Rund 30 % der Brustkrebspatientinnen erfüllen die Einschlusskriterien des Deutschen Konsortiums (DK) Familiärer Brust- und Eierstockkrebs [1]. Das DK betreut seit 1995 in mittlerweile 20 Zentren deutschlandweit >40.000 solcher Familien (https://www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de/). In diesen werden in rund 25 % Mutationen in den Hochrisikogenen BRCA1/2 („breast cancer gene 1/2“) nachgewiesen sowie in rund 5 % Mutationen in weiteren überwiegend moderaten Risikogenen [2, 3]. Frauen, die familiär bedingt ein deutlich höheres Brustkrebsrisiko als die Allgemeinbevölkerung haben, werden umfangreichere Maßnahmen der Früherkennung angeboten, denn das reguläre Brustkrebsscreening ist aufgrund des frühen Erkrankungsalters und der dort angewendeten Untersuchungsmethodik nicht ausreichend [4, 5].

Daher wurde ein strukturiertes intensiviertes Nachsorge bzw. Früherkennungsprogramm (INFP) für die Brust einschließlich Mamma-MRT (Magnetresonanztomographie), Mammographie und Ultraschall eingeführt, das von den Krankenkassen im Rahmen von Verträgen zur „besonderen Versorgung“ finanziert wird [4]. Das Erkrankungsrisiko kann durch die Familienanamnese und die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen konkretisiert werden. Liegt eine pathogene Mutation in bekannten Risikogenen für Brustkrebs vor, wird allen Familienangehörigen, welche die Mutation tragen, die Teilnahme am INFP angeboten [5]. Wenn in einer Familie keine Veränderung in einem der bisher bekannten Brustkrebsgene gefunden wird, kann das Erkrankungsrisiko mit einem standardisierten und computerbasierten Risikokalkulationsprogramm berechnet werden. Konkret wurde bisher Frauen mit einem verbleibenden Lebenszeitrisiko von mehr als 30 % oder einem Heterozygotenrisiko von mehr als 20 % nach Cyrillic im DK eine Teilnahme am INFP angeboten. Eine aktuelle und umfassende Auswertung des DK mit INFP-Daten von >4500 Frauen ergab, dass nicht alle Frauen vom INFP profitieren [4]. Die meisten Frauen aus der rechnerischen Risikogruppe erkranken erst nach dem 50. Lebensjahr (Abb. 1; [4, 6]). Unter den 30- bis 39-jährigen Frauen mit einem auffälligen MRT-Befund hatten nur 2,8 % tatsächlich Brustkrebs (positiv prädiktiver Wert, PPV; [4]), bedingt durch die niedrigere prospektive Tumorinzidenzrate in dieser Altersgruppe.

Abb. 1
figure 1

Brustkrebsdetektionsraten in Abhängigkeit von Risikokonstellation und Alter. BRCA 1/2 „breast cancer gene“ 1/2; ppv „positive predictive value“

Die bisherige Risikoberechnung mit Cyrillic basiert auf dem erweiterten Claus-Modell, das ein autosomal-dominantes Gen mit altersabhängigen Penetranzen modelliert [7]. Da Cyrillic jedoch inhaltlich und technisch überholt ist, soll in Zukunft das BOADICEA-Modell [8, 9] angewendet werden, das an der Universität Cambridge etabliert wurde und stetig weiterentwickelt wird. Das BOADICEA-V3-Modell berücksichtigt BRCA1/2-Mutationen und erklärt die restliche familiäre Häufung durch eine polygene Komponente. Weiterhin können molekulargenetische Testergebnisse und die Tumorpathologie berücksichtigt werden. Das BOADICEA-V3-Modell konnte bereits an verschiedenen prospektiven Kohorten validiert werden [9,10,11]. Eine vergleichende Auswertung von 7352 Familien aus dem DK ergab für BOADICEA V3 eine bessere Diskriminierung und Kalibrierung bezüglich der Bestimmung der Mutationswahrscheinlichkeiten als Cyrillic [12].

