Lernziele

Nach Absolvieren dieser Fortbildungseinheit …

  • sind Sie in der Lage, horizontale und vertikale Strategien der Infektionsprävention zu unterscheiden.

  • wird Ihnen die Bedeutung neuer molekular-epidemiologischer Verfahren in der Infektionsprävention deutlich.

  • ziehen Sie eigene Schlüsse, wie Maßnahmen zur Prävention von multiresistenten Erregern in ihrem eigenen Umfeld umgesetzt werden können.

  • wird Ihnen die Bedeutung schnittstellenübergreifender Netzwerke in der ambulanten und stationären Versorgung von Patienten mit MRE bewusst.

Einleitung

Die allgegenwärtige Pandemiesituation durch das Coronavirus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) rückt die Infektionsprävention mit all ihren Aspekten der Gesundheitsfürsorge als genuines Betätigungsfeld der Public Health in den Vordergrund und ist zum beherrschenden Thema in der Infektionsprävention geworden. Gleichwohl sind andere Erreger ebenso präsent, erfahren aber durch ihre endemische Verbreitung zurzeit nicht die gebotene Aufmerksamkeit: multiresistente bakterielle Erreger (MRE).

Rationaler Antibiotikagebrauch und multiresistente Erreger

Die World Health Organization (WHO) nennt die wachsende Antibiotikaresistenz als eine der 10 größten Bedrohungen für die Gesundheit der Menschheit [1]. Insbesondere nosokomiale Infektionen (NI) durch MRE spielen eine wichtige Rolle. So konnten 2 große Studien zu NI und Multiresistenz in Europa zeigen, dass die Krankheitslast durch Infektionen mit MRE deutlich zugenommen hat und weiter zunehmen wird [2, 3]. Für die Prävention von MRE sind einerseits die Entstehung einer Resistenz durch nicht sachgerechten Antibiotikagebrauch und andererseits die Weiterverbreitung von MRE durch mangelnde Hygiene zu nennen.

Merke

Nosokomiale Infektion: eine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand. (§ 2 Satz 8 IfSG)

Hier setzen unterschiedliche Präventionskonzepte an: vertikale- und horizontale Prävention. Darüber hinaus zeigt sich, dass in Deutschland durch das streng korporatistische Gesundheitssystem schnittstellenübergreifende Präventionsstrategien zur Anwendung kommen müssen. Sowohl auf der diagnostischen Ebene durch den Einsatz innovativer Typisierungsverfahren wie auch auf der Public-Health-Ebene durch die Etablierung schnittstellenübergreifender Netzwerke stehen Monitoring-Tools zur Verfügung, die in der Lage sind, das MRE-Problem nachhaltig zu beherrschen.

Merke

Die Antibiotikaresistenzentwicklung ist eine der 10 größten Bedrohungen der globalen Gesundheit.

Die Resistenzentwicklung bakterieller Krankheitserreger ist eng mit einer Antibiotikagabe assoziiert. Aufgrund der gewonnenen Widerstandsfähigkeit der Bakterien gegenüber mehreren Antibiotika bzw. Antibiotikagruppen werden sie MRE genannt. Vereinfacht können die MRE in grampositive und gramnegative Erreger unterteilt werden (resistente Pilze und Viren spielen an dieser Stelle eine untergeordnete Bedeutung). Vor 25 Jahren wurde das Problem durch die Zunahme methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA; erste Resistenzen wurden Anfang der 1960er-Jahre beobachtet) auch außerhalb mikrobiologischer Fachkreise wahrgenommen [4].

Infobox 1

Im Allgemeinen spricht man von den wichtigsten „ES(C)KAPE“-Erregern:

  • Escherichia coli,

  • Staphylococcus aureus,

  • (Clostridium difficile),

  • Klebsiella pneumoniae,

  • Acinetobacter baumanii,

  • Pseudomonas aeruginosa,

  • Enterococcus faecalis/faecium.

Dabei wird zwischen grampositiven und gramnegativen Erregern differenziert.

Merke

Effiziente Präventionsstrategien funktionieren nur sektorenübergreifend. Nationale und internationale Aktionspläne sollen der Entstehung und Verbreitung von MRE entgegenwirken.

