Einleitung

Die periprothetische Infektion (PPI) einer Endoprothese stellt eine der schwerwiegendsten Komplikationen im Bereich der Orthopädie dar und ist eine der Hauptursachen von Revisionsoperationen. Aufgrund der demographischen Veränderung unserer Gesellschaft mit einem zunehmenden Anteil älterer Menschen mit hohem bis sehr hohem Funktionsanspruch wird die Zahl der implantierten Endoprothesen in den nächsten Dekaden deutlich zunehmen. Schätzungen aus den USA gehen von einem erwarteten Anstieg von 600 % der implantierten Kniegelenksendoprothesen bis ins Jahr 2030 aus. Implantationen von Hüftgelenksendoprothesen werden sich in diesem Zeitraum verdreifachen, was unweigerlich zu einer signifikanten Zunahme der Revisionsoperationen führen wird. [41]. Studien beziffern die Inzidenz der PPI nach Primärimplantationen auf ca. 0,2–1,1 %. Bei Revisionsoperationen kann diese bis zu 5 % betragen [81].

Grundsätzlich können periprothetische Infektionen in akute Infektionen und Low-Grade-Infektionen eingeteilt werden. Akute Infektionen werden durch hochvirulente Erreger, wie z. B. Staphylococcus aureus, hervorgerufen und treten entweder postoperativ durch direkte Kolonisation oder durch eine hämatogene Streuung auf. Sie sind oft durch klare Infektionszeichen wie Fieber und erhöhte laborchemische Entzündungsparameter gekennzeichnet. Als potenzieller Fokus für eine hämatogene Streuung kommen alle Arten von bakteriellen Infektionen im Körper infrage. Als klassische Vertreter sind hier kardiovaskuläre Infektionen (Endokarditis, Schrittmacherinfektion, Katheterinfektionen) bzw. Infektionen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich, im Bereich der Zähne oder im Urogenitaltrakt zu nennen [67]. Low-Grade-Infektionen sind chronische Infekte, welche klinisch durch Prothesenlockerung und unspezifische Schmerzen im Bereich der Endoprothese bei Abwesenheit von akuten Entzündungszeichen auffallen. Diese werden oftmals durch niedrig virulente Erreger wie z. B. Staphylococcus epidermidis oder Cutibacterium (früher: Propionibacterium) acnes hervorgerufen [72]. Low-Grade-Infektionen werden am ehesten durch eine Kolonisation der Implantatkomponenten im Rahmen der Erstimplantation verursacht.

Der möglichst sichere Ausschluss oder die Bestätigung einer periprothetischen Infektion ist die Voraussetzung für jede Revisionsoperation und kann für den behandelnden Orthopäden und Unfallchirurgen eine große Herausforderung darstellen [89]. Eine sichere evidenzbasierte präoperative Diagnostik ist im Sinne des Patienten notwendig, um einerseits eine periprothetische Infektion zu erkennen sowie eine entsprechende chirurgische und antibiotische Therapie zu planen und andererseits, um unnötige zweizeitige Wechsel zu vermeiden. Gerade die Diagnostik von Low-Grade-Infektionen kann jedoch sehr herausfordernd sein. Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung stellen Röntgenaufnahmen, laborchemische Entzündungsparameter, Gelenkaspiration zur Bestimmung von Zellzahl und Zelldifferenzierung sowie mikrobiologischer Untersuchung der Synovialflüssigkeit bewährte diagnostische Routinen dar [87].

In den letzten Jahren stehen neu entwickelte Testverfahren, wie die molekularbiologische Diagnostik von Biomarkern (z. B. Alpha-Defensin), antimikrobiellen Peptiden (AMP) und der Leukozytenesterasetest zur Synovia-Diagnostik, sowie molekulargenetische Untersuchungen (16S/28S-PCR, Multiplex-PCR) zur Erregerbestimmung aus mikrobiologischen Biopsien zur Verfügung. Der Stellenwert dieser diagnostischen Möglichkeiten ist oftmals unklar und der behandelnde Orthopäde steht vor der großen Herausforderung, unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen des Gesundheitssystems die adäquate präoperative Diagnostik zu wählen.

Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe für implantatassoziierte Infektionen ein evidenzbasiertes problem- und prioritätenbasiertes Vorgehen entwickelt und dies in einem transparenten und standardisierten Algorithmus zusammengefasst.

Material und Methoden

Im Rahmen der Treffen der Arbeitsgruppe für implantatassoziierte Infektionen der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik erfolgte eine systematische Literaturrecherche in Medline, Google Scholar und Web of Science mit folgenden Schlagworten (Frage_ AND/OR): prosthetic joint infection, implant-associated infection, biofilm, diagnosis, sonication, antibiotic treatment, microcalorimetry, Staphylococcus aureus, coagulase-negative staphylococci, Propionibacterium, cutibacterium, rifampicin, implant retention, PCR, Maldi-TOF, serology, synovial fluid, C‑reactive protein level, THA, TKA, leukocyte esterase test, alpha-defensin test. Alle relevanten Publikationen wurden hinsichtlich ihrer Methodik gemäß den Quadas- und Prisma-Kriterien geprüft, bevor sie berücksichtigt wurden [51]. Alle eingeschlossenen Studien wurden gemäß den EAST-Kriterien bewertet und eingeteilt [28,29,30,31,32,33,34]. Insgesamt konnten 823 Publikationen identifiziert werden, die unserer Suchkriterien entsprochen haben (Abb. 1). Weiterhin wurden vor allem Studien berücksichtigt, die eine international gängige Definitionen einer periprothetischen Infektion wie MSIS [59] (Musculoskeletal Infection Society) [76], IDSA (Infectious Diseases Society of America) [58], International Consensus Meeting [61] oder EBJIS (European Bone and Joint Infection Society) [68] angewandt haben. Insgesamt konnten so 80 Studien herangezogen werden. Aus diesen Studien wurden die entsprechenden Daten extrahiert und folgende statistische Tests berechnet, falls dies noch nicht in der Originalpublikation erfolgt ist: Sensitivität, Spezifität, positive und negative Likelihood-Ratio, positive und negative prädiktive Werte.

Abb. 1
figure 1

Flow Chart der Studienauswahl

Im Rahmen von 4 Treffen wurden die entsprechenden Studien der Arbeitsgruppe für implantatassoziierte Infektionen präsentiert und analog zu Standard-Delphi-Runden durch die einzelnen Experten bearbeitet und bewertet [69]. Gemäß der Prioritätenliste der Expertenrunde erfolgte die Entwicklung eines zur ISO (International Organization for Standardisation) konformen Algorithmus. Zur Anwendung kam die ISO-Norm 5807 (Informationsverarbeitung) modifiziert nach ITU‑I, welche ursprünglich Dokumentationssymbole für Programm und Systemabläufe von Telekommunikationsprogrammnetzen bereitstellt. Durch die Modifikation erfolgte die Integration von Datenfluss-Flussdiagrammen (wie Algorithmen). So wird eine logische und standardisierte Entscheidungsfindung ermöglicht [39]. Hierzu werden verschiedenen Eingangs- und Ausgangskriterien definiert, die von Prozess- und Entscheidungshexagons unterschieden werden. Durch Verwendung von Checklisten konnten die Entscheidungssymbole auf ein Minimum beschränkt werden. Grundsätzlich sollte eine DIN-A 4-Seite nicht überschritten werden.

