Zusammenfassung
Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren haben beim metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinom (mRCC) zu einem Paradigmenwechsel geführt und einen neuen Standard in der Erstlinie etabliert. Einschließlich der bekannten Monotherapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren ist das Spektrum an medikamentösen Therapieoptionen somit breiter geworden. In diesem Beitrag sollen anhand der aktuellen Studiendaten sowie Leitlinienempfehlungen mögliche Faktoren zur individuellen Therapieplanung in der Erstlinie des mRCC diskutiert werden. Hierbei ist das wichtigste Leitkriterium das Risikoprofil. Daneben sind Effektivität und Verträglichkeit der Substanzen, sowie Tumorlast, Alter und Präferenzen der Patienten sowie Überlegungen zur Sequenztherapie für die Therapiewahl ausschlaggebend. Real-world-Daten für die neuen Kombinationstherapien, Biomarker für eine personalisierte Medizin sowie Studien zur optimalen Sequenztherapie beim mRCC werden benötigt.
Abstract
Immunotherapies with checkpoint inhibitors have led to a paradigm shift in metastatic renal cell carcinoma (mRCC) as they established a new standard in first-line treatment. In addition to the established monotherapy with tyrosine kinase inhibitors, the spectrum of first-line options has now become wider. Based on data from studies and current guideline recommendations, this article discusses possible factors for individual strategies in first-line treatment of mRCC. For this decision, the leading criterion is the patient’s risk score. In addition, the efficacy and tolerability of the substances, tumor burden, patient age and preferences as well as considerations about sequence treatment can support the decision. Real-world data for the new combination treatment, biomarkers for personalized medicine as well as studies on optimal sequence treatment for mRCC are needed.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Einleitung
Immunonkologische Kombinationen aus zwei Checkpoint-Inhibitoren (CPI) und/oder aus CPI und Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) sind ein neuer Standard in der Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms (mRCC). In den jeweiligen Zulassungsstudien zeigten sich hohe Ansprechraten sowie eine damit verbundene lange Ansprechdauer [16,17,18]. Da die Ergebnisse der Studien aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns und Patientenpopulationen nicht vergleichbar sind, bedarf es klinischer Kriterien, um für den individuellen Patienten die optimale Therapie auszuwählen.
Status Quo in der Erstlinie: zugelassene Therapien
Die wichtigsten Therapien sind gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor gerichtete Therapien (VEGFRi) und Immuntherapien mit CPI. Beide adressieren jeweils unterschiedliche Signalwege, die bei der Pathogenese des RCC eine Rolle spielen [8]. Eine Übersicht der CPI und TKI, die bei fortgeschrittenem und mRCC zugelassenen sind, findet sich in Tab. 1.
Derzeit stehen Avelumab oder Pembrolizumab + Axitinib sowie Nivolumab + Ipilimumab als immuntherapeutische Kombinationstherapien zur Verfügung: Darüber hinaus sind die Kombination Bevacizumab + Interferon‑α sowie Temsirolimus (nur bei Hochrisikopatienten) zugelassen, sie spielen jedoch eine eher untergeordnete Rolle [8].
Neben den Zulassungsstatus ist die Stratifizierung in Risikogruppen gemäß IMDC-Score zur Therapieplanung von Bedeutung. Eine Übersicht über die einzelnen Kriterien findet sich in Tab. 2.
Immuntherapien mit CPI: Überblick
Alle Kombinationstherapien mit CPI wurden in randomisierten, offenen Phase-III-Studien mit unterschiedlichen Patientenkollektiven im Vergleich mit Sunitinib geprüft. Bei den meisten Teilnehmern befand sich die Erkrankung im intermediären Stadium. Die Verteilung der Patienten über die Risikogruppen hinweg ist in den Studien uneinheitlich (Tab. 3). Auch die Raten an PD-L1-positiven Patienten waren unterschiedlich [16, 17, 20].
Reife OS- und Langzeitdaten liegen bisher nur aus der CheckMate-214-Studie vor [23]. Eine Übersicht der Daten findet sich in Tab. 3.
