Die COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) hat zu drastischen Veränderungen des Alltags geführt. Während Deutschland in der ersten Phase zu Beginn des Jahres durch frühe Maßnahmen mit Lockdown eine klinische Katastrophe, wie wir sie in anderen europäischen Ländern [1] und auch den USA gesehen haben, vermieden werden konnte, kam es zu Herausforderungen in der Wirtschaft, insbesondere im Einzelhandel.

Durch Aufschiebung von elektiven Krankheitsfällen und weitestgehender Reduktion des klinischen Programms auf Notfälle im ambulanten und stationären Sektor kam es zu Einschneidungen des Klinikalltags. Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Beeinträchtigung unserer Patienten mit Einsetzen der zweiten Coronawelle sind noch nicht absehbar. Im folgenden Review sollen 3 Aspekte aufgearbeitet werden. Für Patienten bedeutet die Pandemie eine doppelte Herausforderung. Sie sind zumeist in einer Risikogruppe für einen kritischeren Verlauf der Erkrankung und haben eine Erkrankung, deren Diagnose und Therapie durch die Reduktion des Alltagsprogramms gefährdet sind. Ärzte sind durch den Umgang mit infizierten Patienten einem gewissen Risiko ausgesetzt und müssen den Alltag für Forschung, Lehre und Ausbildung umstrukturieren. Die Telemedizin wurde weltweit forciert in den Alltag in Klinik und Ambulanz integriert. Nicht nur die ambulante Patientenversorgung, auch die Fort- und Weiterbildung kann durch diese Maßnahme in Zeiten der Pandemie erhalten werden.

Um Intensivkapazitäten zu schaffen werden elektive Operationen verschoben. Die europäische Gesellschaft für Urologie hat die Dringlichkeit von elektiven Operationen zusammengefasst. Dies sind Zystektomien, lokal fortgeschrittene Tumoren der Niere und Nebenniere, Urothelkarzinome des oberen Harntrakts, Peniskarzinome und Hodentumoren. Aus dem nicht-onkologischen Bereich werden komplizierte Steine genannt [2].

Die COVID-19-Pandemie hat zu drastischen Veränderungen des Alltags geführt

Patienten leiden zum einen vor Angst einer Coronainfektion, zum anderen müssen sie mit den Konsequenzen einer Verschiebung der Therapie umgehen. Campi et al. [3] analysierten die Angst der Patienten vor einer Coronainfektion mit dem Wunsch eine elektive Operation zu verschieben. Patienten mit geplanten operativen Eingriffen wurden telefonisch über eine gewünschte Verschiebung der Therapie und über die Ängste vor einer Coronainfektion befragt. Es waren sowohl onkologische als auch rekonstruktive und funktionelle Eingriffe. Erwartungsgemäß war die Bereitschaft bei onkologischen Eingriffen die Operation zu verschieben signifikant niedriger als bei elektiven nicht onkologischen Eingriffen (33 % vs. 63,4 %; p < 0,001). Bei benignen Indikationen gab es signifikante Unterschiede in Bezug auf eine potenzielle Symptomatik. Patienten mit einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) oder andrologischen Eingriffen wie Hydrozelen, Varikozelen oder erektiler Dysfunktion waren signifikant häufiger bereit die Operation zu verschieben als Patienten mit einer Urolithiasis (71 % vs. 68,8 % vs. 48,8 %; p = 0,004). Die Bereitschaft eine Operation zu verschieben korrelierte signifikant mit der Angst vor einer Coronainfektion, wobei gerade ältere Patienten auch bei Tumoroperationen die Operation verschoben hatten, um das Risiko einer Coronainfektion im Krankenhaus zu minimieren.

In Anbetracht der Tatsache, dass sogar ein Drittel der Patienten mit „dringlichen“ elektiven Operationen, wie beispielsweise eine Zystektomie, bereit sind, die Operation zu verschieben, bleibt abzuwarten, ob in der nahen Zukunft mehr Patienten mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren behandelt werden müssen. Erschreckend sind die Ergebnisse einer internationalen online Datenerhebung. In dieser konnte gezeigt werden, dass ein Fünftel der Patienten mit eingestuften Hoch-Risiko-Tumoren [4] verschoben wurden und die Hälfte der Patienten mit einem Keimzelltumor im Stadium I keine adjuvante Chemotherapie erhielt. In diesem Setting fehlen sicherlich weitere Angaben inwiefern es nicht-seminomatöse testikuläre Keimzelltumoren (NSKZT) mit hoher Risikokonstellation für eine okkulte Metastasierung waren, für die die adjuvante Chemotherapie indiziert ist [5].

Der Einfluss der Verzögerung einer Operation bei urologischen Tumoren auf onkologische Kontrolle ist unterschiedlich. Während bei der Diagnose eines nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinoms kaum mit einer Verschlechterung der Prognose zu rechnen ist, gibt es beim invasiven Urothelkarzinom der Blase und des oberen Harntrakts Untersuchungen, die zeigen, dass eine Aufschiebung der Zystektomie oder Nephroureterektomie mit einer Verschlechterung des Gesamtüberlebens einhergeht. Bei anderen Tumoren wie dem Prostatakarzinom kann durch eine Androgendeprivation ein längeres Intervall bis zu einer Operation erreicht werden [6].