Ergebnisse der Arbeitsgruppe

Der entwickelte Algorithmus ist eine Abfolge von evidenzbasierten Prozessen gemäß der verwendeten ISO-Norm. Gemäß der durch die Expertenrunde priorisierten Haupt- und Nebenkriterien erfolgte die Entwicklung logisch strukturiert und problemorientiert. Im horizontalen Flow werden Nebenkriterien dargestellt, im vertikalen Flow die Hauptkriterien. Checklisten wurden am linken Rand positioniert ([39]; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Algorithmus zur Diagnostik periprothetischer Infektionen a Beispiele für Symptome bei periprothetischem Infekt, Kriterien können keinesfalls alle möglichen Symptome abbilden; b Leukozytenzahl in Synovia, Anteil Granulozyten, Histopathologie, Mikrobiologie; c Bildgebung Abdomen/Becken/Wirbelsäule, transösophageale Echokardiografie, Orthopantomogramm, Urinanalyse, Thorax-Röntgen, (individuell bzw. abhängig vom Erreger und betroffenem Gelenk); d bei rheumatischer Arthropathie, Fraktur und 6 Wochen postoperativ nicht zu verwenden; e bei hochvirulenten Erregern (S. aureus, E. coli) einmaliger Nachweis ausreichend, bei niedrig virulenten Erregern (S. epidermidis, Cutibacterium acnes ) ist ein Nachweis in ≥2 Proben notwendig; f Histologie: Periprothetische Membran Typ II/III; g Optionale peri-/intraoperative Diagnostik (Second Line) falls: a) keine elektive Diagnostik erfolgt ist z. B. aseptischer Wechsel mit intraoperativem Infektverdacht oder b) trotz Algorithmus unklarem Befund. Beachtung der Störanfälligkeit des Testes, kann aber individuell als hinweisend in Betracht gezogen werden. Leukozytenesterasetest: Cave Störanfällig durch Erythrozytenanteil; ggf. Zentrifugation zur Optimierung des Testes; h Testverfahren auf antimikrobielle Peptide (z. B. Alpha-Defensin) gewinnen zunehmend an Bedeutung, das Evidenzlevel der verfügbaren Studien ist aktuell noch nicht ausreichend, um Anwendungsempfehlung zu geben. Mit freundlicher Genehmigung, © Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik (AE), alle Rechte vorbehalten

Eingangskriterium

Als Eingangskriterium, also Startpunkt des Algorithmus wurde von der Expertenrunde der „V. a. eine periprothetische Infektion“ angenommen. Insgesamt wurde 39 Studien mit 312.946 Patienten zu diesem Thema eingeschlossen.

Große Multizenterstudien konnten Risikofaktoren bzw. Patientengruppen mit erhöhtem Risiko einer periprothetischen Infektion identifizieren. Gerade die Lockerung der Implantatkomponenten, periartikuläre Ossifikationen, eine Bewegungseinschränkung des Gelenkes sowie Schmerzen im Bereich der Endoprothese und lokale Entzündungszeichen sollten den Verdacht auf einen periprothetischen Low-Grade-Infekt lenken [43]. Die Risikofaktoren und Evidenzgrade der Studien sind ausführlich in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Risikofaktoren für eine periprothetische Infektion, Darstellung der Evidenzlevel (LoE)

Es kann nicht empfohlen werden, bei jedem Patienten der zu einer Wechseloperation ansteht (z. B. Inlayverschleiß) unkritisch und ohne Risikoabwägung eine Gelenkpunktion durchzuführen. Einerseits darf man potenzielle Komplikation, wie z. B. iatrogene Infektionen, nicht unberücksichtigt lassen. Murray et al. zeigen in einer Level-I-Studie bis zu 5,1 % Komplikationen nach Hüftpunktionen (Nachblutungen, Hämatome, Nervenläsionen, Infektionen). Barrack et al. beschreiben eine deutlich niedrigere Komplikationsrate von 1 % [5]. Gemäß des Konsens der Expertengruppe stellt die Komplikationsrate durch die Punktion selbst nicht das vordergründige Problem dar. Die hohe Anzahl an Komplikationen in der Literatur kann so nicht nachvollzogen werden. Andererseits stellt ein weitaus größeres Problem die hohe Zahl an falsch positiven Befunden in der mikrobiologischen Kultur dar, die bei einer flächendeckenden Synovialpunktion auftreten und nicht unerhebliche klinische und juristische Konsequenzen mit sich bringen würden. Fehring et al. beschreiben eine Rate von 10,8 % falsch positiver mikrobiologischer Kulturen, Ali et al. eine von 7 %. Um eine Kontamination von einem Nachweis eines Pathogens unterscheiden zu können, soll die Zellzahl in der Synovialflüssigkeit zu Hilfe genommen werden; erfolgt ein Erregernachweis bei völlig normaler Zellzahl, ist dieses Resultat mit Vorsicht zu interpretieren und eher als Kontamination zu werten. Im Hinblick auf die Synoviaaspiration bei liegender H‑TEP muss auf die relativ hohe Anzahl an erfolglosen Punktionen (sogenannte Punctio sicca) hingewiesen werden. Diese treten überdurchschnittlich häufig bei aseptischen Hüften auf. Die Anzahl der falsch positiven Kulturen erhöht sich bei Punctio sicca von 7 auf 16,7 % [1] und die positive Likelihood-Ratio fällt von 8,9 auf 4,7. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass auf eine Instillation mit Kochsalzlösung bei Punctio sicca verzichtet werden sollte.

