Erwartungshorizonte im Studium

Die Erwartungen an Medizinstudierende sind bundesweit identisch, da die notwendigen Fähigkeiten zum Erwerb der ärztlichen Approbation in Deutschland einheitlich in der Approbationsordnung festgeschrieben sind. Aktuell befindet sich das Medizinstudium in einer Transformationsphase, nachdem im Jahre 2020 der Referentenentwurf der neuen ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) verabschiedet wurde [1].

Der ebenfalls überarbeitete Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM 2.0) lehnt sich an die neue ÄApprO an. Die neue ÄApprO und der NKLM 2.0 sollen einen grundlegenden Paradigmenwechsel für die Lehre in der Humanmedizin bewirken. Zentrale Änderungen sind hierbei, dass das Studium insgesamt praktischer werden soll und dass Fähigkeiten und Kompetenzen vermittelt werden, mit denen angehende Ärzte im späteren Berufsalltag häufig konfrontiert werden [2].

Aktuell befindet sich das Medizinstudium in einer Transformationsphase

Multiple-Choice-Fragen stellen dabei noch immer einen wichtigen Pfeiler der Lernkontrolle dar, jedoch wird ihre Wichtung deutlich durch die Neueinführung von standardisierten klinisch-praktischen Prüfungsformaten reduziert. Die Studierenden sollen auf diese Weise angehalten werden, Wissen aktiv zu reproduzieren und anzuwenden. Der Transfer von theoretischem Wissen auf praktische Arbeitsabläufe soll so gelehrt und gefördert werden [1, 3].

Neben fachlichem Wissen sind im klinischen Alltag auch „soft skills“ von hoher Relevanz. Anamneseerhebung, klinische Untersuchungen und Therapiemaßnahmen sind ebenso wichtig für die kompetente Betreuung und Behandlung von Patientinnen wie das Durchführen einer strukturierten Visite, Patientenkommunikation und interprofessionelles Teamwork.

Grundlegende ärztliche Fähigkeiten sollen am Ende des Studiums beherrscht werden, sodass ein möglichst reibungsloser Übergang der jungen Mediziner aus der akademischen Theorie in die Krankenhauspraxis erfolgen kann.

Im angloamerikanischen Raum und den Niederlanden sind für den umfassenden Kompetenzerwerb sogenannte „entrustable professional activities“ (EPAs) fest in der Ausbildung werdender Medizinerinnen und Mediziner in den letzten Jahren zunehmend etabliert worden. Bereits im Jahr 2014 führte die Association of American Medical Colleges (AAMC) 13 „Core EPAs“ ein, die Medizinstudierende als zentrale Elemente der medizinischen Ausbildung vor ihrem Eintritt ihr Berufsleben beherrschen müssen. Auch in der Facharztausbildung wird das Prinzip der EPAs angewandt, wobei jede Fachrichtung einen spezifischen EPA-Katalog hat. Somit kann auch hier eine kompetenzorientierte Ausbildung gewährleistet werden [4]. Die Entwicklung und Etablierung von EPAs wird zukünftig ein wichtiger Bestandteil in der Lehre der Gynäkologie und Geburtshilfe sein.

Vorhandene Strukturen des praktischen Kompetenzerwerbs während des Studiums

Der Kompetenzerwerb von praktischen Fähigkeiten in den klinischen Fächern, wie z. B. der Frauenheilkunde, nimmt einen festen Platz im Lehrplan der medizinischen Fakultäten ein. Diverse Praktika sind abzuleisten und stellen neben dem Nachweis der akademischen Qualifikation in Prüfungen ein Zulassungskriterium für die Staatsexamina dar.

