Einleitung

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts sehen sich Mediziner weltweit mit einer der größten gesundheitspolitischen Herausforderung angesichts einer neuen Pandemie konfrontiert und dies ungeachtet entstehender sozioökonomischen Implikationen. Mit Datum 11.02.2020 hat die WHO diese Viruserkrankung als COVID-19 („coronavirus disease 2019“) klassifiziert. Ausgelöst wird diese Infektionskrankheit durch das Virus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“), das zur Familie der β‑Coronaviridiae bzw. der Ordnung Nidovirales gehört. Aus humanpathogener Sicht sind diese Coronaviren als Erreger von respiratorischen Infekten bis hin zu schwerwiegenden pulmonalen Erkrankungen von Bedeutung. Von den 7 bekannten humanpathogenen Stämmen bestehen in der medizinischen Literatur Erfahrungen mit vorangegangenen Coronavirusinfektionen, wie jene 2003 als SARS-Infektion oder 2012 als MERS („middle east respiratory syndrome“). Ungeachtet methodischer und länderspezifischer Unterschiede sind in aktuellen Datenerhebungen weltweit bereits über 2,3 Mio. Menschen bestätigt infiziert. Leider sind auch über 190.000 Todesfälle auf SARS-CoV‑2 zurückzuführen [1]. Offensichtlich stellt diese Pandemie eine Herausforderung mit unabsehbaren Folgen an unserer Gesellschaft dar, wobei Gesundheitssysteme weltweit, aber insbesondere das medizinische Personal im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen [2, 3].

Das SARS-CoV‑2 wird im Wesentlichen via Tröpfcheninfektion – und somit über Aerosole – von symptomatischen COVID-19-Patienten übertragen. Daneben wird eine Kontaktübertragung noch kontrovers diskutiert [4]. Neueste Studien konnten darüber hinaus nachweisen, dass eine Virustransmission selbst durch minimal symptomatische oder sogar asymptomatische Personen erfolgen kann [4, 5]. Die Besonderheit für COVID-19 ist eine längere Inkubationszeit (zwischen Viruskontakt und Symptomenbeginn) von 5–6 Tagen mit maximal 14 Tagen.

Coronaviren, in winzigen Aerosolen transportiert, stellen allerdings ein ernstzunehmendes Risiko dar, weshalb auf dieser Weise von einer versteckten Ansteckungsgefahr ausgegangen werden muss [6]. Laut Studien können Coronaviren bei Raumtemperatur auf verschiedenen Oberflächen bis zu 9 Tagen überdauern. Dieses Intervall ist länger als bisher angenommen und begründet z. T. das Infektionspotenzial von SARS-Cov‑2 [7, 8]. Gerade hinsichtlich der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie gilt es daher, entsprechende Risikoabschätzungen und SOP für urologische Abläufe sowie für Operationssäle zu erarbeiten.

Als Ärzte in der direkten Patientenversorgung sind auch Urologen einer Infektionsgefahr mit COVID-19 in ihrem täglichen Arbeitsumfeld ausgesetzt. Vermutlich können einige urologische Eingriffe als elektiv betrachtet und ohne größeres Risiko für einen Gesundheitsschaden aufgeschoben werden; dennoch bestehen in der Uroonkologie, in der Traumachirurgie oder in der Steinchirurgie ebenso dringliche und somit unaufschiebbare Interventionsindikationen. Während Sicherheitsvorkehrungen auf Intensivstationen und Notaufnahmen bereits umfassend umgesetzt werden, liegt eine Empfehlung seitens der Europäischen Urologenvereinigung (EAU; [9]) online erst seit 15. April 2020 vor. Generelle Richtlinien bieten das Robert-Koch-Institut, die Weltgesundheitsorganisation sowie das CDC und ECDC. Empfehlungen bezüglich endoskopischer Eingriffe wurden bereits durch die gastroenterologische Gesellschaft SAGES kommuniziert.

