Einleitung

Wenn sich bei Patienten, die an einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom leiden und bereits einer Hormonentzugstherapie (ADT) erhalten haben, Anzeichen für einen weiteren Krankheitsprogress zeigen, wird dies als Kastrationsresistenz bezeichnet. Die Wahl der geeigneten Behandlung in dieser Situation hängt von mehreren Faktoren ab, darunter frühere Therapien, Ausmaß und Dynamik der Krankheitsausbreitung, Symptome der Krankheit und Lebensqualität, gleichzeitig bestehende Krankheiten und begleitende Medikamente sowie die persönlichen Vorlieben des betroffenen Patienten.

Grundsätzliche Überlegungen zur Behandlung von Patienten in der kastrationsresistenten Situation

Ein bestätigt steigender PSA-Wert (prostataspezifisches Antigen) auf ≥ 1,0 ug/l bei supprimiertem Testosteron (≤ 50 ug/l bzw. ≤ 1,73 nmol/l) definiert die kastrationsresistente Situation (CRPC; [24]). Abhängig davon, ob in der konventionellen Bildgebung (Computertomographie und Skelettszintigraphie) Metastasen identifiziert werden können, wird ein nicht-metastasiertes (nmCRPC) und ein metastasiertes Stadium (mCRPC) formal unterschieden. In der folgenden Arbeit wird nur die metastasierte Situation behandelt.

Ein steigender PSA-Wert bei supprimiertem Testosteron definiert die kastrationsresistente Situation

Für die Entscheidung, welche Therapie infrage kommt, müssen eine Reihe von Faktoren erfasst werden, u. a. die Art und Dauer der vorherigen Therapie, die aktuelle Ausdehnung der Erkrankung (Bildgebung) und Krankheitsdynamik (z. B. PSA-Verdopplungszeit), krankheitsbedingte Symptome, der aktuelle Gesundheitszustand, allenfalls bestehende Grunderkrankungen und bereits etablierte medikamentöse Therapien und nicht zuletzt, v. a. wenn verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, die Wünsche des individuellen Patienten. Bei Patienten ≥ 70–75 Jahre wird ein kurzes geriatrisches Screening empfohlen [6]. Patienten mit relevanten Einschränkungen im geriatrischen Screening bedürfen einer vertieften Beratung und u. U. einer angepassten Therapie.

Die folgenden Ausführungen gelten grundsätzlich für Patienten ohne relevante Einschränkungen. Die Ausführungen gelten auch grundsätzlich für Patienten, bei denen keine Entwicklung einer Prostatakarzinomvariante vermutet wird. Bislang gibt es keine einheitliche klinische, laborchemische oder pathologische Definition für die aggressive Prostatakarzinomvariante. Eine aggressive Variante wird vermutet, wenn eine ausschließliche oder sehr ausgedehnte viszerale Progredienz vorliegt bzw. wenn eine Krankheitsprogredienz auftritt bei stabilem oder sehr tiefem PSA-Wert oder bei osteolytischen Knochenmetastasen. Wenn möglich sollte mittels Biopsie ein Zweitkarzinom ausgeschlossen werden. An der Biopsie kann untersucht werden, ob eine entdifferenzierte Adenokarzinomvariante (häufig noch mit Nachweis von PSA und Androgenrezeptor [AR]) bzw. ob eine neuroendokrine Differenzierung (Expression von Synaptophysin, Chromogranin A, CD56) mit oder ohne PSA und AR-Expression oder gar eine rein kleinzellig-neuroendokrine Variante vorliegt. Das Biopsiematerial kann auch für eine weiterführende molekularpathologische Zusatzuntersuchung nützlich sein.

Entscheidend für die Therapiewahl in der kastrationsresistenten Situation ist die Vorbehandlung

Entscheidend für die Therapiewahl in der kastrationsresistenten Situation ist die Vorbehandlung, welche Patienten in der hormonsensitiven Situation (mHSPC) erhalten haben. Entsprechend werden in der Folge die verschiedenen Szenarien separat aufgeführt und diskutiert.

Beim Einsatz von allen Therapien ist das Monitorring der Erkrankung wichtig, denn inzwischen steht eine Vielzahl von therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung, so dass eine Krankheitsprogression in der Regel doch frühzeitig erfasst werden sollte. Mit einem Therapiemonitorring sollten auch Komplikationen frühzeitig erfasst werden können (z. B. eine drohende spinale Kompression) und nicht zuletzt stehen Kliniker und Klinikerinnen zunehmend in der Verantwortung beim Einsatz der modernen und in der Regel teuren tumorspezifischen Therapien.