Durch Umstellung des Berechnungsverfahrens lässt sich die Effizienz des INFP weiter verbessern

Da die Brustkrebsrisiken beider Programme abweichend sind, hat ein Wechsel des Berechnungsverfahrens zur Folge, dass die Gruppe der Frauen, die fortan das Angebot zur Teilnahme am INFP bekommen, umstrukturiert werden muss [13]. Die Umstellung des Berechnungsverfahrens soll genutzt werden, um die Effizienz des INFP weiter zu steigern.

Umstrukturierung des Risikoberechnungsverfahrens

Von der Umstrukturierung der Risikoberechnung sind 3 zu unterscheidende Personengruppen betroffen. Diese werde in den folgenden Abschnitten gesondert besprochen (Tab. 1).

Tab. 1 Beschreibung der Personengruppen, die von der Umstrukturierung des Risikoberechnungsverfahrens betroffen sind

Gruppe 1 – Gesunde Ratsuchende aus Familie mit unauffälliger Genuntersuchung

Für eine gesunde Ratsuchende aus einer Familie, welche die Einschlusskriterien des Konsortiums erfüllt, jedoch bei dem betroffenen Familienangehörigen (Index) keine Veränderung in einem der bisher bekannten Brustkrebsgenen gefunden wurde, richtet sich die Empfehlung der intensivierten Früherkennung nach dem errechneten Erkrankungsrisiko (Abb. 2; [5]). Bisher wurde dieses Risiko mit Cyrillic berechnet, und allen Frauen mit einem verbleibendem Lebensrisiko von mehr als 30 % oder einem Heterozygotenrisiko über 20 % wurde die intensivierte Früherkennung angeboten. Zur Verbesserung der informierten Entscheidungsfindung werden künftig anstelle von verbleibenden Lebensrisiken 10-Jahres-Risiken kommuniziert, die einen überschaubaren und damit besser planbaren Zeitraum darstellen [10, 14].

Abb. 2
figure 2

Gesunde Ratsuchende aus BRCA(„breast cancer gene“)-negativer Familie

In der Zusammenschau aller Daten kam das DK zu folgenden Empfehlungen: Zukünftig wird eine Frau in die Risikogruppe eingeordnet, wenn das 10-Jahres-Risiko ≥5 % beträgt. Hierbei hat sich das DK an vergleichbare Empfehlungen aus der NICE(The National Institute for Health and Care Excellence)-Guideline (United Kingdom) angelehnt [15]. Diesen Frauen wird vom 30. bis zum 50. Lebensjahr das INFP angeboten. Ab dem 50. Lebensjahr erfolgt die weitere Früherkennung entsprechend den allgemeinen Leitlinien.

Grundlage für die Festlegung des Grenzwertes ist, dass das 10-Jahres-Risiko von ≥5 % etwa über dem 2‑fachen Wert einer 50-jährigen Frau aus der Allgemeinbevölkerung liegt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

10-Jahres-Risiko für Brustkrebs in der Allgemeinbevölkerung. Rote Line altersabhängiges 10-Jahres-Risiko in der Allgemeinbevölkerung, blaue Line 10-Jahres-Risiko für eine 50-jährige Frau aus der Allgemeinbevölkerung, gestrichelte Linie 10-Jahres-Risiko von 5 % als Schwellenwert für das INFP (intensiviertes Nachsorge bzw. Früherkennungsprogramm)

Durch die Umstellung wird sich das Risikokollektiv verändern, die Brustkrebsprävalenz wird höher