Um die unterschiedlichen Empfehlungen zu bündeln und die Hintergründe der Empfehlungen zu beleuchten wurde eine umfassende Literatursuche durchgeführt, mit dem Ziel ein Handlungsarmentarium und konkrete Verhaltensvorschläge für Urologen in dieser Pandemie zu geben.

Material und Methode

Es wurde eine Literatursuche in PubMed, bioRxiv und medRxiv sowie den Datenbanken der WHO und des CDC über SARS-CoV‑2 und chirurgisches Prozedere bei infizierten Patienten durchgeführt. Zusätzlich wurden die Empfehlungen der europäischen und deutschen urologischen Fachgesellschaften sowie der SAGESFootnote 1, EAESFootnote 2und des Robert-Koch-InstitutsFootnote 3 aufgearbeitet. Aufgrund der raschen Entwicklungen wurde der Zeitpunkt der Literatursuche bis zur Manuskripterstellung auf den 21.04.2020 eingeschränkt.

Um ein Risiko einzuschätzen, muss man das Virus verstehen

Das SARS-CoV‑2 ist ein Single-strand-RNA-Virus von ca. 30 kb mit etwa 50–80 % Ähnlichkeit zu MERS und SARS-CoV (Tab. 1). Strukturanalysen und biochemische Studien zeigen auf, dass das SARS-CoV‑2 sozusagen seinen genetischen Code für seine Bindungskapazität am „human angiotensin converting enzyme 2 receptor“ (hACE2) optimiert hat und so über Endozytose eine Zelle infizieren kann. Darüber hinaus hat es eine einzigartige polybasische Schnittstelle (RRAR) zwischen der S1- und S2-Subunit, welche mit Furin oder anderen Proteinasen in Verbindung gebracht wird. Mit etwa 120 nm Durchmesser ist das Coronavirus verhältnismäßig groß [10]. Diese Größe dürfte eine wichtige Determinante zur Risikobeurteilung sowie für Sicherheitsmaßnahmen sein. Der Ansteckungsradius beträgt, je nach Modalität (Atmung, Husten oder Niesen), bis zu 6 m. Beeinflusst wird die Weite des Tröpfchenfluges maßgeblich durch die Geschwindigkeit während der Emission. So wird bei Exspiration oder Husten lediglich eine Auswurfweite von 1,5 bzw. 2 m erreicht, (v0 10 m/s); durch Niesen erreichen die Tröpfchen jedoch eine Geschwindigkeit von rund 50 m/s. Durch Luftturbulenzen ausgelöst, wie beispielsweise durch Bewegungen oder Ventilationen in Räumen, kommt es zu einer Verteilung der Tröpfchen im Luftraum; eine Verweilzeit von rund 2–3 h ist beschrieben. Je nach Konvektion kommt es aber in unterschiedlichem Ausmaß zu einer Sedimentation der Tröpfchen auf Böden oder Oberflächen. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass die Grundflächen von COVID-19-Intensivstationen mit bis zu 40 %, Normalstationen eines Krankenhauses in nur ca. 8 % kontaminiert waren. Zu beachten sind auch gebäudespezifische Belüftungssysteme [11]. Da aus lüftungstechnischer Sicht Intensivstationen ähnlich wie Operationssäle aufgebaut sind, kann hier wohl von einem analogen Gefahrenpotenzial ausgegangen werden. Interessanterweise konnte in einer Kontaminationsstudie nachgewiesen werden, dass gerade Personalschuhe eine sehr hohe Viruslast aufwiesen und somit als Virusverteiler in Betracht gezogen werden müssen. In kontaminierten Räumen auf Intensivstationen wiesen selbst Gegenstände wie Computermäuse, Abfallbehälter oder Türknäufe eine ausgeprägte Keimbelastung auf. Daher kann von einer nicht zu vernachlässigen Ansteckungsgefahr auch für aseptische Räume wie für einen OP-Bereich ausgegangen werden [11]. Insofern nicht alle Krankenhäuser eine vergleichbare Kontaminationsrate aufweisen, könnte dies auf länder- bzw. krankenhausspezifische Faktoren und penible Hygienevorschriften zurückzuführen sein. Im Gegensatz zu europäischen Krankenhäusern ist in südkoreanischen oder chinesischen Gesundheitseinrichtungen ein Vollschutzanzug inklusive Schuhbedeckung üblich und in der jeweiligen Krankenhaushygieneverordnung vorgeschrieben. Vorausgesetzt, dass eine SARS-CoV-2-Aerosolbildung mit Raumkontamination durch Diffusion und Konvektion ein kritischer Faktor ist, müssen gleichzeitig andere virologische Nenngrößen zur Risikobeurteilung berücksichtigt werden. Interessanterweise hat SARS-CoV‑2 eine ungewöhnlich lange Halbwertszeit auf diversen Oberflächen. Eine amerikanische Arbeitsgruppe konnte im direkten Vergleich der beiden Viren zeigen, dass Coronaviren bis zu 72 h auf den beimpften Plastikoberflächen und bis zu 48 h auf stählerner Oberfläche nachweisbar waren. Nur auf Kupferoberflächen konnte sich SARS-CoV‑2 im Vergleich zu SARS-CoV‑1 mit 4 h nur vergleichsweise kurz halten. Ähnlich dazu verhalten sich auch die Halbwertszeiten des Virus. [12]. Kampf et al. konnten belegen, dass Coronaviren bis zu 9 Tagen an bestimmten Oberflächen überleben können [7]. Die Nachweisbarkeit des Virus selbst impliziert aber für den Urologen nicht notwendigerweise eine Virusinfektiosität, denn dies wurde in Studien bisher nicht nachgewiesen [13].