Heute scheint der weitere Anstieg von MRSA in Deutschland durch weitreichende Hygiene- und Präventionsmaßnahmen gestoppt zu sein, jedoch ist die Anzahl von MRSA immer noch kritisch erhöht [5]. Gleichwohl rücken andere MRE in den Vordergrund, sodass sich das grundsätzliche Problem zunehmender Resistenzen und deren Verbreitung weiter verschärft hat [6, 7].

Die wichtigsten Erreger sind unter dem Akronym ES(C)KAPE (siehe Infobox 1 und Abb. 1) aufgezählt. Besonders hervorzuheben sind hier die vancomycinresistenten Enterokokken und die carbapenemresistenten Enterobacterales, da hier nur noch sehr begrenzte therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Bedeutung von Clostridioides difficile leitet sich nicht aus einer Resistenz ab, sondern aus seiner Eigenschaft als Erreger schwerwiegender, antibiotikagetriggerter nosokomialer Durchfallerkrankungen.

Abb. 1
figure 1

Multiresistente Erreger (VRE vancomycinresistente Enterokokken, MRSA methicillinresistente Staphylococcus aureus, 3‑MRGN multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 3 der 4 Antibiotikagruppen, 4‑MRGN multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 4 der 4 Antibiotikagruppen, ESBL „extended-spectrum beta-lactamase“). (Quelle: UKJ)

Antibiotikaresistenzentwicklung

Antibiotikaresistenzen entstehen selten de novo, sondern sind das Resultat einer Selektion durch einen (häufig irrationalen) Antibiotikaeinsatz. Im Jahr 2015 hat die WHO einen globalen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen verabschiedet [8]. Seit 2011 verfolgt Deutschland eine Resistenzstrategie (Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie, DART) zur Eindämmung der Entstehung und Verbreitung von Resistenzen. Die Beherrschung der Problematik ist vielschichtig und komplex und erfordert eine koordinierte Zusammenarbeit diverser Ebenen der Gesellschaft. Nicht nur die Humanmedizin, sondern auch Veterinärmedizin, Umwelttechnik und weitere Sektoren rücken in den Fokus, den Selektionsdruck auf Mikroorganismen zu mindern. Dieser Problemlösungsansatz in Kooperation mehrerer bzw. aller Akteure ist Bestandteil des Public-Health- bzw. des Global-One-Health-Konzepts (Abb. 2; [9]).

Abb. 2
figure 2

One Health. (Quelle: UKJ)

Infobox 2

Antibiotic Stewardship verhindert die fortschreitende Resistenzentwicklung und verringert den Selektionsdruck auf die Bakterien – Hygiene verhindert präventiv und konkret die Ausbreitung sowie Übertragung von MRE.

Jede Anwendung von Antibiotika fördert die Selektion antibiotikaresistenter Bakterien, besonders häufige Anwendung katalysiert die Resistenzentwicklung. Verbrauchsstudien (GERMAP) zufolge, ist v. a. der hohe Antibiotikaverbrauch im ambulanten humanmedizinischen sowie im veterinärmedizinischen Sektor kritisch zu beurteilen.

Aufgrund der Notwendigkeit, Antibiotika einzusetzen, wird sich das Problem der Multiresistenz nie vollständig lösen lassen. Umso wichtiger ist, dass Antibiotika rational eingesetzt und nicht vermeidbare MRE in ihrer Verbreitung bekämpft werden.

Merke

Jede Einsparung der Antibiotikatherapie reduziert den Selektionsdruck auf Bakterien und somit die Resistenzentwicklung – konkrete Maßnahmen:

  • strenge Indikationsstellung für eine Antibiotikatherapie

  • Aufklärung des Patienten („patient empowerment“)

  • Beenden der Antibiotikagaben bei Fehlindikation (z. B. Virusinfektion)

  • Beachten mikrobiologischer Nachweise/Diagnostik

  • Überprüfen der Indikation und der Therapiedauer (Reevaluation)

