Hintergrund

Seit den ersten beschriebenen Fällen im Dezember 2019 [1] in China hat sich das Coronavirus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) und die dadurch verursachte Erkrankung („corona virus disease 2019“, COVID-19) zu einer weltweiten Pandemie entwickelt [2]. Das Virus ist durch eine hohe Infektiosität gekennzeichnet. Die hervorgerufene Erkrankung COVID-19 verläuft zwar in einem Großteil der Patienten mit milden Symptomen, jedoch kommt es bei einem relevanten Teil der Infizierten zu einem schweren Lungenversagen mit der Notwendigkeit der Hospitalisation und häufig erforderlicher, oft langer intensivmedizinischer Betreuungspflicht mit invasiver Beatmung und hoher Mortalität [3]. In einigen europäischen Ländern, darunter Italien und Spanien, haben diese Komplikationen bereits während der ersten Welle der Pandemie kurzfristig zu einer starken Überlastung des Gesundheitssystems geführt [5].

Die Bereitstellung ausreichender Ressourcen zur Versorgung der akut an COVID-19 erkrankten Patienten trug zu einer außerordentlichen Belastung der gesamten Gesundheitsversorgung bei und führte u. a. in der Urologie zur Unterbrechung etablierter Abläufe in Krankenhäusern und Praxen, Umverteilung von Ressourcen und Verknappung des Personals durch Quarantäne und Infektion [4].

Durch die Coronaviruspandemie war der Zugang zum Gesundheitssystem für viele Patienten erschwert

Zusätzlich war der Zugang zum Gesundheitssystem für viele Patienten auf unterschiedlichen Ebenen erschwert. Die Folgen der dadurch entstehenden Einschränkungen in der Versorgung sind in ihrem gesamten Ausmaß noch nicht absehbar. Die Absage zahlreicher onkologischer Eingriffe, Verschiebung von Systemtherapie und Reduktion der Vor- und Nachsorge, wird vermutlich zu großen medizinischen Kollateralschäden der Coronaviruspandemie führen.

Die Urologie behandelt einen relevanten Anteil aller onkologischen Patienten sowie Patienten mit dringlich zu versorgenden nichtonkologischen Krankheitsbildern. Um die Versorgungssituation der urologischen Patienten in Praxen und Kliniken während der Pandemie zu erfassen, wurde der DGU-Pandemiemonitor durch die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) ins Leben gerufen. Durch kurze und repräsentative Online-Umfragen der DGU-Mitglieder soll in regelmäßigen Abständen und zu relevanten Zeitpunkten die Versorgungssituation für urologische Patienten in Praxen und Kliniken erfasst werden.

Der DGU-Pandemiemonitor

Die Abfrage des DGU-Pandemiemonitors erfolgte in regelmäßigen Abständen über das Portal SurveyMonkey© (SurveyMonkey, San Mateo, USA, www.surveymonkey.com). Die Einladung zur Teilnahme erfolgt per E‑Mail an 1) niedergelassene Urologen und 2) Chefärzte und Direktoren urologischer Kliniken. Als für die Beantwortung der Fragen relevanter Zeitraum wurde jeweils die vorherige Kalenderwoche bestimmt. Die in dieser Auswertung betrachteten Zeiträume sind: 06. bis 12.04.2020 (April), 08. bis 14.06.2020 (Juni), 16.11.2020 bis 22.11.2020 (November) und 14.12. bis 20.12.20 (Dezember; Abb. 1). Die Umfrage war jeweils für 10 Tage offen und über die IP-Adresse auf eine einmalige Teilnahme beschränkt. Insgesamt gingen 689 vollständige Antworten ein (414 aus Praxen, 275 aus Kliniken), wobei die höchste Rücklaufquote im April (155 Praxen, 88 Kliniken) und die niedrigste im Juni (60 Praxen, 33 Kliniken) verzeichnet wurde.