So wird in den vorklinischen Semestern ein dreimonatiges Pflegepraktikum und, gemäß dem Referentenentwurf der neuen ÄApprO im klinischen Studienabschnitt, eine ebenso lange Famulatur abgeleistet. Studierende sollen hier in den ersten unmittelbaren Kontakt mit ärztlichen Aufgabenfeldern kommen und das zuvor erworbene theoretische Wissen in die klinische Praxis übertragen. Nur einzelne Fachgesellschaften haben hierfür Leitfäden erstellt, wobei der Lernerfolg oft sehr individuell und verschieden ist [5]. Der Lernerfolg ist ausschließlich von dem Engagement der Ärzte und der Motivation der Studierenden abhängig; es existieren keine einheitlichen Lernziele, sodass EPAs auch bereits auf dieser Stufe der medizinischen Ausbildung zur strukturierteren Durchführung der Praktika herangezogen werden sollten.

Das PJ in Deutschland stellt den letzten Studienabschnitt des Medizinstudiums dar und soll die reibungslose Transition in die berufliche Praxis sicherstellen. Gleichzeitig ist das PJ auch eine Berufsfindungsphase und bietet mit der Entscheidung für ein Wahltertial eine erste inhaltliche Schwerpunktsetzung. Das PJ am Ende des Studiums bietet damit die intensivste Konfrontation mit der Arbeitswelt. Zukünftig werden die Studierenden in vier Fachdisziplinen aktiv an der Patientenversorgung teilnehmen, um ihr klinisches Wissen anwenden zu können und den Übergang in den späteren Berufsalltag möglichst sanft zu gestalten. Jeweils ein Quartal in den Grundlagenfächern Chirurgie und Innere Medizin ist obligatorisch. Darüber hinaus ist der Einsatz in der hausärztlichen Versorgung und in einem Wahlfach laut Referentenentwurf der neuen ÄApprO vorgesehen [1]. Fakultätsinterne Logbücher sollen den Studierenden als ein praktischer Leitfaden im PJ dienen und einen Überblick über ihre erworbenen Fähigkeiten geben [6]. Unabhängig davon haben Fachgesellschaften – einschließlich der DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) – ebenfalls PJ-Curricula entworfen, welche die wichtigsten Aspekte des jeweiligen Fachbereichs abdecken [7].

Im Vergleich zu anderen Studienabschnitten ist das PJ hinsichtlich der Lerninhalte keinen tiefgreifenden Regulierungen unterworfen. Die ÄApprO schreibt das Erstellen von Logbüchern vor, letztlich ist es aber nicht definiert, welche klinischen Inhalte in den jeweiligen Pflicht- und Wahlfächern abgebildet werden müssen. Stattdessen muss man davon ausgehen, dass die inhaltliche Ausgestaltung des PJ und damit der Lernerfolg vom Zufall abhängen.

Gerade letzteres ist in der medizinischen Ausbildungsforschung ein schwieriger Aspekt, denn nicht nur für das PJ gilt, dass Lernerfolg keiner festen Definition unterliegt bzw. andersherum viele unterschiedliche Facetten umfassen kann. Umso erstaunlicher ist es, dass das PJ als relevante Schnittstelle zwischen „theoretisch-klinischem“ Studium und erster „klinisch-praktischer“ Tätigkeit als Berufsfindungsphase einer so geringen Reglementierung in Deutschland unterliegt. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten wird das PJ als „Blackbox“ tituliert, was sich wiederum auf die medizindidaktische Intransparenz des Kompetenzerwerbs in dieser Studienphase bezieht [8].

Logbücher dienen dabei primär der persönlichen Lernerfolgskontrolle. Doch weder werden sie in der Praxis jedoch aktiv und flächendeckend kontrolliert oder abgeglichen noch sind sie für die Zulassung zum M3/M4-Examen als Leistungsnachweis obligatorisch. Daraus ergibt sich eine mangelnde Relevanz im klinischen Alltag, denn viele Studierende nutzen die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Lernkontrolle wenig bis gar nicht [9, 10].

