Hinführung zum Thema

Das Bewusstsein um Beckenbodenprobleme und der Wunsch nach einem gesunden, funktionierenden Beckenboden, nach Verständnis seiner Funktionen, der Entstehungsmechanismen von Schäden und deren Therapiemöglichkeiten, aber v. a. auch nach Möglichkeiten einer Beckenbodenprotektion sind Frauen zunehmend wichtig. Ein bedeutender Risikofaktor hierfür sind Schwangerschaft und Geburt [1], daher möchte der folgende Beitrag evidenzbasiert die verschiedenen Verletzungsmuster im Bereich des Beckenbodens, ihre Entstehungsmechanismen sowie die Möglichkeiten einer Beckenbodenprotektion im Kontext vaginaler Geburten beleuchten.

Hintergrund

Beckenbodenverletzungen im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt sind ein häufiges Phänomen [2, 3]. Sie sind bedingt durch entweder einen morphologischen Schaden am Beckenbodenmuskel (M. levator ani) und am Aufhängeapparat der Beckenorgane oder durch einen Schaden der nervalen Innervation des Beckenbodens [2, 4]. Daraus resultieren typische Beschwerden wie die Harn- oder Stuhlinkontinenz, der Genitalprolaps oder auch sexuelle Dysfunktionen. Ein Hauptrisikofaktor für diese Beckenbodenprobleme ist die Schwangerschaft und v. a. die vaginale Geburt [1, 5, 6]. Bis zu knapp 60 % der schwangeren Frauen leiden zu irgendeinem Zeitpunkt der Schwangerschaft an einer Urininkontinenz, mit einer Zunahme während des Schwangerschaftsverlaufs und einem Peak im letzten Trimenon und um die Geburt herum [7]. Postpartal persistiert die Urininkontinenz bei bis zu gut einem Drittel der Frauen [7]. Eine langfristige Stuhlinkontinenz findet sich bei ca. 6 % der Frauen postpartal, mit einer hohen Rate betroffener Frauen von ca. 30 % nach höhergradiger Dammverletzung [7, 8]. Grundsätzliche Beckenbodenprobleme in der Schwangerschaft finden sich bei knapp 12 % im ersten Trimenon, 27 % im zweiten Trimenon und 61 % im dritten Trimenon, wobei von den Beschwerden 34 % auf Blasenstörungen und 11 % auf Deszensusbeschwerden entfallen [3]. Insgesamt ist etwa jede vierte Frau weltweit von Beckenbodenproblemen betroffen und etwa jede Fünfte unterzieht sich mindestens einmal im Leben einer Prolaps- oder Inkontinenzoperation.

Weltweit ist etwa jede vierte Frau von Beckenbodenproblemen betroffen

Zugrundeliegende Verletzungsmechanismen im Rahmen einer Geburt sind ein direktes Trauma der Beckenbodenmuskulatur oder ein Trauma der nervalen Beckenbodeninnervation, insbesondere des sakralen Plexus und des N. pudendus [9,10,11]. Im Bereich der Muskulatur kann es zu Schäden am M. levator ani in Form von Avulsionen oder Überdehnungen kommen oder zu Verletzungen am M. sphincter ani in Form höhergradiger Dammrisse. Levatoravulsionen finden sich in Abhängigkeit des vaginalen Geburtsmodus bei 15–52 % der Frauen [12]. Höhergradige Dammverletzungen treten bei 0,5–10 % aller Vaginalgeburten auf, mit Raten von 0,5–2,5 % bei Spontangeburten, und zusätzlich finden sich 10–35 % okkulte Defekte, die z. T. mit großer Latenz erst im späteren Verlauf diagnostiziert werden [13, 14]. Im deutschsprachigen Raum finden sich gemäß der AWMF(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften)-Leitlinie „Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt“ Raten höhergradiger Dammrisse von durchschnittlich ca. 2 % [8].

