Die große sozioökonomische Bedeutung der Arthrose liegt nicht nur in ihrer hohen Prävalenz, sondern die durch Schmerz und Bewegungseinschränkung bedingte reduzierte Mobilität erhöht auch das Risiko kardiovaskulärer Mortalität. Ferner erschwert das langsame, oft asymptomatische Voranschreiten dieser heimtückischen Krankheit eine frühe Diagnose und Therapie. Trotz Fortschritten in der Bildgebung, wie der MRT-basierten Messung regionaler Knorpelvolumina zur Quantifizierung von Knorpelverlust [3], sind die klinisch oftmals stummen Frühstadien nur unzureichend diagnostizierbar [14]. Die Endoprothetik, eines der erfolgreichsten Verfahren der gesamten Medizin, bleibt die einzig etablierte Option für ihr Endstadium.

Pathogenese der Arthrose

In den Frühphasen wird primär die Knorpeloberfläche angegriffen. Genetische Prädisposition, Alterungsprozesse oder maladaptive mechanische Überbelastung setzen Stressfaktoren wie proinflammatorische Zytokine oder Abbauprodukte der Knorpelmatrix frei, welche die Genexpression der Chondrozyten verändern. Nach der Skeletreifung, aber auch während der Arthrose findet kein Kollagenumsatz mehr statt, und eine Schädigung der Kollagenstruktur ist irreversibel [8]. Es kommt zur frustran gestörten zellulären Homöostase mit verminderter Produktion u. a. der negativ geladenen hydrophilen Proteoglykane und damit verändertem Gehalt an gebundenem Wasser mit reduzierten biomechanischen Eigenschaften. Veränderte inflammatorische und immunologische Muster tragen zur fortschreitenden Schädigung bei. Es ist weiterhin schwierig, den präzisen Beitrag einzelner Gene oder Genkombinationen offenzulegen, da wahrscheinlich multiple Faktoren involviert sind. Zudem findet ein Signalaustausch innerhalb des interagierenden Kontinuums der osteochondralen Einheit mit dem subchondralen Knochen statt [15], welcher ebenfalls im Fokus der Arthroseentwicklung durch Änderung biochemischer, mikrostruktureller und funktioneller Eigenschaften steht [5]. Ebenfalls sind Synovialmembran, Menisci, Kapsel- und Bandstrukturen, die periartikuläre Muskulatur sowie der Hoffa-Fettkörper involviert. Die Arthrose ist eine komplexe Erkrankung des gesamten Gelenks.

Das Konzept der präarthrotischen Deformität

Präarthrotische Deformitäten sind angeborene oder erworbene Störungen, welche die Gelenkfunktion beeinträchtigen und Ausgangspunkte für die Arthrose darstellen [7]. Dieses Konzept gewährt einen Rahmen, der die Kategorisierung spezifischer sekundärer Formen und damit besser charakterisierter Risikofaktoren auf Basis definierter Kausalitäten erlaubt. In seiner Erweiterung sind intraartikuläre präarthrotische Deformitäten wie Meniskusverlust, fokale Knorpeldefekte oder Gelenkfrakturen, welche die Integrität der Gelenkoberfläche kompromittieren, von extraartikulären Faktoren wie Achsdeformitäten oder Kontrakturen abgrenzbar (Abb. 1). Detaillierte Analysen der räumlichen osteochondralen Heterogenität bei fortgeschrittener Gonarthrose zeigen diesen Einfluss auf. So adaptiert sich die bei Varusfehlstellung weniger belastete laterale tibiofemorale osteochondrale Einheit, während das überlastete und terminal geschädigte Kompartiment reaktionslos ist ([6]; Abb. 2). Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass regenerative Ansätze in einem terminal geschädigten Kompartiment frustran sind. Sie unterstreichen ebenfalls die Wertigkeit einer radiologischen Beurteilung der Beinachse.

