Durch das zunehmende Alter der Bevölkerung, die daraus resultierende Zunahme der Implantation von Knietotalendoprothesen (Knie-TEP) und die dadurch bedingte vermehrte körperliche Aktivität der Menschen im Alter erhöht sich die absolute Anzahl an periprothetischen Frakturen. Rund 75 % aller periprothetischen Frakturen entstehen durch Bagatell- und Niedrigenergietraumen in Zusammenhang mit lokalen und systemischen Risikofaktoren [14, 16]. Periprothetische Frakturen des distalen Femurs sind in 0,3–2,5 % der Fälle mit der Implantation primärer Knie-TEP assoziiert [17, 18]. Das Risiko einer distalen periprothetischen Fraktur steigt bei Revisions-Knie-TEP auf 1,6–38 % an [5, 17, 18]. Der Anstieg nach Revisionseingriffen dürfte durch einen minderwertigen Knochenstock bedingt sein [14]. Der Großteil der Frakturen entfällt auf das distale Femur, wobei tibiale Frakturen und Frakturen der Patella seltener sind [1].

Periprothetische Frakturen stellen eine Herausforderung in der Therapie dar und bedürfen häufig einer interdisziplinären Betreuung. Die meisten Behandlungsverfahren sind mit großen aufwändigen Operationen verbunden. Demgegenüber stellt die arthroskopisch unterstützte Versorgung mittels retrogradem Femurnagel eine weniger invasive und schonendere Technik dar.

Risikofaktoren für das Auftreten einer periprothetischen Fraktur sind schlechte Knochenqualität (Osteoporose, Osteomalazie), ausgeprägte Komorbiditäten und Patienten mit erhöhtem Sturzrisiko. Des Weiteren spielen lokale Faktoren, wie Prothesenlockerung, Infekte (auch Low-grade-Infekte), Osteolysen, Achsenfehlstellungen und Verschleiß von Prothesenkomponenten eine Rolle [7, 12].

Für die Einteilung periprothetischer Frakturen des distalen Femurs liegen einige Klassifikationen vor, z. B. Su et al. [22] oder Kim et al. [13]. Die am meisten verbreitete ist die von Rorabeck und Taylor, welche 1999 publiziert wurde [19]. Diese Klassifikation stellt die Grundlage für die Wahl der Therapie dar. Es werden drei unterschiedliche Frakturtypen anhand der Faktoren „Dislokation der Fraktur“ und „Prothesenstabilität“ unterschieden (Tab. 1; Abb. 1).

Tab. 1 Rorabeck-Klassifikation
Abb. 1
figure 1

Rorabeck-Klassifikation. (© Leonore Schlee)

Ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Therapie ist die richtige Klassifikation der Fraktur. Primär ist die Unterscheidung zwischen einem festen, intakten Prothesensitz (Rorabeck Typ I und II) und einer Fraktur mit Prothesenlockerung (Rorabeck Typ III) von Relevanz für die Therapieentscheidung [15]. Zeichen für eine Prothesenlockerung können sein:

  • Beschwerden im Bereich der Prothesenregion, die bereits vor dem Sturz bestanden haben,

  • im Röntgen sichtbarer Lysesaum im Bereich der Prothese,

  • Einsinken der Prothese in der Röntgenaufnahme oder Separation von Zement [4].

Ziel der Therapie ist die frühzeitige Mobilisierung der Patienten und eine Vermeidung sekundärer Komplikationen. Betrachtet man insbesondere die bei diesem Patientenkollektiv so wichtige frühzeitige Mobilisation, so ist diese durch eine konservative Therapie nicht möglich. Daher ist der operative Eingriff in den meisten Fällen die bevorzugte Therapiemethode [6, 16].

Der entscheidende Faktor in der Therapie ist die Klassifikation der Fraktur

Im Rahmen der operativen Versorgung kommt eine LCP-Platte („locking compression plate“) oder ein retrograder Marknagel zum Einsatz. Weitere Therapieoptionen stellen die Verwendung eines Stems oder Sleeves dar. Bei Frakturen mit stabiler Knie-TEP (Rorabeck Typ I und II) kann die Prothese belassen werden, sofern sich diese intraoperativ nicht als gelockert darstellt. Bei Frakturen mit zusätzlicher Prothesenlockerung (Rorabeck Typ III) hat ergänzend zur Frakturversorgung ein Wechsel der Knie-TEP zu erfolgen.

