Unsere Gesellschaft wird älter, die Bevölkerungspyramide verschiebt sich hin zu späteren Lebensjahrzehnten. Krankheitsbilder des älteren Patienten treten in den Vordergrund. Die lumbale Spinalkanalstenose, erst seit 50 Jahren in ihrer pathogenen Tragweite mit den Symptomen eines tief sitzenden Kreuzschmerzes und einer Claudicatio-spinalis-Symptomatik bekannt [29], ist als Krankheitsbild omnipräsent. Wenn auch anfangs bei mäßigen Beschwerden und dem Fehlen neurologischer Auffälligkeiten konservative Behandlungsmaßnahmen vertretbar sind, kann ein Therapieansatz unter kausalen Aspekten nur mit einem chirurgischen Konzept zielführend und Erfolg versprechend sein [30]. Die Behandlung des älteren Patienten erfordert verschiedene Denkansätze und birgt wirbelsäulenchirurgische Herausforderungen, denen die moderne Wirbelsäulenchirurgie Rechnung trägt.

Operative Therapie der lumbalen Spinalstenose

Ziel einer Operation beim engen Wirbelkanal ist die Erweiterung des zentralen Spinalkanals und Recessus lateralis mit Entlastung der neuralen Strukturen. Initial war die Laminektomie operative Methode der Wahl [29]. Als Technik kam sie schon vor 100 Jahren zum Einsatz [3]. Die Effektivität dieser raumschaffenden Strategie ließ lange andere Techniken wie eine „keyhole laminotomy“ nicht populär werden [26, 31]. Jedoch wurden schonendere Zugänge für eine uni- oder bilaterale laminaerhaltende Technik schon früh diskutiert [7]. Grund war die Erkenntnis einer möglichen postoperativen iatrogenen Segmentinstabilität durch eine alleinige Laminektomie [4]. Biomechanische Arbeiten bestätigten diese anfangs empirisch und individuell erworbenen Erfahrungen [12, 24]. In Konsequenz und durch die zunehmende Popularität des intraoperativen Einsatzes des Mikroskops wurden initial bilaterale Verfahren mit einer gewebeschonenden Minimalisierung des Zugangs publiziert [1]. Ihnen folgten die monolateralen Zugänge zum Spinalkanal mit bilateraler intraspinaler Dekompression [15, 32].

Die Over-the-Top-Technik hat sich als Standardverfahren etabliert

Zu den Vorteilen eines monolateralen Konzepts zählt u. a. die komplette Schonung kontralateraler paravertebraler Strukturen (Muskulatur, Wirbelgelenke). Die hierdurch erhaltene Stabilität der Lendenwirbelsäule ermöglicht isolierte Dekompressionen von Spinalstenosen auch bei translatorischen Fehlstellungen wie einer degenerativen Spondylolisthese [16] oder auch bei De-novo-Skoliosen. In den letzten Jahren hat sich diese Technik, auch als Cross-over- oder Over-the-Top-Technik bekannt, als Standardverfahren in der mikrochirurgischen Dekompressionschirurgie an der LWS etabliert [2, 9, 27].

Mikroskopische bilaterale Dekompression über monolateralen Zugang

Der Patient wird in Knie-Thorax-Position oder auf dem Bauch gelagert. Für die spätere Over-the-Top-Dekompression wird kontralateral eine Seitstütze angebracht. Die präoperative Höhenlokalisation erfolgt mittels Kanüle auf Bandscheibenfachhöhe kontralateral.

Ab Hautschnitt wird routinemäßig das Operationsmikroskop verwendet, somit ist von Beginn an eine subtile bipolare Hämostase möglich. Ipsilateral erfolgt paramedian ein ca. 15 mm (mono-) bzw. 20–25 mm (bisegmentale Stenose) langer Hautschnitt mit Durchquerung des Subkutangewebes. Subfaszial wird schonend bei Verwendung eines Spekulums paramedian subperiostal mit Mobilisation der Muskulatur nach lateral, bei Verwendung von Röhrchen transmuskulär das interlaminäre Fenster freigelegt. Eine radiologische Höhenlokalisation sichert die korrekte Zielregion. Nach Identifikation des unteren Rands der ipsilateralen Hemilamina erfolgt z. B. mit einer High-Speed-Fräse die osteoklastische Hemilaminotomie bis zum kranialen Insertionsbereich des Lig. flavum (LF) am knöchernen Laminadach. Eine weitere Freilegung des Spinalkanals nach kranial ist nicht erforderlich. Das LF wird nach kaudal entfernt und die Dura dekomprimiert. Adhäsionen zwischen Dura und Ligament, z. B. bei Synovialzysten oder degenerativen stabilen Spondylolisthesen, werden mittels Tasthaken und Dissektoren gelöst. Nach kaudal wird die Dekompression sublaminär bis etwa Mitte des kaudalen Pedikels mittels Stanze oder Fräse im Sinne einer osteoklastischen Hemilaminotomie durchgeführt. Die Dekompression einer Recessusstenose erfolgt durch dosiertes Ausdünnen der medialen Gelenkfacette mittels High-Speed-Fräse und die unterschneidende Erweiterung mittels Stanze. Das Ausmaß der Dekompression der ipsilateralen neuralen Strukturen kann „step by step“ mikroskopisch kontrolliert werden.