Inhaltlich erfassen die Curricula oft nur explizite Tätigkeiten, wie „Mitwirkung bei gynäkologischen Operationen“, „Begleitung einer Geburt im Kreißsaal“ oder „Teaching zum Umgang mit wichtigen gynäkologischen Notfallsituationen“ [7]. Diese bieten somit nur die Kontrolle eines punktuellen Kompetenzerwerbs und stellen diesen nicht in einen größeren klinischen Kontext. Somit werden die Studierenden im klinischen Setting oft mit dem Problem konfrontiert, keine zusammenhängenden Tätigkeiten auszuführen oder eine Aufgabe nicht vollständig erfüllen zu können. Die Durchführung klinischer Untersuchungen, beispielsweise, wird gelehrt, doch die Dokumentation, Organisation der stationären Aufnahme oder die weitere Therapieplanung fallen in die Hände von erfahreneren Kollegen. Weiterhin ist ein gängiges Modell für den Kompetenzerwerb nach wie vor das Dreyfussche Modell: „see one, do one, teach one“. Dies wird häufig in opportunistischen Lehrsituationen angewandt, gewährleistet aber nur zum Teil eine qualifizierte und strukturierte Ausbildung junger Mediziner [11].

Kompetenzorientierte Formate im Rahmen von OSCE-Prüfungen schließen eine Ausbildungslücke

Die Erfahrungen der angehenden jungen Ärzte in ihrem PJ sind sehr unterschiedlich. Es ist nicht auszuschließen, dass nur unzureichende klinische Kompetenzen erlernt werden und die jungen Mediziner mangelhaft vorbereitet in den Berufsalltag starten. Dabei sollen kompetenzorientierte Prüfungsformate im Rahmen von OSCE(„objective structured clinical examination“)-Prüfungen diese Lücke nun perspektivisch schließen [12].

Kompetenzen und EPAs: Was sind EPAs?

Der NKLM unterteilt sich in 2 große Teile: (I) Abschnitt „Konsultationsanlässe/Erkrankungen“ (Kapitel V und VI), (II) Abschnitt „Übergeordnete und Krankheitsbezogene Lernziele/Übergeordnete Kompetenzen“ (Kapitel VII und VIII). Der erste Teil erfüllt eine rein deskriptive Aufgabe und beschreibt Erkrankungen und Konsultationsanlässe. Diese werden durch Deskriptoren wie „Grundlagen“, „Diagnose“, „Therapie“, „Notfall“ „Prävention/Rehabilitation“ und „Management“ spezifiziert. Der zweite Teil orientiert sich am Konzept des kompetenzbasierten Lernens. Die definierten Kompetenzen setzen sich hierbei hierarchisch aus Teilkompetenzen und operationalisierten Lernzielen zusammen. „Übergeordnete und krankheitsbezogene Lernziele“ sollen die Grundkenntnisse physiologischer und pathologischer Funktionen des menschlichen Körpers, diagnostischer Verfahren, therapeutischer Maßnahmen und Notfallmaßnahmen abdecken. „Übergeordnete Kompetenzen“ sind medizinisch-wissenschaftliche Fertigkeiten, ärztliche Gesprächsführung, interprofessionelle Kompetenzen, Gesundheitsberatung, Führung und Management, professionelles Handeln und klinisch-praktische Fähigkeiten. Die Kompetenztiefe, in welcher die Lernziele erreicht werden sollen, wird in 4 Stufen erfasst. Zum einen handelt es sich um Wissenskompetenzen (Stufen 1 und 2), zum anderen um Handlungskompetenzen (Stufen 3a und 3b). Die Abstufung der Handlungskompetenzen erfolgt durch das erforderliche Maß an Supervision, welche der Studierende zur Ausübung der Kompetenz benötigt. Es ist ebenfalls festgelegt, in welchen Zeiträumen die Studierenden die Lernziele erreichen sollen. Diese Zeitpunkte werden als Meilensteine bezeichnet und sind für jede Kompetenz im NKLM aufgeführt [2].

