sodass es die Translation zum Großteil beheben kann [11].

Die im Fallbericht beschriebene Technik der Verwendung der LBS zur Rekonstruktion der superioren Kapsel hat gegenüber der Verwendung eines Fascia-lata-Autotransplantats den Vorteil, sich einen weiteren Einschnitt zu ersparen und so möglichen Komplikationen, wie z. B. Narben und Hämatombildung, von vorneherein vorzubeugen. Auch diese Technik ist in der Lage, den Humeruskopf zu rezentrieren. Darüber hinaus werden der subakromiale Spitzendruck und die Kontaktfläche von Humerus und Glenoid signifikant verringert [12, 13]. Ebenso konnte bewiesen werden, dass auch das Fortschreiten von Arthrose oder die Atrophie der Muskulatur der Rotatorenmanschette durch dieses Verfahren verlangsamt werden kann [14]. In mehreren Studien konnte zudem eine signifikante Verbesserung des funktionellen Outcomes sowie eine signifikante Abnahme der Schmerzen nachgewiesen werden [15]. Was die lange Bizepssehne als Transplantat für superiore Kapseldefekte zudem noch interessanter macht, ist der Umstand, dass sie eine geeignete Zellquelle für die Regeneration von Sehnengewebe darstellt [16].

Da es bei einigen Patienten neben dem Ruptur der Rotatorenmanschette jedoch auch zu einer Degeneration und Rissbildung der langen Bizepssehne kommt [15], ist dieses Verfahren nicht immer geeignet.

Fazit für die Praxis

  • In dem hier beschriebenen Fall konnte die Rotatorenmanschettenruptur eines 57-jährigen Patienten erfolgreich mittels superiorer Kapselrekonstruktion behandelt werden.

  • Hierzu wurde die lange Bizepssehne als Autograft verwendet und mit der kranialen Infraspinatussehne verknüpft.

  • Mittels dieser Technik konnten Biomechanik und Stabilität des Schultergelenks konnten wiederhergestellt werden.

  • Die lange Bizepssehne eignet sich, sofern sie keine Degeneration oder Rissbildung aufweist, aufgrund ihrer Eigenschaften prinzipiell sehr gut als Transplantat.