Eine molekularpathologische Untersuchung am Tumorgewebe zur Identifikation von therapierelevanten Alterationen (v. a. BRCA1/2-Alterationen, andere HRR-Alterationen, defekte Mismatch-Reparaturproteine [dMMR] und Mikrosatelliteninstabilität) sollte in Patienten, die fit sind für eine zielgerichtete Therapie spätestens bei Progredienz unter einer neuen endokrinen Therapie (Abirateron, Apalutamid, Darolutamid, Enzalutamid, zusammengefasst ARPI) erfolgen.

Die Advanced Prostate Cancer Consensus Conference (APCCC), welche alle 2 Jahre klinisch relevante Fragen zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Prostatakrebs diskutiert und über im Vorfeld erstellte Konsensusfragen abstimmt, hat sich 2022 spezifisch mit der Frage der Sequenztherapie beschäftigt, einige Resultate daraus sind in Tab. 1 zusammengefasst [15, 16]. In Tab. 2 sind die Resultate dargestellt für Patienten, welche nur kurz auf eine Therapie in der hormonsensitiven Situation angesprochen haben. Die Resultate unterscheiden sich doch deutlich in der Wahl der folgenden Therapie in der kastrationsresistenten Situation.

Tab. 1 APCCC (Advanced Prostate Cancer Consensus Conference) 2022 Abstimmungen zur Sequenz [16]
Tab. 2 APCCC (Advanced Prostate Cancer Consensus Conference) 2022 Abstimmungen zur Sequenz bei schlechtem Ansprechen auf mHSPC-Therapie (metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom; [16])

ADT alleine für mHSPC

Für diese Situation, welche in Zukunft aufgrund der Kombinationstherapien in der hormonsensitiven Situation wahrscheinlich immer weniger häufig anzutreffen ist, gibt es sehr gute Evidenz aus 2 Phase-III-Studien für die endokrine Therapien mit Abirateron bzw. Enzalutamid [4, 21]. In den 2 Zulassungsstudien (PREVAIL und COU-302) wurden nur Patienten mit asymptomatische bzw. minimal symptomatischer Erkrankung eingeschlossen. Klassischerweise wurde für symptomatische Patienten eine Chemotherapie mit Docetaxel empfohlen. Angesichts der sehr guten Verträglichkeit der oralen Therapien spricht aber wenig gegen eine endokrine Therapie in der ersten Linie, vorausgesetzt es wird nicht eine aggressive Variante des Prostatakarzinoms vermutet und diese Patienten werden engmaschiger überwacht um eine Krankheitsprogression frühzeitig zu erfassen.

Patienten mit einer BRCA-Mutation profitieren von einer Kombination (ARPI- und PARP-Inhibition)

Die Daten der PROpel‑, MAGNITUDE- und TALAPRO-2-Studien haben den Vorteil einer früheren Kombinationstherapie (endokrine Therapie plus PARP-Inhibition [Polyadenylribosepolymerase]) in der ersten Linie der kastrationsresistenten Situation untersucht [1, 7, 8]. Präklinisch gibt es Evidenz für eine synergistische Wirkung der Kombinationstherapie, allerdings hat sich in den 3 Studien gezeigt, dass v. a. Patienten mit einer BRCA-Mutation von einer Kombination profitieren (radiographisch progressionsfreier Überlebensvorteil, rPFS). Der Effekt der Kombinationstherapie ist weniger ausgeprägt in Patienten mit anderen homologen Rekombinationsdefekten (HRR-Alterationen, „homologous recombination repair“) und noch etwas geringer im Patienten ohne Nachweis von HRR-Alterationen. Ein signifikanter Gesamtüberlebensvorteil konnte bis jetzt in keiner Studie nachgewiesen werden. Der Einsatz eines PARP-Inhibitors ist mit relevanter, v. a. hämatologischer Toxizität assoziiert und in allen 3 Studien gab es einen nicht unerheblichen Anteil an Patienten, welche die Therapie unterbrechen oder in der Dosis reduzieren mussten. Die Daten dieser Studien werden von den Zulassungsbehörden unterschiedlich interpretiert. Zur Zeit der Erstellung dieses Manuskripts gibt es eine Zulassung von der European Medicines Agency (EMA) für die Kombination aus Niraparib plus Abirateron für Patienten mit BRCA-Alteration und für Olaparib plus Abirateron für alle Patienten mit mCRPC, Talazoparib und Enzalutamid sind noch nicht in der Kombination zugelassen.