Nivolumab + Ipilimumab
In der CheckMate-214-Studie mit 1096 Teilnehmern betrugen die OS-Raten zum Zeitpunkt von 42 Monaten nach Randomisation bei Patienten mit intermediärem und hohem Risiko 52 % vs. 39 % zugunsten der Kombination (HR = 0,66; 95 %-KI: 0,55–0,80; p < 0,001). Auch das PFS (12,0 vs. 8,3 Monate; HR = 0,76; 95 %-KI: 0,63–0,91; p = 0,001) und die ORR fielen mit 42 % vs. 26 % (p < 0,001) und 10 % Komplettremissionen (CR) zugunsten von Nivolumab + Ipilimumab aus. Bei Patienten mit guter Prognose gab es einen statistisch signifikanten Vorteil bezüglich der Ansprechrate für Sunitinib. Nur 61 % der Patienten im Sunitinib-Studienarm erhielten eine Folgetherapie, nur bei 35 % war dies Nivolumab in der Zweitlinie [17, 23].
Unerwünschte Ereignisse (UE) von Grad 3–4 waren im CPI-Arm insgesamt seltener als unter Sunitinib (47 % vs. 64 %). Jedoch benötigten 35 % der Patienten im Nivolumab + Ipilimumab-Arm aufgrund immunvermittelter Nebenwirkungen eine Hochdosis Glukokortikoidtherapie. Jeder 5. Patient brach im Kombinationsarm die Behandlung aufgrund von Toxizitäten ab. Im Sunitinib-Arm waren UE länger anhaltend und 12 % der Patienten brachen die Therapie nebenwirkungsbedingt ab [17].
Pembrolizumab + Axitinib
Die KEYNOTE-426-Studie umfasste 861 Patienten aller Risikogruppen. Zum Zeitpunkt von 24 Monaten nach Randomisation betrugen die OS-Raten 74 % vs. 66 % zugunsten der Kombination (HR = 0,68; 95 %-KI: 0,55–0,85; p < 0,001). Das mediane PFS lag bei 15,4 vs. 11,1 Monaten und die ORR betrug 60,2 % vs. 39,9 % (HR = 0,71; 95 %-KI: 0,60–0,84; p < 0,001). Der Nutzen der Kombination war unabhängig vom PD-L1-Status. In der Subgruppe mit günstigen Risikoprofil nach IMDC lagen die OS-Raten nach 24 Monaten bei 85 % im CPI-Arm und 88 % im Sunitinib-Arm (HR = 1,06; 95 %-KI: 0,60–1,86). Nur bei Patienten mit intermediären und ungünstigen Risikoprofil nach IMDC zeigte sich nach 24 Monaten ein statistisch signifikanter Vorteil im OS im CPI-Arm (HR = 0,63; 95 %-KI: 0,50–0,81). Im Sunitinib-Arm wurden 60,7 % der Patienten weiterbehandelt, davon 37,6 % mit einem CPI. Ähnlich wie in der CheckMate-214-Studie könnte der OS-Vorteil aufgrund dieser systematischen Untertherapie in der TKI-Kontrollgruppe überbewertet sein [18, 20].
Der Anteil therapiebedingter UE von Grad ≥3 betrug unter der CPI/TKI-Kombination 62,9 % im Vergleich zu 58,1 % im Sunitinib-Arm. In 30,5 % der Fälle führten UE jeder Ursache zum Absetzen einer der beiden Substanzen, bei 10,5 % zum Abbruch der kompletten Therapie und bei 69,9 % zu einer Therapieunterbrechung. Im Sunitinib-Arm waren UE bei 13,9 % der Patienten ursächlich für einen Therapieabbruch [20].
Avelumab + Axitinib
Aus der JAVELIN-101-Studie mit 886 Patienten liegen vorläufige Daten mit einem Follow-up von 9,9 Monaten vor. Der Einschluss erfolgte unabhängig vom PD-L1-Status, jedoch waren die primären Endpunkte PFS und OS auf die PD-L1-positive (PD-L1+) Subgruppe ausgerichtet. Im Vergleich zur KEYNOTE-426-Studie handelte es sich um ein Kollektiv mit schlechteren prognostischen Kriterien (Tab. 3; [16]).