Dennoch bestätigt sich die Gefahr durch kontaminierte Oberflächen in einer erhöhten Übertragungsrate in Innenräumen. Eine neue chinesische Studie mit 1245 Teilnehmern konnte in der Analyse von 318 Krankheitsausbrüchen zeigen, dass 79,9 % der Infektionen auf Aufenthalte in Innenräumen zurückzuführen war. Hierbei waren überwiegend 3–5 Patienten gleichzeitig betroffen, während nur ein Krankheitsausbruch außerhalb im Freien stattfand. [14]. Somit bleibt es systematisch zu untersuchen, welchen Einfluss diese Faktoren auf die Gesundheit von Krankenhausmitarbeitern und Ärzten mit sich bringen wird. Manche Autoren spekulieren eine beträchtlich erhöhte Mortalität bei Ärzten, insbesondere bei direktem Kontakt mit der Versorgung von COVID-19-Patienten.

Erfreulicherweise liegen bereits einige epidemiologische Erkenntnisse über das Coronavirus selbst vor. Ursprünglich in Wuhan isoliert, konnte sich das Virus in alle Erdteile ausbreiten. Infektionszahlen steigen stetig und ein Höhepunkt scheint derzeit noch nicht absehbar. Nach neusten Erkenntnissen der WHO liegt die Altersverteilung unter COVID-19-Patienten bei durchschnittlich 51 Jahren. Insbesondere in Deutschland und anderen vergleichbaren Industrienationen wie USA oder Italien sind Männer gerade in der urologisch relevanten Patientengruppe von 60–79 Jahren überrepräsentiert [15]. Für die Risikoabschätzung einer Infektion im urologischen Bereich muss zusätzlich die Rate an asymptomatischen, aber potenziell virulenten Patienten mitkalkuliert werden. Die aktuelle Durchseuchungsrate innerhalb der Europäischen Union wird mit ca. 1–3 % vermutet, teilweise jedoch mit bis zu 19,1 % als deutlich höher eingeschätzt (mittels einer IgG/IgM-Antikörpertestung bestimmt; [16]). Eine österreichische Studie an einer epidemiologisch repräsentativen Kohorte zeigte in einem Untersuchungszeitraum von 5 Tagen jedoch lediglich 0,33 % positive nRT-PCR-Fälle. Allerdings wurde hier nicht die Durchseuchung, sondern nur die Rate akuter Infektionen beurteilt.Footnote 4 Eine weitere Studie in zwei unter Quarantäne gestellten Regionen in Österreich (St. Anton und Ischgl) zeigte hingegen eine immunologisch bestätigte Infektion bei 19 und 13 % der Probanden.Footnote 5 Die Infektiosität wird derzeit mit einer Reproduktionszahl R0 von 1,9–6,47 angegeben [12, 17,18,19].