Beckenbodentraumata können zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen

Eine Erweiterung des Hiatus genitalis nach vaginaler Geburt manifestiert sich als „ballooning“ und ist bedingt durch Levatoravulsionen, Muskelüberdehnungen oder Muskelfunktionsstörungen [15]. Nach Spontangeburten findet sich eine Vergrößerung der Levatoröffnung um durchschnittlich 9 %, nach vaginal-operativer Geburt um 11 % und nach forcepsassistierter Geburt um 22 % [4]. Da die therapeutischen Möglichkeiten, insbesondere bei Levatorschäden, im direkten Anschluss an eine Geburt zurzeit noch sehr begrenzt sind und Beckenbodentraumata mit einer hohen Rate psychosozialer Belastung bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung einhergehen [16], kommt der Verhinderung oder zumindest Minimierung solcher Schäden eine entscheidende Bedeutung zu.

Biomechanik des Beckenbodens

Der Beckenbodenmuskel ist ein das Becken nach kaudal großflächig begrenzender Muskel, welcher die Genital- und Abdominalorgane analog einer Hängematte trägt. Fixiert ist er am Os pubis, Os coccygeus, Os sacrum und Arcus tendineus des Beckens und er inseriert in die Vaginalwand, das pararektale Gewebe und den Damm. Physiologische Öffnungen im Levatormuskel sind der Hiatus genitalis mit Urethra und Vagina sowie eine Öffnung für das Rektum.

Biomechanische Simulationsstudien sowie intrapartale Ultraschalluntersuchungen geben Hinweise bzw. zeigen, dass der Hiatus genitalis seine größte Öffnungsfläche bei einem Höhenstand der kindlichen Leitstelle im Bereich der Interspinaleben +4 nach de Lee aufweist und dass die biomechanischen Kräfte und Belastungen bei diesem Höhenstand am größten sind [17, 18]. Eine zusätzliche Anspannung des Beckenbodens oder kindliche „Fehleinstellungen“ vergrößern die Belastungen am Beckenboden zusätzlich [19].

Risikofaktoren und daraus abgeleitete Maßnahmen zur Beckenbodenprotektion

Eine Übersicht zu den evidenzbasierten Maßnahmen einer Beckenbodenprotektion bei vaginalen Geburten findet sich in Tab. 1. Im Folgenden werden diese detaillierter ausgeführt.

Tab. 1 Evidenzbasierte Maßnahmen zur Beckenbodenprotektion bei vaginalen Geburten

Parität

Kumulativ steigt die Wahrscheinlichkeit für Beckenbodenprobleme generell mit steigender Parität [2, 4, 20]. Morphologische Schäden der Beckenbodenmuskulatur in Form von Avulsionen mit möglicher Folge eines Genitaldeszensus entstehen jedoch v. a. im Rahmen einer ersten vaginalen Geburt und verschlechtern sich in der Regel durch weitere vaginale Geburten nicht bzw. kaum, insofern die Grundbedingungen, wie z. B. das Größenverhältnis zwischen Geburtskanal und Kind, sich nicht wesentlich ändern [2, 21, 22]. Ebenso besteht bei Erstgebärenden ein erhöhtes Risiko für höhergradige Dammverletzungen [14]. Nach erlittener höhergradiger Dammverletzung besteht dann bei einer nächsten vaginalen Geburt ein erhöhtes Wiederholungsrisiko mit einer Rate von 4–8 %, insbesondere dann, wenn im Rahmen einer Folgegeburt eine vaginal-operative Geburt notwendig werden sollte. Dies sollte in die Beratung der Schwangeren einfließen und diese sollten über die Möglichkeit einer I° Sectio caesarea als Geburtsmodus bei einer Folgegeburt aufgeklärt werden, insbesondere bei persistierenden Analinkontinenzsymptomen, reduzierter Sphinkterfunktion oder vermuteter fetaler Makrosomie [8].

Alter

Strukturelle und funktionelle Beckenbodenprobleme treten bei Frauen höheren Alters, insbesondere bei Erstgebärenden über 30–35 Jahren häufiger auf [4, 7, 14, 20].