ADT plus Docetaxel für mHSPC

Interessanterweise gibt es für diese Situation keine direkte Evidenz aus randomisierten Phase-III-Studien, da die neuen endokrinen Therapien entwickelt wurden, als Docetaxel noch nicht in der hormonsensitiven Situation als Standard zum Einsatz kam. Basierend auf 2 großen Phase-III-Studien (COU-301 und AFFIRM) gibt es aber gute Evidenz für die Wirksamkeit von Abirateron und Enzalutamid nach einer Vorbehandlung mit Docetaxel und entsprechend haben die Mehrheit der Experten an der Konsensuskonferenz für eine solche Option abgestimmt [10, 23].

Im klinischen Alltag muss die verbesserte Wirksamkeit gegenüber der Toxizität abgewogen werden

Grundsätzlich könnte auch in dieser Situation eine Kombination aus PARP-Inhibitor und endokriner Therapie zum Einsatz kommen, 20–30 % der eingeschlossenen Patienten hatten eine Chemotherapie vor Einschluss in die Studie erhalten. Es gelten die grundsätzlichen Überlegungen wie oben ausgeführt, im klinischen Alltag muss die verbesserte Wirksamkeit abgewogen werden gegenüber der zusätzlichen Toxizität, v. a. in Patienten, bei denen die molekularpathologische Untersuchung keinen Nachweis von HRR-Alterationen ergeben hat.

Die Abstimmungsresultate der Konsensuskonferenz zeigen, dass zum Zeitpunkt der Konferenz (April 2022) nur ein sehr geringer Anteil der Expertinnen und Experten eine Kombination aus endokriner Therapie und einem PARP-Inhibitor in Patienten ohne molekulare Alteration einsetzen würden.

Bei rascher Entwicklung einer Kastrationsresistenz nach Vorbehandlung mit Docetaxel in der hormonsensitiven Situation wäre auch direkt eine Zweitlinienchemotherapie mit Cabazitaxel eine denkbare Therapieoption. Für den Re-Challenge mit Docetaxel gibt nur limitierte Daten bzw. retrospektive Fallserien [2]. Die Aktivität von Docetaxel ist wie erwartet eingeschränkt und ein erneuter Einsatz sollte sorgfältig abgewogen werden, auch in Abhängigkeit vom Ansprechen beim ersten Einsatz und von ggf. bereits vorhandenen typischen Nebenwirkungen wie sensorischer Polyneuropathie.

ADT plus endokrine Therapie (Abirateron, Enzalutamid oder Apalutamid: ARPI) für mHSPC

Die Mehrheit der Patienten, welche aktuell in der metastasierten, hormonsensitiven Situation eine systemische Therapie benötigen, werden mittels endokriner Kombinationen behandelt. Docetaxel ist aktuell die Standardfolgebehandlung für diese Patienten in der kastrationsresistenten Situation. Da sich unter einer endokrinen Therapie in der Regel ein langsamer PSA-Progress bei Entwicklung einer Kastrationsresistenz abzeichnet, besteht in ausgewählten Fällen bei bildgebend nachgewiesener Oligoprogression die Option einer lokalen Therapie um den Wechsel einer systemischen Therapie hinauszuzögern. Auch hierzu wurden 2022 an der Konsensuskonferenz Fragen diskutiert und im Manuskript ausgeführt [16].

Die Mehrheit der Patienten mit mHSPC werden mittels endokriner Kombinationen behandelt

Eine direkte Umstellung der endokrinen Therapie bei alleiniger PSA-Progression wird in der Regel nicht empfohlen. Basierend auf prospektiven Studien und aus den Daten der Patienten, welche im Kontrollarm von randomisierten Phase-III-Studien einen direkten Switch der endokrinen Therapie erhalten haben, zeigt sich ein klares und reproduzierbares Bild mit einer sehr geringen Antitumoraktivität der direkten sequenziellen endokrine Therapie [3, 12, 17, 22]. Einzig eine gewisse Wirksamkeit von Enzalutamid nach Abirateron ist nachgewiesen.

