Hintergrund

Impfungen gehören zu den wichtigsten Interventionen der Gesundheitsgeschichte. In Deutschland liegen die Impfquoten für die empfohlenen Kinderimpfungen insgesamt auf einem guten Niveau. So wiesen bei Schuleingangsuntersuchungen 2018 in Deutschland 97,2 % der Kinder mit vorgelegtem Impfpass die erste Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) auf und 93,1 % die zweite MMR-Impfung [29]. Die Impfquote für die Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis (DTP) liegt deutschlandweit bei 96,0 % für die erste (DTP1) und bei 89,7 % für die dritte DTP-Impfung (DTP3; [29]). Blickt man allerdings auf die HPV(humane Papillomviren)-Impfung, zeigen sich bundesweit deutlich geringere Impfquoten im Vergleich zu den oben genannten Impfungen.

Gemäß den Daten der KV(Kassenärztliche Vereinigung)-Impfsurveillance am Robert Koch-Institut haben im Jahr 2018 lediglich 43,0 % der 15-jährigen (Geburtsjahrgang 2003) und 51,1 % der 18-jährigen Frauen (Geburtsjahrgang 2000) eine vollständige HPV-Impfserie mit 2 Dosen abgeschlossen [29].

Es ist wichtig, die Barrieren zu identifizieren, die zu einer Auslassung oder Verzögerung der HPV-Impfung führen

Bei den 18-jährigen Männern sind es 1,3 % [29]. Zwar ist die Impfquote bei den 15-jährigen Frauen über die Jahre angestiegen (2011: 27,2 %; 2014: 30 %; 2018: 43 %), allerdings beenden viele die Immunisierung nicht. So haben 63,2 % der 18-jährigen Frauen die HPV-Impfserie mindestens begonnen, aber eben nur 51,1 % haben sie abgeschlossen [29]. Daher ist es hier besonders relevant, die Barrieren zu identifizieren, die zu einer Auslassung oder Verzögerung der HPV-Impfung führen und entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten.

HPV sind eine Virengruppe, die weltweit zu den Hauptursachen für Gebärmutterhalskrebs zählt. Der Gebärmutterhalskrebs ist wiederum weltweit die vierthäufigste Krebsart bei Frauen [2]. HPV gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Erregern [33]. In den meisten Fällen verläuft eine HPV-Infektion harmlos bzw. ohne Symptome. Allerdings können persistierende Infektionen durch die sog. HPV-Hochrisikotypen, mindestens 14 der über 100 verschiedenen bekannten HPV-Typen, Krebs auslösen [33, 34]. Niedrigrisikotypen sind häufig für Genitalwarzen verantwortlich [33], lösen aber keinen Krebs aus. In Deutschland erkranken jährlich rund 4600 Frauen an Gebärmutterhalskrebs und ca. 1500–1600 Frauen versterben daran. Weltweit gibt es jährlich 570.000 neue Erkrankungs- und 311.000 Todesfälle, hauptsächlich in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen [34]. Mittlerweile sind auch Assoziationen zwischen HP-Viren und anderen Krebsarten nachgewiesen worden: mit Anal‑, Vaginal‑, Vulva‑, Penis- und Oropharyngealkarzinomen, möglicherweise auch mit Prostata- und Blasenkarzinomen [19, 23]. HPV-Impfstoffe schützen zu fast 100 % vor einer persistierenden Infektion durch die Impfstofftypen [33]. Die Effektivität der HPV-Impfung wurde in zahlreichen Studien bestätigt [10]. Aktuelle Modellierungsanalysen zeigen, dass Gebärmutterhalskrebs unter anderem durch hohe HPV-Impfquoten (zusätzlich zu anderen Maßnahmen wie dem Screening, der Behandlung von Krebsvorstufen und der generellen Krebsbehandlung) bis zum Ende des Jahrhunderts ausgerottet werden könnte [5, 35].

