Frakturen des Tibiaplateaus sind im Verhältnis zu allen anderen Frakturen des Menschen mit 1 % äußerst selten [18]. Falls sie jedoch auftreten, dann meist mit einer komplexen Beteiligung der Gelenkflächen. Durch zusätzliche Verletzung der Kniebinnenstrukturen (u. a. vorderes Kreuzband, Menisken) stellt die operative Versorgung eine chirurgische Herausforderung dar. Porrino et al. haben in einer rezenten Studie die Korrelation der Tibiaplateaufraktur mit den Rupturen des vorderen/hinteren Kreuzbands und des medialen/lateralen Seitenbands untersucht [11]. Es konnte gezeigt werden, dass eine isolierte Fraktur der lateralen Tibiakondyle statistisch signifikant mit einer Verletzung des medialen Seitenbands einhergeht. Bei einer isolierten medialen Fraktur der Tibiakondyle gilt dies für eine Verletzung der posterolateralen Bandstrukturen. Für die Kreuzbänder konnte keine statistisch signifikante Korrelation gezeigt werden, was an der von den Autoren selbst beschriebenen geringen Patientenzahl (n = 19) liegen könnte.

Neben der Wiederherstellung der kongruenten Gelenkflächen gilt es auch, die Funktion, Stabilität und Bewegungsfreiheit des Kniegelenks zu beachten. Eine Meniskusbeteiligung wird bei jeder zweiten Tibiafraktur beobachtet [2].

Ist die Ursache für die Fraktur bei jüngeren Patienten meist ein sog. High-energy-Trauma, wie ein direkter Sturz auf das gestreckte Bein oder ein Anprall der Kniescheibe im Rahmen eines Verkehrsunfalls („dashboard injury“), so kommt es bei einer Minderung der Knochenfestigkeit (Osteoporose) im Alter häufiger zu Brüchen. Dies kann dazu führen, dass Bagatelltraumen, wie z. B. Stürze in der Häuslichkeit, zu Frakturen des Tibiaplateaus führen. Durch diese Low-energy-Trauma steigt der Anteil dieser Frakturen im Alter auf bis zu 8 % [13, 20]. Zusätzlich zur Osteoporose kommen bei älteren Patienten weitere Komorbiditäten hinzu. Krause et al. konnten zeigen, dass es bei osteoporotischen Patienten im vorderen und hinteren Viertel des Tibiaplateaus zu einer Verminderung des subchondralen Knochens und Veränderungen des Knochenmarks kommt, was eine mögliche Prädiktionsstelle für sekundäre Fixationsverluste darstellt [7].

Die Klassifikation der Tibiaplateaufraktur ist für das weitere therapeutische Vorgehen essenziell

Die Klassifikation der Tibiaplateaufraktur ist für das weitere therapeutische Vorgehen essenziell. Hervorzuheben ist, dass alle folgend genannten Klassifikationen sich an den radiologischen Bildern orientieren und keinen Weichteilschaden oder Begleitverletzungen miteinschließen. Die Tibiaplateaufraktur kann nach der Schatzker-Klassifikation [8] bzw. der AO/OTA-Klassifikation eingeteilt werden.

Noch Mitte des letzten Jahrhunderts stellte die Tibiaplateaufraktur mangels operativer Versorgung eine Indikation zur konservativen Behandlung dar [2]. Die konservative Therapie kommt heute nur bei minimal dislozierten Brüchen, peripheren submeniskalen Frakturen oder bei Patienten mit Kontraindikation zur operativen Versorgung in Frage. Der Goldstandard ist die operative Versorgung mittels winkelstabiler Platten. Die weitere Möglichkeit zur minimalinvasiven Operation mit Schrauben schont die bei Tibiafrakturen häufig schon verletzten Weichteile. Grundsätzlich ist das primäre Ziel der operativen Versorgung eine Wiederherstellung der Gelenkflächen. Begleitverletzungen der Binnenstrukturen können entweder in der gleichen Sitzung mitversorgt werden oder teilweise bei komplizierteren Verletzungen eine spätere, zweite Operation notwendig machen.

Fallbericht

Eine 61-jährige Patientin stellte sich nach Sturz in der Häuslichkeit in unserer Ordination „Sport & Trauma“ in der Wiener Privatklinik mit der Rettung vor. Anamnestisch gab die Patientin an, dass sie auf dem Parkettboden ausgerutscht sei. Seitdem habe sie Schmerzen im Bereich des rechten Kniegelenks, der linken Schulter und des lateralen Schlüsselbeins links.