Tumorpatienten sollten für die Indikation einer zeitnahen Operation kritisch beurteilt werden

Tumorpatienten sollten somit für die Indikation einer zeitnahen Operation kritisch beurteilt werden. Die onkologischen Langzeitdaten bei Patienten mit verschobenen Operationen fehlen. Allerdings gibt es Informationen über funktionelle Ergebnisse nach radikaler Prostatektomie, welche potenziell auch auf Operationen mit benigner Indikation übertragen und für die Planung von Operationen mit Reha-Maßnahmen im weiteren Verlauf von Bedeutung sind.

Die soziale Isolation der Patienten, sowohl während des stationären Aufenthalts als auch im postoperativen Intervall, wurde für Veränderungen im postoperativen Schmerzbedarf, dem Gemütszustand der Patienten und des frühfunktionellen Outcome untersucht. Hierfür wurden knapp 30 Patienten, die während der Pandemie mittels laparoskopischer daVinci-assistierter Prostatektomie behandelt wurden, mit Patienten in der Prä-Coronazeit verglichen. Es gab keine signifikanten Unterschiede in den Patientenkollektiven und Tumorcharakteristika. Insgesamt konnte als frühes Ergebnis ein erhöhter Schmerzmittelverbrauch in der postoperativen Phase sowie eine höhere psychische Belastung bei Patienten in der Coronaphase nachgewiesen werden. Ein signifikant höherer Verbrauch an Vorlagen mit einer dadurch begründeten erhöhten Inkontinenz konnte erfasst werden und wurde der sozialen Isolation zugesprochen [7]. Die zu Beginn der Pandemie bereits beschriebene Verunsicherung und depressive Verstimmung der Patienten in der Coronaphase [8] konnte in dieser kleinen Fallzahl den Einfluss auf das funktionelle Outcome der Patienten belegen. Bereits vor der Pandemie konnte in einer großen retrospektiven Analyse der negative Einfluss des psychischen Zustands der Patienten auf das funktionelle Outcome der Patienten darlegen [9]. Insofern würde sich in Zukunft bereits vor Operationsplanung ein psychoonkologisches Assessment anbieten, um frühzeitig gegensteuern zu können.

Ähnlich wie bei der „Triage für Operationen“ wurden Empfehlungen für eine Systemtherapie ausgesprochen [10]. Insgesamt ist man bei Therapien mit wenig Einfluss auf das Immunsystem wie die Androgendeprivation und primär kurativen Therapien großzügiger als mit palliativen Ansätzen mit toxischeren Therapien wie Platin-basierte Chemotherapien, die in der Regel bei Patienten mit weiter fortgeschrittenem Tumorleiden Anwendung finden. Insgesamt sollte der Nutzen der Therapie aber immer individuell betrachtet und diskutiert werden.

Der Nutzen der Therapie sollte immer individuell betrachtet und diskutiert werden

Insgesamt kam es sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor zu starken Restriktionen. Interessanterweise kam es während der ersten Phase der Coronapandemie zu einem signifikanten Abfall der vorgestellten ambulanten urologischen Notfälle. Dies konnte in einer italienischen retrospektiven Analyse aus Norditalien gezeigt werden [11]. In einer vergleichenden Studie wurde das Notfallaufkommen aus dem Beginn der Pandemie (März 2020) mit dem gleichen Monat aus dem Vorjahr verglichen. Es kam zu einer Reduktion der Notfälle im urologischen Bereich um 30 % (p < 0,001). Durch entsprechende Maßnahmen konnte die Versorgung von elektiven Fällen im ambulanten Sektor aufrechterhalten werden.

Ein Großteil der urologischen Patienten kann ambulant diagnostiziert und die weiteren Maßnahmen daraus abgeleitet werden. Lediglich knapp 20 % der Patienten muss einer direkten operativen Therapie zugeführt werden [12]. Um den Patientenkontakt in der Praxis und in der Klinik auf ein Minimum zu reduzieren, wurden z. T. virtuelle Sprechstunden online-basiert etabliert [13]. Mittlerweile gibt es erste Untersuchungen auf die Effektivität von telemedizinbasierten Sprechstunden, sowohl von onkologischen als auch von nicht-onkologischen Erkrankungen. Die Intention der Telemedizin liegt in der Pandemiezeit nicht in der Ermöglichung, sondern in der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung bei gleichzeitiger Reduktion von persönlichem Kontakt und Verbreitung des Virus auf potenzielle Hochrisikopatienten [14, 15]. Insbesondere Patienten mit einem hohen Risiko durch eine Coronainfektion können durch eine telemedizinische Sprechstunde gut abgefangen werden.