Fazit Punktion

Bei Vorliegen von Risikofaktoren für eine periprothetische Infektion (Tab. 1; Abb. 2) wird eine Punktion bzw. weitere Diagnostik empfohlen. Eine generelle, unkritische Punktion vor jeder Revisionsoperation kann nicht befürwortet werden.

Checkliste Sepsis

Als einer der ersten Schritte muss, um das zeitliche operative Vorgehen und die Dringlichkeit zu planen, eine Sepsis oder ein septischer Schock ausgeschlossen werden. Dies ist vor allem bei hochakuten periprothetischen Infektionen, welche oft durch eine hämatogene Streuung entstehen, relevant. Wir haben hierzu 10 Studien eingeschlossen, die sich mit dem Thema einer periprothetischen Infektion und Sepsis auseinandersetzen: [18, 44, 74]. Die Verwendung der SIRS-Kriterien wurde gegenüber der moderneren SOFA-Kriterien diskutiert. Als Konsensus erfolgte die Festlegung auf Quick-SOFA bei gleicher Evidenzklasse aufgrund der einfacheren Anwendung. Vor dem Beginn einer kalkulierten Antibiotikatherapie sollte eine Synoviaaspiration des betroffenen Gelenks erfolgen, um durch eine weitere mikrobiologische Untersuchung des Punktats den verursachenden Erreger zu identifizieren (Empfehlung Klasse III) Die Entnahme von Blutkulturen ist zwingend notwendig. Gemäß einer Klasse-II-Empfehlung senkt die zeitnahe chirurgische Versorgung die Mortalität.

Fazit Sepsis

Aufgrund der hohen Mortalitätsrate besteht bei V. a. auf ein septisches Krankheitsbild umgehender interdisziplinärer Handlungsbedarf mit Entnahme von Blutkulturen, zeitnaher Antibiotikatherapie und chirurgischer Intervention im Sinne einer „source control“.

Laborchemische Entzündungsparameter

Im Rahmen der vielzitieren AAOS-Richtlinie wird zum Ausschluss einer periprothetischen Infektion ein kompliziertes Zusammenspiel von laborchemischen Parametern (Blutsenkungsgeschwindigkeit/C-reaktives Protein) verwendet [60]. In dieser Metaanalyse werden Level-I- und Level-II-Studien berücksichtigt, die errechneten Sensitivitäten variieren von 81–93 % bezüglich der BSG sowie von 73–95 % für das C‑reaktive Protein. Eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse von Berbari et al. zeigte ähnliche Ergebnisse. Bei einem Studienkollektiv von insgesamt 3909 Patienten errechnete sich eine gepoolte Sensitivität von 75 % (BSG) und 88 % (CRP) [6]. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Studien mit den verwendeten Diagnosekriterien mehrheitlich deutliche Infektionen eingeschlossen haben und Low-Grade-Infektionen – welche typischerweise tiefe systemische Entzündungswerte hervorrufen – mit diesen Kriterien größtenteils nicht erfasst wurden. Somit sind die Sensitivitäten vermutlich deutlich überschätzt. Insbesondere beim CRP zeigen sich unbefriedigende Werte im Bereich der Sensitivität. McArthur et al. bestätigen diese Ergebnisse in ihrem Kollektiv mit einer relevant großen Gruppe von Patienten mit einem periprothetischen Infekt ohne relevante serologische Entzündungszeichen [50]. Im Gegensatz hierzu empfehlen die AAOS-Guidelines eine Synoviaaspiration nur bei erhöhten Entzündungszeichen im Blut. Dieses Vorgehen würde die periprothetischen Infektionen ohne erhöhte systemischen Entzündungswerte von einer weiteren invasiven Diagnostik ausschließen. Die entsprechenden Studien sind in Tab. 2 dargestellt. Die Arbeitsgruppe „implantatassoziierte Infektionen“ der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik hat in ihren Sitzungen die einzelnen Studien im Hinblick auf High- und Low-Grade-Infekte bewertet. Diese Bewertung lässt den Schluss zu, dass, obwohl in den AAOS-Richtlinien Level-I-Studien als Basis der Empfehlung verwendet werden, in diesen zum Teil relativ alten Studien die Zahl der Low-Grade-Infekte sehr gering beziehungsweise teilweise nicht vorhanden ist. Gerade Low-Grade-Infekte sind durch Abwesenheit von lokalen und systemischen Infektparametern gekennzeichnet, da die auslösenden Erreger häufig niedrigvirulente Erreger, wie z. B. Cutibacterium acnes oder Staphylococcus epidermidis sind.

