Die Situation

Das Thema ist komplex, und Patientinnen mit Brustkrebs und gynäkologischen Tumoren haben ein hohes Interesse an Komplementärmedizin. Das vielfältige Faktoren, die Motivation zur Nutzung von Komplementärmedizin beeinflussen, zeigte eine qualitative Studie mit 88 Patientinnen im Rahmen des von der Deutschen Krebshilfe geförderten Kompetenznetzwerks Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON): „Dies kann die jeweilige Therapiesituation sein, wie z.B. ein Palliativstadium oder starke Nebenwirkungen der Therapie. Des Weiteren können das subjektive Krankheitsverständnis sowie die Haltung zur Standardmedizin eine Rolle spielen. Wenn eine Fehlfunktion des Immunsystems als Ursache für die Erkrankung gesehen wird, kann eine Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte zur Tumorbekämpfung bzw. Rezidivprophylaxe daraus als Zielsetzung folgen“ [5].

Aber es können sich auch ganz andere Themen dahinter verbergen, wie z. B. die Angst vor dem Tod.

Auch das Umfeld kann das Interesse der Patientinnen an dem Thema beeinflussen, denn häufig machen auch Angehörige den Betroffenen dazu Vorschläge, was sie aus dem Bereich der komplementären Therapien nutzen könnten.

Werden Patientinnen gefragt, wünschen sich diese mehr Informationen oder konkrete Empfehlungen von ihren Onkologen zu den Optionen im Rahmen einer integrativen Onkologie [10]. Fragt man hingegen Onkologen, so fühlen sich diese in der Thematik oft unsicher und haben Sorge, ihr Wissen über die komplementären Therapien reiche nicht aus, um eine kompetente Beratung durchführen zu können [12]. Um diese Lücke zu schließen, braucht es 2 Veränderungen: Zum einen braucht es Onkologen und im onkologischen Bereich tätige medizinische Fachangestellte, die ihre Patientinnen durch das Labyrinth der zahlreichen Angebote der Komplementärmedizin lenken können. Zweitens braucht es Anbieter bzw. Therapeuten im medizinischen Bereich, die über ausreichend Kompetenz verfügen, ihre Expertise in der Behandlung krebserkrankter Patientinnen anzubieten.

Welches Angebot in der Praxis?

Aus unserer Sicht gibt es 3 Stufen von Angeboten zu komplementären Therapien, die man in seiner Klinik oder Praxis machen kann:

  1. 1.

    Beraten, d. h. Patientinnen Informationen zu dem Thema geben,

  2. 2.

    Empfehlen, d. h. mit den Patientinnen komplementäre Therapien auswählen, und

  3. 3.

    Behandeln: Patientinnen mit komplementären Ansätzen therapieren.

In Zukunft wird von jeder Gynäkologin und jedem Gynäkologen erwartet, dass sie/er Patientinnen zu dem Thema zumindest beraten kann. Dem Wunsch vieler Patientinnen folgend wäre es aber anzustreben, dass auch zumindest grundlegende Empfehlungen zu diesem Thema Teil der üblichen Behandlung werden.

In allen 3 Stufen des Angebots ist es für die Gynäkologin/den Gynäkologen wichtig über entsprechende Kommunikationsfähigkeiten, die erlernt werden können, zu verfügen. Zudem sollte ein Basiswissen zu komplementären Therapien und deren Evidenz vorliegen, sowie das Wissen, wie man an verlässliche Informationen kommt.

Auch von Relevanz ist die Kompetenz, Zugang zu qualitätsgesicherten Angeboten vermitteln zu können

Möchte man den Patientinnen auch konkrete Empfehlungen geben, ist es zudem wichtig, ihnen Zugang zu entsprechenden qualitätsgesicherten Angeboten vermitteln zu können.

Entscheidet man sich dafür, komplementäre Therapien selber anzubieten, dann erfordert es den Erwerb von Kompetenzen durch spezialisierte Fortbildungen. Im Folgenden soll auf die entsprechenden Aspekte eingegangen werden: Zugang zu Informationen vermitteln, Empfehlungen zur Komplementärmedizin geben, sich in komplementärmedizinischen Therapien fortbilden.

Zugang zu seriösen Informationen

Es gibt viele komplementäre Therapien, und das Internet ist voller Informationen und Angebote zu diesem Thema. Es ist sowohl für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als auch für die Patientinnen und ihre Angehörigen schon aufgrund der Menge der Information und deren teilweise Widersprüchlichkeit schwer, die seriösen Informationen zu identifizieren.

Aus ärztlicher Sicht bildet die Evidenz aus klinischen Studien eine wesentliche Grundlage für die Einschätzung der Wirksamkeit und Therapiesicherheit. Allerdings gibt es zu vielen komplementären Therapien zu wenige oder bisher gar keine Studien. Die Mehrzahl der guten Studien zu komplementären Therapien wurde mit Brustkrebspatientinnen durchgeführt und es gibt eher wenige Studien für Patienten und Patientinnen mit anderen Tumorentitäten. Dieses Nichtwissen macht das Thema noch komplexer, und die Abwesenheit von wissenschaftlicher Evidenz ist den Patientinnen nicht immer leicht zu vermitteln.