Mit einem medianen PFS von 13,8 vs. 7,2 Monaten zeigte sich im PD-L1+-Kollektiv eine signifikante Überlegenheit der Kombination (HR = 0,61; 95 %-KI: 0,47–0,79; p < 0,001). Dieser Vorteil war auch im Gesamtkollektiv zu sehen. Ein OS-Vorteil zeichnet sich derzeit nicht ab, finale Daten liegen noch nicht vor. Etwa 40 % der Patienten im Progress im Kontrollarm bekamen eine Zweitlinientherapie, davon 66,7 % einen CPI. Die Raten an UE von Grad ≥3 in beiden Armen waren vergleichbar [16].
TKI: Überblick
Anti-VEGF(R)-gerichtete TKI-Therapien waren über mehr als 10 Jahre der dominierende Standard in der Erstlinienbehandlung des mRCC. Fast alle hierfür zugelassenen Wirkstoffe wurden in randomisierten, offenen Phase-III-Studien geprüft. Ausnahmen sind Pazopanib (doppelblindes Design) und Cabozantinib (Phase-II-Studie; [2, 14, 22]). In allen Studien waren die Patienten im Allgemeinstand nach „Eastern Cooperative Oncology Group“ (ECOG) ≤1. Lediglich in der CABOSUN-Studie befanden sich auch Patienten mit einem ECOG-Performancestatus 2. Zudem waren hier, ebenso wie in der Studie mit Tivozanib, auch Patienten mit ZNS-Metastasen vertreten [2, 15]. Der Fortschritt, der durch die Multikinasehemmer gegenüber der Zytokin-Ära erreicht wurde, zeigt sich in einem OS zwischen 26–43 Monaten [14, 19, 22].
Sunitinib
Sunitinib war 2006 der erste beim mRCC zugelassene Multi-TKI. Das PFS verdoppelte sich in einem Kollektiv von 750 Patienten mit überwiegend günstigem und intermediärem Risiko mit dem TKI gegenüber Interferon‑α von 5 auf 11 Monate (HR = 0,42; 95 %-KI: 0,32–0,54; p < 0,001). Das mediane OS lag bei 26,4 und im Vergleichsarm bei 21,8 Monaten (HR = 0,82; 95 %-KI: 0,673–1,001; p = 0,051; [14]).
Pazopanib
Pazopanib wurde vier Jahre später zugelassen. In einer Phase-III-Studie mit 425 Patienten, überwiegend mit günstigem und intermediärem Risiko, war der Wirkstoff in der Erstlinientherapie und nach vorangegangener Therapie mit Zytokinen hinsichtlich des PFS wirksamer als Placebo [22].
Die COMPARZ-Studie evaluierte die Effektivität von Sunitinib und Pazopanib im direkten Vergleich bei 1110 Patienten. Pazopanib war gegenüber Sunitinib in der unabhängigen Begutachtung bezüglich des PFS (8,4 vs. 9,5 Monate: HR = 1,05; 95 %-KI: 0,90–1,22) und des OS (28,3 vs. 29,1 Monate; HR = 1,05; 95 %-KI: 0,90–1,22) nicht unterlegen. Hinsichtlich der ORR erwies sich Pazopanib mit 31 % vs. 25 % im Vergleich mit Sunitinib als signifikant überlegen. Zudem sprachen die Patienten schneller auf Pazopanib an (11,9 vs. 17,4 Wochen; p = 0,03; [13]).
Cabozantinib
Cabozantinib wurde in einer randomisierten Phase-II-Studie bei 157 Patienten mit intermediärem und ungünstigem Risiko evaluiert. Die Studie ergab einen signifikanten PFS-Vorteil gegenüber Sunitinib von 8,2 vs. 5,6 Monaten (HR = 0,66; 95 %-KI: 0,46–0,95; p = 0,012), wobei die Therapie mit Cabozantinib doppelt so lang dauerte wie im Vergleichsarm. Diese Daten aus der Analyse der Studienärzte bestätigten sich in einer unabhängigen Auswertung. Bezüglich des OS zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied (26,6 vs. 21,2 Monate; HR = 0,80; 95 %-KI: 0,53–1,21; [2, 3]).