In den Kapiteln VII und VIII des NKLM lassen sich Parallelen zu den im Folgenden beschriebenen EPAs finden. EPAs werden als Arbeitseinheiten definiert, die in einem angemessenen zeitlichen Rahmen zu bewältigen sind und die nur von fachkundigen Lehrenden durchführt und beurteilt werden können. Sie erfordern klinische, organisatorische und persönliche Kernkompetenzen und bilden multifaktorielle, komplexe Arbeitsabläufe, wie z. B. „Anamneseerhebung und klinische Untersuchung“, „Vornehmen oder Erhalten von Übergaben“, „Durchführung von ärztlichen Tätigkeiten“ und auch „Teamwork“ [13]. Das Aneignen von Kompetenzen wird in der Literatur für jeden Lernfortschritt als „Meilenstein“ beschrieben [14]. Meilensteine stellen den Progress eines Studierenden dar. Sie eignen sich besonders gut dazu, Lernfortschritt zu evaluieren und Lernziele immer wieder neu und individuell anzupassen.

Anhand von Meilensteinen lassen sich Lernziele immer wieder individuell anpassen

EPAs sind geeignet, ein Urteil bezüglich der Qualifikation der Ausführenden für den selbstständigen Umgang mit anvertrauten Aufgaben zu fällen. Dabei sollen die Studierenden ihre Kompetenzen so weiterentwickeln, dass die EPAs im Endstadium ohne Supervision durchgeführt werden können. Eine Abstufung erfolgt im Ausmaß der autonomen Durchführung von Aufgaben. Das Spektrum erstreckt sich vom erforderlichen Teaching über teilbeaufsichtigte Ausführung bis hin zur Qualifikation, andere Studierende eigenständig anlernen zu dürfen. Ein Progress auf dieser Skala wird bereits als Meilenstein bewertet [15].

Eine EPA impliziert stets die Beherrschung mehrerer Kompetenzen gleichzeitig. „Core EPAs“ sind sehr weit gefasst und beinhalten mehrere Sub-Arbeitseinheiten. Diese untergeordneten „tasks“ nennen sich „Nested EPAs“ und sollen verdeutlichen, welche Teilaspekte für die Erfüllung der großen, abstrakt formulierten EPAs nötig sind.

Die Bewertung von kleineren Lernzielen („Nested EPAs“) erleichtert es, den Überblick über den Lernfortschritt zu behalten und „Core EPAs“ aufzubrechen [16]. Zudem erlauben „Nested EPAs“ die Integration des didaktischen Systems in frühere Studienabschnitte, da sie es ermöglichen, leichtere und weniger komplexe Arbeitsschritte zu erlernen. Diese Vorgehensweise dient in den Niederlanden bereits zur Kontrolle von Lernerfolg der Studierenden in Praktika [17].

Nicht nur in der medizinischen Ausbildung werden EPAs genutzt, um Kompetenzen zu erlangen. In Amerika und Kanada haben fachspezifische EPAs schon Einzug in die Weiterbildungscurricula erhalten (Abb. 1). Sie umfassen Aspekte des fachlichen Wissenserwerbs und Ausführung von ärztlichen Eingriffen. Diese Erweiterung der EPAs auf die postgraduale Ausbildung ermöglicht eine strukturierte und standardisierte Ausbildung im Beruf und gewährleistet darüber hinaus eine dezidierte und lückenlose fachorientierte Weiterbildung [4].

Abb. 1
figure 1

Implementierung von EPAs („entrustable professional activities“) in die medizinische Aus- und Weiterbildung

EPAs – mehr als das bisherige PJ?

Um EPAs mit den PJ in Deutschland vergleichen zu können, müssen spezifische Vorgaben für die Anwendung von EPAs festgelegt werden.

EPAs setzen eine intensivere Betreuung der PJ-Studierenden voraus, denn für die Dokumentation des Lernfortschritts ist ein fester Supervisor verantwortlich. Dieser kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Studierenden eingehen und Kompetenzen können spezifischer trainiert werden. So können leichter neue Lernziele gesetzt werden, welche den Studierenden als Meilensteine dienen [18]. Studierende im ersten Tertial müssen oft intensiver angeleitet werden als Studierende, die bereits 2 PJ-Tertiale absolviert haben. Es ist wichtig, zu Beginn eine Selbsteinschätzung der Studierenden einzuholen, um bereits Erlerntes schneller als selbstständige Aufgabe in die Hände der Studierenden übertragen zu können. Die eigenmotivierte Arbeitsbereitschaft der Studierenden nimmt zu, sobald diese verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen dürfen. Dieses System dient demnach als Selbstverstärker für den Lernerfolg. Weiterhin ist das PJ eine akademische Lehrveranstaltung, sodass die Lehre von Fachwissen ein essenzieller Bestandteil sein muss. Die Gewährleistung dessen erfolgt durch Lehrvisiten und PJ-Unterricht.