Für die präoperative Planung ist somit die Kenntnis der Lokalisation der Fraktur und Stabilität der einliegenden Knie-TEP essenziell. Auch die Anzahl und Größe der Frakturfragmente sollte hierbei beachtet werden. Um sich einen besseren Überblick über den Frakturverlauf und die Fragmente zu verschaffen, ist die Durchführung einer Computertomographie (CT) empfehlenswert [2].

Bei Vorliegen einer Fraktur Typ Rorabeck I und II ist eine Versorgung mittels LCP-Platte oder retrogradem Marknagel möglich. Die LCP-Platte kann entweder durch direkte Frakturreposition in der Mini-open-Technik, mit der direkten Fixation durch Drahtzerklagen oder minimal-invasiv mit indirekter Frakturreposition durchgeführt werden. Bei der Versorgung der Fraktur mittels retrogradem Marknagel ist das Design der femoralen Komponente der Knie-TEP entscheidend. Knieprothesen, deren femorale Komponente eine geschlossene femorale Box aufweisen, kommen für die retrograde Marknagelung nicht in Frage, da der Eintrittspunkt des Nagels in der Notch durch die Prothese verdeckt ist. Ebenso ist bei einem Prothesendesign mit femoralem Stiel die Nagelosteosynthese nicht durchführbar. Die Versorgung mittels retrogradem Femurnagel stellt die weniger invasive Technik dar. Zudem kommt es im Vergleich zur Versorgung mittels LCP-Platte, bei einer teilweise kritischen Weichteilsituation, zu einer zusätzlichen Schonung der Weichteile.

Die Rorabeck-Fraktur vom Typ III mit gelockerter Prothese ist eine eindeutige Indikation für den Prothesenwechsel. Um bei solch einem Wechsel ausreichend Stabilität zu erlangen, wird hierbei zumeist eine langstielige Prothese implantiert. Sowohl bei der Einbringung eines retrograden Femurnagels als auch einer Knieprothese mit langem Stiel ist bei der Planung auf das Vorliegen einer Hüft-TEP oder eines proximalen intramedullären Nagels zu achten. Es ist weiterhin darauf zu achten, dass es zwischen den beiden Implantaten zu keiner Berührung/Überlappung („kissing implants“) kommt. Um ein erhöhtes Frakturrisiko zwischen proximalem und distalem Implantat zu vermindern, sollte ein Transplantatabstand von mindestens 3 cm eingehalten werden [9]. Die endgültige Entscheidung zur Therapie der Wahl ist für jeden Patienten individuell zu treffen und sollte nach den o. g. Überlegungen erfolgen.

Fallbericht

Anamnese

Eine 80-jährige Patientin stellt sich, nach Sturz in der Häuslichkeit, mit der Rettung in der Klinik vor. Anamnestisch gibt die Patientin an, im Treppenhaus gestürzt zu sein. Seither habe sie Schmerzen im Bereich des linken Oberschenkels und könne nicht mehr auftreten. Des Weiteren werden Schmerzen im Bereich der linken Hüfte angegeben.

Befund und Diagnostik

In der klinischen Untersuchung zeigt sich über dem linken Kniegelenk eine Narbe des medialen parapatellaren Zugangs. Die Knie-TEP links wurde primär 2006 bei der Diagnose Gonarthrose implantiert. Der linke Oberschenkel präsentiert sich stark schmerzhaft mit Punctum maximum im distalen Drittel. Die Beweglichkeit des Kniegelenks und des Hüftgelenks ist schmerzhaft reduziert. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität zeigen sich im Seitenvergleich ohne pathologischen Befund.

Die Röntgendiagnostik (a.-p. und seitlich) ergibt im Bereich des linken distalen Oberschenkels eine suprakondyläre, schräg verlaufende Fraktur mit einer Achsenabweichung nach lateral (Abb. 2). Die Knie-TEP zeigt eine regelrechte Position und Artikulation der Prothesenteile. Im Röntgen der linken Hüfte kann kein sicherer Nachweis für eine rezente posttraumatische Knochenaffektion am Schenkelhals erfolgen.

Abb. 2
figure 2

Präoperatives Röntgen a.-p. (a) und seitlich (b)

Diagnose

Bei dieser suprakondylären Fraktur handelt es sich um eine Rorabeck-Fraktur Typ II (dislozierte Fraktur mit festem Prothesensitz). Hierdurch ergibt sich die Indikation zur operativen Frakturversorgung.

Therapie und Verlauf

Aufgrund des in der Klinik nicht vorrätigen retrograden Femurnagels wurde die primäre Stabilisierung mittels Fixateur externe durchgeführt. In Intubationsnarkose erfolgt die initiale Reposition der Fraktur mit anschließender Anlage des Fixateur externe.

