Evidenzbasierte Medizin in der Chirurgie mutet an wie ein Partygespräch über ein Buch, das allenfalls einer wirklich gelesen hat und von dem mancher den Klappentext, einige die Kritiken und viele nur den Titel kennen [1].


Kein Zweifel: Die evidenzbasierte Medizin (EbM) ist in Mode. Das ist nur allzu verständlich, denn die EbM verspricht durch eine objektivierbare Bewertung der Wirksamkeit diagnostischer und therapeutischer Leistungen bessere Ergebnisse in der medizinischen Behandlung. Leitlinien, Qualitätssicherungsprogramme, Sozialversicherungssysteme, politische Entscheidungsgremien aber auch viele Ärzte vertrauen deshalb auf die EbM als Entscheidungsgrundlage. Auch in Beiträgen, Kongressüberschriften und Vorträgen aus Orthopädie und Unfallchirurgie fällt deshalb in den letzten Jahren zunehmend reflexmäßig häufig das Schlagwort der „Evidenz“ – quasi gleichgesetzt mit einem bekräftigenden (oder ablehnenden) „Vollbeweis“ für den Nutzen diagnostischer und häufig operativer Verfahren. Während wir in unserem Fach, beispielsweise bei der Klassifikation von Frakturen, eine feinjustierte Systematik hinterlegt haben, die jeder zukünftige Facharzt kennen soll, scheint es bei der Conclusio zur „Evidenz“ aber allzu häufig zu genügen, Studien aneinandergereiht zu zitieren oder nur aus einem prospektiv randomisierten Studiendesign oder der Zitation des sogenannten „Evidenzlevels“ die Wirksamkeit einer Therapie mehr oder weniger kritiklos herzuleiten. Skeptiker befürchten beim vordergründigen Blick auf die EbM deshalb einen „Konkurs der ärztlichen Urteilskraft“ [2]. Diese Sorge ist allerdings unbegründet, denn das Wesen der EbM ist nicht schwarz-weiß.

Um evidenzbasierte Kennzahlen zu berechnen und daraus eine Aussage abzuleiten braucht es eine spezielle Ausbildung, regelmäßige Übung und Fachwissen. Die klinische Expertise, das Wissen und die Urteilskraft von Orthopäden und Unfallchirurgen spielt bei der Bewertung der errechneten EbM-Kennzahlen im Nachgang dann eine gleichbedeutend wichtige Rolle – wir sprechen hier auch von der „internen Evidenz“. Alleine schon deshalb erscheint es wichtig, dass das Curriculum für die EbM in O&U als auch die Interpretation von Studienergebnissen in der Regie geschulter Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie verbleibt.

Das vorliegende Themenheft zur evidenzbasierten Hüftendoprothetik greift diesen Grundgedanken auf. Der Ersatz des Hüftgelenks ist als demographische Indexoperation weiterhin einer der häufigsten Eingriffe in der orthopädischen Chirurgie. Gleichzeitig versprechen neue Materialien und Implantatgeometrien, patientenindividuelle Operationsverfahren und digitale Assistenzsysteme ein verbessertes patientenzentriertes Ergebnis und längere Haltbarkeit für ein Leben mit dem Kunstgelenk. Die kritische Frage nach den Kriterien für den Zeitpunkt der Operation und ob sich unter evidenzbasiertem Blickwinkel aus Registerdaten, biomechanischer und klinischer Forschung ein Patientennutzen durch innovative Verfahren erkennen lässt, beantworten in dieser Heftausgabe Experten der Hüftendoprothetik aus dem Kreis der Arbeitsgemeinschaft „Evidenzbasierte Medizin“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ihnen allen gebührt besonderer Dank für die aufwändige Verknüpfung von wissenschaftlichen Daten mit evidenzbasierter Bewertungssystematik. Als Hintergrundinformation finden Sie in jedem Beitrag auch ein spezielles „EbM-Glossar“ mit ausgewählten Definitionen und Erklärungen für spezielle Bewertungszahlen der EbM hinterlegt. Diese Maßzahlen sollen Sie bei Ihrem persönlichen Urteil über die moderne Hüftendoprothetik unterstützen und können auch bei Ihrem partizipativem Patientengespräch über Prognose, Nutzen, Risiken und Behandlungsalternativen vor der Implantation einer Hüfttotalendoprothese eine wertvolle Hilfe sein.

Bei der Lektüre dieser Ausgabe wünsche ich Ihnen viele Freude.

Ihr

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Univ.-Prof. Dr. Tobias Renkawitz