Offenheit ist die Qualität der Stunde, wenn es um Patientensicherheit geht. Dieser Begriff hat die Ärzteschaft nach Einführung des neuen und noch zu wenig beachteten Patientenrechtegesetzes (2013, [1]) sowie durch den provokanten AOK-Krankenhausreport [2] mit großer magischer Kraft eingenommen. Auch das operative Handwerk und seine Risiken waren früher meist eine abgeschlossene Provinz von Experten. Die Bewertung von Komplikationen hatte lange Zeit das Aroma der Hybris, des Hermetischen, des Desinteresses letztlich auch am geschädigten Patienten.

Die politisch geforderte „Demokratisierung“ im Rahmen der Qualitätsoffensive rennt in der Urologie offene Türen ein.

Denn seit einem Jahrzehnt ist der transparente, auch wissenschaftliche Umgang mit Komplikationen in Publikationen und Kongressforen als Vehikel der Befreiung etabliert. Mit dem vorliegenden Heft von Der Urologe dokumentieren die Urologen erneut den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess bei der systematischen Fehleranalyse etablierter Standardeingriffe. Während die Beiträge im Heft 5 ein strukturiertes Krisenmanagement für Anfänger darstellten, richten sich die Publikationen dieses Hefts an Fortgeschrittene. Experten unseres Faches stellen die Risiken typischer Operationen im Kindes- und Erwachsenenalter vor und geben strukturierte Handlungsanweisungen zur Fehlervermeidung und -beherrschung.

Dabei fällt ein prinzipielles Problem auf: Es gibt wenige zitierfähige Daten über die Häufigkeit von Komplikationen. Jeder Operateur hat sie zwar, aber keiner berichtet gern darüber. „Wir sind nicht grad sehr viel. Wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen.“ – Dieser traurige Satz der jungen Arabella in der Richard-Strauss-Oper lässt sich auch auf diese dunkle, aber unvermeidbare Seite des operativen Handwerks übertragen. Die Unterschiede bei den postoperativen Komplikationen unterliegen immer einem Bias bezüglich der Sorgfältigkeit der Berichterstatter, diese exakt zu dokumentieren. Das rechtzeitige Erkennen intra- und postoperativer Probleme ist für die Genesung der Patienten jedoch von entscheidender Bedeutung. Zur Erfassung der Art und Schwere einer operativen Komplikation bietet sich die Clavien-Dindo-Klassifikation an.

Wülfing u. Humke stellen die organerhaltende Nierentumoroperation wegen des erhöhten kardiovaskulären Risikos nach Nephrektomie unabhängig von der Tumorgröße als primäres Operationsziel dar. Die anatomische Komplexität des Tumors korreliert mit dem Auftreten von Komplikationen und sollte präoperativ standardisiert anhand der neuen Scoring-Systeme beurteilt werden. Während methodenspezifische chirurgische Komplikationen wie Blutung und Urinfistel selten sind, treten postoperativ bevorzugt kardiovaskuläre Probleme auf.

Harnleiterrekonstruktionen erfolgen bei vorgeschädigtem Harntrakt und gehen bei meist voroperiertem Situs naturgemäß mit einer höheren Komplikationsrate einher. Lazica et al. demonstrieren das gesamte Operationsspektrum zur Wiederherstellung kurz- und langstreckiger Ureterdefekte mit und ohne Darmsegmente.

Saar et al. stellen nicht nur typische Risiken und Lösungsansätze bei der radikalen Prostatektomie dar, sondern weisen auch auf Risikofaktoren für Komplikationen hin. Besonderheiten bei den verschiedenen operativen Techniken werden gezielt verdeutlicht.

Roggenhofer et al. stellen die Bedeutung einer korrekten Indikationsstellung bei der Wahl der Harnableitung als Voraussetzung für den Erfolg und die Patientenzufriedenheit heraus. Lösungswege zur Beherrschung typischer Früh- und Spätkomplikationen werden vermittelt.

Lusch et al. beschreiben das Komplikationsmanagement nach Residualtumorresektion von Hodentumoren. Die Risiken hängen sowohl von der Lage und Ausdehnung des Primärtumors als auch von der Größe des Resektionsfelds ab. Die Zahl der Zusatzeingriffe steigt signifikant bei Patienten mit intermediärer und schlechter Prognose.

Weckermann informiert über die seltenen Risiken und Folgen einer pelvinen Lymphadenektomie. Im Vordergrund steht die Behandlung der symptomatischen Lymphozele, die bei fehlender Infektion laparoskopisch gefenstert werden sollte. Demgegenüber kann die infizierte Lymphozele zur therapeutischen Herausforderung werden.

Soave et al. weisen neben der Darstellung typischer Komplikationen der Hypospadieoperationen auf die Möglichkeiten ihrer Vermeidung hin. Die Häufigkeiten von Fisteln und Stenosen steigen mit der Komplexität des Eingriffs und können zur erheblichen Beeinträchtigung der psychosexuellen Funktion führen.

Offen-operative Verfahren zur Harnröhrenrekonstruktion sind bewährte Techniken mit geringem Komplikationsprofil und hohen Erfolgsraten. Kocot u. Riedmiller geben wertvolle Hinweise zur prä- und intraoperativen Erkennung möglicher Risiken und zum postoperativen Troubleshooting.

Das Komplikationsmanagement bei der Inkontinenz- und Deszensuschirurgie wird eindrucksvoll von Hampel et al. beschrieben. Seit Einführung der spannungsfreien alloplastischen Schlingenoperationen hat sich die Zahl der Inkontinenzeingriffe verdreifacht, was zwangsläufig auch mit einer Zunahme der Komplikationen einherging. Demgegenüber ist die Sakrokolpopexie als urologische Standardoperation des weiblichen Deszensus im Gegensatz zu neueren Verfahren effektiv und komplikationsarm. Die Autoren weisen auf die Notwendigkeit der sorgfältigen Indikationsstellung und verantwortungsvollen Risiko-Nutzen-Abwägung hin.

Ritter et al. stellen die perkutane Nephrolitholapaxie als Goldstandard zur Behandlung größerer Nierensteine vor. Komplikationen lassen sich bei exakter Punktion des Nierenhohlsystems und Dilatation des Zugangswegs minimieren. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in Europa nur bei 10% aller Eingriffe eine ausschließlich sonographisch-gesteuerte Punktion vorgenommen wird.

Das Management von Komplikationen erfordert klinische und operative Erfahrung

Die Lektüre dieser Beiträge unterstreicht die bekannte ärztliche Maxime: Bei unserem täglichen operativen Handeln müssen wir uns die Risiken bewusst machen, unsere Patienten aufmerksam betreuen, Komplikationen früh erkennen und beherrschen sowie die Folgen entstandener Fehler vermindern. Das Management von Früh- und Spätkomplikationen erfordert klinische und operative Erfahrung, um unterschiedlichen und unerwarteten intra- und postoperativen Befunden gerecht werden zu können. In diesem Heft werden die Komplikationen typischer Fortgeschritteneneingriffe ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt. Alle Abhandlungen erlauben eine gute Übersicht über die Risiken und geben praktische Entscheidungshilfen zur Fehlervermeidung und -beherrschung.

J. A. Steffens

J. Kranz

M. S. Michel