Um die Krankheitslast durch Gebärmutterhalskrebs zu senken, empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) die Impfung gegen HPV. Von 2007–2014 richtete sich diese Empfehlung hauptsächlich an Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. In 2014 wurde das Impfalter auf 9–14 Jahre gesenkt, und statt 3 werden in dieser Altersgruppe nur noch 2 Dosen für eine vollständige Immunisierung empfohlen [1]. Seit 2018 gilt die Empfehlung auch für Jungen zwischen 9 und 14 Jahren [1]. Nachholimpfungen sollten bis zum 18. Geburtstag abgeschlossen sein. Im Rahmen der Schutzimpfungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist die HPV-Impfung Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankversicherung (GKV). Die zugelassenen Impfstoffe schützen gegen 70 bzw. 90 % der von Hochrisikotypen ausgelösten Gebärmutterhalstumoren [33]. Es sind verschiedene HPV-Impfstoffe zugelassen. Je nach Alter zu Beginn der Impfserie sind 2–3 Impfungen notwendig, wichtig ist dabei, die jeweiligen Abstände zwischen den Impfungen einzuhalten. Die Immunisierung sollte vor Beginn der sexuellen Aktivität erfolgen. Deshalb und vor allem, weil in jüngerem Alter die Immunantwort besser ist, wurde das Impfalter von ursprünglich 12–17 Jahren auf 9–14 Jahre gesenkt.

Da die Impfquote trotz des offensichtlichen Nutzens der Impfung nicht zufriedenstellend ist und durch mehr HPV-Impfungen viele Krebserkrankungen sowie die psychisch potenziell extrem belastenden Kontrolltermine bei Krebsvorstufen verhindert und Leben gerettet werden könnten, wirft dieser Artikel einen psychologischen Blick auf die HPV-Impfung mit dem Ziel zu verstehen, welche Faktoren die HPV-Impfung begünstigen oder ihr im Wege stehen können. Wir schließen mit Handlungsempfehlungen für Ärztinnen und Ärzte und zeigen auf, was sie tun können, um die Impfmotivation zu steigern.

Impfmüdigkeit

Grundsätzlich entscheiden sich in Deutschland die meisten Eltern für Impfungen. So liegt der Anteil der Impfbefürworter laut der Infektionsschutzstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bei 77 % [16]. Der Anteil der Impfbefürworter ist in den Jahren 2012–2018 signifikant angestiegen [16]: 6 % der zuletzt 2018 Befragten lehnen Impfungen (eher) ab, 17 % sind unentschlossen [16]. Dieses Verzögern bzw. Auslassen und Ablehnen wichtiger Impfungen trotz ihrer Verfügbarkeit wird als Impfmüdigkeit (oder auch „vaccine hesitancy“) bezeichnet [20]. Für Impfmüdigkeit gibt es verschiedene Gründe. Betsch, Schmid, Heinemeier, Holtmann und Korn (2018) haben die psychologischen Gründe für das (Nicht‑)Impfen zu einem Modell zusammengeführt und messbar gemacht [4]: Confidence, Complacency, Constraints, Calculation und Collective Responsibility.

Confidence beschreibt das Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen und in das System, das Impfungen bereitstellt. Mangelndes Vertrauen hängt häufig mit einer negativen Einstellung gegenüber Impfen zusammen, wenig Wissen über Impfungen und einer negativen Bewertung des Nutzens von Impfungen. Constraints beschreibt die Wahrnehmung struktureller Probleme beim Impfen. Personen mit hohen Constraints-Werten können eine vorhandene positive Einstellung zum Impfen nicht in die Tat umsetzen, z. B. weil praktische Barrieren im Weg stehen.

Calculation beschreibt den Abwägungsprozess von Risiko und Nutzen von Impfungen. Personen mit hohen Calculation-Werten betreiben eine umfangreiche Informationssuche nach Vor- und Nachteilen von Impfungen. In der Folge kommt es mitunter zum „fence sitting“ – die Impfung wird verzögert, etwa weil durch die Fülle der Informationen die Entscheidung erschwert ist, teilweise auch durch das Vorhandensein von Falschinformationen. Menschen mit hoher Collective Responsibility verstehen den Wert von Impfungen und sind motiviert, zum Gemeinschaftsschutz (Herdenimmunität) beizutragen. Collective Responsibility erfasst die prosoziale Bereitschaft, ungeimpfte Personen in der Gesellschaft zu schützen, indem man sich impfen lässt. Diese Motivation ist eng verbunden mit einer hohen Empathie und Gemeinschaftsorientierung.