Tivozanib
Tivozanib, ein sehr spezifischer VEGFR-Inhibitor, wurde in einer 2013 publizierten Studie bei mRCC-Patienten mit überwiegend günstigem und intermediärem Risikoprofil gegen den Zweitlinien-TKI Sorafenib geprüft (n = 517), aber erst 2017 – für alle Risikogruppen – zugelassen [1]. In der präspezifizierten Auswertung der Subgruppe der nicht vorbehandelten Patienten (n = 362) betrug das PFS 12,7 vs. 9,1 Monate (HR = 0,76; 95 %-KI: 0,58–0,99; p = 0,037). Ein OS-Vorteil wurde nicht gezeigt [15].
Rationale für die Kombination von CPI mit TKI
Die Tumorbiologie des RCC scheint bereits zu Beginn der Erkrankung hinsichtlich der Immunzellinfiltration sehr unterschiedlich zu sein. Darüber hinaus wird angenommen, dass sich die Tumorbiologie im Erkrankungsverlauf verändern kann: Eine zunehmende Inflammation wird hierbei diskutiert, wobei sich ein nicht immunogener „kalter“ Tumor zu einem immunogenen „heißen“ Tumor entwickeln könnte (Abb. 1). Eine Angiogenese sowie eine inflammatorische Achse unterschiedlicher Ausprägung wird beim RCC diskutiert [17, 20, 26, 27].
Unabhängig davon wird der Tumor durch eine TKI-Therapie sensibler für eine immunzellvermittelte Tumorlyse [7].
Diese theoretischen Erkenntnisse könnten erklären, warum die Kombination von CPI und TKI bei intermediärem Risiko besonders gut wirkt und die duale Immuntherapie aus zwei CPI in der CheckMate-214-Studie bei günstiger Prognose weniger wirksam war [17, 23]. Die bisher vorliegende Evidenz zeigt auch, dass hohe Ansprechraten beim mRCC erst durch die Kombination von CPI mit TKI erreicht werden (Abb. 2).
Gesamtansprechraten von Checkpoint-Inhibitoren-(CPI-) und Tyrosinkinaseinhibitoren- (TKI-)Mono- und Kombinationstherapien in der Erstlinientherapie beim metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinom (mRCC). Die Ansprechraten stammen aus unterschiedlichen Studien und können nur mit Vorsicht miteinander verglichen werden. (Mod. nach [1, 2, 6, 11, 13, 16, 17, 20, 24, 25])
Mögliche Entscheidungskriterien in der klinischen Praxis
Die Therapiewahl in der Erstliniensituation ist essenziell, da nur etwa 50 % der Patienten mit mRCC eine Zweitlinientherapie bekommen [10]. Nachfolgend werden relevante klinische Kriterien erläutert, die für die Therapieentscheidung eine Rolle spielen können. Eine Zusammenfassung findet sich in Tab. 4.
Biomarker
Weder für die zielgerichtete noch für die Erstlinientherapie mit CPI gibt es derzeit beim mRCC validierte Biomarker. Alle drei Immuntherapiekombinationen sind unabhängig vom PD-L1-Status zugelassen, wobei in den Studien CheckMate-214 und KEYNOTE-426 PD-L1+-Patienten stärker profitieren als diejenigen ohne dieses Merkmal [17, 20]. In der JAVELIN-101-Studie war der PD-L1-Status offenbar prädiktiv für die Wirksamkeit von Sunitinib, aber nicht für die Immuntherapiekombination [16].
Risikoscore
Der Risikoscore ist im Erstliniensetting zulassungsrelevant: Die Kombination Nivolumab + Ipilimumab war bei intermediärem und ungünstigem Risiko wirksamer als Sunitinib, bei günstiger Prognose jedoch nicht [17]. Von der Kombination von Pembrolizumab + Axitinib profitierten alle Risikogruppen, jedoch war der Unterschied im PFS bei Patienten mit günstigem Risiko vs. Sunitinib nicht signifikant (HR = 0,64; 95 %-KI: 0,24–1,68). Cabozantinib wurde nur bei intermediärer und ungünstiger Prognose geprüft und zugelassen [2, 20].