Maternales Gewicht bzw. BMI

Ein höheres Gewicht bzw. ein höherer Body-Mass-Index (BMI), insbesondere über 25 kg/m2, korrelieren mit einer vergrößerten Levatoröffnungsfläche bzw. anterioposterioren Levatoröffnungsstrecke und stellen außerdem einen Risikofaktor insbesondere für Urininkontinenz dar, mit einer bis zu 3fachen Erhöhung [4, 7, 20].

Ethnizität

Aussagen bezüglich eines Zusammenhangs zwischen der Ethnizität und den verschiedenen Beckenbodenbeschwerden, wie Deszensus, Urin- und Analinkontinenz, sind schwierig, da die Studienlage hierzu sehr heterogen ist. Je nach Beckenbodenproblem scheinen jedoch Zusammenhänge zur ethnischen Abstammung durchaus gegeben [14, 23]. So haben Frauen asiatischer Abstammung z. B. ein 9fach höheres Risiko für einen höhergradigen Dammriss als kaukasische Frauen [14, 24]. Beide Ethnizitäten haben zudem ein höheres Risiko als Frauen schwarzer Hautfarbe oder lateinamerikanischer Abstammung [25]. Auch die Urinstressinkontinenz tritt bei kaukasischen Frauen häufiger auf als bei den anderen Gruppen [20].

Stress/Angst

Biomechanische Simulationsstudien geben einen Hinweis darauf, dass eine zusätzliche Anspannung des Beckenbodens, sei sie bedingt durch Angst, Stress oder Schmerz, diesen unter vermehrte Anspannung setzt und damit Beckenbodenverletzungen begünstigt [19].

Eine adäquate Reduktion von Stress, Angst und Schmerz könnte Beckenbodenschäden vermindern

Eine adäquate Stress- bzw. Angstreduktion sowie eine effektive Analgesie (z. B. auch durch eine Epiduralanalgesie) könnten daher Beckenbodenschäden vermindern.

Sectio caesarea

Grundsätzlich ist eine I° Sectio caesarea einzig zur Beckenbodenprävention nicht sinnvoll, da Sectiones ebenfalls mit Komplikationen und Problemen für Folgeschwangerschaften vergesellschaftet sein können, jedoch kann sie im Einzelfall durchaus erwogen werden oder indiziert sein. Es ist allerdings unbestritten, dass eine Urininkontinenz und ein Genitalprolaps nach durchgeführter Sectio, insbesondere nach elektiver Sectio, seltener auftreten als nach vaginaler Geburt. Allerdings wären 10–15 Sectiones notwendig, um eine milde Inkontinenz zu verhindern, und 110 Sectiones, um eine schwere Inkontinenz zu verhindern [26].

Beckenbodentraining

Frauen mit Urininkontinenz schon während der Schwangerschaft haben ein erhöhtes Risiko einer postpartalen Urininkontinenz [7]. Ein Beckenbodentraining vor und während der Schwangerschaft hat zwar keinen Einfluss auf das Geburtsoutcome, wie z. B. auf die Rate an Dammverletzungen, reduziert jedoch die Rate an Urininkontinenz, v. a. bei bis dato kontinenten Frauen, wohingegen die Analinkontinenzrate unbeeinflusst scheint [27,28,29]. Die Annahme, ein Beckenbodentraining resultiere in einem zu straffen Beckenboden und führe damit zu negativen Effekten während der Geburt, konnte widerlegt werden [27, 30].

Kind

Fetale Größe

Ein erhöhtes Geburtsgewicht bzw. ein erhöhter fetaler Kopfumfang (> 90.–95. Perzentile) und v. a. eine vergrößerte Relation des Kopfumfangs zur Weite des Geburtskanals und zur Levatoröffnung ist mit einer höheren Rate an operativen und vaginal-operativen Entbindungen, Levatordefekten und höhergradigen Dammrissen assoziiert [14, 31,32,33].