Abb. 1
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Präarthrotische Deformitäten sind angeborene oder erworbene Störungen, welche die Gelenkfunktion beeinträchtigen und Ausgangspunkte für sekundäre Arthrose darstellen können. Sie sind in intraartikuläre und extraartikuläre Deformitäten einteilbar

Abb. 2
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Analyse der mediolateralen osteochondralen Heterogenität des Tibiaplateaus bei einem Patienten mit fortgeschrittener Varusgonarthrose. Der Knorpel im terminal geschädigten medialen Kompartiment ist vollständig aufgebraucht. Es finden sich seitenspezifische mikrostrukturelle Veränderungen in der verdickten subchondralen Knochenplatte und subartikulären Spongiosa. (Adaptiert an [6]. Mit freundl. Genehmigung, © H. Madry, alle Rechte vorbehalten)

Meniskusläsionen und Früharthrose

Es ist heute Standardwissen, dass eine Meniskektomie Gonarthrose induziert. Bereits die Teilresektion führt volumenabhängig zu größeren Kontaktdrücken und induziert ein spezielles topographisches Muster der Früharthrose im dünneren submeniskalen Knorpel unterhalb des Gewebsverlustes, das später auf das gesamte Tibiaplateau übergreift [18]. Reparatur, Refixation und Transplantation tragen daher nicht nur dem Schutz der Meniskusintegrität Rechnung, sondern auch der Arthroseprophylaxe [19]. Die zentrale Bedeutung des Körpergewichtes zeigt eine herausragende Kohortenstudie an asymptomatischen Erwachsenen ohne bekannte Gonarthrose. Bei MRT-gesicherter Innenmeniskusläsion war pro 1 % Gewichtszunahme ein um 0,2 % erhöhter Verlust des medialen Knorpelvolumens und eine ~12 %ige Zunahme der Schmerzen nach 2 Jahren zu verzeichnen. Bei Probanden ohne Meniskusschaden hatte eine Gewichtsveränderung keinen Effekt [22].

Fokale Knorpeldefekte und Arthroseprävention

Die Defektfläche kann im Verlauf sowohl bei symptomatischen als auch asymptomatischen Patienten zunehmen und Arthrose induzieren, wie im Fall großflächiger Defekte bei Osteochondrosis dissecans [20]. Obwohl der adulte fokale Defekt nicht regeneriert [13], hat seine rekonstruktive Behandlung die Ziele, ihn mit einem Reparaturgewebe zu füllen, dadurch die lokale Gelenkkongruenz wiederherzustellen, den angrenzenden Knorpel zu stabilisieren und idealerweise eine Arthrose zu verhindern [16]. In diesem Kontext ist die autologe Chondrozytentransplantation (ACT) fast konkurrenzlos für großflächige Defekte [17]. Sie wendet „tissue engineering“ in unserem Fachgebiet als einem der wenigen Bereiche der Medizin an [12]. Trotz verbesserter klinischer und struktureller Ergebnisse fand eine 15-Jahres-Studie keine signifikante röntgenologische Arthrosereduktion im Vergleich von ACT der ersten Generation zur Mikrofrakturierung [11]. Es bleibt zu hoffen, dass die neueren matrixgestützten ACT-Verfahren dieses ultimative Ziel erreichen.

Behandlung von extraartikulären präarthrotischen Deformitäten durch kniegelenksnahe Osteotomien

Kniegelenksnahe Osteotomien sind etablierte Verfahren zur Behandlung unikompartimentaler Varus- oder Valgusgonarthrosen. Ihre klassische Indikation ist die symptomatische isolierte mediale tibiofemorale Arthrose in Kombination mit einer zumeist von der proximalen Tibia ausgehenden Varusfehlstellung. Postoperativ sind mikrostrukturelle Indizes des medialen subchondralen Knochens verändert [4], was auf eine strukturelle Anpassung an die verringerte Belastung hindeutet. Obwohl der quantitative Nachweis eines unikompartimentalen Knorpelwiederaufbaus aussteht, präsentieren Fallserien gute Langzeitergebnisse bei schwerer medialer Varusgonarthrose [21]. Die Kniegelenkdistraktion, bei der ein Fixateur externe die tibiofemoralen Kompartimente temporär entlastet, zeigt Hinweise auf eine Zunahme der Knorpeldicke bei schwerer Gonarthrose, obgleich randomisiert-kontrollierte Langzeitergebnisse ausstehen.