Die Definition der Dringlichkeit der Operationen basiert auf der von der DGU veröffentlichten Priorisierungsliste 2.0 (www.urologenportal.de). Die Ergebnisse wurden mit Microsoft Excel® (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) und Prism Graphpad (Graphpad Software Inc. San Diego, CA, USA) aufbereitet und graphisch dargestellt. Die relevanten Ergebnisse der einzelnen Umfragen wurden im Anschluss der Befragung über das Urologenportal https://www.urologenportal.de/ veröffentlicht.

Abb. 1
figure 1

Zeitlicher Verlauf der aktiven Infektionen während der Coronaviruspandemie in Deutschland und Befragungszeitpunkte des DGU-Pandemiemonitors (Deutsche Gesellschaft für Urologie; gelbe Kreise, SARS-CoV‑2 „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“). (Quelle Statistisches Bundesamt, www.statista.com, Stand 03.01.2021; mit freundl. Genehmigung ©DGU; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1181971/umfrage/aktive-faelle-des-coronavirus-in-deutschland/#professional; https://www.mdr.de/nachrichten/politik/corona-chronik-chronologie-coronavirus-100.html#sprung2)

Versorgungssituation urologischer Patienten in Praxen und Kliniken

Zu allen Zeitpunkten der Befragung wurden die niedergelassen Urologen nach der Höhe des aktuellen Patientenaufkommens im Vergleich der Zeit vor der Pandemie befragt. Im April wurde eine Reduktion des Patientenaufkommens in den Praxen auf im Median 50 % (IQR [„interquartile range“] 40–70 %) des Niveaus vor der Pandemie angegeben. Die Werte zeigten sich vergleichbar in Einzelpraxen, Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren (MVZ; Abb. 3a) und über verschiedene Bundesländer betrachtet (Abb. 2). Die Zahl der urologischen Praxen, die pandemiebedingt eine Reduktion der Sprechzeiten vorgenommen hatten, lag im April bei 42 %, geschlossen waren 2 % der Praxen. Im Juni lag das Patientenaufkommen der Praxen im Median wieder bei 87 % (80–95 %) und nahm bis Dezember zu (Abb. 3a). Die Zahl der Praxen mit reduzierten Sprechzeiten nahm im Juni auf <5 % ab und blieb im November und Dezember auf sehr niedrigem Niveau stabil (2 %). Im April gaben 35,5 % aller Praxen an, für ihre Mitarbeiter Kurzarbeitergeld beantragt zu haben. Im Juni waren es 15 % und im Dezember 2,6 % (Abb. 3b).

Abb. 2
figure 2

Mittleres Patientenaufkommen in urologischen Praxen je Bundesland in Prozenten des Vorjahreszeitraums: a April, b Dezember (grau ohne ausreichende Antworten). (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Abb. 3
figure 3

a Mittleres Patientenaufkommen in Prozent des Vorjahreszeitraums in urologischen Praxen nach Praxisart zu den verschiedenen Erfassungspunkten (MVZ medizinisches Versorgungszentrum). b Anzahl der Praxen die angaben, Kurzarbeit für Mitarbeiter beantragt zu haben. c Anteil verschiedener Patientengruppen an der Gesamtheit der Patienten in den Praxen. (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Es kam zu einer Verschiebung der Gründe für den Praxisbesuch

Neben einer Reduktion des Gesamtaufkommens der Patienten in urologischen Praxen während der ersten Welle der Pandemie (April) kam es zudem zu einer Verschiebung der Gründe für den Praxisbesuch (Abb. 3c). So nahm der Anteil der urologischen Notfälle in den urologischen Praxen im April von 12 auf 26 % zu. Gleichzeitig reduzierte sich der Anteil der Patienten, die zur Vorsorge sowie für elektive Diagnostik und Therapie kamen, von 22 auf 11 % bzw. von 17 auf 9 %. Im Juni zeigte sich die Verteilung vergleichbar zum Zeitpunkt vor der Pandemie. Während der Befragungen im November und Dezember blieb die Zusammensetzung der Patientengruppen stabil. Eine Zunahme der urologischen Notfälle und Abnahme der Vorsorgepatienten wie im April war hier nicht zu beobachten (vgl. Abb. 3c).