An dieser Stelle ist es wichtig, zwischen einer Kolonisation und einer Infektion zu unterscheiden. Häufig geht einer Infektion eine Kolonisation voraus. Entsteht eine NI ohne vorherige Kolonisation, spricht man von einer primär exogenen Infektion (z. B. mangelnde Antisepsis bei der ZVK[zentraler Venenkatheter]-Anlage). Besteht vorher eine Kolonisation, spricht man von einer endogenen Infektion. Wobei hier zu unterscheiden ist, ob der Patient schon primär besiedelt war oder aber im Krankenhaus – nosokomial – besiedelt wurde. Diese Unterscheidung spielt bei der Bewertung von Präventionsstrategien eine große Rolle.

Kurze Steckbriefe zu den wichtigsten MRE

Methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA)

S. aureus ist Bestandteil der normalen Schleimhautflora im Nasen-Rachen-Raum. Er zählt aber gleichzeitig auch zu den häufigsten nosokomialen Infektionserregern. Die resistente Variante (MRSA) ist gegen fast alle Betalaktamantibiotika resistent, somit sind Infektionen durch diesen Erreger schwer zu therapieren. Man differenziert MRSA epidemiologisch in 3 Gruppen:

  • LA-MRSA („livestock-associated MRSA“),

  • CA-MRSA („community-acquired MRSA“),

  • HA-MRSA („hospital-associated MRSA“).

Vancomycinresistente Enterokokken (VRE)

Enterokokken sind Bestandteil der normalen Darmflora des Menschen. V. a. E. faecium zeigt eine Resistenz gegen Vancomycin. Zwar werden Enterokokken in ihrer Pathogenität schwächer als beispielsweise S. aureus oder Enterobacterales eingeschätzt, gleichwohl sind sie in der Lage, bei immunkompromittierten Patienten schwere Infektionen zur verursachen. Durch ihre hohe Umweltresistenz und ihre leichte Übertragbarkeit gelten sie als Indikatorkeime für nosokomiale Ausbreitungen – auch anderer Erreger – im Sinne nicht wirksamer Präventionsstrategien.

Multiresistente gramnegative Erreger (MRGN)

Zu dieser Gruppe gehören Enterobacterales wie Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Citrobacter sp., Serratia sp. und sog. Nonfermenter wie Pseudomonas aeruginosa und Acintobacter sp. Als multiresistent gelten sie, wenn sie gegen mehrere der klinisch relevanten Antibiotikagruppen (Cephalosporine, Acylureidopenicilline, Fluorchinolone, Carbapeneme) resistent sind. In Deutschland gilt eine Differenzierung der MRGN in 3‑MRGN, die eine Resistenz gegen 3 der Antibiotikagruppen, und 4‑MRGN, die gegen alle 4 Antibiotikagruppen resistent sind (Tab. 1).

Tab. 1 Klassifizierung multiresistenter gramnegativer Erreger (MRGN). (Quelle: [10])

Merke

Durch die konsequente Umsetzung von Präventionsmaßnahmen kann nosokomialen Infektionen effizient vorgebeugt werden.

Kostenaufwand bei nosokomialen Infektionen und MRE

Der wirtschaftliche Mehraufwand bei NI- und MRE-Patienten ist immens. Bereits NI-unspezifische Erreger bedeuten eine verlängerte Krankenhausverweildauer um etwa 5 Tage und zusätzliche Kosten von 5000 bis 20.000 € pro Infektion [9]. Des Weiteren fallen direkte (Ressourcenverbrauch von Gütern und Dienstleistungen, z. B. zusätzliche Therapiekosten und Isolationsmaterial), indirekte (Verluste, z. B. Einnahmeverluste durch Bettsperren) und nichtgreifbare (intangible) Folgekosten (z. B. negative mediale Aufmerksamkeit der Kliniken, psychische Beeinträchtigung durch Stigmatisierung des Patienten etc.) an. Durch die Organisation des deutschen Gesundheitssystems erhält der Kosten-Nutzen-Faktor eine zentrale Rolle: Wer zahlt für die aufwändige Therapie von MRE, und wem nützt der erhöhte Kostenaufwand? Allein bei einer MRSA-Infektion geht man von einer Kostenerhöhung um das Dreifache aus [11]. Mehrere Studien belegen hierbei den Kosten-Nutzen-Faktor von Präventionsstrategien: Vorsorge in Form von aktiver Surveillance und präventiver Isolation ist gegenüber der Nachsorge zu favorisieren. Die Autoren stimmen dabei in der Kosteneffektivität der Eindämmung von MRE überein [12, 13]. V.a. im ambulanten Sektor gibt es große Unsicherheiten sowie Qualitätsunterschiede bei der Betreuung von Patienten mit MRE. Die Betreuung bedeutet oftmals einen organisatorischen Mehraufwand, der sowohl stationär als auch ambulant berücksichtigt werden muss. Insbesondere Isolationsmaßnahmen können zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität führen [14].

