Ethisch betrachtet sind medizinische und pflegerische Handlungen zulässig, wenn 2 Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss eine Indikation vorliegen, und die Maßnahme muss dem Patientenwillen entsprechen. In der Praxis ist dieses einfache 2‑Säulen-Modell nicht immer einfach umzusetzen. Bei schwierigen Fällen ist die Ausweitung einer Therapie häufig nicht sinnvoll, und es kann sein, dass der Schaden für einen Patienten größer ist als der Nutzen. Und auch der Patientenwille ist nicht immer eindeutig zu ermitteln [3]. In diesen Situationen führt der Weg zu guten Lösungen nur über gelingende Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Auf den ersten Blick wirkt der Gedanke widersinnig, Ethik, Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit per Gesetz zu verordnen. Das ethische Grundverständnis der Akteure im Gesundheitswesen und die Ansprüche an Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit erscheinen für gesetzliche Reglungen zu uneinheitlich. Ein gutes Gespräch zwischen verschiedenen Berufsgruppen lässt sich nicht über Paragrafen auf den Weg bringen. Bei näherer Betrachtung ist jedoch genau dies ohne gesetzliche Rahmenbedingungen immer seltener möglich.

Das Hospiz- und Palliativgesetz

Die Hospiz- und Palliativversorgung ist für viele Menschen der Bereich des Gesundheitswesens, in dem Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten am spürbarsten auf den Weg gebracht werden konnten.

Den Erkrankten wird es ermöglicht, ihre Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase zu wahren

Insbesondere onkologisch erkrankten Menschen wird hier Tag für Tag ermöglicht, ihre Selbstbestimmung auch in der letzten Phase ihres Lebens zu wahren. Pflegende und Ärzte beschrieben die Kommunikation und die interdisziplinäre Zusammenarbeit hier im Vergleich zu einem Großteil der Krankenhausabteilungen und zu Einrichtungen der Altenhilfe und Praxen als besser.

Das Hospiz- und Palliativgesetz mit Gültigkeit ab dem 08. Dezember 2015 geht im Sinne einer Weiterentwicklung und Unterstützung in die richtige Richtung [1]. Der Bedarf für palliative Versorgung ist jedoch noch wesentlich größer. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin benennt die Anzahl der Patienten mit einem Hospiz- oder Palliativbedarf, die versorgt werden, auf lediglich ein Drittel [4].

Vor Beginn der Corona-Pandemie, die ebenfalls den Bedarf für eine auch angstlindernde Hospiz- und Palliativversorgung verdeutlicht hat, wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben vom 26. Februar 2020 vielfältig diskutiert. Das Urteil wurde insbesondere von Menschen, die beim Gedanken an das eigene Sterben fürchten, dass sie „der Apparatemedizin hilflos ausgeliefert sein könnten“ [5], sehr positiv aufgenommen. Patientenverfügungen, so hat es sich in der Praxis in den letzten Jahren immer wieder herausgestellt, reichen häufig nicht aus, da sie in der Akutsituation nicht aussagekräftig genug sind. Immer wieder werden Verfügungen mit sich widersprechenden Aussagen vorgelegt. Oder Standardformulierungen wie „Ich möchte im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit keine künstliche Beatmung“ helfen z. B. im Fall einer COVID-19-Erkrankung nicht weiter, da es sich um eine behandelbare Erkrankung handelt und unklar bleibt, ob bei einer Sepsis oder akutem Lungenversagen eine Intensivbehandlung gewünscht wird [8].

AND-Anordnung

Im Klinikalltag hat es sich bewährt, interne Dokumente zu erstellen, aus denen direkt hervorgeht, ob beispielsweise eine Reanimation durchgeführt werden soll oder nicht. Gängige Begriffe sind u. a.:

  • VaW (Verzicht auf Wiederbelebung),

  • DNR („do not resuscitate“) oder

  • keine CPR (keine kardiopulmonale Reanimation).

Bei diesen Formulierungen besteht aufgrund der Anweisung, etwas zu unterlassen („do not“, „Verzicht auf“, „keine ...“) ein negativer Grundton. Es kann der Eindruck entstehen, dass nichts mehr gemacht werden soll. Das Gegenteil ist aber beabsichtigt. In dem Moment, wo kurative Medizin nicht mehr sinnvoll ist oder vom Patienten nicht oder nicht mehr gewünscht ist, treten lindernde und pflegerische Aspekte in den Vordergrund – Palliative Care.