In der durchgeführten CT konnten keine Lockerungszeichen der Prothese vorgefunden werden. Daher erfolgt nach 2 Tagen präoperativer Patientenvorbereitung eine weitere Operation zur arthroskopischen Einbringung eines retrograden Femurnagels. Die Möglichkeit hierzu besteht aufgrund des Vorliegens eines K‑TEP-Designs mit offener femoraler Box.

Die Operation wird erneut in Intubationsnarkose, Rückenlagerung und Beugung des Kniegelenks in 60°, nach Desinfektion des Operationsgebiets und sterilem Abdecken durchgeführt. Nach der vollständigen Entfernung des Fixateur externe wird ein mediales und laterales Arthroskopieportal am Kniegelenk angelegt. Mit der Kamera wird zuallererst die Fossa intercondylaris dargestellt und ein exakter Eintrittspunkt am unteren Rand des Femoropatellargelenks ausgemacht. Über die gesetzte parapatelläre Inzision wird ventral, mittels Trokar, in das Kniegelenk eingegangen und ein Führungsdraht eingebracht. Mithilfe des Bildwandlers erfolgt die Kontrolle der Lage des Führungsdrahts, ehe durch einen Markraumöffner der distale Markraum interkondylär eröffnet wird. Unter Zuhilfenahme eines Zielgeräts wird dann ein retrograder Femurnagel (200 mm Länge, 10 mm Durchmesser; Natural Nail®System, Zimmer®, Warsaw, USA) in das distale Femur eingeschlagen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Arthroskopisches Einbringen des retrograden Femurnagels mittels Zielgerät (ac)

Nach der exakten Versenkung des Nagels wird unter Bildwandlerkontrolle die distale und proximale Querverschraubung jeweils mittels zweier Querverriegelungsschrauben durchgeführt. Eine Schrägverschraubung ist durch die Lage der Knie-TEP nicht möglich.

Ab dem ersten postoperativen Tag wird die Patientin mobilisiert

Das intraoperative Röntgen zeigt stabile Verhältnisse, eine gute Achse und regelrechte Lage des Implantats. Nach ausgiebiger Spülung werden die Stichinzisionen verschlossen.

Ab dem ersten postoperativen Tag wird die Patientin mobilisiert. Weitere postoperative Behandlungen erfolgen unter Zuhilfenahme von Unterarmstützkrücken sowie einer täglichen physiotherapeutischen Therapie. Zur analgetischen Therapie erhält die Patientin am ersten postoperativen Tag Piritramid subkutan verabreicht. Innerhalb der ersten Tage erfolgt eine zusätzliche Schmerzmedikationsverabreichung mit Wirkstoffen der WHO Klasse I intravenös und oral. Die Nahtentfernung erfolgt bei blanden Wundverhältnissen am 10. postoperativen Tag. Nach vollständig durchgeführter Mobilisation erfolgt die stationäre Entlassung, eigenständig mobil und ohne fortbestehende Schmerzen (Abb. 4). Die Patientin kommt nach 6 Wochen zu einer Nachsorgeuntersuchung in die Klinik. Sie präsentiert sich in einem sehr guten körperlichen Zustand und gibt an, den Alltag ohne weitere Probleme selbstständig zu bewältigen.

Abb. 4
figure 4

Röntgen am 11. postoperativen Tag, a.-p. (a) und seitlich (b)

Diskussion

Der retrograde Femurnagel weist im Vergleich zur LCP-Platte einige Vorteile auf. Erstmals wurde er 1991 von Seligson et al. beschrieben [10]. Durch diesen minimal-invasiven Eingriff kann das Weichteilgewebe geschont und der Blutverlust minimiert werden. Beides sind Vorteile bei diesem älteren, teilweise multimorbiden Patientenkollektiv. Zusätzlich kann es bei der LCP-Platte durch die entsprechende Materialdicke zu Irritationen der Weichteile und damit verbundenen Schmerzen bzw. sekundären Eingriffen (u. a. Materialentfernung) kommen.

Der proximale Femurnagel hat in biomechanischen Studien eine erhöhte axiale Stabilität gezeigt [2], und durch diese, der LCP-Platte überlegenen axialen Stabilität, kann postoperativ sofort mit einer schmerzadaptierten Vollbelastung des Patienten begonnen werden. Die zusätzliche Möglichkeit der proximalen Verriegelung (Transfixation) des Nagels führt zu einer Erhöhung der Stabilität und verbessert dadurch die Heilungstendenz metaphysärer Frakturen [3].