Tab. 2 Darstellung von Sensitivität, Spezifität, positiver/negativer Likelihood-Ratio (LR) sowie positiven und negativen prädiktiven Wert für laborchemische Parameter bei periprothetischen Infekt

Fazit Laborparameter

Die Arbeitsgruppe sieht keine Möglichkeit zum sicheren Ausschluss bzw. der Bestätigung einer periprothetischen Infektion allein durch systemische Entzündungsparameter. Hierunter fallen auch neue moderne Entzündungsmarker wie Interleukine, Procalcitonin oder ähnliche. Die weitere Abklärung eines schmerzhaften Gelenkes sollte unabhängig von diesen Werten erfolgen.

Fistel

Gemäß MSIS [76], IDSA [58], International Consensus Meeting [61] und EBJIS [68] beweist das Vorhandensein einer Fistel, die mit einer Prothese kommuniziert, die periprothetische Infektion [9, 80].

Goldstandard Synoviaanalyse

Die Synoviaanalyse stellt den aktuellen Goldstandard in der präoperativen Diagnostik dar. Die aktuelle Literatur ist in Tab. 3 und 4 dargestellt. Obwohl die Komplikationsraten nach Gelenkpunktion von künstlichen Knie- und Hüftgelenken als niedrig einzuschätzen sind, müssen Patienten vor diesem Eingriff formal aufgeklärt werden (siehe auch Eingangskriterium).

Tab. 3 Darstellung von Sensitivität, Spezifität, positiver/negativer Likelihood-Ratio (LR) sowie positiven und negativen prädiktiven Wert für die Synoviaanalyse bei K‑TEP
Tab. 4 Darstellung von Sensitivität, Spezifität, positiver/negativer Likelihood-Ratio (LR) sowie positiven und negativen prädiktiven Wert für die Synoviaanalyse bei H‑TEP

Die Analyse der Synoviaaspiration und die hieraus gewonnene mikrobiologische Kultur ist ein sehr kontrovers diskutiertes Thema in der Literatur. Die Kombination aus mikrobiologischer Langzeitbebrütung, Zellzahlbestimmung und Zelldifferenzierung entspricht dem aktuellen Goldstandard zur Analyse von Synoviaflüssigkeit. Die Zellzahl und Zelldifferenzierung sind äußerst wichtige Parameter der Synoviaanalyse. Einen entscheidenden Diskussionspunkt stellen die verwendeten Grenzwerte der Zellzahl und Zelldifferenzierung dar. Verschiedene Studien haben sich mit Grenzwertberechnungen von Zellzahl- und Zelldifferenzierungsuntersuchungen auseinandergesetzt. Trampuz et al. schlagen 1,7 × 103/µl (Zellzahl) und 65 % (Anteil neutrophile Granulozyten, Zelldifferenzierung) vor, Zmistowski et al. und Della Valle beschreiben vergleichbare Ergebnisse, obwohl ein höherer Grenzwert von 3,0 × 103/µl und 75 % gewählt wurde. Die Grenzwertbestimmung erfolgten mittels ROC(„receiver-operating characteristics“)-Kurven, diese Technik ist im Speziellen davon abhängig, welche Bakterien für die PPI in der ausgewählten Kohorte verantwortlich waren. Als Beispiel ist die Studie von Barrack et al. zu nennen, hier wurden als optimale Grenzwerte 4,2 × 103 µl bzw. 75 % verwendet. Das Kollektiv bestand aber überwiegend aus Patienten mit High-Grade-Infektionen und hochvirulenten Bakterien [73]. Die Expertengruppe hat sich aus diesem Grund auf einen niedrigeren Grenzwert im Algorithmus geeinigt, um auch chronische bzw. Low-Grade-Infektionen zu erfassen. Die Frage, ob Zellzahl und Zelldifferenzierung über den Grenzwerten liegen müssen, um von einer periprothetischen Infektion auszugehen, wurde ausführlich diskutiert. Als Konsens wurde festgelegt, dass entweder eine erhöhte Zellzahl oder eine erhöhte Zelldifferenzierung ausreicht, um eine Infektion wahrscheinlich zu machen.