Gentherapie der Arthrose

Die Zahl der bereits klinisch zugelassenen Gentherapeutika steigt exponentiell an. Für die Arthrose wird Gentransfertechnologie ausschließlich verwendet, um ein rekombinantes Protein über einen längeren Zeitraum im Gelenk bereitzustellen und damit das Problem kurzer intraartikulärer Halbwertszeiten von Proteinen zu lösen. In Deutschland sind nur somatische Gentherapien ohne Auswirkung auf die Keimbahn erlaubt. Nicht zuletzt durch die weltweite Akzeptanz zur Herstellung neuer Impfstoffgenerationen gegen das SARS-CoV-2-Virus hat sich das seinerzeit an einigen experimentellen Forschungszentren reduzierte Verständnis ihres enormen Potenzials verringert. Die mRNA-Technologie bedient sich Prinzipien des nichtviralen Gentransfers, während Vektorimpfstoffe auf Adenoviren basieren. In klinischen Gentransferstudien werden adenovirale Genvektoren aufgrund initialer Nebenwirkungen nicht verwendet. An ihre Stelle sind die weitaus sichereren adenoassoziierten viralen Vektoren (rAAV) getreten. Sie sind einzigartig, um humane Chondrozyten direkt in ihrer Knorpelmatrix zu transduzieren, wodurch wesentliche Komponenten der extrazellulären Matrix wiederherstellbar sind [2]. Erste klinischen Studien bei fortgeschrittener Gonarthrose finden mit intraartikulär applizierten, ex-vivo-transduzierten, TGF-β1-überexprimierenden Zellen oder mit rAAV-IL-1Ra bzw. nichtviraler IL-10-Überexpression statt.

Neue strukturmodifizierende Therapeutika

Der FGF-18 (Sprifermin) führt zur dosisabhängigen Verringerung des Knorpeldickenverlustes und zu Knorpeldickenzunahme über 2 Jahre [9]. Der selektive Cathepsin-K-Inhibitor MIV-711 inhibiert die von Osteoklasten und Chondrozyten synthetisierte Endoprotease, welche die kollagene Knorpel- und Knochenmatrix abbaut. Er reduziert signifikant den Progress osteochondraler arthrotischer Veränderungen nach 26 Wochen [1]. Die Bewertung dieser strukturmodifizierenden Veränderungen ist allerdings komplex, da die klinisch essenziellen Symptome Schmerz und Funktion in beiden Studien unverändert zum Plazebo waren. Das daraus folgende Rätsel, warum diese Strukturverbesserungen nicht bessere klinische Ergebnisse bedingen, eröffnet neue Denkansätze [10]. Möglicherweise ist das Intervall zwischen Strukturveränderung und Symptomveränderung länger, der Knorpelaufbau nicht ausreichend, oder die Wirkung auf Schmerzempfinden und funktionsbedingende Gelenkstrukturen zu gering. Der Wnt-Signalweg-Modulator SM04690 (Lorecivivint) zeigt signifikante frühe Verbesserungen von Schmerz und Funktion im Vergleich zu Plazebo.

Ausblick

Unverändert ist der hohe Stellenwert einer konservativ-multimodalen Arthrosetherapie, welche über möglichst lange Zeit physiotherapeutische, physikalische und orthopädietechnische Maßnahmen beinhaltet, flankiert durch medikamentöse und multidisziplinäre Therapien, um nicht zuletzt auch den gravierenden Konsequenzen reduzierter körperlicher Aktivität entgegenzutreten. Der Schutz des verbleibenden Knorpels durch konservative und operative Maßnahmen ist essenziell, um strukturelles Voranschreiten zu verhindern. Vor dem Hintergrund neuer Therapeutika müssen Wege gefunden werden, die biologisch strukturmodifizierenden Eigenschaften in klinisch-relevante Verbesserungen zu übersetzen. Der präzisen Diagnostik und individualisierten Therapie symptomatischer präarthrotischer Deformitäten kommt eine herausragende Rolle zu, um einen Patienten mit Früharthrose kausal mit regenerativen Therapien zu behandeln, die in späteren Stadien reduzierte Erfolgschancen haben. Das faszinierende Gebiet der Arthrose wird auch in den nächsten 50 Jahren spannend bleiben.