Das neue Coronavirus kann durch Anamnese, klinische Beurteilung und bildgebende Diagnostik (insbesondere Thorax-CT) detektiert werden. Entsprechende Veränderungen sind hierbei in >80 % der Fälle ersichtlich [20]. Laborchemisch soll laut WHO ein naso- und/oder oropharyngealer Abstrich mit anschließender RT-PCR durchgeführt werden. Ebenso ist ein Virusnachweis aus Sputum oder bronchoalveolärer Lavage möglich [21]. Der Symptombeginn ist im Mittel ca. 5 Tage nach Erstkontakt mit dem Coronavirus zu erwarten, kann sich jedoch auf bis zu 14 Tage hinauszögern. Auch ist eine Übertragung an weitere Personen laut derzeitiger Datenlage bereits vor dem klinischen Symptomeinsatz beschrieben [16]. Um auch potenziell unentdeckte asymptomatische Patienten herauszufiltern, muss eine genaue Anamnese durchgeführt werden. Als Verdachtspersonen gelten laut europäischer Leitlinie auch Patienten, welche sich in den vergangenen 14 Tagen in Endemiegebieten aufgehalten haben oder Kontakt mit an COVID-19 erkrankten Personen hatten. Hier können, wie bereits häufig eingesetzt, auch standardisierte Fragebögen eine Hilfestellung leisten. Umfassende Abstriche präoperativ und auch in den Ambulanzen sind wünschenswert, aber in Zeiten langsamer Testverfahren und knapper Ressourcen kaum umzusetzen. Des Weiteren gilt es abzuklären, wie hoch die Sensitivität bzw. der negative prädiktive Vorhersagewert für die RT-PCR gerade zu Beginn der Infektion ist. Es ist anzunehmen, dass eine gewisse Viruslast für eine akkurate Diagnostik notwendig ist und somit vermutlich einige Tage verstreichen könnten, bis gesicherter Nachweis überhaupt gelingt. Vermutlich werden in Entwicklung stehende Testverfahren diese Diagnostiklücke verkürzen.

Tab. 1 Übersicht zu SARS-CoV-2

Coronavirus in der Urochirurgie – in periculum se inferre

Naturgemäß bedienen Urologen ein breites Feld an Interventionstechniken und Operationen. Die wichtigsten Teilbereiche sind die offene Chirurgie, laparoskopische oder roboterassistierte Chirurgie sowie die Endourologie.

In allen Teilbereichen der Urochirurgie aber auch in ambulanten Bereichen besteht eine Kontaktgefahr mit Blut oder Urin.