In allen CPI-Studien erfolgte die Stratifizierung gemäß IMDC-Score, in der JAVELIN-101-Studie auch nach den Kriterien des Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC). Dieser sog. Motzer-Score war auch in allen TKI-Studien Standard. Die in der TKI-Ära zusammengefassten günstigen und intermediären Prognosegruppen müssen auf Basis der Studiendaten zu den Immuntherapien wieder separat betrachtet werden, wobei das am häufigsten vorliegende intermediäre Risikoprofil sehr heterogen ist [14,15,16,17, 20, 22].
Tumor- und Patientencharakteristika
Auf Basis der Studiendaten kommen bei intermediärem und ungünstigem Risiko sowie bei hoher Tumorlast, ausgeprägter Symptomatik und jüngeren Patienten in gutem Allgemeinzustand die Kombinationen Nivolumab + Ipilimumab, Pembrolizumab + Axitinib, Cabozantinib sowie Avelumab + Axitinib infrage. Zu berücksichtigen ist, dass für Nivolumab + Ipilimumab sowie Pembrolizumab + Axitinib für Patienten über 75 Jahren keine gesicherten Daten vorliegen, während die TKI Sunitinib und Pazopanib unabhängig vom Alter wirksam sind [16,17,18, 20, 21, 23].
Verträglichkeit
Da die CPI-haltigen Therapien noch nicht lange zugelassen sind, sind praktische Erfahrungen zum Therapiemanagement limitiert. Die Toxizität ist höher als bei Monotherapien mit CPI und ist der wichtigste Grund für Therapieabbrüche. Insbesondere immunassoziierte Nebenwirkungen (irAE) sind ein neues Feld und gehen mit anderen Anforderungen bezüglich des Managements und Monitorings einher. Die EMA hat ausdrücklich Schulungs- und Informationsprogramme gefordert.
Die IrAE können verschiedene Organsysteme betreffen. Am häufigsten treten Hautprobleme, endokrine Nebenwirkungen, Kolitis, Diarrhö, Hepatitis und Pneumonitis auf, auch infusionsbedingte Reaktionen sind relevant. In der Praxis kann es schwierig sein, Toxizitäten den ursächlichen Substanzen zuzuordnen und entsprechend zu handhaben.
Die Behandlung von irAE erfolgt überwiegend mit Kortikosteroiden, in schweren Fällen auch mit Immunsuppressiva. In Notfallsituationen muss ein schneller Zugang zu einer multidisziplinären Therapie gewährleistet sein, dies gilt vor allem für die duale CPI-Therapie. Hier gab es doppelt so viele Therapieabbrüche wie unter Sunitinib [17, 23]. In der KEYNOTE-426-Studie war bei fast zwei Dritteln der Patienten eine Therapiepause notwendig, zudem wurde etwa ein Drittel nebenwirkungsbedingt mit einer Monotherapie weiterbehandelt [20].
Das Nebenwirkungsprofil von VEGF(R)-gerichteten TKI ist bekannt und das Management mittlerweile Routine. Zu den klassentypischen Toxizitäten gehören Bluthochdruck, Rash, Fatigue, Hand-Fuß-Syndrom, Diarrhö, Mukositis, kardiale Nebenwirkungen und Leberwerterhöhungen. In der PISCES-Studie war Pazopanib besser verträglich als Sunitinib und wurde von den Patienten daher präferiert [4, 19, 21].
Applikation der Therapie
Die CPI werden als Infusion in verschiedenen Intervallen gegeben: Nivolumab + Ipilimumab alle 3 Wochen (4 Zyklen lang, danach Erhaltung mit Nivolumab) sowie Pembrolizumab + Axitinib alle 3 Wochen, Avelumab + Axitinib alle 2 Wochen. Axitinib wird oral 2‑mal täglich eingenommen [16, 17, 20]. Immuntherapien werden besser vergütet als TKI, allerdings muss die Klinik oder Praxis entsprechend ausgestattet sein und über qualifiziertes Personal verfügen. Daher ist zu erwarten, dass sich die Therapie stärker von der allgemeinurologischen Praxis in Richtung spezialisierter urologischer oder internistischer Onkologie mit geeigneter Infrastruktur verlagert. TKI sind aufgrund der oralen Einnahme für den Patienten komfortabler, jedoch ist die Compliance schwer zu überprüfen. Das Nebenwirkungsmanagement von Kombinationstherapien mit CPI könnte im niedergelassenen Bereich eine Herausforderung darstellen.