Am Klinikum Bremen-Mitte wurde vor einigen Jahren über das Klinische Ethik-Komitee die AND-Anordnung eingeführt (Abb. 1): Dabei steht AND für: „allow natural death“, auf Deutsch etwa: „den natürlichen Tod erlauben“.

Abb. 1
figure 1

AND-Anordnung („allow natural death“). IMC Intermediate Care, Intensivüberwachungspflege; ECMO extrakorporale Membranoxygenierung

Gemeint ist eine Therapieänderung: Erleichterung bei Beschwerden und Schmerzlinderung in den Vordergrund zu stellen, aber z. B. von invasiven Maßnahmen wie Reanimation, künstlicher Beatmung oder Ernährung abzusehen. Dieses Vorgehen kann bedeuten, dass der Patient in der bestehenden Situation verstirbt.

Ziel ist es, die Erleichterung bei Beschwerden und Schmerzlinderung in den Vordergrund zu stellen

In einer internen Untersuchung wurde durch eine Doktorandin ausgewertet, bei wie vielen Verstorbenen (n = 1045) die AND-Anordnung zum Einsatz kam. Sie fand bei 71,1 % aller Patienten (medianes Alter: 72,84 Jahre) Anwendung, was für eine gute Akzeptanz des Dokuments spricht. Was jedoch überwiegend fehlte, war eine Unterschrift der den Patienten am Tag der Erstellung des Bogens betreuenden Pflegekraft. Unklar bleibt dabei, ob dies lediglich auf fehlende Dokumentation oder auf fehlende Beteiligung an der Entscheidungsfindung zurückzuführen ist.

Advance Care Planning

Dass die Pflegenden eine wichtige Rolle für eine strukturierte Beratung von Menschen mit einem fortgeschrittenen Krankheitsverlauf oder im Alter einnehmen sollten, ist unstrittig und kann erheblich zur Berufszufriedenheit von Pflegenden beitragen [7]. Eine Chance hierfür bieten Advance-Care-Planning(ACP)-Prozesse zur Vermeidung von Übertherapie. ACP ist ein vorausschauendes Vorsorgemodell, das in England, USA, Kanada und Australien entwickelt und erprobt wurde und das in Deutschland bislang noch recht wenig gelebt wird. Angestrebt wird ein stetiger Gesprächsprozess zwischen Patienten, ihren Angehörigen, Bevollmächtigten sowie dem Personal aus den Gesundheitsberufen, um Behandlungs- und Versorgungsentscheidungen für mögliche medizinische und nichtmedizinische – wie pflegerische – Szenarien im Voraus zu besprechen [9, 10]. Zur Dokumentation sind Instrumente wie der Notfallbogen des Zentrums für Angewandte Ethik (https://ethikzentrum.de/) oder die Palliativampel der Deutschen Palliativstiftung (https://www.palliativstiftung.de/palliativstiftung/pipip/) erarbeitet worden.

Im Verlauf des Projekts Heidelberger Meilenstein – Kommunikation (HeiMeKOM) der Thoraxklinik Heidelberg werden neben einem ACP-Gespräch 3 weitere strukturierte Gespräche mit dem Patienten und Angehörigen unter Beteiligung eines Arztes und einer Pflegekraft geführt:

  1. 1.

    Diagnosegespräch/Aufklärung

  2. 2.

    Stabiler Verlauf/Prognostic Awareness

  3. 3.

    Krankheitsprogression/Advance Care Planning

  4. 4.

    Übergang zu Best Supportive Care/Ausblick

Ergänzt werden diese Gespräche noch durch ein Erst- und ein Abschlussgespräch sowie durch aufsuchende „Follow-up-Gespräche“ per Telefon [11]. Das HeiMeKOM-Projekt konnte belegen, wie sehr Patienten und Angehörige von interdisziplinär geführten Gesprächen durch Ärzte und Pflegende profitieren. Es ist wünschenswert, dass dies über den Gesetzgeber als Standard auf den Weg gebracht wird.

Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase

Gegenwärtig gibt es lediglich eine gesetzliche Grundlage nach § 132g Abs. 3 SGB V (Sozialgesetzbuch V) über die „gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“ [6]. Diese Vereinbarung ermöglicht stationären Pflegeeinrichtungen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, eine Vergütungsvereinbarung mit den Krankenkassen abzuschließen und strukturierte Gespräche über die Erstellung von Werteanamnesen, Patienten- und Betreuungsverfügungen, Vorsorgevollmachten, Notfallbögen und ähnlichen Dokumenten abzurechnen. Gelegentlich ist von einer „kommerziellen Version“ für Advance Care Planning die Rede. Mit 48 Unterrichtseinheiten Theorie und 12 Unterrichtseinheiten Praxis in Form von 4 begleiteten Gesprächen bei insgesamt 2 Beratungsprozessen fallen die Anforderungen an die Weiterbildung zur Beraterin/zum Berater der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase vergleichsweise knapp aus [6, 10]. Die Tab. 1 und Abb. 2 benennen Modelle für die Gesprächsführung, die es in dem Zusammenhang zu erlernen gilt. Dabei benennt der Name des Modells NURSE eher zufällig die in der Weiterbildung angesprochene Berufsgruppe der Pflegenden.

Tab. 1 Das „WWSZ-Modell“ (Warten, Wiederholen, Spiegeln, Zusammenfassen)
Abb. 2
figure 2

Das „NURSE-Modell“ („naming, understanding, respecting, supporting, exploring“). Umgang mit Emotionen

Ausblick

Insgesamt bleibt abzuwarten, ob sich das Konzept Advance Care Planning auf die bislang angebahnte Weise durchsetzt. Es fehlt eine gesetzliche Grundlage für abrechenbare Gespräche in der ambulanten Versorgung und im Krankenhaus. Für die Pflegeeinrichtungen, die gegenwärtig versuchen, sich die Reglungen des § 132g zunutze zu machen, wird es von zentraler Bedeutung sein, ob es gelingt, Palliative-Care-Strukturen vor Ort als Alternative zur Krankenhauseinweisung mit der Gefahr der Übertherapie zu entwickeln.

Auch die Kritik am Konzept, dass es sich in den Gesprächen zur Thematik um „Sterbegespräche“ handeln könnte, muss ernst genommen werden [12]. Das Modell der systemischen Beratung in 5 Gängen veranschaulicht über die Metapher eines Menüs mit den Schritten

  1. 1.

    Aperitif = Beziehung aufbauen

  2. 2.

    Vorspeise = Anliegen aus der Perspektive des Bewohners konkretisieren

  3. 3.

    Hauptspeise = Ansätze zur Bearbeitung finden, Lösungen entwickeln

  4. 4.

    Nachspeise = Impulse geben, die Handlungsebene anbahnen

  5. 5.

    Digestif = Gespräch abschließen [2]

eine Möglichkeit, die die Begriffe Ethik, Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit per Gesetz vereint. Ein gutes Menü braucht jedoch neben den manchmal auch teuren Zutaten Zeit und Raum. Das heißt, ohne verbesserte Rahmenbedingungen für die Berufsgruppe der Pflegenden, die seit Jahrzehnten am Limit und häufig drüber hinaus arbeitet, kann eine am persönlichen Lebensweg des Bewohners oder Patienten orientierte Versorgung nicht gelingen.

Fazit für die Praxis

  • Patientenverfügungen reichen häufig aufgrund mangelnder Aussagekraft nicht für die Akutsituation aus.

  • Statt der Formulierung eines Verzichts auf bestimmte Therapiemaßnahmen können lindernde und pflegerische Aspekte in den Vordergrund treten, z. B. durch eine AND-Anordnung („allow natural death“).

  • Advance-Care-Planning(ACP)-Prozesse können zur Vermeidung von Übertherapie beitragen.

  • Beim ACP werden zwischen Patienten und ihren Angehörigen oder Bevollmächtigten und dem Personal aus Gesundheitsberufen mögliche Szenarien im Voraus besprochen.

  • Für stationäre Pflegeeinrichtungen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gibt es die Möglichkeit, nach § 132g Abs. 3 SGB V (Sozialgesetzbuch V) strukturierte Gespräche über die „gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“ abzurechnen.

  • Bisher fehlt eine gesetzliche Grundlage für abrechenbare Gespräche zum Advance Care Planning in der ambulanten Versorgung und im Krankenhaus.