Die Anfänge der evidenzbasierten Medizin

Der Begriff der evidenzbasierten Medizin (EBM) wurde von Gordon Guyatt, Professor für Innere Medizin und Klinische Epidemiologie an der McMaster Universität in Hamilton, Kanada, geprägt [1]. Guyatt war ein früher Schüler von David Sackett, der als Erster ernsthaft hinterfragte, wie Kliniker die Informationen klinischer Studien interpretieren und im klinischen Alltag zur Anwendung bringen [2]. Sackett gründete die ersten Zentren der EBM an der McMastern-Universität, Kanada, und in Oxford, England. Aus seinen Überlegungen und den daraus folgenden wissenschaftlichen Arbeiten wuchsen der „Users’ Guide to the Medical Literature“ – eine Serie von Übersichtsarbeiten, die einen systematischen Ansatz zur Beurteilung und Umsetzung klinischer Studien bot. Diese Arbeiten wurden zunächst in dem namhaften Journal of the American Medical Association (JAMA) publiziert und liegen mittlerweile in Buchform bereits in der 2. Auflage vor. Von David Sackett stammt auch die klassische Definition der EBM, die im englischen Originalton lautet: EBM is „the conscientious, explicit and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of the individual patient. It means integrating individual clinical expertise with the best available external clinical evidence from systematic research“ [3].

Bedeutung und Schwerpunkte der EBM

Im Jahr 2001 wurde die EBM von der New York Times zur Idee des Jahres gekürt. Mittlerweile sind die Prinzipien der EBM als selbstverständliches Leitungsprinzip von allem medizinischen Handeln anerkannt. Es gibt drei Schwerpunkte der EBM: Die EBM im eigentlichen Sinne, die mit David Sackett und Gordon Guyatt assoziiert wird, meint die Fähigkeit des einzelnen Klinikers, unterschiedliche Studien beurteilen zu können. Im Weiteren umfasst die EBM aber auch evidenzbasierte klinische Leitlinien sowie die von Sir Archie Cochrane begonnenen Bemühungen, Antworten auf kritische klinische Fragen in systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zu finden.

Während sich die EBM in der Inneren Medizin und ihren Unterdisziplinen relativ schnell verbreitete, war die Aufnahme in die chirurgischen Fächer, einschließlich der Urologie, verzögert. Eine repräsentative Umfrage unter Mitgliedern der „American Urological Assoziaiton“ (AUA) im Jahr 2006 zeigte, dass amerikanische Urologen die EBM zwar befürworteten, aber ein unzureichendes Verständnis angaben und fehlende Fortbildungsmöglichkeiten beklagten [4]. Darauf basierend erschien nachfolgend im Journal of Urology eine 8-teilige Serie mit dem Titel „Users‘ guide to the Urological Literature“, die dem Beispiel der Originalserie der EBM folgte und an der sich zahlreiche Originalautoren beteiligten. Es entstand zudem eine 15-teilige „Evidence-Based Urology in Practice“-Serie, die 2009–2011 im BJU International erschien. Außerdem wurde die EBM als Teil des AUA Core Curriculums zum Pflichtlehrinhalt aller amerikanischen Facharzt-Ausbildungsprogramme.

Verbreitung der EBM im deutschsprachigen Raum

Im deutschsprachigen Raum bekam die EBM durch die Gründung des unabhängigen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit eine verstärkte Bedeutung. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit ist im Auftrag des gemeinsamen Bundesausschusses und des Bundesgesundheitsministeriums tätig und setzt sich für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf der Grundlage der EBM ein. Fachspezifische Ressourcen, mit denen sich Urologen in Deutschland ein verbessertes Verständnis der EBM aneignen könnten, sind jedoch leider weiterhin unzureichend. Die Bedeutung der EBM hingegen wurde erst kürzlich in mehreren Beiträgen von Wegwarth u. Gigerenzer [5, 6] vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz in Berlin im Deutschen Ärzteblatt veranschaulicht. Mittels zahlreicher Beispiele aus der Urologie wurde verdeutlicht, wie Kliniker Risiken missverstehen und dadurch Unsicherheiten entstehen.

Auf den Fußspuren des „Users’ Guide to the Medical Literature“ möchten wir den Leserinnen und Lesern der Fachzeitung Der Urologe eine Serie von Artikeln vorstellen, die anhand von konkreten Fallbeispielen aus dem urologischen Alltag Kernprinzipen der EBM verdeutlichen und begreifbar machen möchte. Unsere Artikel befassen sich mit grundlegenden Prinzipien der EBM, wie z. B. der effizienten Suche von hochqualitativen Studien und mit der Erläuterung statistischer Basisprinzipien, deren Verständnis eine Grundvoraussetzung für die Interpretation von Studienergebnissen darstellt und somit essentiell für die Umsetzung in der EBM ist.

Im Namen aller Koautoren sowie der „Evidence Based Urology Working Group“ (http:www://evidence-based.urology.ufl.edu) möchten wir der Schriftleitung von Der Urologe für die Verwirklichung dieser Serie danken. Wir hoffen, dass diese Serie dazu beitragen kann, die evidenzbasierte Praxis der Urologie in Deutschland zu fördern, die Behandlungsqualität unserer Patienten zu verbessern und nicht zuletzt eine neue Generation von sich in der Ausbildung befindlicher Urologen motiviert, sich verstärkt mit der EBM zu befassen.

P. Dahm

M. Rink