Erfahrung
Für TKI liegen langjährige Erfahrungen aus der klinischen Praxis und Real-world-Daten vor. So erreichten Studien-ungeeignete mRCC-Patienten in der ADONIS-Studie mit Sunitinib und in der PRINCIPAL-Studie mit Pazopanib ein OS von fast 34 Monaten [19, 21].
Patientenpräferenz
Da es sich um eine palliative Therapie handelt, stehen hier neben der Wirksamkeit v. a. die Verträglichkeit und die Lebensqualität im Fokus. Dies bestätigte sich in der PISCES-Studie [4]. Auch Komorbiditäten und die individuelle Lebenssituation spielen eine Rolle. Diese hat möglicherweise auch Einfluss auf die Art der Applikation, die im Falle einer Immuntherapie Mobilität voraussetzt. Damit Patienten in die Lage versetzt werden, partizipativ mitentscheiden zu können, müssen sie gut aufgeklärt werden. Für ein solches Gespräch können 30 bis 45 min eingeplant werden.
Empfehlungen in Leitlinien
Die Empfehlungen der Leitlinien sind derzeit nicht einheitlich. Die EAU-Guideline empfiehlt die Kombination von Avelumab mit Axitinib aufgrund des ausstehenden Nachweises eines OS-Vorteils derzeit nicht [9, 16]. Eine Übersicht befindet sich in Tab. 5.
Sequenztherapie
Überlegungen zur Sequenztherapie müssen in die Erstlinienentscheidung einfließen. Bereits in der TKI-Ära gab es hierzu kontroverse Diskussionen, die auf dem Boden der Immuntherapie gewissermaßen neu startet, weil es keinerlei verlässliche Evidenz für Zweitlinientherapie nach einer immunonkologischen Kombinationstherapie gibt.
Daten zur Zweitlinientherapie nach einer TKI-Monotherapie liegen für Nivolumab, Cabozantinib, Lenvatinib + Everolimus und Axitinib (nach Sunitinib) vor [9, 12, 21]. Nivolumab hat auf Basis einer gesicherten Evidenz einen höheren Stellenwert, da hiermit ein Wechsel des Wirkmechanismus stattfindet und es sich um eine gut verträgliche Therapie handelt [12]. Zudem ist damit gewährleistet, dass die Patienten im Therapieverlauf einen CPI bekommen. Ein hoher Remissionsdruck würde dagegen eher für Cabozantinib sprechen [2, 3].
Da in den TKI-Kontrollarmen der CheckMate-214- und KEYNOTE-426-Studie in eher geringem Maße effektive Folgetherapien eingesetzt wurden, bleibt unklar, ob eine geeignete Sequenztherapie nach einer TKI-Monotherapie in der Erstlinie nicht zu vergleichbaren Ergebnissen bei möglicherweise besserer Verträglichkeit gekommen wäre. Denkbar ist daher auch ein anderer Ansatz. Da die Erhöhung der abnormalen Gefäßdichte und Dysregulation von Immunzellen den immunsuppressiven Effekt der Tumorumgebung verstärken, scheint die antiangiogene Therapie biologisch gesehen sinnvoll, um die spätere Aktivität einer Immuntherapie zu erhöhen [16, 17, 20].
Fazit für die Praxis
-
Die Erstlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms (mRCC) richtet sich primär nach dem IMDC-Risikoscore („International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium“).
-
In die interdisziplinäre Diskussion über die Therapiewahl müssen Wirksamkeit, Verträglichkeit, Nebenwirkungsprofil und Überlegungen zur Sequenztherapie einfließen.