Fetale Einstellung

In biomechanischen Simulationsstudien führte eine occipitoposteriore im Vergleich zu einer occipitoanterioren Einstellung zu einer erhöhten Belastung der Beckenbodenmuskulatur, was Verletzungen begünstigen kann [34]. Außerdem steigt bei occipitoposteriorer Einstellung die Rate höhergradiger Dammrisse [14, 35]. Dies legt die Idee nahe, bei jeder Geburt möglichst eine occipitoanteriore Einstellung zu erreichen, sei es durch Lagerungsmanöver der Gebärenden oder durch manuelle interne/externe Rotation, z. B. durch die Anwendung des Kegelkugelhandgriffs.

Anatomie und Physiologie von Geburtskanal und Beckenboden

Knöcherner Geburtskanal

Bezüglich der Rate höhergradiger Dammrisse und eines Deszensus scheint die Anatomie des Geburtskanals unerheblich zu sein, für Levatoravulsionen fehlen hierzu die Daten [36, 37].

Beckenboden

Das Risiko für Levatoravulsionen ist bei geringer Levatoröffnung und -beweglichkeit erhöht, wohingegen sich keine erhöhte Rate an Dammrissen Grad III und IV, an Episiotomien und an Sectiones bei straffem Beckenboden findet, wohl aber eine längere Austrittsperiode [30, 38]. Grenzwerte bezüglich der idealen Zeitdauer der Austrittsperiode oder Geburt existieren jedoch nicht, sodass zum aktuellen Zeitpunkt eine präpartale Abklärung nicht zielführend ist.

Dilatation des Geburtskanals

Eine prospektive Pilotstudie zum Einsatz eines während der Geburt intravaginal angewendeten Dilatators (MaternaPrep®; Materna Medical, CA, USA) gibt Hinweise darauf, dass dessen Anwendung ggf. Beckenbodenschäden reduzieren könnte [39]. Weitere Daten stehen hierzu jedoch noch aus.

Epiduralanalgesie

Wie weiter oben bereits erwähnt, könnte die Anlage einer Epiduralanalgesie über den Effekt der Beckenbodenrelaxation zu einer verminderten Rate an Levatoravulsionen beitragen. Für die Reduktion der Rate höhergradiger Dammrisse konnte ein positiver Effekt der Epiduralanalgesie durch Jango et al. gezeigt werden (aOR [adjustierte Odds Ratio] 0,84; 95 %-KI [Konfidenzintervall] 0,81–0,88; p = 0,0001; [7]).

Geburtsdauer

Eine prolongierte Geburt ist assoziiert mit einer erhöhten Rate an höhergradigen Dammverletzungen sowie Levatoravulsionen [7]. So verdoppelt sich z. B. mit jeder Stunde zusätzlicher Dauer der Austrittsperiode die Rate an Levatoravulsionen [40].

Sowohl eine zu schnelle Geburt mit konsekutiv geringerer Möglichkeit des Gewebes zur langsamen Dehnung und Anpassung als auch eine zu langsame Geburt mit Überdehnung und Belastung des Beckenbodens scheinen nicht erstrebenswert. Genaue Grenzwerte zur maximal sinnvollen Dauer der Austrittsphase oder Geburt können anhand der Daten der Literatur jedoch nicht gegeben werden.