Die offene Chirurgie beherbergt insbesondere bei abdominellen Eingriffen mit Eröffnung des Darms ein Risiko der Tröpfcheninfektion durch intraoperativ generierte, virulente Aerosolbildung. Einerseits ist der Darminhalt virusbelastet, anderseits könnten sogar Organe selbst mit dem Coronavirus SARS-CoV‑2 infiziert sein. Der Nachweis einer Nierenparenchyminfektion konnte in einer aktuellen Studie erbracht werden. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen wurden Virionen in Nierenzellen festgestellt. Nach Invasion über den ACE2-Rezeptor verursacht SARS-CoV‑2 eine Nekrose der Tubuluszellen. Eine darauf folgende Lymphozyteninvasion kann zu einem akuten Nierenversagen führen. Hiervon ist durchschnittlich etwa ein Viertel der Patienten betroffen [22, 23]. Auch das Endothel wird durch das Coronavirus befallen, wodurch eine Endotheliitis entsteht. Insbesondere bei kardiovaskulären Vorerkrankungen oder Adipositas wird hierdurch die Mortalität erhöht [24]. Diese Pathomechanismen erklären daher auch, dass das Erstsymptom einer organotropischen SARS-Cov-2-spezifischen Infektion oftmals eine Mikrohämaturie mit einhergehender Proteinurie sein kann. In der Früherkennung einer drohenden Niereninsuffizienz kommt deshalb einer Urinanalyse eine wichtige Rolle zu [25]. Im Rahmen einer operativen Intervention erfolgt üblicherweise eine elektrokaustische Koagulation von Gefäßen und Gewebe. Hierbei werden Aerosole mit einer potenziellen Viruslast generiert. Hitzeentwicklungen in Zusammenhang mit elektrokaustischer Diathermie (mono- als auch bipolar) lässt Zellmembranen aufbrechen und führt zu Rauchentwicklung. Dieser Rauch besteht zu 95 % aus Wasser und 5 % aus Zellmaterial in der Größe von 0,007 –0,31 µm. In beschriebenem Rauch finden sich auch Viruspartikel und stellt somit einen potenziellen Vektor bei COVID-Patienten dar [12]. Eine chirurgische Maske bietet allerdings keine suffiziente Schutzbarriere gegen Aerosole. Mit einer üblichen Größe von <5 µm vermag eine N95-Maske (entspricht FFP-2) hingegen bis zu 95 % der Aerosole zu blockieren. In mehreren Studien mit anderen Viren, wie beispielsweise Hepatitis B, HIV oder das Papillomavirus, konnte nachgewiesen werden, dass der intraoperativ generierte Rauch entsprechende Viruspartikeln beinhaltet [26, 27]. Dennoch wird ein spezifisches Infektionsrisiko für das involvierte Personal nach wie vor kontrovers diskutiert [28]. So konnte generell keine drastisch erhöhte Infektionsrate bei Chirurgen oder anderem OP-Personal, trotz vermeintlich jahrzehntelanger inadäquater Sicherungsmaßnahmen zur Expositionsprophylaxe, festgestellt werden. Dennoch, Absaugvorrichtungen und entsprechende Masken (FFP-2/FFP-3) erscheinen in diesem Kontext sinnvoll und sollten eingefordert werden.

Das Prostatagewebe scheint demgegenüber nicht von SARS-CoV‑2 befallen zu werden, zumindest konnte eine chinesische Gruppe in einer kleinen Studie keine Virus-RNA im Prostatasekret nachweisen [29]. Abgesehen von einem möglichen Infektionsrisiko bei SARS-CoV-2-positivem Harn kann daher angenommen werden, dass eine SARS-CoV-2-Transmission streng genommen weder bei offener Prostatachirurgie, noch bei endourolgischen Eingriffen erhöht ist.

Viele Spül- und Ablaufsysteme in der Endourologie basieren bereits auf geschlossenen Pumpsystemen. Wie auch in der europäischen Leitlinie empfohlen, sollte somit ein direkter Abfluss des Urins ohne wesentliche Kontaminationsmöglichkeit erfolgen. Jedoch muss bei der Evakuation von beispielsweise Resektionsspänen sowie beim Ein- und Ausgehen mit dem Gerät auf einen entsprechenden Schutz geachtet werden. Da basierend auf der oben angesprochenen Studienlage eine SARS-CoV-2-Übertragung mittels Urin denkbar ist, muss bei COVID-19-Patienten und unklaren Verdachtsfällen zusätzlich zur gängigen Schutzkleidung im Operationssaal auf FFP-2-Masken und Schutzbrillen zurückgegriffen werden. Natürlich muss diese Sicherung auch im ambulanten Bereich Anwendung finden. Falls vorhanden, ist eine zystoskopische Beurteilung an einem angeschlossenen Monitor mehr als sinnvoll, da hier ein zusätzlicher Abstand zum Patienten geschaffen werden kann.