Werden die Risiken von impfpräventablen Erkrankungen als niedrig wahrgenommen und Impfungen nicht als notwendige Präventionsmaßnahme angesehen, könnte Complacency eine entscheidende Rolle spielen. Sowohl Wissen als auch Bewusstsein über die Krankheit sind hier gering, Impfen wird darüber hinaus nicht als soziale Norm wahrgenommen.

Die 5C-Gründe für die HPV-Impfung wurden 2018 in Deutschland von Betsch et al. (2018; n = 154) erhoben [4]. Dabei wurden Eltern von Töchtern nach ihren Gründen für die HPV-Impfung befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Confidence den deutlichsten Einfluss auf die HPV-Impfabsicht hat [4]. Das heißt: Je höher das geäußerte Vertrauen der Eltern in die HPV-Impfung ist, desto höher ist ihre Bereitschaft für die HPV-Impfung. Dies deckt sich mit internationalen Übersichtsarbeiten [12, 14, 17, 18]. Diese identifizieren zum einen, dass mangelndes Wissen auf verschiedenen Ebenen (Arzt, Eltern, Mädchen bzw. Jungen) mit weniger HPV-Impfungen assoziiert ist (Complacency, Confidence). Zum anderen ist die Empfehlung der Ärztin bzw. des Arztes der wichtigste Faktor für die Impfbereitschaft (Confidence). Daneben spielen auch weitere Faktoren eine Rolle, die eher auf strukturelle Hürden hinweisen, z. B. die Kosten für die Impfung (Constraints).

Wissen und Einstellung

Studien zeigen, dass ungeimpfte im Vergleich zu geimpften jungen Frauen weniger Wissen über die HPV-Impfung hatten [18, 27]. Als zentrale Bedenken werden über viele Studien hinweg vor allem mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen bzw. fehlendes Vertrauen in die Effektivität der HPV-Impfung genannt [18, 27]. Gleichzeitig gaben in der Infektionsschutzstudie 77 % der 16- bis 20-jährigen befragten Frauen an, dass ihnen die HPV-Impfung (besonders) wichtig ist, bei den ab 30-jährigen Frauen waren es nur 66 % [16]. Diese Erkenntnisse bieten mögliche Anknüpfungspunkte für das Impfgespräch. Allerdings findet das Impfgespräch über die HPV-Impfung oftmals in Begleitung der Eltern statt, wodurch ein komplexes Kommunikationsgefüge entstehen kann, in dem die relativen Rollen von Eltern, Jugendlichen und Ärztin bzw. Arzt teilweise unklar sind [12]. Studien zeigen, dass meistens die Eltern, vor allem die Mütter, verantwortlich für die endgültige Entscheidung über die HPV-Impfung sind [12]. Sind Eltern gegenüber der HPV-Impfung positiv eingestellt, ist es auch wahrscheinlicher, dass die Impfung durchgeführt bzw. begonnen wird [18].