-
Immunonkologische Therapien sollten möglichst von erfahrenen Praxen oder Kliniken durchgeführt werden.
-
Bei intermediärem und ungünstigem Risiko sowie hohem Remissionsdruck bieten sich eine CPI/TKI- (Checkpoint-Inhibitoren/Tyrosinkinaseinhibitoren-) oder CPI/CPI-Kombination sowie Cabozantinib an.
-
TKI der ersten Generation haben nach wie vor ihre therapeutische Berechtigung bei günstigem Risikoprofil, Kontraindikationen für eine Immuntherapie, langsamem Erkrankungsverlauf, reduziertem Allgemeinzustand und hohem Alter.
-
Derzeit gibt es keine Evidenz für eine Zweitlinientherapie nach Versagen einer CPI-haltigen Vortherapie. Die initiale Therapie mit einem TKI lässt die Möglichkeit eines CPI-Einsatzes in der Zweitlinie offen.
-
Es werden validierte Biomarker benötigt.
Change history
03 March 2021
Zu diesem Beitrag wurde ein Erratum veröffentlicht: https://doi.org/10.1007/s00120-021-01478-9
Literatur
Atkins MB, Jegede OA, Haas NB et al (2020) Phase II study of nivolumab and salvage nivolumab + Ipilimumab in treatment-naïve patients with advanced renal cell carcinoma (HCRN GU16-260). J Clin Oncol 38(suppl):abstr 5006
Choueiri TK, Halabi S, Sanford BL et al (2017) Cabozantinib versus sunitinib as initial targeted therapy for patients with metastatic renal cell carcinoma of poor or intermediate risk: The Alliance A031203 CABOSUN Trial. J Clin Oncol 35(6):591–597
Choueiri TK, Hessel C, Halabi S et al (2018) Cabozantinib versus sunitinib as initial therapy for metastatic renal cell carcinoma of intermediate or poor risk (Alliance A031203 CABOSUN randomised trial): Progression-free survival by independent review and overall survival update. Eur J Cancer 94:115–125
Escudier B, Porta C, Bono P et al (2014) Randomized, controlled, double-blind, cross-over trial assessing treatment preference for pazopanib versus sunitinib in patients with metastatic renal cell carcinoma: PISCES Study. J Clin Oncol 32:1412–1418
ESMO (2020) eUpdate renal cell carcinoma treatment recommendations. https://www.esmo.org/guidelines/genitourinary-cancers/renal-cell-carcinoma/eupdate-renal-cell-carcinoma-treatment-recommendations. Zugegriffen: 8. Febr. 2020
Hutson TE, Al-Shukri S, Stus VP et al (2017) Axitinib versus sorafenib in first-line metastatic renal cell carcinoma: overall survival from a randomized phase III trial. Clin Genitourin Cancer 15:72–76
Kwilas AR, Donahue RN, Tsang KY et al (2015) Immune consequences of tyrosine kinase inhibitors that synergize with cancer immunotherapy. Cancer Cell Microenviron 2:e677
Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF) (2020) Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms, Langversion 2.0, AWMF Registernummer: 043/017OL. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/nierenzellkarzinom/. Zugegriffen: 06.10.2020
Ljungberg B, Albiges L, Abu-Ghanem Y et al (2019) European association of urology guidelines on renal cell carcinoma: the 2019 update. Eur Urol 75:799–810
Marschner N, Staehler M, Müller L et al (2017) Survival of patients with advanced or metastatic renal cell carcinoma in routine practice differs from that in clinical trials—Analyses from the German Clinical RCC Registry. Clin Genitourin Cancer 15:e209–e215
McDermott DF, Lee J‑L, Szczylik C et al (2018) Pembrolizumab monotherapy as first-line therapy in advanced clear cell renal cell carcinoma (accRCC): Results from cohort A of KEYNOTE-427. J Clin Oncol 36(suppl 15):4500
Motzer RJ, Escudier B, McDermott DF et al (2015) Nivolumab versus everolimus in advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 373(19):1803–1813
Motzer RJ, Hutson TE, Cella D et al (2013) Pazopanib versus sunitinib in metastatic renal-cell carcinoma. N Engl J Med 369:722–731
