Zusammenfassung
Hintergrund
Die Fallbeschreibungen im Opus des griechisch-römischen Arztes Galen von Pergamon sind bisher überwiegend literarisch und sozialhistorisch untersucht worden. Die auf die medizinischen Aspekte fokussierte Analyse ist noch unvollständig.
Fragestellung
Welche Kompetenz vermitteln die galenischen Fallberichte über entzündliche Erkrankungen des Bewegungsapparats?
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Die 358 galenischen Kasuistiken wurden auf anamnestische, klinische, therapeutische und epidemiologische Aussagen zu entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats untersucht.
Ergebnisse
Es konnten acht Fallberichte identifiziert werden, in denen entzündliche Erkrankungen des Bewegungsapparats thematisiert sind; die Kasuistiken finden sich in den Schriften Über die Mischungen und Eigenschaften der einfachen Heilmittel (n = 3), Über die Herstellung der verschiedenen Arten von Heilmitteln (n = 2), Medizinische Methodenlehre für Glaukon (n = 1), Simulantenschrift (n = 1) und im Kommentar zu den Aphorismen des Hippokrates (n = 1). Es werden sieben männliche Einzelpersonen und eine Gruppe von Patienten beschrieben; in einem Fall wird ein Eigenname mitgeteilt. Die Schilderungen folgen keinem festen Gliederungsschema. Die Texte werden von Angaben zu Ana- und Katamnese, den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung und der Wahl der Behandlung dominiert. Mehrfach hat der Autor die Fallbeschreibung mit theoretischen Ausführungen kombiniert. Die häufigsten entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats, mit denen sich Galen konfrontiert sah, waren Weichteilschwellungen ohne/mit begleitende(n) Hauterscheinungen, Gicht, Arthritis und Ischias. Knie und Füße waren häufiger befallen als die Hände. Stets ist Galen selbst der beobachtende und behandelnde Arzt. Die Therapie war von Salben, Fetten und Ölen dominiert, die zur Ablenkung bzw. Austrocknung krankmachender Säfte führen sollten. Die Aussagen zur Prognose waren überwiegend günstig.
Diskussion
Die Fallberichte illustrieren mehrere entzündliche Erkrankungen des Bewegungsapparats, ohne dass bestimmte nosologische Entitäten retrospektiv zuverlässig identifiziert werden können. Auch die Gleichsetzung von „arthritis“ mit chronischer Polyarthritis und „podagra“ mit Gicht ist nicht in allen Fällen gesichert. Die Arzt-Patienten-Gespräche bilden das inhaltlich wie stilistisch originellste Element. Die Ausführungen zur Wahl der Therapie zeigen, dass dem Arzt der Antike für die Behandlung von Patienten mit entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats zahlreiche gemischte Arzneimittel zur äußerlichen Anwendung zur Verfügung standen, die stets nach kritischer Abwägung der Vor- und Nachteile verordnet worden sind.
Abstract
Background
The case histories in the writings of the Greco-Roman physician Galen of Pergamum have so far been interpreted primarily in literary and socio-historic terms. Analysis focused on the medical aspects is still incomplete.
Question
Which competence for the treatment of inflammatory diseases of the musculoskeletal system do the Galenic case reports communicate?
Study design and research methods
The 358 Galenic case histories were studied for anamnestic, clinical, therapeutic, and epidemiological statements on inflammatory diseases of the musculoskeletal system.
Results
Eight case reports could be identified in which inflammatory diseases of the musculoskeletal system are discussed. The descriptions are found in the writings On the Powers and Mixtures of Simple Drugs (n = 3), On the Composition of Drugs according to Kind (n = 2), Therapeutics to Glaucon (n = 1), How to detect Malingerers (n = 1) and On Hippocrates’ ‚Aphorisms‘ (n = 1). Seven male individuals and one group of patients are described; in one case a proper name is given. The descriptions do not follow a fixed structure. The texts are dominated by information on the anamnesis and catamnesis, the results of the physical examination and the choice of therapy. The author has repeatedly combined the case description with theoretical explanations. The most common inflammatory diseases of the musculoskeletal system that Galen was confronted with were soft tissue swelling without/with associated skin symptoms, gout, arthritis and sciatica. Knees and feet were affected more frequently than the hands. Galen himself was always the observing and treating physician. Therapy was dominated by ointments, fats and oils that should lead to the distraction or drying out of pathogenic juices. The statements on the prognosis were mostly favourable.
Discussion
The case reports illustrate the range of inflammatory diseases of the musculoskeletal system without being able to reliably identify individual nosological entities retrospectively. Equating ‘arthritis’ with chronic polyarthritis and ‘podagra’ with gout is also not undisputed. The doctor-patient–conversations are the most original element in terms of content and style. The explanations for the choice of therapy show that the numerous mixed agents disposable for the treatment of patients with inflammatory diseases of the musculoskeletal system were prescribed after critically weighing the advantages against the disadvantages.
Notes
Das Kürzel „K“ bezeichnet die Position des Ausschnitts innerhalb der trotz ihres Alters (Erscheinungszeitraum: 1821–1833) noch heute vielverwendeten 20bändigen (I–XX) Ausgabe der Werke Galens von Karl Gottlob Kühn, Physiologe und Pathologe in Leipzig. Das Opus enthält den griechischen Text sowie die lateinische Übersetzung von 134 der 436 bekannten galenischen und pseudogalenischen Schriften sowie eine ausführlich dokumentierte Biografie des Pergameners [9].
Sonst unbekannter, auch von Galen nur an dieser Stelle erwähnter prominenter Gesprächspartner.
Literatur
Boudon-Millot V (2014) Greek and Roman patients under Galen’s gaze: a doctor at the crossroads of two cultures. Stud Anc Med 42:7–24
Grmek M (1983) Diseases in the ancient greek world Baltimore, London, S 6–8
Klepinger LL (1978) Paleopathologic evidence for the evolution of rheumatoid arthritis. Am J Physiol Anthrop 50:119–122
Littman RJ, Littman ML (1973) Galen and the Antonine plague. Am J Philol 94:243–251
Marx FJ (2013) Galen von Pergamon (129–216/217 n. Chr.) und sein Beitrag zur Urologie. Teil II: Urologische Behandlung in Theorie und Praxis. Urologe A 52:706–715
Mattern SP (2008) Galen and the rhetoric of healing. The Johns Hopkins University Press, Baltimore
Mattern S (2011) Galen and his patients. Lancet 378:P478–P479
Mattern SP (2013) The prince of medicine. Galen in the Roman empire. Oxford
Schubring K (1965) Bemerkungen zu der Galenausgabe von Karl Gottlob Kühn und zu ihrem Nachdruck (Bibliographische Hinweise zu Galen. Sonderdruck aus Claudii Galeni Opera omnia, tom. XX [Konrad Schubring] Hildesheim. I–LXII)
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W.A. Golder gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Golder, W.A. Die Fallberichte des Galen von Pergamon über entzündliche Erkrankungen des Bewegungsapparats. Orthopädie 52, 848–855 (2023). https://doi.org/10.1007/s00132-023-04411-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00132-023-04411-4
Schlüsselwörter
- Arthritis
- Griechische Welt
- Medizingeschichte
- Arzt-Patienten-Beziehungen
- Römische Welt
- Galen von Pergamon