EPAs in der Frauenheilkunde

Kompetenzbasierte Lehrmodelle bilden in vielen Ländern bereits die Grundlage der ärztlichen Weiterbildung in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Vor allem in den USA, in Kanada, Großbritannien und den Niederlanden sind kompetenzbasierte Modelle schon gängige Praxis und werden dort seit einigen Jahren angewendet.

Obwohl in all diesen Ländern EPAs Anwendung finden, variieren die Curricula stark. Vor allem in Bezug auf die Dauer der Ausbildung (mindestens 4, maximal 7 Jahre), die inhaltliche Zusammensetzung und in der genauen Umsetzung der EPAs ergeben sich große Unterschiede. So schwankt der Umfang der EPA-Kataloge in der gynäkologischen und geburtshilflichen Weiterbildung von 19 (Kanada) bis hin zu 28 EPAs (Niederlande/USA). Die Lehrmodelle sind demnach als Gesamtpaket nicht universell übertragbar und müssen an die lokalen Gegebenheiten der ärztlichen Ausbildung und das landesspezifische Gesundheitssystem angepasst werden (Tab. 1; [19,20,21]).

Tab. 1 Gegenüberstellung der internationalen EPAs („entrustable professional activities“)

Nicht nur der Gesamtumfang der Curricula für die Facharztausbildung Gynäkologie und Geburtshilfe ist unterschiedlich, sondern auch der interne Aufbau. So gliedert sich das niederländische Curriculum in „Core EPAs“, die „Nested EPAs“ enthalten, und zusätzlich vertiefende EPAs für die fachinterne Spezialisierung [22]. Das amerikanische Curriculum umfasst insgesamt 6 Ausbildungsziele, welche in Unterkategorien durch EPAs tmit den 6 allgemeinen ACGME(The Accreditation Council for Graduate Medical Students)-Kompetenzen verknüpft sind [23].

Zudem unterscheiden sich die Systeme in der Bewertung der Selbstständigkeit. So wird in den USA im Rahmen des Obstetrics and Gynecology Milestone Project eine numerische Skala von Level 1–5 angewandt, mit welcher die Kompetenztiefe junger Mediziner bewertet wird (Tab. 2; [23]).

Tab. 2 Ausschnitt aus dem amerikanischen Milestone-Project-Bewertungsbogen [23]

In den Niederlanden fordern die Assistenzärzte eigenhändig über ihr elektronisches Portfolio sogenannte STARs (Statement of Awarded Responsibility) für absolvierte EPAs an. Einer STAR-Anfrage folgt die Evaluation der Kompetenz und Qualifikation des anfordernden Arztes durch den Betreuer. Wenn entsprechende Kompetenzen erreicht werden, wird der STAR gewährt und der auszubildende Arzt kann EPAs auf einem höheren Selbstständigkeitsniveau selbstständig ausführen. Die Portfolios liefern somit einen guten Überblick über den Ausbildungsstatus und Progress des Kompetenzerwerbs innerhalb der eigenen Abteilungen und dienen als ein Vergleichswerkzeug für die Ausbildungsqualität zwischen verschiedenen Kliniken. Zusätzlich sind die Portfolios transferierbar und können bei einem Arbeitsplatzwechsel am neuen Arbeitsplatz weitergeführt werden [22].