Nach ipsilateraler Dekompression wird zur kontralateralen Over-the-Top-Dekompression der Patient 15° auf die Gegenseite und das Mikroskop gegengleich um 15° gekippt, wodurch ein Arbeits- und Sichtwinkel von ca. 30° erreicht wird (Abb. 1). Die kontralaterale Hemilamina sowie die inferioren Knochenstrukturen werden mit einer Diamantfräse ausgedünnt. Durch initial protektives Belassen des hypertrophen LF kontralateral wird die Dura vor einer Verletzung geschützt. Nach knöcherner Dekompression wird das LF reseziert und der Recessus lateralis erweitert, wobei 90°-Stanzen eine bessere Erweiterung des Recessus ermöglichen und eine Verletzung der neuralen Strukturen minimiert wird. Eine adäquate Hämostase kontralateral gelingt sehr gut mithilfe einer bipolaren Pinzette. Abschließend wird das suffiziente Ausmaß der Dekompression mikroskopisch kontralateral und nach Rückkippen des Patienten ipsilateral kontrolliert (Abb. 2). Eine Drainage stellt eine Ausnahme dar, eine Orthese ist nicht erforderlich. Bei komplikationslosem Operationsverlauf erfolgt die Mobilisation zeitnah nach Abklingen der Narkose am Operationstag.

Abb. 1
figure 1

a Darstellung Over-the-Top-Dekompression, Patient 15° auf die Gegenseite gekippt. b Intraoperativer Situs kontralateral nach mikroskopischer Over-the-Top-Dekompression von Dura und kaudalem Spinalnerv

Abb. 2
figure 2

a Magnetresonanztomogramm Spinalstenose L4/5 präoperativ. b MRT Spinalstenose L4/5 postoperativ, Zugang links

Der Zugang wird vorzugsweise von der beschwerdeführenden Seite aus gewählt

Der Eingriff kann von jeder Seite durchgeführt werden. Vorzugsweise wird der Zugang von der beschwerdeführenden Seite (z. B. begleitende Ischialgie) aus gewählt. Dies gilt auch bei einem symptomatischen Bandscheibenvorfall, da die Over-the-Top-Sequestrektomie technisch anspruchsvoll ist und zu einer Kompromittierung neuraler Strukturen führen kann. Bei einer skoliotischen Deformität erfolgt der Eingriff von der konvexen Seite. Hierdurch wird für die lasttragende konkave Seite das Wirbelgelenk geschützt. Außerdem stellt sich dem Operateur durch die Rotation der Wirbelsäule der intraspinale Situs bereits partiell „over the top“ dar und die ipsilaterale Dekompression mag sogar technisch anspruchsvoller sein. Skoliotische Deformitäten mit einer lateralen vertebralen Translokation von max. 6 mm bzw. mit einem Skoliosewinkel von max. 30° können isoliert dekomprimiert werden [6]. Bei einseitiger Foramenstenose mit Radikulopathie lässt sich über einen ipsilateralen extraforaminalen Zugang die suffiziente Dekompression der Nervenwurzel durch Erweiterung des Wurzelkanals erreichen [18].

Mehrsegmentale Dekompression über monolaterale alternierende Zugänge

Mono- und bisegmentale Stenosen kommen häufiger vor, jedoch findet sich in ca. 20 % der Fälle [14] eine multisegmentale Pathologie mit 3 oder mehr eingeengten Segmenten (Abb. 3). Eine einseitige Freilegung des Operationsgebiets kann zu einer großflächigen Traumatisierung im paravertebralen Zugang führen. Eine elegante alternative Technik publizierten Mayer u. Heider [13] 2013 als „Slalomtechnik“. Hierbei wird das lokale Gewebetrauma durch einen „segmentalen“ Wechsel der Zugangsseite mit seitengetrennter separater bilateraler Over-the-Top-Dekompression (Abb. 4) deutlich reduziert. Die intraspinale Dekompression des zentralen Spinalkanals sowie der Recessus laterales entspricht in der technischen Durchführung den beschriebenen intraoperativen Schritten.