Allerdings existieren auch bei den Eltern Wissenslücken [14]. Nur 75 % der befragten Eltern in Deutschland kannten in 2018 die Empfehlung für die HPV-Impfung für Mädchen und nur 24 % die Empfehlung für Jungen [16]. Im Vergleich zu den anderen Kinderimpfungen, wie die gegen Masern oder Diphtherie, halten nur 63 % der befragten Eltern die HPV-Impfung für (besonders) wichtig (Masern: 82 %, Diphtherie: 80 %). Auffällig ist, dass viele Befragte sich gar kein Urteil zutrauen und häufiger mit „weiß nicht“ antworten als bei den übrigen Impfungen [16]. Ein zentrales Missverständnis auf der Seite der Eltern ist beispielsweise, dass nur sexuell aktive bzw. sexuell promiskuitive Jugendliche einem hohen HPV-Risiko ausgesetzt sind und deshalb nur sie eine HPV-Impfung brauchen [14, 15]. Gleichzeitig unterschätzen Eltern aber generell die sexuellen Erfahrungen der eigenen Kinder, und die Chance auf Prävention wird so möglicherweise verpasst. Weiterhin ist vielen Eltern unklar, welchen Mehrwert die primär präventive HPV-Impfung gegenüber dem sekundär präventiven Screening hat. Eltern äußern zudem die Befürchtung, dass durch die Impfung möglicherweise die sexuelle Aktivität des eigenen Kindes zu früh ermutigt wird. Es gibt allerdings keine Evidenz dafür, dass die Impfung zu früherer oder mehr sexueller Aktivität führt [36]. Zudem können die Annahmen, dass Jugendliche in Deutschland generell immer früher sexuell aktiv werden, durch aktuelle Befragungsdaten nicht bestätigt werden: So haben 4 % der 14-Jährigen im Mittel Geschlechtsverkehrerfahrung, bei den 17-Jährigen sind es 50 % – „zwischen 14 und 16 Jahren geben deutlich weniger Jugendlich an, sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben als vor noch 10 Jahren“ [37].

Oft ist der Mehrwert der primären Prävention gegenüber dem sekundär präventiven Screening unklar

Diesbezüglich weisen Karafillakis et al. (2019) darauf hin, dass die sexuellen Gesundheitsaspekte in quantitativen Studien zu HPV und der HPV-Impfung eine weniger bedeutsame Rolle spielen als in qualitativen Studien, die hauptsächlich offene Fragen stellen [17]. Es ist also unklar, wie bedeutsam der Einfluss der sexuellen Gesundheitsaspekte bei der Impfentscheidung im relativen Vergleich zu anderen potenziellen Gründen wirklich ist. Möglicherweise wird er im Vergleich zu den anderen Barrieren, z. B. Bedenken über die Sicherheit und Nebenwirkungen der HPV-Impfung, überschätzt. Ein aktives Aufklärungsangebot über Nebenwirkungen bzw. Sicherheit der HPV-Impfung könnte diese zentrale (Wissens-)lücke füllen [12]. Da die Wissenslücken bei Eltern und Jugendlichen ähnlich sind – die jeweiligen Rollen im Impfgespräch aber oft unklar, könnte es sinnvoll sein, einen „shared decision making approach“ für das Impfgespräch zu nutzen, in dem alle Beteiligten aktiv in das Gespräch eingebunden werden und Informationen mit allen Beteiligten ausgetauscht werden.

Empfehlungsverhalten

Die Empfehlung des Arztes bzw. der Ärztin gilt über zahlreiche Studien hinweg als wichtigster Faktor für die HPV-Impfbereitschaft [15]. Erhalten Jugendliche eine HPV-Impfempfehlung, ist dies mit einer höheren Wahrscheinlichkeit assoziiert, dass sie die HPV-Impfserie beginnen [12]. Allerdings zeigt sich, dass die Empfehlung für die HPV-Impfung im Vergleich zu anderen Impfungen nicht stark genug ausgesprochen wird, beispielsweise indem sie im Vergleich zu anderen Impfungen als „optional“ beschrieben wird [12].