Um die gesundheitlichen Auswirkungen des Risikofaktors MRE global vergleichen zu können, eignen sich Burden-of-Disease-Studien deutlich besser als Kosteneffektivitätserhebungen. Dazu werden die Lebensjahre mit gesundheitlichen Einschränkungen, die erhöhte Morbidität und Mortalität sowie die Lebenserwartung der Menschen, genannt DALY („disability-adjusted life years“), in Verbindung mit einer Infektion berechnet. Bezüglich des Problems der Versorgung von Patienten mit MRE konnte eine europäische Studie zeigen, dass etwa 500 DALY nach 1 NI pro 100.000 Menschen zu verzeichnen sind [15]. Eine weitere Arbeit konnte zeigen, dass die Anzahl der DALY bei MRE (170 pro 100.000 Einwohner) in Europa derjenigen der 3 Hauptinfektionskrankheiten (Influenza, Tuberkulose und HIV [humanes Immundefizienzvirus]) zusammen (183 pro 100.000 Einwohner) gleicht [16]. Hieraus wird die enorme Bedeutung nosokomialer Infektionen im Allgemeinen und der Infektionen durch MRE im Besonderen deutlich.

Merke

MRE bedeuten für alle Bereiche eine ressourcenintensive Belastung: therapeutisch, personell und ökonomisch. Der steigenden MRE-Entwicklung und -Ausbreitung gilt es mit einem One-Health-Ansatz entgegenzuwirken. Für den medizinischen Alltag gilt: Infektionshäufigkeit reduzieren und Antibiotika so wenig wie möglich und so viel wie nötig.

Definition horizontaler und vertikaler Prävention

Hygienische Präventionsmaßnahmen beschreiben Methoden zur Vorbeugung von Infektionen. Derartige Konzepte umfassen im ambulanten wie auch im stationären Setting eine horizontale und vertikale Ebene.

Dabei zielen die horizontalen Ansätze darauf ab, Kolonisationen oder Infektionen, die durch ein großes Erregerspektrum bedingt sind, vorbeugend entgegenzuwirken. Hierbei werden, unabhängig vom Kolonisations- oder Infektionsstatus durch MRE, Strategien und Arbeitsabläufe standardisiert bei allen Patienten umgesetzt. Dazu zählen u. a. folgende Maßnahmen:

  • Basishygiene: Händehygiene, indikationsgerechter Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung, routinemäßige Reinigung und Desinfektion von Flächen;

  • Keimlastreduktion durch antiseptisches Waschen präoperativ (Prophylaxe);

  • strenge Indikationsstellung zur Minimierung von invasiven Devices (z. B. Gefäßkatheter, Harnwegskatheter);

  • routinemäßige Surveillance von Antibiotikaverbrauch und nosokomialen Infektionen.

Fallbeispiel – Teil I

Eine Pflegeheimbewohnerin (78 Jahre) mit einer schweren Demenz wird aufgrund eines akuten Harnverhalts stationär aufgenommen. Dort wird bei Aufnahme ein Screening auf MRSA veranlasst (vertikale Prävention). Der Patientin wird ein Blasenverweilkatheter gelegt. 4 Tage danach wird aufgrund einer Harnwegsinfektion ein Antibiotikum verabreicht. Durch das Aufnahmescreening konnte ausgeschlossen werden, dass die Patienten mit einem MRSA kolonisiert ist, sodass die empirische Antibiotikatherapie zielgerichtet begonnen werden konnte. Da die Patientin ein signifikant höheres Risiko für MRSA hat (Pflegeeinrichtungen, Vorerkrankungen), wurde das Risiko für eine Weiterverbreitung von MRSA im Krankenhaus reduziert.