Vaginaler Geburtsmodus

Die Rate an Beckenbodenverletzungen unterscheidet sich je nach Geburtsmodus. Ein direktes Trauma des M. levator ani in Form einer Avulsion findet sich bei 1 % nach II° Sectio caesarea, in 15 % nach Spontangeburt, in 21 % nach vakuum-assistierter Geburt und in 52 % nach forcepsassistierter Geburt [12]. Höhergradige Dammrisse finden sich bei 1,3–2,3 % nach Spontangeburt, 2–19 % nach vakuumassistierter Geburt und in 6–28 % nach forcepsassistierter Geburt [41, 42]. In einem Review zur vaginal-operativen Geburt werden dieser eine erhöhte Rate an Urin- und Analinkontinenzsymptomen innerhalb der ersten postpartalen Woche gegenüber der Spontangeburt zugesprochen, allerdings bei einer Angleichung der Raten nach 12 Wochen und 6 Monaten [43]. Zudem zeigten sich in diesem Review nach forcepsassistierter Geburt eine häufigere Flatusinkontinenz gegenüber der vakuumassistierten Geburt sowie ein erhöhtes Risiko für Stressinkontinenz, Dranginkontinenz, Analinkontinenz, Vaginaltrauma, Levatoravulsionen/-überdehnungen und Genitaldeszensus 5–10 Jahre postpartal im Vergleich zur Spontangeburt oder vakuumassistierten Geburt [2, 4, 43]. Die Wahl des Cup-System (KiwiOmni-Cup [Laborie Germany Holdings GmbH, München, Deutschland] vs. Metall-Cup) bei vakuum-assistierten Geburten sowie des Forcepstyps bei forcepsassistierten Geburten ist dabei ohne Einfluss auf die Rate der Verletzungen [44,45,46,47]. Letztlich scheint v. a. mehr die optimale Technik als die Wahl des Instrumentes bei vaginal-operativen Entbindungen entscheidend zu sein, sie sollte dem Prinzip von „Schloss und passendem Schlüssel“ folgen.

Letztlich scheint bei vaginal-operativen Entbindungen v. a. die optimale Technik entscheidend

Gerade bei vakuumassistierten Geburten ist auf das korrekte Ansetzen der Glocke über dem Flexionspunkt des fetalen Kopfes zu achten, analog der Beschreibung von Zimmermann in einer früheren Ausgabe von Die Gynäkologie [48].

Episiotomie

Die Indikation zur Episiotomie ist weiter unklar, sollte aber eher restriktiv erfolgen [14, 49]. Die Episiotomieraten sind sehr stark abhängig von der Art des Geburtsmanagements und daher nur mäßig gut vergleichbar. Die „number needed to treat“ (NNT) zur Verhinderung eines höhergradigen Dammrisses beträgt je nach Studie und je nach vaginalem Geburtsmodus und verwendetem Instrument 8–167. Diese Bandbreite kommt dadurch zustande, dass der Nutzen einer Episiotomie umso ausgeprägter ist, je größer das Hintergrundrisiko einer Gebärenden und der Geburtsinstitution ist und zudem ist es abhängig von dem jeweiligen Geburtsmanagement einer Institution. Je größer das Risiko und je höher die Rate an Dammrissen Grad III und IV in einer Institution, desto erfolgversprechender ist auch eine Episiotomie. Der Nutzen einer Episiotomie findet sich noch am ehesten bei Erstgebärenden bei vaginal-operativen Geburten, v. a. bei Forcepsentbindungen, oder zusätzlichen Risikofaktoren [41]. Zu bedenken ist auch, dass durch das Setzen einer Episiotomie eine iatrogene Verletzung gesetzt wird, welche ebenfalls mit Problemen vergesellschaftet sein kann, wie z. B. Schmerzen, Wundheilungsstörungen, Blutungen, Dyspareunie oder einer Beckenbodenschwäche [50].

Das Setzen einer Episiotomie ist eine iatrogene Verletzung – mit eigenen möglichen Komplikationen

Auf das Auftreten von Levatoravulsionen hat eine Episiotomie keinen Einfluss [51]. Auch besteht kein erhöhtes Risiko, im Rahmen einer Episiotomie den Levatormuskel zu verletzen, selbst nicht bei Setzen einer lateralen Episiotomie [51]. Grundsätzlich empfiehlt sich im Falle einer Indikation zu einer Episiotomie jedoch die mediolaterale Schnittrichtung in einem Winkel von (45–)60° von der Mittellinie ausgehend [41, 52].