Zudem wird die HPV-Impfung oftmals eher den älteren und nicht den jüngeren Jugendlichen empfohlen (in den Studien wurden Kinder- und Jugendärztinnen und Kinder- und Jugendärzte, Hausärztinnen und Hausärzte sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen befragt, z. B. bei Holman, Benard, Roland, Watson, Liddon und Stokley 2014 [15]). Bei den älteren Jugendlichen wird die HPV-Impfung dann häufig denjenigen empfohlen, deren Wahrscheinlichkeit sexuell aktiv zu sein von Ärztinnen und Ärzten als hoch eingestuft wird. Dieser „risikobasierte“ Kommunikationsansatz ist eventuell nicht effektiv, da die Vorhersage von sexueller Aktivität ungenau sein kann [12]. Da Jugendliche aber vor allem gegen HPV geimpft werden sollten, bevor sie das erste Mal sexuell aktiv waren, sollten vor allem die Jüngeren angesprochen werden. Für das Gespräch bedeutet dies, dass der größere Impfnutzen bei möglichst frühzeitiger Impfung hervorgehoben werden sollte und die Vermutung, dass der Sohn oder die Tochter demnächst sexuell aktiv werden könnten, als Anlass für die HPV-Impfung eher im Hintergrund stehen sollte.

Eine Befragung von 349 Ärztinnen und Ärzten in Italien zeigt, dass die HPV-Impfempfehlung besonders dann ausgesprochen wird, wenn die Ärzte und Ärztinnen selbst von der Sicherheit und Effektivität der Impfung überzeugt waren [22]. Dies bestätigt auch eine systematische Literaturübersicht mit Studien aus Frankreich [11]. Mögliche Hindernisse für das Aussprechen einer Impfempfehlung sind beispielsweise die geäußerten Ängste von Eltern vor Nebenwirkungen der HPV-Impfung [11].

Opel et al. (2013) verglichen verschiedene Empfehlungsstile miteinander: Der präsumtive Empfehlungsstil (präsumtiv: vermutlich, als wahrscheinlich angenommen) informiert Eltern darüber, dass Impfungen fällig sind („Heute sind die Impfungen gegen HPV und Pertussis fällig“, „Es ist Zeit für die jährliche Grippeimpfung“; [24]). Der partizipative Empfehlungsstil (partizipativ: unter Beteiligung der Betroffenen) hingegen fragt die Eltern, was sie von einer Impfung hielten („Wollen Sie Ihr Kind heute impfen lassen?“, „Was denken Sie über Impfungen?“). Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass der präsumtive im Vergleich zum partizipativen Empfehlungsstil zu einer signifikant höheren Impfbereitschaft führte. Die Ergebnisse wurden in einer randomisierten kontrollierten Studie bestätigt, in der sich zudem zeigte, dass der Stil auch bei Eltern gut funktioniert, die eher zögerlich sind [9].

Bei Fragen und Unsicherheiten kann eine motivierende Gesprächsführung effektiv sein

Für Impfgespräche, in denen sich abzeichnet, dass Eltern oder Jugendliche Fragen und Unsicherheiten haben, hat sich unter anderem die motivierende Gesprächsführung nach Rollnick, Miller und Butler (2008) als effektiver Ansatz erwiesen [28]. Die Verwendung der folgenden Basis-Techniken und Strategien im Gespräch fördert eine kooperativer Arzt-Patient-Beziehung: Wichtig ist hier, nicht gleich zu widersprechen, wenn Falschinformationen angesprochen werden (also nicht: „Das ist falsch. Die HPV-Impfung löst XY nicht aus“), sondern erst einmal zuzuhören und die Motivation des Gegenübers wahrzunehmen („Ich sehe, dass Sie hinsichtlich der HPV-Impfung viele Fragen haben“ oder „Ich nehme wahr, dass es Ihnen wichtig ist, dass Ihr Kind gesund bleibt“) und positiv zu bestärken („Es ist schön, dass Sie über das Impfen nachdenken“ oder „Ihnen ist die Gesundheit Ihres Kindes wichtig“). Offene Fragen an die Eltern oder Jugendlichen helfen, den Standpunkt und die Motivationen des Gegenübers besser zu verstehen („Was braucht es, damit Sie sich bei Ihrer Impfentscheidung wohler fühlen?“). Um Klarheit im Gespräch zu erzeugen, hat sich diese Sequenz bewährt: Nachfragen („Was wissen Sie über die Effektivität des HPV-Impfstoffs“), Informationen anbieten („Darf ich Ihnen erzählen, warum wir gegen HPV impfen?“), das Verständnis prüfen („Wie sehen Sie Ihre Entscheidung jetzt, nach unserem Gespräch?“). Ziel ist es hierbei, mindestens im Gespräch zu bleiben und in einer wertschätzenden Atmosphäre über Nutzen und Risiken der Impfung aufzuklären und eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.