Die befragten Chefärzte und Direktoren der urologischen Kliniken gaben im April eine Reduktion der stationär versorgten urologischen Patienten auf im Median 44 % (30–60 %) an. Den niedrigsten Wert zu diesem Erfassungszeitpunkt wiesen die kommunalen Krankenhäuser mit im Median 36 % des Patientenaufkommens (p < 0,01) auf. Im Juni nahm der Anteil auf 80 % (70–90 %) über alle Krankenhaustypen hinweg zu. Im November und Dezember kam es erneut zur Reduktion der stationär versorgten urologischen Patienten auf 75 % (50–85 %) und 60 % (40–80 %). Während der ersten Welle (April) waren die Werte in westlichen Bundesländern niedriger und während der zweiten Welle (Dezember) in den östlichen Bundesländern (Abb. 4). Der Anteil für urologische Patienten zur Verfügung stehende OP-Kapazitäten wurde im April mit 45 % (30–60 %) angegeben und stieg im Juni auf 90 % (80–100 %). Im November und Dezember lag der Wert bei 72,5 % (60–82,5 %) und 50 % (30–80 %), wobei hier die urologischen Universitätskliniken den niedrigsten Wert mit 30 % (25–50 %) aufwiesen (p < 0,01; Abb. 5).

Abb. 4
figure 4

Mittleres Patientenaufkommen in urologischen Kliniken in Prozenten des Vorjahreszeitraums: a April, b Dezember (grau ohne ausreichende Antworten). (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Abb. 5
figure 5

Mittlere Verfügbare OP-Kapazitäten für urologische Operationen als Anteil der Situation vor der Pandemie (farbliche Kodierung für Zeitraum, Muster je nach Art der Klinik, Balken geben den Standardfehler an, Max-Vers Maximalversorger). (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Die Abb. 6 illustriert die Versorgungsmöglichkeiten von Patienten mit OP-Indikation unterschiedlicher Dringlichkeit. Urologische Notfälle konnten zu allen Erfassungszeiträumen zu 100 % in nahezu allen Kliniken versorgt werden. Lediglich im Dezember hatten 15 % der Kliniken Schwierigkeiten urologische Notfälle vollständig zu versorgen. Während im April dringliche Operationen in >75 % der Kliniken zu 100 % versorgt werden konnten, gaben im Dezember 57,5 % der Kliniken an, Patienten mit dringlicher Operation nicht zu 100 % versorgen zu können. In fast der Hälfte der Kliniken (46 %) wurden anfallende dringliche Operationen zu ≤60 % durchgeführt. Zusätzlich gaben 23 % der Kliniken an, maximal 20 % der semidringlichen Operationen durchführen zu können. Die Möglichkeit der Versorgung elektiver Operationen war während der ersten und zweiten Welle stark limitiert, normalisierte sich im Juni jedoch zwischenzeitlich.

Abb. 6
figure 6

Versorgungssituation nach Dringlichkeit der zu erfolgenden Operation. Die Punkte jedes Blocks stellen die Anteile der Antworten der befragten Klinik dar. (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Herausforderungen während der ersten und zweiten Welle der Pandemie in urologischen Praxen und Kliniken

Bei der Frage nach großen Herausforderungen durch die Coronaviruspandemie gaben in Blick auf die erste Welle 63 % der niedergelassenen Urologen den Infektionsschutz in der Praxis an. Weiterhin wurden vor allem die Vereinbarung von OP-Terminen für die Patienten als große Herausforderung gewählt (57 % bzw. 55 %). Während in der ersten Welle Mitarbeiterausfälle nur von 3 % der Urologen als Herausforderung genannt wurden, stieg der Anteil im November und Dezember auf jeweils 55 % und 44 %. Abb. 7 illustriert die von den niedergelassenen Urologen gewählten großen Herausforderungen während der zweiten Welle der Pandemie (Befragung Dezember).