Die neuen Regeln wurden an 6809 gesunden Frauen aus Familien mit unauffälligem Genbefund des DK evaluiert. Rund 50 % (1992/3887) Frauen, die jetzt das Risikokriterium für das INFP erfüllen, werden nach der neuen Regel weiterhin zur Risikogruppe gehören. Etwa 23 % (672/2922) der Frauen, die nach den jetzigen Regeln nicht in der Risikogruppe sind, werden zusätzlich in die Risikogruppe eingestuft werden. Das Risikokollektiv wird sich durch die Umstellung und die Einführung der neuen Regeln verändern und die Brustkrebsprävalenz wird dadurch höher sein. Wichtig ist es, die Daten weiterhin prospektiv zu dokumentieren, um den Effekt dieser Umstellung im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Ergebnisanalysen des DK zu messen und so dazu beizutragen, das INFP in Zukunft optimal zu gestalten (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Gesamtanzahl gesunder Frauen aus BRCA(„breast cancer gene“)-negativen Familien im Alter von 30–50 Jahren im Deutschen Konsortium (DK) Familiärer Brust- und Eierstockkrebs (blau); Frauen, die das Risikokriterium nach jetzigen Regeln erfüllen (rot); Frauen, die das Risikokriterium nach zukünftigen Regeln erfüllen (grün)

Gruppe 2 – Betroffene Ratsuchende aus Familien mit unauffälliger Genuntersuchung

Für eine erkrankte Ratsuchende aus einer Familie, welche die Einschlusskriterien des DK erfüllt, bei der jedoch keine Veränderung in einem der bekannten Brustkrebsgene gefunden wurde, richtet sich die Empfehlung der intensivierten Nachsorge nach dem errechneten Risiko (Abb. 5). Bisher wurde dieses Risiko mit Cyrillic berechnet, und allen Frauen, bei denen ein verbleibendes Lebensrisiko >30 % bzw. eine Heterozygotenwahrscheinlichkeit >20 % vorliegt, wurde die intensivierte Nachsorge angeboten.

Abb. 5
figure 5

Betroffene Ratsuchende aus BRCA(„breast cancer gene“)-negativen Familie

Die Empfehlung einer intensivierten Nachsorge gilt zukünftig für alle an Brustkrebs erkrankten Frauen mit einem Ersterkrankungsalter ≤45 Jahre. Die Entscheidung hierfür basiert auf einer Auswertung der Daten des DK, die zeigen, dass das kontralaterale Risiko einer Brustkrebserkrankung signifikant vom Ersterkrankungsalter abhängig ist, auch bei Frauen, bei denen keine pathogene BRCA1/2-Genveränderung nachgewiesen werden konnte [16]. Hierdurch wird sich das Risikokollektiv folgendermaßen verändern: Momentan wird etwa 57 % (3605/6319) der betroffenen Frauen die intensivierte Nachsorge empfohlen, nach der Umstrukturierung werden ca. 66 % (4192/6319) diese Empfehlung bekommen (Tab. 2). Auch diese Empfehlung wird im DK im Rahmen der prospektiven empirischen Datenerhebung überprüft werden.

Tab. 2 Daten aus DK

Gruppe 3 – Gesunde Ratsuchende aus Familien, in denen keine erkrankte Person (Index) zur Genuntersuchung zur Verfügung steht

Wenn in einer Familie keine erkrankten Familienangehörigen und kein Tumormaterial zur Verfügung stehen, dann richtete sich das Angebot für die genetische Untersuchung einer gesunden Ratsuchenden bisher nach dem errechneten Risiko (Abb. 6). Nach Cyrillic wurde allen Frauen die Testung angeboten, bei denen ein Heterozygotenrisiko ≥20 % vorliegt. Zukünftig wird gesunden Angehörigen die Testung angeboten, wenn die empirische Mutationswahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation ≥10 % liegt. Die empirischen Mutationswahrscheinlichkeiten basierend auf Familienkonstellationen wurden auf der Basis von 21.401 Familien mit Brust- und Eierstockkrebs des DK ermittelt und stellen somit die am besten validierten klinischen Einschlusskriterien für das Angebot einer genetischen Untersuchung auf Mutationen in den Genen BRCA1/2 dar [3]. Die Prävalenz von pathogenen BRCA1/2-Keimbahnmutationen lag bei rund 25 %. Die höchste Mutationswahrscheinlichkeit von ca. 42 % zeigte sich in Familien mit 2 Eierstockkrebserkrankungen, gefolgt von Familien mit Brust- und Eierstockkrebs. Dies bedeutet eine empirische Mutationswahrscheinlichkeit von >21 % für gesunde Angehörige ersten Grades (Abb. 7). Auch gesunde Angehörige ersten Grades von Frauen mit triple-negativem Brustkrebs <50 Jahre und von Frauen mit Eierstockkrebs haben eine empirische Mutationswahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation ≥10 % [17, 18].