Vertrauen

Vertrauen in die HPV-Impfung entsteht auf unterschiedlichen Ebenen, z. B. in der Beziehung zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Patientinnen und Patienten aber auch durch das System, das Impfungen prüft und bereitstellt. Starke Vertrauensverluste verzeichnete die HPV-Impfung beispielsweise in Dänemark und Irland, die sich in stark sinkenden Impfquoten niederschlugen [8, 31]. In Dänemark häuften sich 2013 öffentliche Berichte über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Zusammenhang mit der HPV-Impfung. Zudem brachte ein Dokumentarfilm die Symptome einer Gruppe von Mädchen in eine vermeintlich direkte Verbindung mit der HPV-Impfung. Daraufhin sank die HPV-Impfquote auf 54 % von ursprünglich 90 % nach dem erfolgreichen Impfstart im Jahr 2009. Anti-Impf-Lobbygruppen in Irland schürten in den Jahren darauf ebenfalls gezielt die Ängste von Eltern vor Nebenwirkungen, vor allem in den sozialen Netzwerken – was auch in Irland zu einer deutlichen Verringerung der HPV-Impfquote führte [8]. In einer umfangreichen Prüfung der Evidenzlage bestätigte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), dass kein kausaler Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und Blutgerinnseln oder anderen im Verdacht stehenden neurologischen Erkrankungen besteht [38]. Der Schaden war groß. Aber Irland und Dänemark konnten mithilfe von großflächigen und aufwendigen Aufklärungskampagnen, hauptsächlich in den sozialen Medien, das Vertrauen in die HPV-Impfung wieder stärken [25]. Die Impfquoten stiegen daraufhin wieder an. Die Erfolgsfaktoren dieser Kampagnen waren die Schaffung einer starken Impfallianz, also die Verbindung von verschiedenen Organisationen aus den Bereichen Gesundheit, Frauen- und Kinderrechte und der Zivilgesellschaft sowie eine starke Online-Präsenz in sozialen Netzwerken, die auf den empathischen und direkten Dialog mit Nutzern setzte [17, 25]. Fragen einzelner Nutzer wurden einzeln beantwortet. Dies zeigt, dass neben etablierten Surveillance-Mechanismen für die Überwachung von Nebenwirkungen auch ein Medien-Monitoring bei der Einführung neuer Impfungen etabliert werden sollte, wodurch die Verbreitung von schädlichen Falschinformationen eingedämmt bzw. ihr vorgebeugt werden kann und offene Frage schnell und zuverlässig beantwortet werden können.

Strukturelle Hürden

Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland keine Schulimpfprogramme mehr. Derartige Programme zielen darauf ab, strukturelle Hürden abzubauen und den Zugang zur (HPV-)Impfung generell zu erleichtern. Der Vorteil ist unter anderem, dass eine große Anzahl an Jugendlichen erreicht werden kann – unabhängig von deren individuellem Zugang zur Gesundheitsversorgung [32]. Untersuchungen zeigen durchweg sehr positive Effekte für Schulimpfprogramme [32]. Sie sollten daher generell wieder in Betracht gezogen werden. Durch das Fehlen von Schulimpfprogrammen in Deutschland kommt den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten eine wichtige Rolle und große Verantwortung zu [26]. Die HPV-Impfung wird von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten, Hausärztinnen und -ärzten sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen gleichermaßen verimpft – eigentlich ideal, um eine engmaschige Versorgung zu gewährleisten [13]. Allerdings nehmen die Arztbesuche im Alter von 9–17 Jahren im Vergleich zum Kindesalter ab [26] bzw. erfolgen eher aus einem medizinischen Grund, wodurch die HPV-Impfung eventuell in den Hintergrund rückt.