In der klinischen Untersuchung zeigte sich das rechte Kniegelenk geschwollen. Die Palpation war schmerzhaft im Bereich der Tibiavorderkante, zudem war ein Druckschmerz über dem lateralen Gelenksspalt vorhanden. Die Bewegung war schmerzhaft reduziert, und die Beurteilung der Bandstabilität des Kniegelenks (Kreuzbänder und Seitenbänder) konnte wegen der zu starken Schmerzen der Patientin nicht sicher überprüft werden. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität zeigten sich im Seitenvergleich ohne pathologischen Befund. Der Unterschenkel war im Vergleich zur Gegenseite nicht geschwollen und auch nicht druckschmerzhaft. Bei der Untersuchung der linken Klavikula ließ sich ein Druckschmerz sowie eine Krepitation im lateralen Drittel auslösen.

In der Röntgendiagnostik zeigte sich im Bereich des rechten Kniegelenks eine Fraktur des Tibiakopfes und eine Fraktur der lateralen Klavikula links. Zur weiteren Diagnostik der ligamentären Strukturen des Kniegelenks wurde zusätzlich eine Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt. Diese zeigte eine ventrale Tibiakopffraktur mit Ruptur des lateralen Meniskus, des vorderen Kreuzbands und ein Knochenmarködem im Bereich der medialen Femurkondyle. Ebenfalls im MRT erkennbar war eine massive Impressionsfraktur des medialen Tibiaplateaus (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

MRT des rechten Kniegelenks (sagittal) mit massiver Impressionsfraktur des medialen Tibiaplateaus

Diagnose

Zusammenfassend konnte man am rechten Kniegelenk folgende Diagnose stellen: Fraktur des vorderen Tibiakopfes und der medialen Femurkondyle mit einer multiligamentären Ruptur sowie eine Lappenruptur des lateralen Meniskus. An der linken Schulter bestand eine Klavikulafraktur mit einer begleitenden Ruptur des Lig. coracoclaviculare. Dadurch ergab sich die Indikation zur operativen Versorgung.

Therapie und Verlauf

Noch am selben Tag wurde der operative Eingriff geplant und die internistische Freigabe für die Operation eingeholt. Geplant wurden eine Teilmeniskektomie des lateralen Meniskus, eine Resektion des vorderen Kreuzbandstumpfes tibial und die ventrale Reposition, Unterfütterung und Osteosynthese des Tibiakopfes.

In Intubationsnarkose, Rückenlagerung und nach Desinfektion des Operationsgebiets und sterilem Abdecken wurde zunächst mit der Versorgung des rechten Kniegelenks begonnen. Die klinische Untersuchung des Kniegelenks im Operationssaal, nach Schmerzausschaltung und Relaxation der Muskulatur, zeigte eine massive Überstreckbarkeit. Es erfolgte die Anlage eines arthroskopischen lateralen Zugangsportals sowie die Anlage eines medialen Arbeitsportals. Intraoperativ zeigte sich nach Ausspülen des Hämarthros die Lappenruptur des lateralen Meniskus sowie ein rupturiertes vorderes Kreuzband. Die Fraktur des ventralen Tibiakopfes zog sich von medial nach lateral. Im Bereich der medialen Femurkondyle stellte sich ebenfalls eine Fraktur dar. Die planmäßige Versorgung der Tibiakopffraktur musste jedoch wegen des erhöhten Wasseraustritts in den Unterschenkel und der damit verbundenen Gefahr eines Kompartmentsyndroms abgebrochen werden. Es erfolgte somit der Verschluss der Stichinzisionen und die Anlage eines Longuetten-Verbands. Nach Beendigung des ersten Eingriffs am Kniegelenk wurde unter Aufrechterhaltung der Intubationsnarkose die linke Schulter versorgt.

Die am nächsten Tag erfolgte Computertomographie (CT) des rechten Kniegelenks zeigte unverändert zum MRT eine Impressionsfraktur der medialen Femurkondyle sowie eine Absprengung der medialen Tibiavorderkante (Abb. 2). Die Knochendichteuntersuchung mittels „dual energy X‑ray absorptiometry“ (DEXA-Scan) zeigte das Vorliegen einer gering ausgeprägten Osteopenie.