Abb. 6
figure 6

Gesunde Ratsuchende mit Frage BRCA(„breast cancer gene“)-Testung

Abb. 7
figure 7

Mutationssuche bei empirischer Mutationswahrscheinlichkeit von ≥10 %. (Mod. nach [3], mit freundl. Genehmigung von BMJ Publishing Group Ltd)

Praktische Umsetzung

Das DK betreut mittlerweile deutschlandweit >40.000 Familien. Das DK hat beschlossen, die Risikoberechnung unter Berücksichtigung der aktuellen Ergebnisse aus dem Früherkennungs- und Nachsorgeprogramm sowie der Weiterentwicklung der Risikokalkulationsprogramme umzustrukturieren.

Ein Risikoberechnungsprogramm ist ein Medizinprodukt, für das eine europäische CE(Conformité Européenne)-Kennzeichnung erforderlich ist. Damit wird die Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen dokumentiert. Vor kurzem erhielt die aktuelle Version, BOADICEA V5, eine europäische CE-Kennzeichnung; Einzelheiten sind auf der Webseite https://www.canrisk.org/ zu finden. Daher wird im Konsortium auf diese Version umgestellt. Die Brustkrebsrisiken von BOADICEA V5 stimmen mit denen von BOADICEA V3 überein, wenn dieselben Eingabedaten und Einstellungen verwendet werden. BOADICEA V5 beinhaltet zusätzliche Risikofaktoren wie Brustdichte, empirische Risikofaktoren und einen sog. polygenen Risikoscore (PRS). Der PRS wird aus über 300 genetischen Varianten als Score zusammengesetzt [19].

Klinische Validierungen fanden bisher ausschließlich mit dem BOADICEA-V3-Modell statt [9,10,11]. Ob die zusätzlichen Risikofaktoren einen klinischen Nutzen erzeugen, wird derzeit in großen Studien untersucht.

Fazit für die Praxis

  • Der Wechsel des Risikoberechnungsverfahrens für Frauen mit familiärer Belastung für Brust- und/oder Eierstockkrebs hat zur Folge, dass sich die berechneten Krebsrisiken ändern werden. Dadurch sollen die intensivierte Nachsorge und die Früherkennung für diese Zielgruppe effizienter gestaltet werden.

  • Das hier vorgestellte Konzept bedarf einer Schulung der beratenden Ärzte. Im DK fanden dazu bereits 2 Fortbildungen statt, deren Teilnahme verbindlich war.

  • Zu beachten ist ferner, dass alle Risikokalkulationsprogramme eine prospektive Validierung erfordern und dass die errechneten Risiken derzeit lediglich Annäherungswerte an die tatsächlichen Inzidenzen darstellen. Dies muss im Rahmen eines umfassenden Beratungsgespräches verständlich und nachvollziehbar erklärt werden. Dazu gehören neben der Erklärung von Grundlagen und Limitationen der Risikoberechnung auch die potenziellen Nachteile einer Teilnahme am INFP (intensivierten Nachsorge- bzw. Früherkennungsprogramm), wie Überdiagnose und falsch-positive Befunde, damit die Ratsuchende eine informierte Entscheidung treffen kann.