Abb. 7
figure 7

Von den niedergelassenen Urologen als „große Herausforderung“ gewählte Punkte während der ersten (a) und zweiten (b). Eine Mehrfachauswahl war möglich. (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Seitens der Kliniken wurde während der ersten Welle der Infektionsschutz mit 67 % am häufigsten als große Herausforderung gewertet. Während der zweiten Welle belegten die Mitarbeiterausfälle mit 63 % den ersten Platz (Abb. 8). OP-Kapazitäten für Patienten aller Priorisierungsgruppen waren ebenfalls ein von den Chefärzten und Klinikdirektoren oft angegebener Punkt. Zum Zeitpunkt Dezember gaben 30 % der Befragten an, die Aufrechterhaltung der Notfallversorgung als große Herausforderung zu erleben.

Abb. 8
figure 8

Von den Chefärzten und Klinikdirektoren als „Große Herausforderung“ gewählte Punkte während der ersten (a) und zweiten (b) Welle der Pandemie. Eine Mehrfachauswahl war möglich (IMC „intermediate care station“). (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Anpassung der urologischen Versorgung an die Umstände der Pandemie

Prinzipiell besteht die Möglichkeit einer regionalen und überregionalen Verlagerung von Patienten für dringliche Diagnostik und Therapien mit urologischen Krankheitsbildern. Dies kann zur Entlastung in schwer betroffenen Regionen beitragen.

Im Dezember gaben >73 % der niedergelassenen Urologen an, dass ihre Patienten Schwierigkeiten haben, in der regionalen Klinik OP-Termine für elektive Operationen zu bekommen. Bei Patienten mit semidringlicher Operation waren es 43 % und bei dringlichen Operationen 18 %. Eine überregionale Vermittlung urologischer Patienten für eine semidringliche Operation erfolgte durch 19 % und für dringliche Operationen durch 13 % der befragten niedergelassenen Urologen (Abb. 9a, b). Seitens der Kliniken erfolgte eine Verlagerung von Patienten für dringliche Operationen regional durch 18 % und überregional durch 9 % der Befragten. Für semidringliche Eingriffe waren die Zahlen 11 % und 4 % (Abb. 10a, b).

Abb. 9
figure 9

a Schwierigkeiten der regionalen Vereinbarung von OP-Terminen seitens der Patienten nach Dringlichkeit der Operation und b pandemiebedingte überregionale Vermittlung von OP-Terminen durch die niedergelassenen Urologen. (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Abb. 10
figure 10

a Pandemiebedingte regionale und b überregionale Vermittlung von OP-Terminen seitens der urologischen Kliniken nach Dringlichkeit der Operation. (Mit freundl. Genehmigung ©DGU)

Neben einer Umverteilung urologischer Patienten ist auch eine pandemiebedingte Abweichung bisheriger Therapiestandards denkbar. Dies wurde in der Juni-Befragung erfasst. Die seitens der niedergelassenen Urologen am häufigsten erlebte Abweichung von einem bestehenden Therapiestandard war die Einleitung einer Hormontherapie bis zum Zeitpunkt der radikalen Prostatektomie oder Bestrahlung (42 %). Eine häufigere BCG-Instillationstherapie (Bacillus Calmette-Guérin) anstelle einer Frühzystektomie oder eine vermehrte neoadjuvante Chemotherapie statt einer primären Zystektomie, wurde pandemiebedingt nur von 5 % bzw. 2 % der Antwortsender beobachtet. Die Frage nach einer Umstellung von stationären Behandlungsstandards wurde von der überwiegenden Zahl der Antwortsender (87 %) mit „nein“ beantwortet. So gaben z. B. nur lediglich 7 % der Kliniken an, eher offene statt laparoskopische Eingriffe durchzuführen.