Ein Problem der mikrobiologischen Kultur wird deutlich, wenn man die Literatur bezüglich der Sensitivitäten vergleicht. Hier zeigen sich sehr heterogene Daten: Der verursachende Erreger konnte in 44–80 % der Fälle durch eine mikrobiologische Kultur nachgewiesen werden [47, 84]. Ein entscheidender Faktor, der die Nachweiswahrscheinlichkeit deutlich erhöht, ist die Kulturdauer. Viele Studien mit geringer Sensitivität und Spezifität haben eine verkürzte Bebrütungszeit von 48 h angewendet bzw. die Kulturdauer nicht angegeben. Neben einer Bebrütungszeit von 14 Tagen ist die Antibiotikafreiheit bzw. das Absetzen einer bestehen Antibiotikatherapie mindestens 14 Tage vor Aspiration von Vorteil [70, 72]. Ein Problem sind falsch positive mikrobiologische Befunde, die oft durch Kontamination der mikrobiologischen Kultur verursacht werden. Dies führt, falls nicht durch einen Experten evaluiert und erkannt, zu einer massiven Übertherapie [86]. Hier ist es wichtig, dass die mikrobiologischen Resultate mit Nachweis von möglichen Kontaminanten (z. B. S. epidermidis, C. acnes) stets mit der Zellzahl im Punktat korreliert werden.

Fazit Synoviaanalyse

Die Synoviaanalyse stellt den aktuellen Goldstandard dar. Als Grenzwerte empfehlen wir eine Leukozytenzahl von 1500/µl bzw. einen Granulozytenanteil von >65 %. Der Nachweis einer erhöhten Zellzahl oder einer erhöhten Zelldifferenzierung ist als Infektion zu werten. Eine Langzeitbebrütung der mikrobiologischen Kultur von 14 Tagen ist erforderlich. Bei Nachweis von potenziellen Kontaminanten muss stets die Zellzahl zur Interpretation herangezogen werden.

Weitere Verfahren in der Synoviaanalyse

Andere neuartige synoviale Marker, wie der Alpha-Defensin-Test, zeigen vielversprechende Ergebnisse, jedoch sind die Fallzahlen in der aktuellen Literatur niedrig. Grundsätzlich muss zwischen einem kommerziell angebotenen Schnelltest (Minuten, qualitativ) und einem über verschiedene Labore angebotenen ELISA-Test (Tage, quantitativ) unterschieden werden. Die meisten Veröffentlichungen beziehen sich dabei auf den quantitativen ELISA-Test. Ein Problem stellen die selektiven Patientenkollektive dar, in vielen Studien wurden Patienten mit rheumatoider Arthritis oder abriebbedingter Metallose ausgeschlossen [14,15,16]. Kasparek et al. errechneten für den Alpha-Defensin-Test eine Sensitivität von 67 % bei einer Spezifität von 93 % [38]. Renz et al. errechneten eine Sensitivität von 84 % unter Verwendung der MSIS-Kriterien, von 67 % unter Verwendung der IDSA-Kriterien und 54 % unter Verwendung der PRO-IMPLANT/EBJIS-Kriterien [68]. Diese hochaktuellen Studien zeigten die noch bestehenden Probleme dieser neuartigen Biomarkertests. Konsens der Expertengruppe ist daher, dass die Alpha-Defensin-Bestimmung zum aktuellen Zeitpunkt nicht flächendeckend empfohlen werden kann.