Fallbeispiel – Teil II

Die mikrobiologische Diagnostik aus dem Urin ergab einen positiven Befund von 3‑MRGN-E.-coli. In den folgenden 14 Tagen werden bei 2 weiteren Patienten auf der gleichen Station 3‑MRGN-E.-coli mit identischem Antibiogramm im Urin nachgewiesen. Aufgrund des Häufungsverdachts werden die 3 Patienten isoliert, das Personal wird geschult, und die Erregerstämme werden ganzgenomsequenziert. Aufgrund der Polyklonalität der Stämme konnte eine nosokomiale Übertragung ausgeschlossen und die Isolation beendet werden (Anmerkung: E. coli ist der häufigste Erreger katheterassoziierter Harnwegsinfektionen, es handelte sich um eine zufällige Häufung). Grundsätzlich ist das Einbeziehen eines Antibiotic-Stewardship-Teams (ambulant und stationär) wünschenswert, um primär einer Resistenzentwicklung durch eine nicht sachgerechte Antibiotikatherapie entgegenzuwirken.

Die vertikalen Ansätze hingegen zielen darauf ab, Kolonisationen bzw. Infektionen spezifischer Erreger von Patienten abzuwehren. Dies geschieht durch gezielte Maßnahmen, die eine Übertragung vom identifizierten Träger auf sein Umfeld verhindern, zu denen mitunter die folgenden gehören:

  • anlassbezogene Surveillance-Untersuchung zur Identifikation möglicher Übertragungen (z. B. Aufnahmescreening, Ausbruchscreening),

  • Barrieremaßnahmen und Isolierung von kolonisierten und/oder infizierten Patienten,

  • gezielte Keimlastreduktion zur Dekolonisierung von Patienten (aktive Behandlung).

Molekulare Verfahren zur Erregertypisierung

Das erste vollständig analysierte Bakteriengenom (Haemophilus influenzae) wurde 1995 publiziert. Mit der damalig verfügbaren Technologie („first-generation sequencing“) beliefen sich die Kosten auf mehrere Millionen US-Dollar pro Genom, und es dauerte 1 bis 2 Jahre bis zum vollständigen Ergebnis [16]. Mit den heute verfügbaren Verfahren liegen die (Material‑)Kosten für eine Genomsequenzierung bei weniger als 100 €, die Analysezeit beträgt wenige Stunden [17]. War es vor 25 Jahren noch unmöglich, überhaupt daran zu denken, die Ganzgenomsequenzierung (GGS) in der krankenhaushygienischen Routine einzusetzen, ist sie heute ein fester Bestandteil bei der Analyse epidemiologischer Zusammenhänge und zur Prävention der Verbreitung von MRE.

In der retrospektiven Analyse von Infektionsausbrüchen im Krankenhaus ist die GGS inzwischen als Goldstandard anzusehen. Mit einer extrem hohen Präzision können Erreger verglichen und Übertragungsketten epidemiologisch nachvollzogen werden. In diesem Einsatzgebiet der retrospektiven Ausbruchsanalyse wird das Potenzial der GGS allerdings nicht voll ausgeschöpft. Aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten und der hohen Verfügbarkeit bietet sich dieses Verfahren an, proaktiv zur Steuerung krankenhaushygienischer Maßnahmen eingesetzt zu werden.

So konnte gezeigt werden, dass eine kontinuierliche Sequenzierung von MRE in Kombination mit flankierenden krankenhaushygienischen Maßnahmen eine Isolierung von Patienten mit 3‑MRGN in Risikobereichen zur Prävention nosokomialer Übertragungen verzichtbar macht [18]. Darüber hinaus konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass der Einsatz der GGS in diesem Setting kosteneffektiv ist. Außerdem ist dieses Verfahren in der Lage, schnell und zuverlässig zwischen realen Ausbrüchen, die mit weitreichenden und ökonomischen krankenhaushygienischen Konsequenzen einhergehen, und zufälligen Häufungen zu differenzieren. Hier leistet die GGS einen entscheidenden Beitrag [19].