Die Effektivität von virtuellen Sprechstunden konnte in der Prä-Coronazeit bereits in gut aufgebauten, mitunter prospektiv randomisierten Studien belegt werden. In verschiedenen urologischen Indikationen wie Prostata- und Blasenkarzinom [16,17,18,19], Infektionen [20], Steinen [21] oder Inkontinenz [22, 23] konnte in der Indikationsstellung sowie in der Nachsorge eine vergleichbare Effektivität und Patientenzufriedenheit erreicht werden. Interessanterweise war die persönliche Vorstellung mit Aufklärung über Therapieoptionen beim neu diagnostizierten Prostatakarzinom im Vergleich zur Telemedizin nicht mit einer besseren Patientenzufriedenheit verbunden. Im postoperativen Intervall kam es in beiden Gruppen zu gleichen geringen Anteilen mit Unzufriedenheit mit der gewählten Therapie [16].

Die Telemedizin wurde weltweit forciert in den Alltag in Klinik und Ambulanz integriert

Auch unter den anderen Diagnosen konnte eine Nachsorge von benignen und malignen Erkrankungen mit einer hohen Patientenzufriedenheit und deutlich weniger kalkulierten Kosten erfolgen, bei gleicher Dauer der Patient-Arzt-Interaktion während der Konsultation [17]. Insgesamt scheint die Etablierung der Telemedizin nicht nur im Bereich der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Zentrenbildung, sondern auch in der Patientenbetreuung signifikant vorangetrieben worden zu sein. Seit der COVID-19-Pandemie hat die Nachfrage an Plattformen (Zoom) zur Durchführung einer Telemedizin um 257–700 % zugenommen [24].

Urologen und Urologen in Ausbildung sind genau wie Ärzte aus in anderen Fachrichtungen einem Risiko selbst an COVID-19 zu erkranken ausgesetzt. Zumindest in Italien konnte ein linearer Trend unter Krankenhausmitarbeitern aufgezeigt werden an COVID-19 zu erkranken, wobei die absolute Zahl an Neuinfektionen schwankend war [25].

In Deutschland fühlten sich Urologen zu Beginn der Pandemiemaßnahmen mit den Restriktionen im Krankenhausalltag und sozialem Umfeld gut vorbereitet und informiert. Bereits im Frühjahr konnte in der Umfrage eine deutliche Zunahme der Telemedizin im ambulanten Sektor erfasst werden, welche nun ubiquitär zur Anwendung kommt [26]. Nicht nur durch die Verschiebung und Kürzung von Operationen, sondern auch durch die Umstrukturierung des klinischen Alltags mit Verlagerung der klinischen Tätigkeit in den Notfallbereich in den Infektionsambulanzen [25], kommt es unweigerlich zu Schwierigkeiten in der Assistentenausbildung und -weiterbildung. Insbesondere durch den Wegfall einer großen Anzahl an Operationen leidet die chirurgische Ausbildung, während die Tätigkeit im Ambulanzbereich unwesentlich beeinflusst wurde [27]. Der tatsächliche Patientenkontakt wurde zwar um bis zu 50 % reduziert, wurde aber durch die Implementierung der Telemedizin wieder weitestgehend aufgefangen [28].

Schlussfolgerung

Der klinische Alltag hat sich mit Pandemiebeginn von COVID-19 drastisch verändert. Die Ausbildung der Assistenten wurde in einigen Kliniken durch das Einführen der Telemedizin aufrechterhalten. Mit der Telemedizin kann in der heutigen Zeit im ambulanten Sektor ein Teil der Patienten-Arzt-Interaktion unproblematisch und kosteneffizient erfolgen.

Mit Telemedizin erfolgt ein Teil der Patienten-Arzt-Interaktion unproblematisch und kosteneffizient

Die chirurgische Ausbildung konnte und kann nicht in dem Ausmaß durchgeführt werden, wie es in den Curricula festgelegt ist. Die verschobenen Operationen führen zu einer erhöhten Intensivkapazität. Die Konsequenzen für den Patienten mit einer im schlimmsten Fall Verschlechterung der Tumorkontrolle und reduzierten Überlebenszeiten können leider noch nicht abgeschätzt werden.

Fazit für die Praxis

  • Wie andere klinische Bereiche kam es auch in der Urologie zu starken Veränderungen im Alltag. Patienten erfahren eine Selektion in der Therapie, um eine Ausbreitung des Virus zu vermindern und die Patienten nicht zu gefährden.

  • Während die Notfallmedizin einen Zugewinn bekommt, ist die Lehre der Basisurologie auf chirurgischer Ebene eingeschränkt.

  • Tumorpatienten sollten für die Indikation einer zeitnahen Operation kritisch beurteilt werden.

  • In Zukunft würde sich bereits vor Operationsplanung ein psychoonkologisches Assessment anbieten.

  • Die rasche Integration der Telemedizin wird wohl auch in Zukunft weder aus dem Alltag in der Klinik noch auf Fortbildungen und Kongressen wegdenkbar sein.

  • Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Beeinträchtigung unserer Patienten mit Einsetzen der zweiten Coronawelle sind noch nicht absehbar.