Abb. 2
figure 2

Präoperative Computertomographie (CT) des rechten Kniegelenks (a.-p. und sagittal)

Nach ausgiebiger Diskussion des Falls ergab sich die Indikation für die Kniegelenkflächenrekonstruktion mittels Knietotalendoprothese (Knie-TEP). Diese Entscheidung wurde wegen der Osteopenie und der ausgeprägten Defektbildung im Tibiakopf und der medialen Femurkondyle gefällt.

Am dritten postoperativen Tag war die Schwellung soweit zurückgegangen, dass der geplante Eingriff zur Knie-TEP (MyKnee®, Medacta International, Castel San Pietro, Schweiz) durchgeführt werden konnte.

In sterilem operativem Setting wurde zuerst die Knie-TEP implantiert und nach dem Zementieren in Streckstellung zur Aushärtung gebracht (Abb. 3). Aufgrund der ausgeprägten Defektbildung im Tibiakopf und der Osteopenie wurde eine Knie-TEP mit Stem implantiert. Bei elektiven Primärimplantationen von Knie-TEP ist die Verwendung einer Tibiakomponente mit Stem nicht der Regelfall. Anschließend erfolgte die Refixation des medialen und lateralen Bandapparats mittels hochreißfestem Faden und Knochenanker, wobei die auch Ansatzsehne des M. popliteus am lateralen Femurkondylus refixiert wurde. Intraoperativ konnte dadurch schon eine ausgezeichnete Bandstabilität in allen Ebenen erreicht werden. Die postoperative Ruhigstellung erfolgte wie nach dem ersten Eingriff 4 Tage zuvor mittels Longuetten-Verband.

Abb. 3
figure 3

Postoperative Röntgenaufnahme (a.-p. und sagittal) des rechten Kniegelenks mit zementierter Knietotalendoprothese (TEP)

Am zweiten Tag nach Implantation der Knie-TEP wurde die Patientin mobilisiert und physiotherapeutisch behandelt. Die Röntgenkontrolle am fünften postoperativen Tag zeigte eine regelrechte Lage des Implantats. Die Patientin konnte am neunten postoperativen Tag, nach ausreichender Mobilisation, das Krankenhaus wieder verlassen.

Diskussion

Die Arthroskopie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sehr stark weiterentwickelt, verfeinert und ihre Methoden und Möglichkeiten im Operationsspektrum deutlich erweitert. Wie aus der Praxis bekannt ist, sind die Komplikationen nach Arthroskopien sehr gering. Als häufigste Komplikation wird die Gelenkinfektion mit einer geschätzten Inzidenz von etwa 0,4 %, angenommen [10]. Eine sehr seltene Gefahr der Kniearthroskopie stellt das Kompartmentsyndrom der unteren Extremität dar. Dieses findet man jedoch immer wieder nach Tibiafrakturen und tritt unmittelbar nach dem Trauma auf. Durch die Inelastizität von Faszien kommt es durch den vermehrten Flüssigkeitsaustritt (u. a. Blutung) in das Gewebe zu einer Erhöhung des Gewebedrucks. Diese Druckerhöhung kann innerhalb von 2 h zu beginnenden Muskelnekrosen führen [17]. Nach 6–8 h kommt es zu einer irreversiblen Schädigung der Muskulatur innerhalb des Kompartiments. Als schwerwiegende Komplikationen eines Kompartmentsyndroms sind u. a. folgende zu nennen: Rhabdomyolyse, Crush-Niere, Muskelkontrakturen und Rebound-Kompartmentsyndrom. Allein diese Komplikationen und die Tatsache der Muskelnekrose zeigen, wie wichtig das Erkennen der Diagnose und die Behandlung sind.

Klinische Zeichen für das Kompartmentsyndrom sind: massive Schmerzen im Bereich der betroffenen Faszienloge, durch passive Dehnung des Muskels ausgelöste Schmerzen und Parästhesien im Bereich des betroffenen Gebiets [16]. Beachtet werden muss, dass starke Schmerzen und Parästhesien im Bereich des Operationsgebiets auch nach einer durchgeführten Operation durch eine Verletzung der Weichteile auftreten können [12].