Dammschutzmaßnahmen

Dammmassage

Gemäß des systematischen Reviews mit Metaanalyse von Lucena da Silva et al. vermag eine Dammmassage vor der Geburt die Rate an Dammverletzungen zu senken (RR [„risk ratio“] = 0,69, 95 %-KI 0,54–0,87, p< 0,01), während eine Massage während der Geburt dies nicht zeigen konnte (RR = 1,06, 95 %-KI 0,88–1,28, p< 0,01; [14, 29]). Andere Arbeiten konnten dies nicht bestätigen bzw. fanden einen Effekt gerade unter der Geburt, nicht aber in der antenatalen Phase [7, 14]. Tendenziell scheinen v. a. Erstgebärende und Frauen > 30 Jahre von einer Massage zu profitieren [29]. Großzügig kann daher in der antepartalen und intrapartalen Situationen zur Durchführung einer Dammmassage geraten werden.

EPI-NO®

Der EPI-NO®-Dammtrainer (Tecsana GmbH, München, Deutschland), ein antepartal intravaginal eingeführter Ballon zur Vordehnung des Geburtskanals und des Introitus, vermag die Rate an Levator- und Dammverletzungen nicht zu senken [29, 53]. Hilfreich kann er jedoch durchaus in der mentalen Vorbereitung der Schwangeren bezüglich der Veränderungen des Geburtskanals durch den tiefertretenden Kopf sein.

Auflage von Kompressen

In einem systematischen Review mit Metaanalyse von Lucena da Silva et al. zeigte sich die Anwendung warmer Kompressen am Damm während der Geburt als nicht protektiv bezüglich Auftretens von Dammverletzungen (RR = 1,02, 95 %-KI 0,95–1,10, p< 0,01), wohingegen im systematischen Review mit Metaanalyse von Magoga et al. und im Cochrane Review von Aasheim et al. die Anwendung warmer Kompressen mit einer höheren Rate an intaktem Damm (22,4 vs. 15,4 %; RR 1,46, 95 %-KI 1,22–1,74) und einer niedrigeren Rate an Episiotomien (10,4 vs. 17,1 %; RR 0,61, 95 %-KI 0,51–0,74) und höhergradigen Dammverletzungen (1,9 vs. 5,8 %; RR 0,34, 95 %-KI 0,20–0,56 bzw. RR 0,46, 95 %-KI 0,27–0,79) einherging [14, 29, 54].

Die Auflage kalter Kompressen ist ohne Nutzen [14].

Öl‑/Wachsapplikation

Applikation von Öl oder warmem Wachs am Damm ist ohne Evidenz für einen Nutzen [14].

Gleitgelanwendung

Die Anwendung von Gleitgel intravaginal bzw. perineal konnte keine signifikante Reduktion der Rate an Dammverletzungen zeigen (RR = 0,91, 95 %-KI 0,66, 1,24, p< 0,01), mit jedoch positiver Tendenz in diese Richtung [29]. Allerdings sind diese Daten mit Vorsicht zu interpretieren, da keine genauen Angaben zu Mengen, Zusammensetzungen, Applikationsintervallen und Zeitpunkten getätigt wurden. Im Zweifelsfall schadet die Anwendung jedoch nicht und ein Nutzen kann nicht ausgeschlossen werden.

Geburtsposition

Die aufrechten Gebärhaltungen sind gegenüber den liegenden Positionen grundsätzlich hinsichtlich der Rate an Dammverletzungen von Vorteil, allerdings empfiehlt sich hierbei die Wahl einer Position mit gute Kontrollmöglichkeit des Dammes [7, 55].

Presstechnik

Hinsichtlich der Presstechnik, nämlich ob die Gebärende spontan nach eigenem Gefühl oder angeleitet mittels Valsalva-Manöver presst, zeigen sich keinerlei Unterschiede in der Rate von Dammverletzungen, bei jedoch erhöhter maternaler Zufriedenheit beim spontanen Pressen [14, 29]. Eine höhere Rate höhergradiger Dammverletzungen zeigte sich jedoch dann, wenn im Falle des Kopfdurchtritts (aOR 3,10; 95 %-KI 1,75–5,47) aktiv gepresst statt lediglich geatmet wurde [55].

