Liebe Leserinnen und Leser,

das Kniegelenk verbindet die längsten Hebelarme des Skeletts und vereint auf kleinem Raum drei einzelne Gelenke, das mediale und laterale femorotibiale und das patellofemorale Gelenk. Die artikulierenden Gelenkkörper sind wenig kongruent. Das Kniegelenk wird dadurch und durch einen komplexen Aufbau von Knochen, Sehnen und Bändern zahlreichen Anforderungen hinsichtlich Stabilität und Beweglichkeit gerecht, ist aber gleichzeitig in besonderer Weise durch Verletzungen und degenerative Veränderungen gefährdet.

Im Laufe der Evolution haben sich Besonderheiten entwickelt, die den speziellen Bedürfnissen unterschiedlicher Spezies entsprechen. So besteht bei Pferden die Patellarsehne aus drei separaten Anteilen, der mediale Femurkondylus ist stärker ausgebildet als der laterale und weist zudem einen Knochenwulst auf. Damit das Pferd im Stehen dösen kann, ohne Muskelkraft aufwenden zu müssen, zieht es die Patella willkürlich aus der Trochlea und hängt sie auf den Knochenwulst des medialen Femurkondylus. Durch den sog. Spannsägemechanismus wird auch das Sprunggelenk fixiert [1].

Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich bei vielen Menschen die Anforderungen an das Kniegelenk nachhaltig geändert, insbesondere durch vermehrte sportliche Aktivitäten und eine deutlich gestiegene Lebenserwartung. In so kurzer Zeit kann aber keine evolutionäre Anpassung erfolgen. Es kann daher nicht überraschen, dass Verletzungen des Kniegelenks zu den häufigsten Sportverletzungen und die Gonarthrose zu den häufigsten degenerativen Gelenkerkrankungen zählen.

Roland Becker weist in seinem Beitrag „Magnetresonanztomographie des Kniegelenks – Was erwartet der Kliniker vom Radiologen“ darauf hin, dass die Bildgebung neben Anamnese und klinischer Untersuchung einen wichtigen Beitrag bei der Festlegung der Therapie zu leisten vermag. Da die Meniskusresektion ein großes Risiko für eine frühzeitige Arthrose beinhaltet, wird bei Meniskusrissen eine Refixierung und ein Erhalt des Meniskus angestrebt. Eine genaue Analyse und Beschreibung der Lokalisation und Ausdehnung von Meniskusrissen ist dafür unverzichtbar. Gleiches gilt für Rupturen der Kreuzbänder. So macht es einen Unterschied, ob das anteromediale oder posterolaterale Bündel des vorderen Kreuzbands oder beide Bündel gerissen sind. Bei Erhalt des nichtgerissenen Bündels kann das Operationstrauma reduziert und eine bessere Propriozeption erhalten werden. Ein weiteres Beispiel für den möglichen Einfluss der Bildgebung auf das therapeutische Vorgehen ist die Bestimmung des „posterior tibial slope“. Ist das Tibiaplateau vermehrt nach dorsal geneigt, ist die Versagensrate von Kreuzbandplastiken erhöht, und es wird daher nach Versagen einer VKB-Bandplastik eine Osteotomie zur Slope-Reduktion empfohlen.

Wie kann die Radiologie den von der Orthopädie/Unfallchirurgie formulierten hohen Ansprüchen gerecht werden? In seinem Manuskript zur „Bildgebung bei posterolateraler Rotationsinstabilität“ führt Dirk Müller dazu aus: „Die Kenntnis der MRT-Morphologie der beteiligten anatomischen Strukturen unter Berücksichtigung der biomechanischen Bedeutung ist entscheidend, um die entsprechenden bildgebenden Befunde zu erkennen und zu benennen.“ Er verdeutlicht dies mit der Darstellung der anatomischen Strukturen der posterolateralen Gelenkecke und wie deren Verletzungen in der MRT zur Darstellung kommen. Die therapeutischen Ergebnisse sind ungünstig, wenn nur die Ruptur eines Kreuzbands rekonstruiert wird und eine gleichzeitig vorliegende Läsion der posterolateralen Ecke unberücksichtigt bleibt.

Häufiger als alle anderen Bänder des Kniegelenks ist das vordere Kreuzband (VKB) von traumatischen Schäden betroffen. Benjamin Fritz weist darauf hin, dass komplette Rupturen mit wenigen Ausnahmen sicher diagnostiziert werden können, während inkomplette Rupturen und Zerrungen der Entdeckung entgehen können. Er betont, dass Rupturen des VKB selten isoliert auftreten, sondern oft mit anderen Kniebinnenverletzungen insbesondere der Menisci und der Kollateralbänder assoziiert sind. Nicht selten ist die Ruptur des VKB mit Läsionen des anterolateralen Bandes kombiniert, dem gleichfalls die nötige Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Zu den indirekten Zeichen der VKB-Ruptur gehören subchondrale Knochenmarködeme im lateralen Femurkondylus und im posterioren und lateralen Abschnitt des Tibiakopfes.