Der Leukozytenesterasetest detektiert Leukozyten durch das in Leukozyten enthaltenen Enzym Leukozytenesterase. Durch eine chemische Reaktion kommt es am Teststreifen zu einem Farbumschlag, hierdurch wird semiquantitativ ein indirekter Leukozytennachweis im Punktat geführt. In einer Metaanalyse wird eine gepoolte Sensitivität von 81 % bei einer Spezifität von 97 % angegeben [85]. Aufgrund der problemlosen Verfügbarkeit und des extrem niedrigen Preises ist dieser Test als Konsens für eine Second-Line-Diagnostik unter bestimmten Umständen anwendbar. Insbesondere ist der Test aufgrund der hohen Spezifität bei positivem Resultat wegweisend. Wichtig ist hier die Limitation der fehlenden Verwertbarkeit bei Blutbeimengung des Punktats sowie die falsch positiven Resultate bei Nichteinhalten des Zeitfensters zur Ablesung des Resultates zu vermerken.

Fazit neue Biomarker

Der flächendeckende Einsatz der Alpha-Defensin-Bestimmung kann bisher nicht empfohlen werden. Der Leukozytenesterasetest ist als Second-Line-Diagnostik verwendbar falls a) keine elektive Diagnostik erfolgt ist (z. B. aseptischer Wechsel mit intraoperativen Infektverdacht) oder b) trotz Algorithmus ein unklarer Befund vorliegt. Ein positiver Leukozytenesterasetest kann individuell als hinweisend in Betracht gezogen werden, schließt jedoch eine periprothetische Infektion weder mit ausreichender Sicherheit aus, noch bestätigt er diese.

Biopsie von periprothetischem Gewebe zur mikrobiologischen und histologischen Aufarbeitung

Ein weiterer Schritt bei persistierendem Infektverdacht (z. B. beim Ausschluss anderer Pathologien, widersprüchlichen Ergebnissen in der Synoviaaspiration), welcher jedoch deutlich invasiver (und somit komplikationsreicher und kostenintensiver) ist, stellt die Synovialisbiopsie dar. Durch Entnahme von Biopsaten kann eine wie von Malhotra and Morgan in ihrem Kollektiv vorgeschlagene Kombination aus mikrobiologischer Aufarbeitung und histopathologischer Untersuchung durchgeführt werden. Die Autoren berichten von einer Sensitivität von 80 % bei einer Spezifität von 100 % durch eine synoviale Biopsie im Vergleich zu deutlich niedrigeren Werten bei der Synoviaaspiration. (44 %/91 %). Fink et al. zeigten an mikrobiologischen Biopsien deren Überlegenheit im Vergleich zur Kultur aus der Synovialflüssigkeit. In Ihrem Kollektiv erreichten sie Sensitivitäten von 100 % (K-TEP) und 87 % (H-TEP) bei einer Spezifität von 98 % [22, 23]. Pohlig et al. zeigten, wie die Sensitivität und Spezifität durch Kombination einer arthroskopisch gewonnen Biopsie mit mikrobiologischer und histopathologischer Untersuchung gesteigert werden können. Durch diese Kombination konnte die höchste Testgüte erreicht werden [64]. Als etabliertes Verfahren zur histopathologischen Einteilung ist die Morawietz-und-Krenn-Klassifikation zu nennen: hierbei werden die Granulozyten pro Gesichtsfeld in der periprothetischen Membran gezählt [40]. Die in den USA zum Teil etablierte Schnellschnittdiagnostik spielt in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zur mikrobiologischen Biopsie spielt der Entnahmeort bei histopathologischen Proben eine außerordentlich wichtige Rolle. Ziel ist es, dass Teile der sogenannten SLIM („synovia-like interface membrane“) oder Neosynovialis prothesennah gewonnen werden [40]. Technisch gesehen erfolgt die Biopsie am Kniegelenk durch die Standardportale der Kniearthroskopie, am Hüftgelenk sind in leichter Hüftflexion ein hohes und ein tiefes anterolaterales Portal geeignet, wie sie üblicherweise zur Adressierung des peripheren Gelenkkompartiments verwendet werden. Es werden 6 Proben des periprothetischen Gewebes entnommen und davon 5 zur mikrobiologischen und eine zur histologischen Untersuchung eingeschickt [2, 49]. Trotz der hervorragenden Testgüte bei synovialen Biopsien (Tab. 5) sollte die Indikation streng gestellt werden. Ein persistierender Infektverdacht bei positiver Risikoanamnese, Frühlockerung oder persistierenden unklaren Infektparametern können dies rechtfertigen. Obwohl arthroskopische Operationen als kleine Eingriffe gelten, sind diese nicht risikolos. Potenzielle Risken sind neben der Verletzung von neurovaskulären Strukturen die postoperative Infektion sowie die Beschädigung von Prothesenkomponenten durch die Arthroskopieinstrumente. Zudem ist das Risiko eines „Sampling-Errors“ durch Nichterreichen des repräsentativen Gewebes und konsekutiven falsch negativen Ergebnissen zu berücksichtigen. Wie auch die Synoviaaspiration stellt die Indikation zur arthroskopischen Biopsie eine Risiko-Nutzen-Abwägung dar, in der ein maximaler diagnostischer Gewinn bei minimalem Patientenrisiko erzeugt werden soll.