Abb. 3
figure 3

a Magnetresonanztomogramm multisegmentale Spinalstenose L2–5 sagittal. b MRT multisegmentale Spinalstenose axial

Abb. 4
figure 4

a Geplante selektive Schnittführung in „Slalomtechnik“ (Patient zu Abb. 3a). b Intraoperative Höhenlokalisation

Kombination der Pathologien lumbale Stenose und Spondylolisthese

Bekannt ist die Kombination einer lumbalen Spinalkanalstenose mit einer degenerativen Spondylolisthese, wobei Letztere per se zu einer additiven Einengung des Spinalkanals führt. Bei nachrangigen Rückenschmerzen und dominierendem Beinschmerz bzw. einer Claudicatio-spinalis-Symptomatik und stabiler Spondylolisthese kann eine alleinige mikrochirurgische stabilitätserhaltende Dekompression durchgeführt werden. Das Ausmaß des Gleitvorgangs ist relevant, stabile Spondylolisthesen mit einer Translation bis Meyerding Grad 1 sowie in Einzelfällen bis Meyerding Grad 2 können isoliert dekomprimiert werden. Die translatorische Dynamik einer Spondylolisthese ist bereits durch den Vergleich der seitlichen Röntgenaufnahme im Stehen mit einer sagittalen MRT-Abbildung im Liegen zu beurteilen. Eine segmentale Verschiebung bis max. 3 mm kann akzeptiert werden. Eine vertikale Hypermobilität mit vermehrter Kyphosierung in den seitlichen Funktionsaufnahmen mit mehr als 15° Angulation ist ein Risikofaktor für eine postoperative Instabilität [28]. Sagittal gestellte Wirbelgelenke prädisponieren zu einer segmentalen Hypermobilität, ebenso Segmente mit ausgeprägtem „fluid sign“ im axialen MRT.

Vollendoskopische Dekompression

Beim vollendoskopischen Vorgehen handelt es sich definitionsgemäß um eine der Arthroskopie vergleichbare Operationstechnik des Spinalkanals und angrenzender Strukturen unter kontinuierlicher Visulisierung und Flüssigkeitsspülung, allerdings in uniportaler Vorgehensweise mittels Endoskopen mit intraendoskopischem Arbeitskanal [21]. Heutzutage werden Stablinsenoptiken meist mit einem Durchmesser von ca. 6–7 mm und einer Blickrichtung um die 25° eingesetzt, die einen exzentrisch gelegenen, intraendoskopischen Arbeitskanal von ca. 4 mm beinhalten. Die Optiken werden frei durch Operationshülsen geführt (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Set-up einer vollendoskopischen interlaminären Operation

Die gebräuchlichste vollendoskopische Technik an der LWS war lange der posterolaterale transforaminale Zugang. Hier können die Wirbelgelenke als Hypomochlion wirken, die dem direkten Erreichen des Epiduralraums entgegenstehen. Daher wurde der vollendoskopische laterale transforaminale Zugang entwickelt, mit dem sich der Spinalkanal direkt unter kontinuierlicher Visualisierung erreichen lässt [21]. Dennoch können bei intraspinal gelegenen Pathologien Einschränkungen in der kraniokaudalen Mobilität bestehen. Zudem kann der laterale Zugang durch das Becken und durch Organe des Thorax und Abdomens verhindert werden [21, 22]. Weiterhin sind Strukturen, die von dorsal den Spinalkanal komprimieren, mit dem transforaminalen Zugang nicht erreichbar. Somit ist dieser nur eingeschränkt bei Stenosen innerhalb des Spinalkanals einsetzbar. Foraminale Stenosen im Sinne des SAP-Impingements mit kranialer Kompression des austretenden Spinalnerven können dekomprimiert werden.

Für Stenosen innerhalb des Spinalkanals wurde der interlaminäre Zugang entwickelt

Aufgrund der Einschränkungen des transforaminalen Zugangs wurde der vollendoskopische interlaminäre Zugang entwickelt, der auch die Operation von innerhalb des Spinalkanals lokalisierten Pathologien ermöglicht, die außerhalb des Indikationsspektrums des transforaminalen Vorgehens liegen [22]. Heutzutage können laterale und zentrale Spinalkanalstenosen sowie intraspinale extradurale Zysten in vollendoskopischer interlaminärer Technik dekomprimiert werden, auch beidseits in Over-the-Top-Technik mit unilateralem Zugang ([8]; Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Intraoperative Sicht nach vollendoskopischer Over-the-Top-Dekompression mit interlaminärem Zugang

Komplikationen

Das Komplikationsspektrum minimal-invasiver Dekompressionsverfahren ähnelt dem makrochirurgischer Techniken. Verfahrensbedingt treten postoperative Instabilitäten gegenüber makroskopischen Verfahren (Laminektomie) seltener auf. Kommt es ab Segment L3/4 kranial zu einer signifikanten iatrogenen Schwächung der ipsilateralen Pars interarticularis, sollte der lockere oder ggf. abgetrennte untere Processus interarticularis zur Vermeidung postoperativer Schmerzen entfernt werden [9]. Die durch Mikroskop oder Endoskop sichergestellte bessere Übersicht im Spinalkanal hilft, Komplikationen intraoperativ direkt zu erkennen und zu versorgen. Duraläsionen treten bei der Over-the-Top-Technik in ca. 5–8 % der Fälle auf [10, 14, 25]. Je nach Ausmaß können sie mit Vlies oder Naht suffizient verschlossen werden [19]. Die Naht eines kontralateralen Duralecks ist technisch schwierig und erfordert ggf. eine separate kontralaterale Freilegung.