Offene oder laparoskopische Chirurgie?

Die Infektiosität bei generierten Aerosolen stellt in allen Bereichen der Urochirurgie einen möglichen Infektionsweg für das gesamte OP-Personal dar. Während bei laparoskopischen Eingriffen prinzipiell ein geschlossenes Absaugsystem Verwendung findet, scheint dies für die offene Chirurgie nicht zuzutreffen. Entsprechend den aktuellen Studien gibt es derzeit keine eindeutigen Daten, welche einen Infektionsweg für SARS-Cov‑2 über Blut, Stuhl oder Urin dezidiert beschreiben. Richtigerweise findet sich bei symptomatischen Patienten eine SARS-Cov-2-Virämie [23, 30]. Darüber hinaus konnte eine SARS-Cov-2-Kontamination im Harn nachgewiesen werden. So zeigten mehrere Arbeitsgruppen eine Kontamination des Urins in 6,9–11,1 % bei RT-PCR bestätigten COVID-19-Patienten [31,32,33]. Analog konnten in älteren Studien SARS-CoV-1- und MERS-CoV-Viren im Urin in 28,8–42 % der Fälle nachgewiesen werden. Interessanterweise konnten die Studienautoren z. T. nachweisen, dass die Viren erheblich länger im Urin persistieren und dies selbst dann noch, wenn bereits eine klinische Clearance bei den untersuchten Patienten stattfand [34,35,36]. Die Kontamination mit Viren im Urin könnte vermutlich erst im Verlauf der Viruserkrankungen relevant werden, zumindest wurde in einer neuen Arbeit bei allen 9 Patienten innerhalb der ersten Woche nach Symptombeginn keine virale RNA im Harn nachgewiesen [37].

Somit ist die Datenlage bezüglich der Viruslast im Harn mit heutigem Wissen nicht eindeutig belegbar, da andere Studienautoren keinen Virusnachweis im Harn detektierten. Ähnliches gilt für den Nachweis von SARS-CoV‑2 im Stuhl mit dem Risikopotenzial eines fäkooralen Übertragungsweges. In Rektalabstrichen konnte bei an COVID-19 erkrankten Patienten in 66,67 % erregerspezifische RNA vermittels PCR nachgewiesen werden. Auch hier waren die Stuhlproben über mehrere Tage nach bereits 2‑fach wiederholten negativen oropharyngealen Abstrichen anhaltend positiv, was zu einer entsprechenden WHO-Warnung führte [38].

In Betrachtung der oben genannten Aspekte sowie unter Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen ist die Laparoskopie in Zeiten der COVID-19-Pandemie per se nicht kontraindiziert. Sehr wohl sind hierbei besondere Vorsichtsmaßnahmen zur Sicherstellung der Mitarbeitergesundheit im Vorfeld zu treffen. Durch Verwendung geschlossener Absaugsysteme kann ein nahezu aerosolfreies Arbeitsumfeld geschaffen werden. Niedrige Arbeitsdrücke zur Bildung des Pneumoperitoneums können ebenfalls eine Verbreitung des Virus reduzieren. Darüber hinaus ist ein sogfältiges Absaugen des Pneumoperitoneums zu Operationsende noch vor Trokarentfernung zu fordern. In der Risikostratifizierung ist eine Übertragung von Urin, Blut oder Gewebepartikeln, beispielsweise durch unkontrollierte Dekompression in der Laparoskopie, durch unerwartetes Verspritzen von Flüssigkeiten oder Stichverletzungen, aufgrund der geschlossenen Körperhöhle als weniger riskant einzustufen. In Zeiten einer Pandemie mit genereller Ressourcenknappheit im Gesundheitssystem muss auf die Vorteile der Laparoskopie als etablierte und sichere OP-Methode verwiesen werden; bekanntermaßen ist eine postoperative intensivmedizinische Behandlung seltener, gleichzeitig profitieren Patienten generell von einer geringeren Komplikationsrate sowie durchschnittlich von einer reduzierten Krankenhausaufenthaltsdauer [39, 40]. Daher sollte die Möglichkeit zugunsten der laparoskopischer Operation, wie bereits in den Leitlinien der EAU und DGU empfohlen, nicht durch die Sorge einer Coronavirusinfektion unberücksichtigt bleiben.