Die Auswirkungen der Coronaviruspandemie auf die urologische Versorgung

Die Versorgung der an COVID-19 erkrankten Patienten im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme weltweit vor eine große Herausforderung. Neben der per se großen Zahl der Erkrankten, ist die sehr personalintensive und aufwendige Versorgung der COVID-19-Patienten sowie der umfassende Infektionsschutz ein Grund für die Ausnahmesituation aller Gesundheitsversorger.

Die Notwendigkeit der medizinischen Versorgung der akut an COVID-19 erkranken Patienten gebietet es, die Behandlung weniger dringlicher und weniger akut verlaufender Erkrankungen aufzuschieben [6]. Dieser Umstand hat großen Einfluss auf die Urologie, die einen verhältnismäßig großen Teil an elektiven oder zumindest planbar dringlichen Eingriffen ausweist [7]. Am 13.03.2020 appellierte das Gesundheitsministerium in einem Brief an alle Geschäftsführer der Kliniken, alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe auf unbestimmte Zeit zu verschieben, sofern medizinisch vertretbar. Als Folge wurde die urologische Versorgung in den meisten Kliniken drastisch reduziert, wie die Daten des DGU-Pandemiemonitors zeigen: Im April standen <50 % der OP-Kapazitäten für urologische Patienten zur Verfügung und im überwiegenden Anteil der Kliniken (78 %) konnten elektive urologische Operationen gar nicht oder nur zu einem geringen Teil erfolgen. Die Streichung gerade elektiver OP-Kapazitäten traf in besonderer Weise das Belegarztwesen, da häufig primär die bettenführenden Facharztpraxen von den Verwaltungen aufgefordert wurden, ihre stationäre Versorgung einzustellen. Im Dezember und November konnten vergleichbare Einschränkungen erhoben werden (Mitteilung des Bundesverbandes der Belegärzte, https://www.bundesverband-belegaerzte.de/).

Die seitens der Deutschen Krebshilfe bereits im Juli angegebene Verschiebung von über 50.000 Krebsoperationen allein in Deutschland lässt den enormen Druck auf das sich vor der Pandemie gerade so im Equilibrium zwischen Bedarf und Kapazitäten befindliche und auf Effizienz getrimmte Gesundheitssystem vermuten. Die Verschiebung einer onkologischen Therapie ist zu einem gewissen Ausmaß sicherlich medizinisch vertretbar, birgt aber vielfältige Risiken für eine Verschlechterung der Ausgangssituation der Patienten, wie eine aktuelle Metaanalyse zeigt [8]. Aus diesem Grund erfolgte bereits am 20.03.2020 der Appell der DGU an den Bundesgesundheitsminister, dringlich zu erfolgende Eingriffe, z. B. bei Krebspatienten, in einem Gesamtkonzept zu berücksichtigen, um diese nicht als möglicherweise unwiderruflich Geschädigte der Coronaviruspandemie verantworten zu müssen.

Die Umstände der Pandemie machten es nötig, die Dringlichkeit urologischer Eingriffe zu bedenken und Operationen zu priorisieren. Die von der DGU am 23.03.2020 erstmals veröffentlichte und im Anschluss mit Hilfe der Mitglieder überarbeitete Indikationsliste stellte eine Orientierungshilfe für die Priorisierung urologischer Operationen dar, die von anderen Fachgesellschaften übernommen wurde [4]. Einer der wesentlichen Punkte hierbei ist die vertretbare Priorisierung onkologischer Eingriffe. Diese machen einen überwiegenden Teil der urologischen Eingriffe aus, die nicht unbedenklich verschoben werden können. Bei Patienten mit muskelinvasivem Harnblasenkarzinom sollte eine radikale Zystektomie innerhalb von 3 Monaten oder idealerweise 6 Wochen nach der Diagnose erfolgen, da sonst mit einem schlechteren Überleben zu rechnen ist [9]. Die Situation anderer urologischer Tumoren ist oft weniger dringlich. So zeigen kleine Nierentumore oft ein geringes Wachstum und ein niedriges Metastasierungsrisiko und für das Prostatakarzinom deuten aktuelle Daten an, dass eine Verzögerung der Behandlung sogar bei hohem Risiko bis zu 6 Monate möglich ist. Der Einzelfall und die psychische Belastung einer Pandemie-bedingten Verzögerung der Therapie eines („Hoch-Risiko-“)Karzinoms bleibt dabei jedoch unbeachtet und sollte nicht unterschätzt werden [6, 10]. Dies mag einer der Gründe sein, warum verschiedene urologische Gesellschaften unter anderem auch dem Hoch-Risiko-Prostatakarzinom eine mittlere bis hohe Priorität eingeräumt haben [4, 11].