Die Voraussetzung für den Einsatz molekularepidemiologischer Verfahren ist jedoch ein zielgerichteter Erregernachweis im Rahmen vertikaler Präventionsstrategien. Sinnvollerweise werden Isolate aus einem zielgerichteten Screening frühzeitig untersucht, um Übertragungen im Sinne von nosokomialen Kolonisationen zu detektieren und mögliche konsekutive Infektionsausbrüche zu verhindern.

Aufgrund der ansteigenden Verzahnung ambulanter und stationärer Versorgungsbereiche erlangt die sektorenübergreifende Analyse von MRE zunehmende Bedeutung. So konnte am Beispiel der regionalen VRE-Epidemiologie im Rhein-Main-Gebiet gezeigt werden, dass sich ein einziger Klon ubiquitär verbreitet [20].

Basierend auf derartigen Clusteranalysen, ist es möglich, weitergehende Untersuchungen zur Charakterisierung der Erreger durchzuführen. Diese sind wichtig, um spezifische Eigenschaften (bestimmte Virulenzeigenschaften [Toxine], Resistenzplasmide, epidemiologisch bedeutsame Resistenzkassetten) zu detektieren, die für die Erregerausbreitung verantwortlich sind. Somit ist es möglich, im Rahmen von Netzwerkstrukturen (siehe Abschnitt „MRE-Netzwerke“) gezielte Präventionsmaßnahmen wie z. B. gezielte Screeninguntersuchungen abzuleiten. Die entscheidenden Faktoren, die die Weiterentwicklung GGS in der jüngeren Vergangenheit liefern konnte, sind die Schnelligkeit der Methode (wenige Stunden), der vergleichsweise geringe Preis pro Isolat und die damit verbundene Verfügbarkeit auch außerhalb spezialisierter Labore. Somit ist diese Methodik auch für den niedergelassenen Bereich verfügbar. Allerdings ist diese Leistung für den individuellen Patienten nicht abrechenbar, da es sich nicht um eine individualmedizinische Leistung handelt. Umso wichtiger erscheint die enge Kooperation in MRE-Netzwerken, wie sie im folgenden Abschnitt ausgeführt wird.

MRE-Netzwerke

Die kontinuierliche Zunahme von MRE in den letzten Jahren und besonders der Anstieg von 4‑MRGN hat gezeigt, dass bisherige Präventionsstrategien, die auf die einzelnen medizinischen Einrichtungen (und hier fast ausschließlich akutversorgende Krankenhäuser) beschränkt waren, nicht zu einer Eindämmung geführt haben. Das Robert Koch-Institut stellt dazu fest [21]: „Ein erfolgreiches MRE-Management ist nur durch ein regional abgestimmtes Handeln zwischen allen medizinischen Einrichtungen (Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Pflegeheime, Arztpraxen, Pflegedienste etc.) möglich.“

Fallbeispiel – Teil III

Die Patientin wird nach wenigen Tagen in das Pflegeheim entlassen; vorab erfolgte eine Risikokommunikation mit der Einrichtung (inkl. Überleitungsbogen). Die Pflegeeinrichtung kommuniziert den Befund an die ambulanten Haus- und Fachärzte.

Da alle 3 Patienten aus verschiedenen Pflegeeinrichtungen zugewiesen wurden, erfolgt eine Kontaktaufnahme über das lokale MRE-Netzwerk, an dem unter Moderation des öffentlichen Gesundheitsdienstes Akutkliniken, Pflegeeinrichtungen und niedergelassene Ärzte teilnehmen, um sowohl die Pflegeeinrichtungen als auch die betreuenden Haus- und Fachärzte bezüglich der Basishygienemaßnahmen zu schulen. Für die Klinik wurde vereinbart, dass alle Nachweise von 3‑MRGN-E.-coli unabhängig von einem Häufungsgeschehen prospektiv ganzgenomsequenziert werden, um eine regionale Ausbreitung frühzeitig detektieren zu können.