Die EPAs aller EPA-Kataloge basieren auf dem Prinzip der 7 CanMEDS-Rollen

Gemeinsam haben jedoch alle EPA-Kataloge, dass ihre EPAs auf dem Prinzip der 7 Rollen der Canadian Medical Education Directives for Specialists (CanMEDS) aufbauen. Nach diesem Prinzip muss ein Arzt 7 Rollen erfüllen, um die Gesundheitsversorgung auf professioneller Ebene zu gewährleisten. Hierbei handelt es sich um die Rollen eines medizinischen Experten, welcher gleichzeitig immer auch die Rolle des Kommunikators, des Teammitglieds, der Führungskraft, des Befürworters der Gesundheit, des Gelehrten und der Fachperson erfüllen muss [24, 25]. Jeder dieser Rollen kommen spezifische Aufgaben zu, welche differenziert und klar definiert in den EPA-Katalogen aufgeführt werden.

Gemeinsam haben alle Systeme eine regelmäßige Bewertung des Lernfortschritts. Evaluationen werden durch diverse Systeme, wie Mini-Clinical Evaluation Exercise Bögen (CEX-Bögen), elektronische Portfolios (ePass) oder auch Apps erfasst. Durch diese Dokumentation können Lernziele bewertbar und der Progress messbar gemacht werden, sodass eine individuellere Anpassung von Lernzielen erfolgen kann und gewährleistet wird, dass die ärztliche Weiterbildung nicht stagniert. Durch die Anwendung von kompetenzbasierten Lernzielkatalogen können eine strukturierte Facharztausbildung gewährt werden, der Fortschritt der jungen Ärzte besser gefördert und die Patientensicherheit erhöht werden.

Ausblick: Was ist zu tun für die Implementierung der EPAs in die Frauenheilkunde?

Das PJ bietet die besten Voraussetzungen, um mit kompetenzorientierten Lehrmodellen einen verantwortungsvollen Umgang mit Patientinnen in der Frauenheilkunde zu lehren und den Übergang vom Studium zum Berufseinstieg zu ebnen. EPAs sind hierbei ein besonders geeignetes Mittel, um solche praktischen Kompetenzen zu erwerben und sollten zukünftig obligat angewendet werden.

Da das Fach Gynäkologie und Geburtshilfe zu den Wahlfächern gehört, ist hier tendenziell die Motivation der Studierenden besonders hoch, umfassende Fähigkeiten zu erlernen, da in der Regel ein intrinsisches Interesse an dem Fach und einer möglichen Facharztausbildung besteht. Das Erlernen und eigenständige Durchführen praktischer klinischer Tätigkeiten ist ein zentraler Faktor für die Zufriedenheit der Studierenden und somit auch für die Entscheidung relevant, eine Facharztweiterbildung in der Frauenheilkunde zu beginnen [26]. Dies ist in dem Kontext des in Zukunft stärker werdenden „Ärztemangels“ von Bedeutung. Besonders in der mit hohen Risiken behafteten Geburtshilfe muss die Patientensicherheit an erster Stelle stehen, wobei auf das Wohl der Schwangeren und des Kindes zu achten ist. Auch in der Gynäkologie muss schon von Berufseinsteigern eine besondere fachspezifische Professionalität geboten werden, um die Intimsphäre der Patientinnen zu wahren. Je mehr Erfahrung im Rahmen der studentischen Ausbildung gesammelt werden kann, desto besser und verantwortungsvoller kann eine optimale Patientinnenversorgung in diesen besonderen Fachbereichen erfolgen.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine auf Studierende zugeschnittenen fachspezifischen EPAs in der Frauenheilkunde. Welche EPAs sinnvoll und umsetzbar sind, muss noch evaluiert werden. Die bereits vorhandenen internationalen „OB/GYN EPAs“ können dabei als Vorlage dienen (Tab. 1). Auch die 13 AAMC „Core EPAs“ sind auf das PJ-Quartal und die Frauenheilkunde anwendbar, da sie für alle Fachbereiche universell entworfen wurden. Sie können als Grundlage dienen und durch fachspezifische EPAs ergänzt werden, welche beispielsweise unkomplizierte Schwangerschaften und Geburten, gynäkologische Notfälle oder die grundlegende gynäkologische Onkologie abdecken. Das aktuelle Curriculum der DGGG und auch der NKLM können dezidierte Anhaltspunkte liefern, um EPAs inhaltlich zu definieren (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Einflüsse auf die Erstellung von EPAs („entrustable professional activities“) für das Praktische Jahr (PJ) in der Frauenheilkunde. AAMC Association of American Medical Colleges, DGGG Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, GYN/GEB Gynäkologie/Geburtshilfe, NKLM Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin

Somit kann gewährleistet werden, dass Studierende inhaltlich adäquat auf das letzte Staatsexamen vorbereitet werden.