Welche Maßnahmen sind zu beachten?

Chirurgische Standard-OP-Masken bieten keinen ausreichenden Schutz vor Viren oder Viruspartikeln in Aerosolen [41]. Da Aerosole nicht nur während der Operation, sondern bereits zuvor im Rahmen einer OP-Einleitung entstehen können, sollte laut aktuellen Empfehlungen unbedingt auf FFP-2-Masken im Falle eines zu behandelnden Patienten mit Verdacht auf oder einer bestätigten COVID-19-Infektion zurückgegriffen werden.Footnote 6,Footnote 7 Zusätzliche Schutzbrillen und Überschuhe verhindern eine Virusübertragung entsprechend den Erfahrungen auf Intensivstationen in Wuhan, China. Anästhesiologische Vorbereitung und Intubation beherbergen das größte Verteilungspotenzial für Viren und sollten somit vorab in gesonderten Räumen durchgeführt werden. Damit wird eine Viruslast im Operationsbereich auf ein Minimum reduziert [6]. Die Durchführung einer Lumbalanästhesie verursacht eine vergleichsweise geringere Virusexposition und sollte somit nach Möglichkeit und Ausstattung erwogen werden. Laut Literatur kann hierdurch der häufigste Risikofaktor für eine Coronavirusinfektion im OP deutlich reduziert werden [41]. Ähnlich wie die für die Chirurgie HPV-assoziierter Krankheiten verwendeten Absaugsysteme, sollte an eine solche technische Umsetzung in der offenen Chirurgie gedacht werden. Hierdurch ist eine Aerosolreduzierung durch direktes und nahes Absaugen wie beispielsweise bei der Verwendung von Elektrokautern möglich. Bezugnehmend auf die beschriebenen Infektionen auf Intensivstationen und die damit „iatrogene“ Transmission und Ausbreitung des Coronavirus müssen Klimaanlagen und Ventilatoren entsprechend kontrolliert und ausgestattet werden. HEPA-Filter („high-efficiency particulate air“) haben nachweislich eine gute Wirksamkeit gezeigt. HEPA-Filter sind in der Lage, Partikel bis zu einer Größe von 10 nm herauszufiltern, was im Falle von SARS-CoV‑2 mit einer Größe von rund 120 nm effektiv erscheint. Hinzu kommen ausgeklügelte Diffusion und Impaktierung träger Massen [42].

Konsequente Desinfektion von Oberflächen ist absolut unumgänglich

Coronaviren verbleiben nur für eine gewisse Zeit schwebend in der Luft. Aufgrund von Turbulenzen und Luftbewegungen kommt es zu einer räumlichen Verbreitung und schnellerem Niederschlag dieser Aerosoltröpfchen. Durch die lange Infektiosität von SARS-CoV‑2 auf verschiedene Oberflächen ist eine zeitnahe und korrekte Reinigung des Operationssaals einzufordern; selbstverständlich gilt dies auch für direkt und indirekt verwendete Gegenstände. Hier sollten zumindest begrenzt viruzide Desinfektionsmittel zum Einsatz kommen.Footnote 8 Zusätzlich sollte das gesamte OP-Personal einen Wechsel der Schuhe vor Betreten der OP-Säle durchführen. Die Forderung einer maßvoll vertretbaren Reduktion von Personen ist nachvollziehbar.