Die Streichung gerade elektiver OP-Kapazitäten traf in besonderer Weise das Belegarztwesen

Wie hoch der tatsächliche Anteil der Patienten ist, die einer dringlichen urologischen Operation bedürfen, versuchte eine italienische Arbeitsgruppe zum Anfang der Pandemie zu beantworten. Laut dieser Arbeit machen Patienten mit dringlicher uroonkologischer OP-Indikation in Häusern der Maximalversorgung etwa ein Drittel der Patienten aus [12]. In kleineren Häusern ist der Anteil vermutlich geringer. Dies mag der Grund sein, warum zumindest während der ersten Welle der Großteil der Kliniken dringliche Operationen zu 80–100 % versorgen konnten. Im Dezember gaben jedoch zwei Drittel aller Kliniken an, dringliche urologische Operationen nicht gänzlich versorgen zu können. Sowohl Praxen als auch Kliniken wichen zumindest teilweise auf eine überregionale Vermittlung von Patienten aus. Dieses Konzept kam in anderen Ländern wie Italien bereits im Frühjahr 2020 zum Tragen [5].

In Deutschland hatten fast 75 % der niedergelassenen Urologen Schwierigkeiten, OP-Termine für Patienten mit elektiver Operationsindikation zu bekommen. Zwar droht für diese Patienten meist kein bleibender Schaden, aber nicht selten eine längere Zeit mit Schmerzen und Beschwerden. Zum aktuellen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass deutschlandweit urologische Operationen nicht im erforderlichen Zeitraum erfolgen. Die Daten des DGU-Monitors aus dem November und Dezember verdeutlichen jedoch, dass die Ausnahmesituation, in dem sich das Gesundheitssystem und damit auch die urologische Versorgung befinden, nicht über einen wesentlich längeren Zeitraum aufrechterhalten werden kann.

Urologische Praxen erfuhren während der ersten Welle der Pandemie eine vergleichbare Einschränkung wie Kliniken, mit einer Reduktion des Patientenaufkommens um etwa die Hälfte. Während in den Kliniken die Verteilung der Ressourcen und das Freihalten von Normal- und Intensivbetten für die Reduktion verantwortlich waren, zeigten sich in den Praxen v. a. die geringe Verfügbarkeit von Schutzausrüstung und die Notwendigkeit des Infektionsschutzes für die Reduktion verantwortlich. Dies wurde durch den DGU-Monitor sowie einer weiteren Umfrage unter deutschen Urologen bekräftigt [13].

Zusätzlich spielte vermutlich die Wahrnehmung der Pandemie durch die Patienten eine entscheidende Rolle. Ein Rückgang der urologischen Patienten insbesondere in den Praxen ist sehr wahrscheinlich auch durch eine ausbleibende Vorstellung seitens vieler Patienten zu erklären. Angst vor Infektion sowie die Erwartung, auf ein sich abschottendes und überfordertes Gesundheitssystem zu treffen, sind mögliche Gründe. Über verschiedene Disziplinen – so auch in der Urologie – wurde ein Rückgang von Patienten vermerkt, die sich mit akuten Beschwerden vorstellen [14]. Allerdings wurde dieses Phänomen v. a. in Kliniken beschrieben [7].