Keineswegs nur am Kniegelenk erleichtert der Nachweis eines Knochenmarködems die Erkennung von Gelenkverletzungen. Klaus Wörtler weist darauf hin, dass die Bezeichnung „Knochenmarködem“ den Sachverhalt nur teilweise richtig beschreibt, da diesen Veränderungen oft auch weitere pathologische Veränderungen zugrunde liegen, wie eine vermehrte Vaskularisation oder Einblutungen. Von dem „Subchondral Bone Nomenclature Committee der Society of Skeletal Radiology“ wurde daher die deskriptive Bezeichnung „Knochenmarködem-ähnliche Signalintensität“ vorgeschlagen, die sich aber bisher nicht eingebürgert hat. Um ein Knochenmarködem als solches zu identifizieren, sind T1-gewichtete MRT-Aufnahmen unverzichtbar, und man darf sich nicht auf flüssigkeitssensitive MRT-Aufnahmen beschränken. Da das Fettgewebe des Knochenmarks, anders als bei Tumoren oder bei der Osteomyelitis nicht ersetzt wird, ist das T1-Signal höher als das des Muskels. Zudem ist das Knochenmarködem unscharf begrenzt, und die Trabekelstruktur wird nicht ausgelöscht. Knochenmarködeme werden aber auch bei einer Reihe nichttraumatischer Läsionen beobachtet, wie bei subchondralen Insuffizienzfrakturen sowie entzündlichen und degenerativen Gelenkerkrankungen. Neben diesen Formen des Knochenmarködems, das als sekundäres Phänomen anderer Erkrankungen auftritt, ist das (transiente) Knochenmarködem-Syndrom differenzialdiagnostisch abzugrenzen. Nach dem Hüftgelenk ist das Kniegelenk die häufigste Lokalisation, und Klaus Wörtler stellt die klinischen und radiologischen Kriterien dar, die eine differenzialdiagnostische Abklärung erleichtern.

Wolfgang Fischer gibt in seinem Beitrag „Update Meniskus“ für die Praxis wertvolle Hinweise, worauf bei der Bewertung von Meniskusläsionen zu achten ist und welche Kriterien dabei zu berücksichtigen sind: die exakte Ausdehnung, welche Anteile des Meniskus betroffen sind und die Distanz vom meniskosynovialen Übergang. Er weist auch darauf hin, dass die Erkennung von Rissen der Meniskuswurzel sehr wichtig ist, da sie unbehandelt mit einem hohen Arthroserisiko assoziiert sind. Auch Verletzungen der Meniskusrampe, der meniskokapsulären und meniskotibialen Befestigung des Hinterhorns des Innenmeniskus, verdienen besondere Beachtung, da sie für die Stabilität des Innenmeniskus bedeutsam sind und häufig mit Läsionen des vorderen Kreuzbands assoziiert sind.

Sven Nebelung und Kollegen setzen sich mit der Diagnostik und Klassifikation von Knorpelschäden auseinander. Sie empfehlen zur Beurteilung des Schweregrades die modifizierte Outerbridge-Klassifikation, bei der neben unterschiedlich tiefen Knorpeldefekten strukturelle Veränderungen des Knorpels (Knorpelerweichung) als Stadium 1 definiert sind. In der T2- und protonendichtengewichteten MRT zeigt sich eine erhöhte Signalintensität, die einem Knorpelödem entspricht.

Im Gegensatz zu den traumatischen Knorpelschäden ist die Arthrose eine langsam progrediente und chronische Erkrankung. Selten wird aber auch eine rasch progrediente, destruktive Arthrose beobachtet, bei der es zu einer raschen Verschmälerung des Gelenkspalts kommt. Als Risikofaktoren wurden Rupturen der dorsalen Wurzel des Innenmeniskus, Extrusionen des Meniskus und subchondrale Insuffizienzfrakturen identifiziert.

Sonja Schuldes und Carsten Hackenbroch beschäftigen sich mit der patellofemoralen Instabilität, der Formstörungen im femoropatellaren Gelenk und im Alignment der ganzen unteren Extremität zugrunde liegen. Diese sind bereits in der Kindheit angelegt, daher ist es nicht verwunderlich, dass Patellaluxationen überwiegend bereits im 2. Dezennium auftreten, wobei das weibliche Geschlecht bevorzugt betroffen ist. Es wird dabei das statische Malpositioning von dem dynamischen Maltracking unterschieden. Die Autoren stellen dazu die am häufigsten genutzten und am besten validierten Messmethoden vor, wobei die Trochleadysplasie, die Patella alta, ein vermehrter Patella-Tilt, eine Lateralisation der Tuberositas tibiae, eine Torsionsdeformität von Femur und Tibia sowie das Genu valgum zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen. Kommt es bei einer Patellaluxation zur Abscherung eines chondralen oder osteochondralen Flakes, stellt dies eine dringende Indikation zur Arthroskopie dar, damit diese Elemente zügig refixiert werden.

Gerade am Kniegelenk liegt häufig eine Kombination von Verletzungsfolgen und degenerativen Schäden vor, die Bänder, Sehnen, Muskeln und den Gelenkknorpel betreffen. Es gilt nicht nur, die augenfälligen Befunde zu beschreiben, sondern das gesamte Spektrum der Pathologien zu erfassen. Es muss vor dem „SOS-Phänomen“ gewarnt werden, der „Satisfaction of Search“ [2]. Man darf nicht der Versuchung erliegen, sich zufrieden zurückzulehnen, wenn man eine Pathologie detektiert hat, ohne sich zu fragen, was sonst noch geschädigt sein könnte.

Den Autoren dieses Themenheftes von Die Radiologie danken wir sehr für ihre exzellenten Beiträge, die einen aktuellen und praxisorientierten Leitfaden für die bildgebende Diagnostik des Kniegelenks vermitteln.

Ihre

Maximilian Reiser

Karl-Friedrich Kreitner