COVID-19-Patienten zeigen ein erhöhtes Koagulationsrisiko mit Gefahr einer disseminierten intravaskulären Koagulation (DIC) und Thrombose/Emboliebildung auf (z. B. bei D‑Dimer-Anstieg um das 4‑Fache; [43, 44]). Daher wird von einigen Experten der Einsatz einer Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin bei COVID-19-Patienten diskutiert [45]. Für den Chirurgen bedeutet dies eine erhöhte Blutungsgefahr, auch wenn die Verwendung von Elektrokaustik auf ein Minimum reduziert werden soll.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann ein Infektionsrisiko am einfachsten durch Aufschub und Priorisierung der geplanten Eingriffe minimiert werden. Hier gilt es, eine sorgfältigen Risiko- und Nutzenabwägung im Vorfeld zu erstellen. Hilfe bei der Entscheidung können die Priorisierungslisten der DGU und EAU bietenFootnote 9 [46]. Denkbar wäre es demnach, beispielsweise anstatt einer primären Steinsanierung bei therapierefraktären Koliken eine symptomatische Abhilfe im Akutfall in Erwägung zu ziehen, wie durch Anlage einer Harnleiterschienung. Dieses Prozedere entspricht einer Priorisierung in der Therapie, einer besseren Planung zugunsten einer einleitbaren COVID-Diagnostik und damit einem generell ressourcenschonenden Verfahrensweise und geringeren potenziellen viralen Expositionszeit (Tab. 2).

Tab. 2 Übersichtstabelle zu einschlägigen Empfehlungen

Conclusio

Die Bedrohung durch das Coronavirus betrifft das medizinische Personal weltweit. Eine hohe Infektiosität und Virusübertragung auch im asymptomatischen Stadium machen SARS-CoV‑2 zu einer Herausforderung. Auch Urologen müssen sich auf die neue Situation einstellen, da das größte Patientengut, Männer zwischen 60 und 79 Jahren, zur größten Risikopopulation gehört. Die Datenlage zeigt, insbesondere durch Aerosolbildung besteht ein potenzielles Ansteckungsrisiko im Rahmen chirurgischer Eingriffe. Dies bestätigte zuletzt auch das Robert-Koch-Institut und empfahl in diesem Zusammenhang die Reduktion von Obduktionen auf ein Minimum. Zusätzlich muss die lange Oberflächenstabilität des Virus dringend berücksichtig werden. Jedoch zeigt der Umgang mit anderen viralen Infektionen wie HPV oder HIV, dass chirurgische Interventionen unter Einhalten empfohlener Sicherheitsmaßnahmen ohne erhöhte Gefährdung durchgeführt werden können. Aus unserer Sicht ist daher der konsequente Einsatz von FFP-2-Masken, angepasster, persönlicher Schutzkleidung sowie von Sicherheitsbrillen unabdinglich. Des Weiteren kann Aerosolbildung und Verteilung durch mehrere intraoperative Maßnahmen wie Absaugvorrichtungen oder niedrige Arbeitsdrücke in der Laparoskopie auf ein Minimum begrenzt werden. Professionelle Filtersysteme in Operationssälen, ausgestattet mit hochpotenten HEPA-Filtern sowie umfangreiche Oberflächendesinfektion und räumliche Trennung von Intubation und Operationssaal bieten zusätzlichen Schutz. Unter Beachtung der beschriebenen Maßnahmen und Berücksichtigung der Ressourcenschonung kann die Durchführung dringlicher Operationen unsererseits als infektiologisch sicher erachtet werden. Nichtsdestotrotz bedeutet jede vermiedene Operation den größten Sicherheitsgewinn für das Personal. Um Dringlichkeiten abzuschätzen und Vorteile möglicher konservativer Verfahren gegenüber Operationen einzuordnen, können die Priorisierungslisten der DGU (www.urologenportal.de) und der EAU (www.uroweb.org) eine gute Hilfestellung leisten.