Erinnerungssysteme können dabei helfen, die HPV-Impfbereitschaft signifikant zu steigern [30, 32]. Es gibt unterschiedliche Formen von Impferinnerungen: Wird die Ärztin bzw. der Arzt erinnert („provider reminder“), führt dies dazu, dass mehr Erstimpfungen durchgeführt werden. Wird die Patientin bzw. der Patient erinnert („patient reminder“), verbessert sich die Vervollständigung der HPV-Impfserie [32]. In Deutschland besteht der Wunsch nach einer Impferinnerung: 69 % würden es begrüßen, wenn sie durch ihren Arzt oder ihre Ärztin an den nächsten Impftermin erinnert würden, z. B. mit einer Postkarte, einem Brief oder einer Email [16].

Möglichst konkrete Impferinnerungen helfen zusätzlich, die Impfbereitschaft zu steigern

Wird die Impferinnerung so konkret wie möglich formuliert, hilft dies zusätzlich, die Impfbereitschaft zu steigern. In einem Experiment von Milkman, Beshears, Choi, Laibson und Madrian (2011) wurden unterschiedliche Impferinnerungen mit einer Kontrollbedingung verglichen [21]. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten eine Impferinnerung mit möglichen Impfterminen. In der Kontrollbedingung sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nur diese Termine. In den anderen Bedingungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgefordert, sich einen Handlungsplan („implementation intention“) zu machen: In der Datum-Bedingung sollten sie das Datum eintragen, an dem sie die Impfung erhalten wollten, in der Zeit-Bedingung sollten sie zusätzlich zum Datum auch die Uhrzeit des gewünschten Impftermins eintragen. Anschließend wurde die Impfrate untersucht. Der Unterschied zwischen Datum-Bedingung (35,6 %) und Kontrollbedingung war statistisch nicht signifikant [21]. Die Impfrate in der Zeit-Bedingung war hingegen signifikant höher als in der Kontrollbedingung (37,1 vs. 33,1 %) [21]. Die Ergebnisse zeigen, dass ein konkreter Handlungsplan eher dazu führt, dass das Vorhaben auch umgesetzt wird. Eine Impferinnerung könnte also so aussehen, dass Patientinnen und Patienten einen konkreten Terminvorschlag für die fällige Impfung präsentiert bekommen, verbunden mit der Aufforderung sich zu melden, wenn dieser nicht wahrgenommen werden kann.

Empfehlungen zur konkreten Umsetzung

Die Steigerung der Impfmotivation für die HPV-Impfung bleibt eine Herausforderung in Deutschland und ist Aufgabe der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Confidence, d. h. fehlendes Wissen und Vertrauen in die HPV-Impfung, spielen auf psychologischer Ebene in Deutschland und auch international die wichtigste Rolle. Die identifizierten Wissenslücken sind bei Eltern und Jugendlichen ähnlich: Zumeist sind es Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der HPV-Impfung bzw. möglicher Nebenwirkungen. Das Impfgespräch, das oft nicht nur mit den Jugendlichen selbst, sondern auch mit den Eltern zusammen stattfindet, könnte von der Nutzung eines Shared-Decision-Making-Ansatzes profitieren, indem Ärztinnen und Ärzte aktiv und transparent über die Sicherheit und Effektivität der HPV-Impfung aufklären, mögliche Nebenwirkungen erläutern, den Nutzen der Impfung betonen und alle Beteiligten einbinden. Durch die Nutzung von Entscheidungshilfen, mit denen sich die Jugendlichen bereits vorab alleine und nicht unter den Augen der Eltern beschäftigen, könnten mögliche aufkommende Fragen geklärt werden.

Das Impfgespräch mit Eltern und Kindern könnte vom Shared-Decision-Making-Ansatz profitieren

Im Gespräch sollte die Impfempfehlung aktiv ausgesprochen werden und die HPV-Impfung genau wie die anderen Impfungen präsentiert werden und nicht als eine zusätzliche Option. Zudem sollte der größere Impfnutzen bei möglichst frühzeitiger Impfung hervorgehoben werden, statt den Fokus auf die etwaige sexuelle Aktivität des zu impfenden Kindes zu richten. Für die Impfempfehlung eignet sich der präsumtive Kommunikationsstil, dieser gibt dem Gegenüber Sicherheit und hält immer noch die Möglichkeit offen, nachzufragen oder nein zu sagen.