Merke: Regionale MRE-Netzwerke fungieren als Anlaufstellen bei Fragen und Problemen für Patienten und als Austauschplattform für medizinische Einrichtungen.

Merke: Maßnahmenbündel und effektive Kooperationen entlang der gesamten Behandlungskette sind effektiver als Einzelmaßnahmen.

Im Jahre 2005 wurde in Deutschland das erste – von der Europäischen Union (EU) geförderte – Netzwerk in Deutschland gegründet (EUREGIO MRSA-net; [22]). Diese Idee der regionalen und sektorenübergreifenden Netzwerkbildung zur Prävention von NI und der Ausbreitung von MRE hat sich sehr schnell als modellhaft herausgestellt. Aufgrund dessen hat die Gesundheitsministerkonferenz im Jahre 2006 die flächendeckende Etablierung regionaler Netzwerke, koordiniert durch den öffentlichen Gesundheitsdienst, ausdrücklich unterstützt. Inzwischen gibt es in Deutschland über 100 regionale MRE-Netzwerke, und in vielen Landeshygieneverordnungen wird der sektorenübergreifende Informationsaustausch in Form von Netzwerken sogar gesetzlich festgeschrieben, z. B. in Bayern (MedHygVBayern 2012).

Quo vadis?

Die Anforderungen an die Krankenhaushygiene in der Prävention von MRE haben sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Moderne Infektionsprävention in der heutigen Zeit beschränkt sich nicht nur auf das Krankenhaus, wie der Begriff „Krankenhaushygiene“ suggerieren könnte. Sich rasant entwickelnde Versorgungsstrukturen, die Mobilität der Gesellschaft und die zunehmende Globalisierung fordern neue Strategien in der Krankenhaushygiene. Eine strikte Trennung in horizontale und vertikale Maßnahmen ist nicht mehr zeitgemäß. So bilden viele horizontale Maßnahmen wie Surveillance und Basishygiene (Händehygiene, Flächendesinfektion) eine gut etablierte Basis, die durch vertikale Maßnahmen wie gezielte Screeninguntersuchungen ergänzt wird.

Die alleinige Fokussierung auf horizontale Präventionsmaßnahmen mag auf den ersten Blick effektiv sein, führt aber in eine Sackgasse, da der Erkenntnisgewinn bezüglich spezifischer MRE sehr begrenzt ist. Nur die Kombination mit vertikalen Präventionsmaßnahmen wie z. B. einem risikobasierten MRE-Screening kann die Voraussetzung für eine effiziente Infektionsprävention schaffen. Gerade neue molekularepidemiologische Typisierungsmethoden haben in den letzten Jahren das Verständnis für die Ausbreitung von MRE deutlich erweitert. Sie haben auch gezeigt, dass die Ausbreitung von MRE nicht beherrscht werden kann, wenn Probleme nur auf der Mikroebene der einzelnen medizinischen Einrichtungen betrachtet werden. Die heutigen Versorgungsstrukturen erfordern die Betrachtung der Dynamik übertragbarer Erkrankungen auf der Metaebene, wie durch die Implementierung regionaler Netzwerke gezeigt wurde. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt (COVID-19 [„coronavirus disease 2019“], SARS-CoV‑2), wie vulnerabel unser Gesundheitssystem bezüglich übertragbarer Krankheiten ist und dass deren Bekämpfung eine globale Herausforderung darstellt [1].

Fazit für die Praxis

  • Zur Verhinderung weiterer Ausbreitung und Entwicklung von Antibiotikaresistenzen existieren (inter-)nationale Aktionspläne.

  • Die Prävention von multiresistenten Erregern (MRE) und nosokomialen Infektionen verhindert ressourcenintensive Folgekosten.

  • Die Versorgung von MRE-Patienten ist ein multidisziplinäres Geschehen, bei dem der Austausch aller Akteure und Professionen im Mittelpunkt steht.

  • Präventionsmaßnahmen sind „bundles“, und ihre Umsetzung ist eine gemeinsame Aufgabe aller beteiligten Akteure der Public Health.