Tab. 5 Darstellung von Sensitivität, Spezifität, positiver/negativer Likelihood-Ratio (LR) sowie positiven und negativen prädiktiven Wert für die histopathologische Untersuchung

Fazit Biopsie

Bei Diskrepanz zwischen Infektverdacht und unklaren Punktionsergebnissen sollte nach Ausschluss anderer Pathologien periprothetisches Gewebe gewonnen werden. Durch Kombination von mikrobiologischer bzw. histopathologischer Untersuchung der Biopsien kann die höchste diagnostische Güte erreicht werden – vorausgesetzt die Proben sind repräsentativ.

Die präoperativ vorliegenden Resultate müssen stets mit den im Rahmen der Revisionsoperation entnommenen Proben korreliert und die Diagnose nach Vorliegen dieser erneut kritisch analysiert werden. Die intraoperativ entnommenen Biopsien sind oft aussagekräftiger, da das repräsentative Gewebe (z. B. Interface zwischen Prothese und Knochen) erreicht wird. Zudem kann die explantierte Prothese zur Sonikation geschickt werden, welche sich vor allem bei Low-Grade-Infektionen als sensitiver als Gewebeuntersuchungen erwies. Eine negative präoperative Diagnostik verringert die Wahrscheinlichkeit einer Infektion beträchtlich, schließt sie jedoch nicht gänzlich aus. Analog muss ein positiver präoperativer Test (z. B. mikrobiologischer Nachweis eines typischen Kontaminanten oder eine leicht erhöhte Zellzahl) immer mit der intraoperativen Diagnostik korreliert werden, um eine Überdiagnose zu vermeiden.

Fazit für die Praxis

  • Der Ausschluss einer periprothetischen Infektion ist von enormer Bedeutung vor einer Revisionsoperation und entscheidet in vielen Fällen über den Erfolg und die Invasivität der Operation.

  • Die Diagnose „periprothetische Infektion“ erfordert eine substanzielle Veränderung der therapeutischen Strategie.

  • Der durch die Arbeitsgruppe entwickelte Algorithmus fasst Positionen aus der aktuellen Literatur und spezielle Expertenmeinungen zusammen.

  • Da die Weiterentwicklung der Diagnostik ein dynamischer Prozess ist, erfolgt die jährlich Reevaluation. Dies ermöglicht einen transparenten diagnostischen Ansatz im Sinne einer Standard-Operation-Procedure.

  • Hierdurch wird unabhängig von der Erfahrung des Untersuchers eine hohe Prozessqualität erreicht.