Die Ergebnisse des DGU-Monitors zeigen während der ersten Welle der Pandemie eine Zunahme der urologischen Notfälle (Nierenkolik, Hodenschmerzen, Makrohämaturie, Harnverhalt) von 12 auf 26 % in den urologischen Praxen. Dies bedeutet selbst unter Berücksichtigung der Abnahme der absoluten Patientenzahlen einen Zuwachs. Trotz dieser nur sehr oberflächlichen Betrachtung kann dieser Umstand Anlass geben, die Notfallversorgung nach der Pandemie zu überdenken. Eine stärkere Einbindung des ambulanten Sektors zur Entlastung der Notaufnahmen und Kliniken scheint zumindest kurzfristig funktioniert zu haben[7].

Problematisch war und ist die operative Weiterversorgung der Patienten in urologischen Kliniken

Die Sorgen der Patienten vor einer Infektion im Rahmen eines Praxisbesuchs erklären den deutlich geringeren Anteil derer, die sich insbesondere während der ersten Welle der Pandemie für Vorsorgeuntersuchungen in den Praxen vorgestellt haben. Daten aus den USA und Großbritannien zeigen neben einem generellen Rückgang an Vorstellungen von Patienten mit häufigen Krebserkrankungen, darunter dem Prostatakarzinom, um >50 %, einen Rückgang an Vorsorgeuntersuchungen um bis zu 84,5 % [15]. Die Tatsache der fehlenden Vorstellung für Vor- und Nachsorge wurde von >40 % der niedergelassenen Urologen als eine große Herausforderung der Pandemie angegeben. Die Langzeitfolgen dieser Beobachtung bleiben abzuwarten.

Erfreulicherweise zeigte sich im November und Dezember die Situation in den urologischen Praxen als im Vergleich zu vor der Pandemie stabil. Bei kaum reduzierten Patientenzahlen konnte ein stabiler Anteil der Patienten zu Vor- und Nachsorge erhoben werden. Dies verdeutlicht, dass urologische Praxen die Herausforderungen der Pandemie wie Infektions- und Mitarbeiterschutz gut gemeistert haben und die ambulante urologische Versorgung während der zweiten Welle der Pandemie größtenteils gewährleisten konnten. Problematisch war und ist jedoch die operative Weiterversorgung der Patienten in urologischen Kliniken. Eine gute sektoren- und regionenübergreifende Zusammenarbeit unter Urologen kann dieser schwierigen Situation entgegenwirken, damit die uns anvertrauten Patienten weiterhin eine adäquate Therapie erhalten.

Fazit für die Praxis

  • Um die Versorgungssituation der urologischen Patienten während der Coronaviruspandemie zu erfassen, wurde der DGU-Pandemiemonitor (Deutsche Gesellschaft für Urologie) ins Leben gerufen.

  • Während der ersten Welle der Pandemie nahm der Anteil der Notfälle in den urologischen Praxen zu, während Vorstellungen zur Vor- und Nachsorge abnahmen. Dies zeigte sich während der zweiten Welle der Pandemie nicht.

  • Die OP-Kapazitäten für urologische Operationen sanken im April. Nach einer Normalisierung im Juni fiel der Wert Im November und Dezember.

  • Im Dezember gaben mehr als die Hälfte der Kliniken an, Patienten mit dringlicher Operation nicht zu 100 % versorgen zu können.

  • Die Möglichkeit der Versorgung elektiver Operationen war während der ersten und zweiten Welle stark limitiert.

  • Eine pandemiebedingte überregionale Vermittlung urologischer Patienten für Operationen erfolgte je nach Dringlichkeit der Operation.

  • Neben der Verfügbarkeit von OP-Kapazitäten wurden der Infektionsschutz und Mitarbeiterausfälle am häufigsten als große Herausforderungen der Pandemie gewählt.