Für die Kombination aus ARPI und PARP-Inhibitor gibt es in dieser Situation kaum Evidenz, ein sehr geringer Anteil der Patienten in den 3 oben erwähnten Studien ist mit einem ARPI vorbehandelt worden. Allerdings gibt es gute Daten für die PARP-Inhibitor-Monotherapie (Olaparib, Rucaparib). Es besteht zzt. nur eine Zulassung für Olaparib und eingeschränkt auf Patienten mit pathogener BRCA-Alteration (Keimbahn und/oder somatisch; [9, 13]). Für Patienten mit anderen HRR-Alterationen ist in Europa zzt. kein PARP-Inhibitor zugelassen. Basierend auf der PROFOUND-Studie ist in den USA Olaparib auch für Patienten mit anderen DNA-Reparaturdefekten zugelassen. Die Daten, v. a. zu selteneren Alterationen sind noch gering. Für Patienten mit ATM-Alterationen ergibt sich aber aus mehreren Studien und Analysen zunehmend das Bild einer sehr eingeschränkten PARP-Aktivität [14].

Patienten mit symptomatischer Progredienz und Nachweis von metabolisch aktiven Knochen- und ohne viszerale Metastasen, die nicht fit sind für eine Chemotherapie mit Docetaxel können u. U. eine Radionuklidtherapie mit Radium-223 qualifizieren [20]. Die PSMAfore-Studie wiederum, welche die Radioligandentherapie mit 177Lu-PSMA-617 in chemotherapienaiven Patienten in einer großen, randomisierten Phase-III-Studie untersucht, verglichen mit einem Switch der endokrinen Therapie (siehe Ausführungen oben zur Aktivität eines solchen Kontrollarmes), hat gemäß Pressemitteilung den primären Endpunkt des rPFS erreicht, die Präsentation der gesamten Daten bleibt aber abzuwarten.

ADT plus Docetaxel plus Abirateron oder ADT plus Docetaxel plus Darolutamid für mHSPC

Eine besondere Herausforderung in der Zukunft werden Patienten darstellen, welche in der hormonsensitiven Situation bereits eine 3fach-Kombinationstherapie erhalten haben (ADT plus ARPI plus Docetaxel). Für diese spezifische Patientenpopulation gibt es keine gute Evidenz aus prospektiven, randomisierten Phase-III-Studien. Einige der oben ausgeführten Überlegungen kommen auch in dieser Situation zum Einsatz. An der Konsensuskonferenz hat sich jeweils etwas mehr als die Hälfte der Expertinnen und Experten für den Einsatz der Radioligandentherapie mit 177Lu-PSMA ausgesprochen. Voraussetzung für den Einsatz dieser Therapie ist u. a. eine PSMA-PET-Bildgebung (Positronenemissionstomographie), welche eine relevante PSMA-Expression nachweist. Für Patienten mit BRCA-Alteration ist der Einsatz eines PARP-Inhibitors der Standard in dieser Situation (Tab. 13).

Tab. 3 Therapeutische Optionen in der kastrationsresistenten Situation

Fazit für die Praxis

  • Für Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) stehen mittlerweile verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung. Insbesondere die endokrinen Therapien Abirateron und Enzalutamid (ARPI), die Kombination von Olaparib bzw. Niraparib mit Abirateron oder Talazoparib mit Enzalutamid, die Chemotherapeutika Docetaxel und Cabazitaxel, die Radionuklidtherapie Radium-223 sowie die Radioligandentherapie 177Lutetium-PSMA („prostate specific membrane antigen“). Bei älteren Patienten mit relevanten Komorbiditäten bzw. einer deutlichen Einschränkung im geriatrischen Assessment kann auch eine dosisadaptiere Therapie oder Watchful Waiting zum Einsatz kommen.

  • Eine perfekte Therapiesequenz kann aktuell nicht definiert werden, viel mehr richtet sich die Sequenz der Behandlungen nach der individuellen Krankheitsausdehnung, vorhandenen Symptomen, Begleiterkrankungen und Medikamenten sowie bereits durchgeführten Therapien.

  • Das Monitoring von Patienten mit mCRPC umfasst regelmäßige klinische Untersuchungen, Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren, die in der Häufigkeit je nach individuellem Risiko angepasst werden.