Manueller Dammschutz

Die Daten zum manuellen Dammschutz sind uneinheitlich und die Studienlage sehr heterogen bei insgesamt schlechter Studienqualität. Während verschiedene Arbeiten bei der „hands off“ Methode eine Reduktion an Dammverletzungen und Episiotomien sehen, konnten andere Arbeiten dies nicht zeigen und schreiben der „hands on“ Methode im Gegenteil eine Reduktion der Rate höhergradiger Dammverletzungen zu [7, 14, 56]. Bemerkenswert ist, dass durch intensive, umfassende Schulungsprogramme in Skandinavien zum Thema Dammschutz eine deutliche Reduktion höhergradiger Dammrisse verzeichnet werden konnte, mit einer Reduktion der Rate bei Spontangeburten von 3–5 % auf 0,6–2 % und bei vaginal-operativen Geburten von 13–23 % auf 5,5–6,5 % [42].

In einer biomechanischen Simulationsstudie zum manuellen Dammschutz wurden 38 Varianten von „hands on“ mit „hands off“ als Referenz hinsichtlich der maximalen Dammspannung verglichen [57]. Die geringste Dammspannung trat bei einem Fingerabstand vom Daumen zu den restlichen Fingern der Dammhand von 12 cm auf, wobei die Finger jeweils 2 cm oberhalb der hinteren Kommissur lagen und bei Kopfdurchtritt je 1 cm nach medial bewegt wurden. Diese Variante suggeriert hinsichtlich Dammrissen die ideale Handhabe am Damm.

Hilfsmittel

In einer einzigen prospektiv randomisierten Studie mit knapp 1150 Vaginalgeburten (90 % spontan, 10 % vaginal-operativ) konnte durch den Einsatz eines Dammschutzhilfsmittels, des sog. BabySlide® (Karo Pharma AB, Stockholm, Schweden), die Rate an intaktem Damm in der Interventionsgruppe signifikant um 8 % erhöht werden (von 27 auf 35 %; [58]). Dieser Effekt muss sich jedoch noch in weiteren Studien bestätigen. Daten zur Anwendung bei ausschließlich vakuumassistierten Geburten werden demnächst publiziert.

Schulterentwicklung

Hinsichtlich der Reihenfolge der fetalen Schulterentwicklung (vordere oder hintere zuerst) können keine evidenzbasierten Empfehlungen gemacht werden [14].

Wassergeburt

In einem Cochrane Review zeigten sich der Aufenthalt im Wasser während der Geburt sowie die eigentliche Geburt im Wasser hinsichtlich Dammverletzungen nicht protektiv [14].

Fazit für die Praxis

  • Schwangerschaft und Geburt sind Hauptrisikofaktoren für Beckenbodenschäden. Aufgrund z. T. eingeschränkter therapeutischer Möglichkeiten, v. a. hinsichtlich Levatoravulsionen oder -überdehnungen, kommt der Protektion von Beckenbodenschäden peripartal eine besondere Rolle zu.

  • Es empfiehlt sich eine gezielte Selektion solcher Frauen, deren Grundvoraussetzungen für eine beckenbodenschonende Geburt eher als suboptimal zu bewerten sind.

  • Mit diesen Frauen kann großzügig die Möglichkeit einer primären Sectio caesarea besprochen werden. Bei allen anderen Frauen können im Rahmen der vaginalen Geburt bis zu einem gewissen Grad die Geburtsmechanik und der Geburtsverlauf im Sinne einer Primärprävention positiv beeinflusst werden.

  • Ziel sollte es sein, Beckenbodenschäden soweit als möglich zu vermeiden oder zumindest größtmöglich zu reduzieren.