Duraläsionen können je nach Ausmaß mit Vlies oder Naht verschlossen werden

Durch konsequente Hämostase lässt sich das Risiko einer epiduralen Hämatombildung minimieren. Symptomatische epidurale Hämatome sind mit <1 % selten [5]. Sie bedürfen aufgrund der klinischen Symptomatik inkl. neurologischer Auffälligkeiten (u. a. Cauda-equina-Syndrom) einer konsequenten Revision und Ausräumung. Infektionen im Operationsgebiet treten mit <1 % sehr selten auf und sind gegenüber makrochirurgischen Eingriffen deutlich reduziert [11]. Ihre adäquate Therapie beinhaltet die Revision mit lokaler Sanierung. Die Dekompression eines falschen Segments kommt selten vor, in der Literatur wird ihre Häufigkeit jedoch mit bis zu 3,3 % angegeben [17]. Mit der konsequenten prä- und intraoperativen radiologischen Höhenlokalisation lässt sie sich vermeiden.

Ergebnisse

Bei 275 Patienten (52 % männlich, 48 % weiblich, Durchschnittsalter 69 Jahre) mit lumbaler Spinalkanalstenose wurden in mikroskopischer Over-the-Top-Technik 568 Segmente dekomprimiert [14]. Die Operationszeit pro Segment betrug 37 min, der Blutverlust pro Segment 57 ml. Die Gehstrecke verlängerte sich postoperativ von ca. 250 m auf über 5 km, die Stehzeit von 10 min auf 82 min. Bei 45 % der Patienten war ein präoperativ vorliegender nachrangiger Rückenschmerz vollständig verschwunden. Über 50 % der Patienten mit einer neurologischen Symptomatik an den Beinen hatten diese postoperativ nicht mehr.

In einer separaten Studie zur selektiven mikrochirurgischen Over-the-Top-Dekompression bei multisegmentalen Spinalstenosen in „Slalomtechnik“ bestätigten sich diese Ergebnisse [13]. Auch hier konnte eine Verbesserung der Gehstrecke nachgewiesen werden. Zusätzlich dokumentieren deutliche Verbesserungen in Parametern, die die einzelne Lebensqualität bewerten (EQ-5D-Fragebogen, Oswestry Disability Index, visuelle Analogskala), den durch die Operation erzielten individuellen Benefit für den Patienten.

Für die lumbale endoskopische Dekompression werden in der Literatur insgesamt überwiegend suffiziente klinische Ergebnisse und geringe Komplikationsraten beschrieben [8, 20, 23]. Als Vorteile werden beispielsweise das klinische Ergebnis, verminderte Komplikationen, kürzere Operationszeit, kürzerer Krankenhausaufenthalt oder schnellere Rehabilitation aufgeführt. Die allgemeine Komplikationsrate wird mit einer Spannbreite von 2,9–13,75 % angegeben. Duraverletzungen treten mit Raten von 0 % bis um die 5 % auf, Nervenverletzungen mit Raten zwischen 0 % und ca. 2,5 %.

Fazit für die Praxis

  • Die lumbale Spinalstenose ist ein häufiges Krankheitsbild älterer Patienten mit deutlicher Limitierung der Lebensqualität. Unter dem Aspekt einer kausalen Therapie ist letztlich nur eine operative Dekompression zielführend.

  • Therapieziele sind die zirkumferente Dekompression neuraler Strukturen im zentralen Spinalkanal sowie die Erweiterung der Recessus laterales und ggf. der Neuroforamina.

  • Minimal-invasive Therapieverfahren reduzieren die Zugangsmorbidität gegenüber makrochirurgischen Verfahren signifikant bei identischer Dekompression im Zielgebiet. Über einen stabilitätserhaltenden monolateralen Zugang gelingt regelhaft die suffiziente bilaterale Dekompression.

  • Minimal-invasive Therapieverfahren erfordern den Einsatz von Mikroskop oder Endoskop.

  • Patienten profitieren spürbar von einer operativen Intervention sowohl hinsichtlich Bein- als auch Rückenschmerzen.

  • Durch den Einsatz minimal-invasiver Operationsstrategien ist eine zusätzliche Stabilisierung nur selten erforderlich.