Die bereits im Studium implementierten Prüfungselemente können ebenfalls in Form von Simulationen weiter Anwendung finden. Im Rahmen des graduellen Kompetenzerwerbs ist es denkbar, dass klinisch-praktische Übungen durch qualifizierte PJ-Studierende angeleitet werden. Somit können sie ihr erworbenes Wissen in der Frauenheilkunde in Kombination mit erlernten Fähigkeiten, wie z. B. Untersuchungstechniken, an jüngere Kommilitonen weitergeben, was wiederum ihr EPA-Portfolio erweitert. Zudem können diese Elemente, welche für jüngere Studierende konzipiert sind, ausgebaut werden, sodass PJ-Studierende die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Kompetenzen auf Simulationsbasis zu erweitern.

Der Erwerb der EPAs kann leicht an innerklinische Rotationen gekoppelt werden. Die Gesamtdauer des PJ Quartals von 12 Wochen können in jeweils 6 Wochen gynäkologische und 6 Wochen geburtshilfliche Rotation aufgeteilt werden. Weitere klinikinterne Rotationen sollten in Basis- und erweiterte Rotationen eingeteilt werden. In den Basisrotationen müssen entsprechende Kompetenzen erworben werden, welche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Dienst in der Gynäkologie und Geburtshilfe wären. Hierzu zählen zuallererst die Ambulanzarbeit, das Management in Notfallsituationen sowie die Arbeit im Kreißsaal.

Der Erwerb der EPAs kann an innerklinische Rotationen gekoppelt werden

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht alle EPAs gleich zu gewichten sind. Im Rahmen der begrenzten Zeit im PJ muss gewährleistet sein, relevante und unverzichtbare Kompetenzen zu erlernen und diese im Verlauf durch fakultative EPAs und Kompetenzen zu erweitern.

Erst bei erfolgreicher Absolvierung der „Core EPAs“/Rotationen sollte der Wechsel in die nächste Abteilung erfolgen. Somit kann das Lerntempo individuell angepasst und gewährleistet werden, dass Studierende die wichtigsten Aspekte des jeweiligen Fachbereichs beherrschen (Abb. 3 und 4).

Abb. 3
figure 3

Rotationshierarchie in der Gynäkologie

Abb. 4
figure 4

Rotationshierarchie in der Geburtshilfe

Studierende sind durch ihre akademische Laufbahn daran gewöhnt, vor allem durch Noten beurteilt zu werden. EPAs bieten die Möglichkeit, das Notensystem zu verlassen und spezifische Kompetenzen zu erwerben, welche mittels Analysen beurteilt und mit Vertrauen belohnt werden. Durch regelmäßige Evaluation des Lernerfolgs können Lernziele individuell angepasst werden. So können sich die Studierenden in einem strukturierten Lehrsystem entfalten, statt passiv auf opportunistische Lehrsituationen warten zu müssen. Demnach wird das Lernen von wichtigen Fertigkeiten und Arbeitsabläufen garantiert und die Motivation wird durch regelmäßige Erfolgserlebnisse und selbstständiges Arbeiten gefördert.

Ein EPA-basiertes Lehrkonzept erfordert eine intensive Betreuung der Studierenden. In jeder Abteilung müssen feste Supervisoren vorhanden sein, welche die Arbeit der Studierenden betreuen, bewerten und ihnen bei Fragen mit Rat und Tat zu Seite stehen. Die Evaluation des Lernerfolges sollte eine für den Studierenden verantwortliche Person durchführen. Wenn der Studierende in einem größeren Team wechselnde Aufsichtspersonen hatte, sollte eine gemeinschaftliche Einschätzung des Fortschritts erfolgen.