Führt man eine Literaturrecherche zu diesem Thema durch, so findet man lediglich folgenden Fallbericht zu diesem Thema: Belanger et al. berichteten 1997 von einer 15-jährigen Patientin, die im Rahmen der Arthroskopie ein Kompartmentsyndrom entwickelt hat [3]. Ebenfalls im gleichen Jahr erschien ein Fallbericht von 2 Patienten, die postoperativ nach der Arthroskopie ein Kompartmentsyndrom entwickelt haben [6]. Haben Belanger et al. das Kompartmentsyndrom mit einer Fasziotomie behandelt, so haben Kaper et al. ihre beiden Patienten konservativ nachbehandelt.

Bis heute gibt es keine Einigung bezüglich der optimalen Therapie des akuten Kompartmentsyndroms. Die Fasziotomie stellt eine gute invasive Therapieoption dar, jedoch gibt es keine genauen Parameter, ab welchem Druck des Kompartiments diese durchgeführt werden soll [14]. Früher hat man absolute Druckwerte zur Definition eines kritischen Schwellenwerts für die Fasziotomie angenommen. Mittlerweile geht man davon aus, dass der Druck im Kompartiment, ab dem es zu einer Schädigung des Gewebes kommt, vom systemischen Perfusionsdruck abhängt [19]. Mc Queen et al. haben in ihrer klinischen prospektiven Studie die Indikation zur Fasziotomie bei einer „delta pressure“ (diastolischer Blutdruck minus Kompartmentdruck) von ≤30 mm Hg über 2 h gestellt und konnten mit diesem Schwellenwert unnötige Fasziotomien vermeiden [9].

Die Fasziotomie stellt eine gute invasive Therapieoption des Kompartmentsyndroms dar

Die Frage, ob man bei Patienten mit einer komplexen Tibiaplateaufraktur primär eine Knie-TEP implantieren soll, ist gerechtfertigt. Einerseits stellt die Implantation der Knie-TEP eine langfristige Lösung bei Patienten mit Tibiaplateaufrakturen dar. Bei älteren Patienten mit einer komplexen Tibiaplateaufraktur stellt laut Huang et al. die primäre Implantation einer Knie-TEP eine geeignete Therapie dar [5]. In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten, die nach einer Tibiaplateaufraktur sekundär eine Knie-TEP implantiert bekommen haben, eine erhöhte Komplikationsrate aufweisen (90 % der Komplikationen innerhalb der ersten 2 Jahre), jedoch nach 15 Jahren das Überleben der Prothese ähnlich der Prothese von Patienten mit Gonarthrose ist [1]. Dies zeigt, dass die Komplikationsrate innerhalb der ersten 2 Jahre niedrig gehalten werden muss, damit die Patienten ein gutes Outcome haben. Jedoch hat auch die primäre Therapieoption mittels Arthroskopie und „open reduction and internal fixation“ (ORIF) ihren Erfolg bei älteren Patienten. Frattini et al. konnten bezüglich der Behandlung von komplexen Tibiaplateaufrakturen bei älteren Patienten sowohl gute Ergebnisse hinsichtlich der Funktion als auch des radiologischen Outcomes zeigen [4]. Bei älteren osteoporotischen Patienten stellt die primäre Indikation einer Knie-TEP sicherlich eine gute Option dar, da es zu einer sofortigen Stabilität, Mobilisierung und niedrigeren Reoperationsraten kommt [15].

Wichtig ist, dass die Therapieoption patientenorientiert und entsprechend der Frakturklassifikation ausgewählt wird. Je nach Nebenerkrankungen, Alter und Allgemeinzustand des Patienten stellen ORIF und Knie-TEP gute Therapiemöglichkeiten dar.

Fazit für die Praxis

  • Die Behandlung einer Fraktur des Tibiaplateaus ist eine Herausforderung.

  • Das Kompartmentsyndrom im Rahmen der Arthroskopie des Kniegelenks stellt eine äußerst seltene, jedoch komplexe Komplikation hinsichtlich der Diagnostik und Therapie dar.

  • Wichtig ist, dass die Therapie des Kompartmentsyndroms immer patientenorientiert erfolgt.

  • Hierbei wird es sicher noch nötig sein, einen gemeinsamen Konsens für Diagnose und Therapieoptionen zu erarbeiten.

  • Eine primäre Implantation einer Knie-TEP bei komplexen Tibiaplateaufrakturen sollte immer in Erwägung gezogen werden.

  • Die in diesem Beitrag beschriebene Patientin wurde nach ethischen Richtlinien über die Veröffentlichung des Fallberichts aufgeklärt und hat dieser zugestimmt.