Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie jede andere schulmedizinische Disziplin unterliegt auch die Manuelle Medizin einem kontinuierlichen Wandel, getragen von wissenschaftlichem Fortschritt und klinischer Erfahrung. Dieser Entwicklung wollen wir in unserem Themenheft Rechnung tragen.

Gleichzeitig gehen in kaum einer anderen Disziplin die Meinungen über Indikation und Wirksamkeit sowie Wirkungsweise und Risiken in Fachkreisen so weit auseinander. Seitens der Patientinnen und Patienten besteht eine hohe Zustimmung an das „Handanlegen“, wenngleich sich auch zunehmend Vorbehalte gegen einige Techniken besonders an der Halswirbelsäule erkennen lassen. Die modernen Manipulationstechniken, wie sie in den Seminaren der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM) heute gelehrt werden, zeigen eine Komplikationsrate, die weit unterhalb anderer leitliniengerechter Therapien wie Nichtsteroidales Antiphlogistikum (NSAR), Infiltrationen und Operation liegt.

Unser Leitartikel „Die segmentale und somatische Dysfunktion. Wie funktioniert Manuelle Medizin?“ [1] befasst sich eingehend mit den anatomischen und neurophysiologischen Grundlagen der Manuellen Medizin und zeigt auf, über welche Mechanismen manuelle Interventionen wirken können.

Wir empfehlen Ihnen, mit diesem Artikel zu beginnen , da die weiteren Artikel an vielen Stellen auf den dort erläuterten Grundlagen aufbauen.

Besagte segmentale Dysfunktionen können an den verschiedenen Wirbelsäulenabschnitten über die lokalen Schmerzsymptome hinaus zu vielgestaltigen Symptomkomplexen führen.

Von einer Halswirbelsäulen(HWS)-Dysfunktion ausgehend können zervikozephale und zervikobrachiale Syndrome entstehen. Die anatomischen und neurophysiologischen Zusammenhänge werden im Artikel „Die somatische Dysfunktion der Halswirbelsäule und ihr komplexes klinisches Bild“ von Florian Wagner [2] ausführlich und leicht nachvollziehbar beschrieben.

Der Beitrag „Von akutem Koronarsyndrom bis Zoster“ von Hein Schnell [3] ist dem thorakalen Wirbelsäulenabschnitt gewidmet. Hier entstehen häufig substanzielle differenzialdiagnostische Herausforderungen. Das Spektrum reicht von akut lebensbedrohlichen Erkrankungen bis hin zu gemeinhin als psychosomatisch etikettierten Beschwerden.

Im Artikel „Manualmedizinische Interventionen bei Kreuzschmerzen“ von Hermann Locher [4] wird anhand von ICD-10-Diagnosen (ICD „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) aufgezeigt, dass strukturelle Pathologien sekundär zu Dysfunktionen führen können, welche wiederum manualmedizinisch angegangen werden sollten. Hier werden auch die aktuellen Leitlinien zu Kreuzschmerzen beleuchtet.

Weshalb der manualmedizinische Zugriff über die Extremitäten so wertvoll sein kann und was es hierbei zu beachten gilt wird im Beitrag „Manuelle Medizin an den Extremitäten“ von Hein Schnell und Florian Wagner [5] eindrücklich erläutert.

Die Frage, welche Rolle die Bildgebung heute in der Manuellen Medizin spielt wird von Rigobert Klett prägnant in „Bildgebung in der Manuellen Medizin – Notwendiges und Interessantes“ [6] beantwortet.

Der umfassende Artikel „Therapeutische Injektionen und Manuelle Medizin beim tiefen Rückenschmerz“ von Uwe Schütz beschreibt die Synergien der Methoden beim chronischen degenerativen lumbalen Schmerzsyndrom. Herausragend ist das umfassende Literaturverzeichnis – Status quo der Evidenz von wirbelsäulennahen Injektionen.

Abschließend befasst sich Kay Niemier in „Funktionelles Denken im klinischen Alltag, ein Weg zum besseren Verständnis von Erkrankungen im Bewegungssystem?“ mit unterschiedlichen Funktions- und Regulationskreisläufen sowie ihren komplexen Wechselwirkungen.

Wir wünschen Ihnen nun vielfältige Anregung bei der Lektüre unseres Themenhefts und hoffen, dass Sie am Ende etwas von der Begeisterung nachvollziehen können, die uns ganz wesentlich durch unsere Arbeitstage in Praxis und Klinik trägt. Am wichtigsten ist uns, dass Sie die Manuelle Medizin im naturwissenschaftlich nachvollziehbar und plausibel erklärbaren Spektrum, fernab von Kristallkugel und Esoterik verorten. Sie leistet heute in den Leitlinien, bei den Kostenträgern und in der praktischen Versorgungsrealität einen unverzichtbaren und sehr wertvollen Beitrag.

Ihre

Hein Schnell und Hermann Locher