Es gibt jedoch auch hilfreiche Informationsquellen zu den vorhandenen Daten, in Tab. 1 sollen Beispiele für seriöse Informationsquellen im Internet, die Zusammenfassungen zu komplementären Therapien erstellt haben, gegeben werden.

Tab. 1 Informationsquellen im Internet (Beispiele)

Allerdings gibt es bei den verschiedenen Informationsquellen auch kulturelle Unterschiede in der Darstellung der Information und der Bewertung der Evidenz. Diese zeigen sich, wenn man verschiedene Informationsquellen bezüglich der Einschätzung von Wirksamkeit und Sicherheit von komplementären Therapien vergleicht, die regional unterschiedliche Bedeutung in der medizinischen Versorgung haben. Dies soll im Folgenden verdeutlicht werden am Beispiel der Misteltherapie, die im deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist, in den USA dagegen nur wenig verfügbar (Tab. 2).

Tab. 2 Vergleich von Informationen zur Misteltherapie

Hier fällt eine konservativere Darstellung der amerikanischen Webseite auf. Gegebenenfalls können manche der Unterschiede auch auf die unterschiedliche Erfahrung in der Anwendung, aber auch Kenntnis in der Breite der verfügbaren Evidenz zurückzuführen sein.

Empfehlungen zur Komplementärmedizin geben

Um gute und hilfreiche Empfehlungen zu dem Thema zu geben, bedarf es zweier Dinge: Wissen und kommunikative Fähigkeiten. Die kommunikativen Fähigkeiten werden hier besonders gefordert. Die Patientinnen kommen häufig mit hohen Erwartungen an die komplementären Therapien. Ihnen zu vermitteln, dass viele der komplementärmedizinischen Therapien bisher nicht gut oder gar nicht evaluiert wurden, ist kommunikativ nicht ganz so einfach. Der Umgang mit fehlender wissenschaftlicher Evidenz ist nicht etwas, was routinemäßig in Aus- und Weiterbildung vermittelt wird. Deshalb ist es wichtig, Ärzte und Ärztinnen zu diesem Thema fortzubilden [13].

Dass man lernen kann, ein gutes Gespräch zu diesem Thema zu führen, konnte im Rahmen eines Projektes von KOKON gezeigt werden. Nach dem KOKON-KTO Training [15], bestehend aus 6 h E‑Learning und 2 Tagen Workshop, waren alle teilnehmenden onkologisch tätigen Ärzte befähigt, das Thema komplementäre Therapien systematisch und individualisiert in nur 20 min mit ihren Patientinnen zu besprechen.

Das KOKON-KTO-Training folgt einem Gesamtkonzept [15], das systematisch entwickelt und in einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten Studie getestet wurde [1].

Im ersten Schritt sollten – individuell angepasst – generelle supportive Maßnahmen empfohlen werden

Der Ablauf des Gesprächs folgt Schritten, die je nach Erfahrung im Gespräch im Ablauf auch etwas variiert werden können. Dabei ist es wichtig, ein möglichst gutes Setting für die Durchführung des Gesprächs zu haben (= Kontext berücksichtigen). Auch sollte die Patientin über die Dauer und das Ziel des Gesprächs informiert sein (= Informieren). Da Vorerfahrungen und Interesse einen Einfluss auf das Gespräch haben, sollten diese erfasst werden (= Evaluieren). Hierfür bieten sich auch Fragebögen an. Hat die Patientin viele Themen, ist es aufgrund der limitierten Zeit wichtig, gemeinsam zu priorisieren, damit es nicht zu Enttäuschungen kommt (= Priorisieren).

Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, erst generell unterstützende Maßnahmen (individuell angepasst) zu empfehlen (= Empfehlen). Dies betrifft körperliche Aktivität und Entspannung und, wo passend, auch Ernährung. Erst im nächsten Schritt sollte man auf die situationsspezifischen Aspekte (z. B. Yoga bei Fatigue nach Chemotherapie) und konkrete Fragen (etwa: „Ist Mistel etwas für mich?“) eingehen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich, weil bei den speziellen Anliegen je nach Patientinnensituation auch ein Abraten notwendig wird (z. B. Wunsch der Patientin, ayurvedische Kräuter während einer Chemotherapie einzunehmen). Für die meisten Patientinnen ist es einfacher, das Abraten anzunehmen, wenn sie vorher schon andere, für sie passende Empfehlungen bekommen haben.

Wichtig ist es auch, die Implementierung der Empfehlungen, welche die Patientin umsetzen möchte, zu unterstützen (= Konkretisieren), z. B. durch Vermittlung entsprechender Ressourcen. In der Praxis ist die Konkretisierung der Empfehlungen nicht immer einfach. Nehmen wir folgendes Beispiel: Es gibt positive Evidenz aus einer Netzwerk-Metaanalyse für Yoga bei tumorassoziierter Fatigue [2], und eine Patientin, die unter der Fatigue leidet, würde gerne zum Yoga gehen. Aber: Es gibt kein spezielles Angebot an der Klinik, und die Patientin weiß nicht, wie sie einen passenden Anbieter findet.