Neben diesen erwähnten Vorteilen kann bei einer stabilen Prothese die Knie-TEP erhalten bleiben, und die Operation wird hierdurch für den Patienten weniger invasiv.

Die arthroskopische Unterstützung der Operation bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Der Prothesensitz kann mittels Tasthaken direkt beurteilt werden. Darüber hinaus kann der Eintrittspunkt des Nagels einfacher und genauer gewählt werden als durch alleinige Platzierung unter dem Bildwandler.

Nachteile für das Einbringen eines retrograden Femurnagels sind, dass die Knie-TEP das passende Design haben muss und es bei einliegenden proximalen Implantaten zu interprothetischen Frakturen kommen kann. Bei der präoperativen Planung ist zu beachten, dass das Knie-TEP-Design ein Einbringen von distalen Verriegelungsschrauben (mindestens zwei bikortikale Schrauben) ermöglicht. Ebenso kann es bei der Operation zu einer Beschädigung von Prothesenteilen und proximalen Implantaten (z. B. Hüft-TEP) kommen und intraoperative Frakturen auftreten. Da der Zugang für den Nagel durch das Ligamentum patellae erfolgt, kann es in diesem Bereich postoperativ zu Beschwerden bei knienden Tätigkeiten kommen.

Im Vergleich zu klassischen, nichtwinkelstabilen Osteosyntheseplatten zeigen die LCP-Platten und der retrograde Femurnagel bessere klinische Ergebnisse [8]. So konnte in einem Review von Herrera et al. gezeigt werden, dass das Risiko einer Pseudoarthrose im Vergleich zu nichtwinkelstabilen Platten durch retrograde Femurnägel um 87 % und durch LCP-Platten um 57 % gesenkt werden kann [11].

In einer Metaanalyse von Shin et al. konnte gezeigt werden, dass zwischen retrograden Femurnägeln und LCP-Platte kein statistisch signifikanter Unterschied hinsichtlich des klinischen Ergebnisses (Knee Society Score), der Pseudoarthrose und der Revisionsrate vorliegt [20]. Die Autoren der Metaanalyse kommen zu dem Schluss, dass beide Versorgungsmethoden ihre Berechtigung in der Versorgung von distalen periprothetischen Femurfrakturen haben. Die Metaanalyse hat durch rein retrospektive Daten und die durch den Chirurgen gewählte operative Therapie (keine Randomisierung) ihre Limitationen.

In dem hier beschriebenen Fall hätte der Einsatz von transmedullären Stützschrauben (TMS-Schrauben), wie von Stedtfeld et al. beschrieben, zur erleichterten Reposition der Fraktur in der anatomischen Position führen können [21]. Klinisch ist die Patientin durch die leichte Fehlstellung des Femurs nicht beeinträchtigt und kann den Alltag wie vor der Fraktur bewältigen.

In der Praxis hat sich die Lagerung der Patienten während der Operation mit einem 40–60° flektierten Bein im Kniegelenk als sehr hilfreich erwiesen, sodass der Eintrittspunkt des retrograden Marknagels gut erreicht werden kann und eine Entspannung des M. gastrocnemius erreicht wird, was die Reposition der Fraktur erleichtert. Zusätzlich muss intraoperativ beim sterilen Waschen eine weitere Assistenz zur proximalen Unterstützung am Oberschenkel hinzugezogen werden, damit es durch eine vermehrte Dislokation des Beins nicht zu iatrogenen Schäden von Blutgefäßen oder Nerven kommt. Bei der Aufklärung des Patienten ist neben den standardmäßigen Komplikationen zusätzlich über einen intraoperativen Prothesenwechsel, ein anderes Fixationsverfahren, die Gefahr von weiteren periprothetischen Frakturen oder Beschädigung der Prothesenkomponenten hinzuweisen.

Fazit für die Praxis

  • Die Versorgung distaler periprothetischer Frakturen stellt weiterhin eine Herausforderung für den Operateur dar.

  • Durch die Zunahme der absoluten Fallzahl ist eine Optimierung der Versorgung essenziell, um sekundäre Komplikationen und Reoperationen zu verhindern.

  • Dies kann mit Hilfe einer ausreichenden präoperativen Planung und einer interdisziplinären Betreuung des Patienten erfolgen.

  • Die Klassifikation der Fraktur nach Rorabeck ist eine gute Hilfe bei der Therapiewahl.