Motzer RJ, Hutson TE, Tomczak P et al (2009) Overall survival and updated results for sunitinib compared with interferon alfa in patients with metastatic renal cell carcinoma. J Clin Oncol 27(22):3584–3590
Motzer RJ, Nosov D, Eisen T et al (2013) Tivozanib versus sorafenib as initial targeted therapy for patients with metastatic renal cell carcinoma: results from a phase III trial. J Clin Oncol 31(30):3791–3799
Motzer RJ, Penkov K, Haanen J et al (2019) Avelumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 380(12):1103–1115
Motzer RJ, Rini BI, McDermott DF et al (2019) Nivolumab plus ipilimumab versus sunitinib in first-line treatment for advanced renal cell carcinoma: extended follow-up of efficacy and safety results from a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 20:1370–1385
Plimack ER, Rini BI, Stus V et al (2020) Pembrolizumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma: updated analysis of KEYNOTE-426. J Clin Oncol 38(suppl):abstr 5001
Procopio G, Bamias A, Schmidinger M et al (2019) Real-world effectiveness and safety of pazopanib in patients with intermediate prognostic risk advanced renal cell carcinoma. Clin Genitourin Cancer 17:e526–e533
Rini BI, Plimack ER, Stus V et al (2019) Pembrolizumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 380:1116–1127
Schmidinger M, Porta C, Oudard S et al (2019) Real-world experience with sunitinib treatment in patients with metastatic renal cell carcinoma: clinical outcome according to risk score. J Clin Oncol 37(suppl 7):606
Sternberg CN, Davis ID, Mardiak J et al (2010) Pazopanib in locally advanced or metastatic renal cell carcinoma: results of a randomized phase III trial. J Clin Oncol 28:1061–1068
Tannir NM, McDermott DF, Escudier B et al (2020) Overall survival and independent review of response in CheckMate 214 with 42-month follow-up: first-line nivolumab + ipilimumab (N+I) versus sunitinib (S) in patients (pts) with advanced renal cell carcinoma (aRCC). J Clin Oncol 38(suppl 6):Abstr. 609
Vaishampayan U, Schöffski P, Ravaud A et al (2019) Avelumab monotherapy as first-line or second-line treatment in patients with metastatic renal cell carcinoma: phase Ib results from the JAVELIN Solid Tumor trial. J Immunother Cancer 7:275
Yang JC, Hughes M, Kammula U et al (2007) Ipilimumab (anti-CTLA4 antibody) causes regression of metastatic renal cell cancer associated with enteritis and hypophysitis. J Immunother 30:825–830
Zhang S, Zhang E, Long J et al (2019) Immune infiltration in renal cell carcinoma. Cancer Sci 110:1564–1572
Zhu J, Armstrong AJ, Friedlander TW et al (2018) Biomarkers of immunotherapy in urothelial and renal cell carcinoma: PD-L1, tumor mutational burden, and beyond. J Immunother Cancer 6:4
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
G. Mickisch war Berater/Referent zum Thema NZK in den letzten 2 Jahren: APOGEPHA, Eisai, EUSA, Ipsen, Merck/Serono, MSD, Novartis, Pfizer, Roche. I. Peters war Beraterin für APOGEPHA. C. Grüllich: APOGEPHA, ROCHE, Merck, MSD, EISAI, Ipsen, Pfizer. T. Mudra: APOGEPHA. C. Doehn war Berater/Referent für: APOGEPHA, BMS, Eisai, EUSA Pharm, Ipsen, MSD, Merck Serono, Novartis, Pfizer, Roche.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
Die originale Onlineversion dieses Artikels wurde aufgrund einer rückwirkenden Open Access-Bestellung geändert.
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Mickisch, G., Peters, I., Grüllich, C. et al. Immuntherapie und Tyrosinkinaseinhibitoren beim metastasierten Nierenzellkarzinom in der First-line-Therapie – Wann welche Strategie?. Urologe 59, 1504–1511 (2020). https://doi.org/10.1007/s00120-020-01320-8
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00120-020-01320-8