Um Ärzte und Patienten in dieser Situation zu unterstützen, wurde im Rahmen von KOKON in einem Konsensusprozess mit verschiedenen Stakeholdern eine Checkliste entwickelt, um seriöse Anbieter komplementärer Methoden besser identifizieren zu können ([11]; Infobox 1).

Infobox 1 Ein Flyer für die Checkliste für seriöse Anbieter kann heruntergeladen http://www.iki.usz.ch/forschung/Seiten/kokon-kto.aspx und mit einem Verweis auf die eigene Praxis oder Klinik versehen werden

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Ein anderes Beispiel sind Entspannungsübungen. Diese sollten laut S3-Leitlinie „Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten“ jeder Krebspatientin empfohlen werden. Allerdings haben nicht alle Patientinnen dazu einen Zugang. Hier kann man z. B. auf die Webseite des Universitätsspitals Zürich verweisen (Infobox 2).

Infobox 2 Einen kostenlosen Zugang zu Entspannungsübungsaudios für Menschen mit Krebserkrankungen einschließlich Erläuterungen findet sich hier

https://www.mbm-usz.ch/krebs/

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Sich in komplementärmedizinischen Therapien fortbilden

Nicht nur Patientinnen haben Mühe, sich im Dschungel der Komplementärmedizin zurechtzufinden, auch Ärztinnen bzw. Mitarbeiterinnen eines onkologischen Behandlungsteams stehen vor der Frage, welche Kompetenzen sie haben sollten, um Angebote für ihre Patientinnen machen zu können. Einer der internationalen Vorreiter im Bereich Lehre und Forschung der Integrativen Onkologie ist die Society for Integrative Oncology (SIO), eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation. Ihr Ziel ist es, die Kommunikation zwischen Expertinnen zu fördern und Forschung zu unterstützen, mit dem übergeordneten Ziel, die integrative Onkologie als festen Behandlungsbaustein in der Therapieplanung aller an Krebs erkrankten Patientinnen zu implementieren.

Damit onkologische Patientinnen eine für sie geeignete, wirksame und sichere Beratung und/oder Behandlung im Rahmen einer integrativ-onkologischen Konsultation erhalten, hat die SIO Kernkompetenzen für onkologisch tätige Ärzte und Mitarbeiterinnen eines onkologischen Teams in einem systematischen Review zusammengestellt. In einem anschließenden internationalen Konsensusprozess mit Experten aus 7 verschiedenen Professionen wurde eine finale Liste von Kernkompetenzen für alle 7 Professionen erstellt. Beschrieben wurden 37 Kernkompetenzen (n = 11 zu Wissen, n = 17 zu Fertigkeiten und n = 9 zu Fähigkeiten), die eine Basis für die Aus‑, Fort- und Weiterbildung bilden. So sollten Anbieter und Berater in der integrativen Onkologie u. a. Wissen in onkologischen Therapien haben, Zugang zu evidenzbasierter Information haben, über gute kommunikative Fähigkeiten verfügen und sich auch mit komplementären Therapien auskennen. Die vollständige Liste der Kompetenzen wurde open access publiziert [14].

In Deutschland hat die Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) im Jahre 2013 die Kommission für Integrative Medizin (Kommission IMED), gegründet. Seit 2019 gibt es einen Zertifizierungskurs der Kommission IMED für Ärztinnen und Ärzte [3]. Im Blended-Learning-Verfahren mit einem E‑Learning-Teil und Präsenzterminen an 3 Wochenenden werden systematisch die Bereiche der pharmakologischen und nichtpharmakologischen Therapieoptionen unterrichtet. Ziel ist, dass die Teilnehmenden nach dem Kurs mit ihren Patientinnen konkrete Therapiepläne entwickeln können und auch einzelne Therapien selber ausführen können. Der Kurs beinhaltet auch die relevanten Aspekte des positiv evaluierten KOKON-KTO-Trainings [15]. Zudem wurden die dafür relevanten der o. g. SIO-Kompetenzen [14] berücksichtigt.

Fazit für die Praxis

  • In der klinischen Praxis lässt sich das Thema Komplementärmedizin unterschiedlich integrieren. Man kann Patientinnen Informationen zu dem Thema geben (= beraten), mit Patientinnen komplementäre Therapien auswählen (= empfehlen) oder auch Patientinnen mit komplementären Therapien behandeln.

  • Um dies in guter Qualität umzusetzen, muss man Zugang zu seriösen Informationen, Wissen zu komplementären Therapien und die kommunikativen Skills haben, ein entsprechendes Gespräch zu führen. Möchte man komplementärmedizinische Therapien ausführen, bedarf es zudem entsprechender Fortbildungen.

  • Für die integrative Onkologie gibt es seriöse Informationsquellen, beschriebene Kompetenzen und entsprechende Trainings.