Um den Lernfortschritt im PJ zu verfolgen, muss es leicht zu handhabende Evaluationstools geben, etwa in Form von Apps oder digitalen Logbüchern. Wichtig ist die obligatorische und regelmäßige Bewertung der Studierenden. Diese kann in regelmäßigen Turnussen oder individuell auf persönliche Anfrage der Studierenden erfolgen. Die Bewertungsbögen können als Leistungsnachweise und Teilnahmebescheinigungen dienen und am Ende des Quartals zum Erhalt des PJ-Zeugnisses vorgelegt werden.

Ein EPA-basiertes Lehrsystem zeigt in Hinblick der Anwendbarkeit auf das PJ jedoch noch einige Limitationen. Die erste Limitation ist der zeitliche Rahmen, in welchem das PJ absolviert wird. Eine dreimonatige Rotation in der Gynäkologie und Geburtshilfe ist eine sehr kurze Zeit, um umfassende Kenntnisse und Kompetenzen zu erwerben. Diese Problematik könnte durch 2 potenzielle Lösungsansätze durchbrochen werden. Entweder durchlaufen die Studierenden weniger klinikinterne Rotationen und erwerben in den grundlegenden fachspezifischen „Core EPAs“ tiefgreifende Kompetenzen oder die Studierenden rotieren häufig und in schnellem Wechsel, sodass sie viele Eindrücke aus den verschiedenen Abteilungen sammeln, jedoch Kompetenzen nur oberflächlich erwerben können.

Die zweite Limitation stellt der höhere Betreuungsaufwand dar. Studien konnten hier zeigen, dass der „workload“ der betreuenden Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Aspekten mit der Supervisionsleistung interagiert [27]. Die PJ-Studierenden müssen vor allem am Anfang sehr intensiv betreut und angelernt werden. Sie müssen aktiv in ärztliche Arbeitsprozesse integriert werden und somit die Entwicklung vom passiven Beobachter zum Lehrling zu erreichen. Regelmäßige Evaluationen sind obligatorisch, in Form von Einschätzungsbögen oder in persönlichen Gesprächen, um Lernziele anpassen zu können und Meilensteine möglichst schnell zu erreichen. Dies erfordert entweder einen engagierten Betreuer oder ein starkes Ärzteteam, das die Verantwortung für die Ausbildung der Studierenden übernimmt und dies neben den alltäglichen klinischen Aufgaben bewältigen kann. Es ist zu vermuten, dass der Betreuungsaufwand mit dem Progress des Lehrlings kontinuierlich abnimmt, da dieser die ihm anvertrauten Tätigkeiten vermehrt selbstständig ausführen kann. Perspektivisch kann ebenfalls angenommen werden, dass lange Einarbeitungsphasen zu Beginn der Assistenzarztzeit aufgrund von bereits im PJ erlernten Kompetenzen verkürzt werden.

Fazit für die Praxis

  • Die neue Approbationsordnung macht es erforderlich, auch im Praktischen Jahr (PJ) kompetenzorientierte Lehrkonzepte anzuwenden. Dabei stellen EPAs („entrustable professional activities“) in Kombination mit den neu eingeführten klinisch-praktischen Prüfungsformaten in den Staatsexamina eine sinnvolle Erweiterung des kompetenzbasierten Lehrkonzepts im PJ dar.

  • EPAs sind geeignet, den Lernerfolg der Studierenden in den Grundlagen, aber auch fachrichtungsspezifisch zu verfolgen, und unterstützen junge Mediziner maßgeblich beim Einstieg in das Berufsleben.

  • Die Implementierung von EPAs in das Fach der Frauenheilkunde ist zukünftig ein integraler Bestandteil der medizinischen Ausbildung.

  • Spezifische EPAs für das PJ im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe müssen noch entwickelt werden, dabei ist ein modifiziertes innerklinisches Betreuungskonzept notwendig.