Die Herausforderungen bei der HPV-Impfung liegen jedoch nicht nur im Arzt-Patienten-Gespräch, sondern auch im Umgang mit Falschinformationen über die HPV-Impfung, vor allem in den sozialen Medien, die von der Zielgruppe der Jugendlichen besonders stark genutzt werden. Gynäkolog:nnen und Gynäkologen sollten – z. B. durch Fachverbände – regelmäßig über Falschinformationen aus den sozialen Medien informiert werden, sodass sie in die Lage versetzt werden, auf diese zu erwartenden Fragen einzugehen und sie kundig zu entkräften. Das öffentliche Vertrauen in Impfungen ist ein wertvolles Gut, das leicht verloren gehen kann und schwer zurückzugewinnen ist. Ärztinnen und Ärzten kommt hier eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu.

Um strukturelle Hürden besser zu bewältigen, eignen sich Erinnerungssysteme. Die Impferinnerung sollte so konkret wie möglich gestaltet werden, am besten indem sie direkt mit einem Terminvorschlag verbunden wird. So werden die Patientinnen und Patienten dabei unterstützt, sich einen Handlungsplan zu machen und praktische Hürden werden reduziert.

Impfgespräche nehmen mitunter Zeit in Anspruch, die im Praxisalltag mühsam verfügbar gemacht werden muss. Die Prinzipien für das professionelle Impfgespräch haben Betsch, Hirschhausen und Zylka-Menhorn (2019) einmal auf der Basis bestehender internationaler Empfehlungen zusammengefasst [3]. Zudem kommt der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten im Hinblick auf gute und effektive Gesprächsstrategien eine wichtige Rolle zu. In der Studie von Cates et al. (2020) nahmen 113 Ärztinnen und Ärzten an einer E‑Learning-Fortbildung für die Vermittlung von Wissen und Gesprächsstrategien zur HPV-Impfung teil. Sie gaben an, dass sie sich dadurch sicherer im Umgang mit der HPV-Impfung fühlten und eher eine Impfempfehlung aussprechen würden [7]. So können insgesamt Maßnahmen zur Verbesserung der eigenen Gesprächsführung, Materialien zur Impfaufklärung und Korrektur von Falschinformationen sowie das Erleichtern des praktischen Vorgangs des Impfens dazu führen, dass das Vertrauen in Impfungen gestärkt und Impfbarrieren abgebaut werden.

Fazit für die Praxis

  • Durch HPV(humane Papillomviren)-Impfungen könnten viele Krebserkrankungen verhindert werden, und auch viele der oft psychisch belastenden Kontrolltermine bei Krebsvorstufen ließen sich vermeiden.

  • Empfehlungen für die psychologische Impfmotivation sind u. a.:

  • Aktiv und transparent über Sicherheit und Effektivität aufklären, mögliche Nebenwirkungen erläutern, Nutzen der Impfung (v. a. bei frühzeitiger Impfung) betonen

  • Partizipative Entscheidungsfindung fördern (Shared-Decision-Making)

  • Präsumtiven Kommunikationsstil nutzen

  • Motivierende Gesprächsführung anwenden: zuhören, bei Falschinformationen nicht gleich widersprechen, die (Schutz‑)Motivation des Gegenübers wahrnehmen bzw. spiegeln und bestärken, zielgerichtet Wissensstände erfragen und Informationen anbieten, nachfragen, ob Information verstanden wurde

  • HPV-Impfung wie andere Impfungen präsentieren, nicht als zusätzliche Option

  • Über Falschinformationen up to date sein, aufklären, wenn nachgefragt wird

  • Impferinnerung möglichst konkret gestalten, am besten direkt kombiniert mit einem Terminvorschlag