Liebe Leserinnen und Leser,

„In December 2019, a cluster of patients with pneumonia of unknown cause was linked to a seafood wholesale market in Wuhan, China.“, so lautete lakonisch der erste Satz der Publikation „A novel coronavirus from patients with pneumonia in China, 2019“ [1], erschienen am 20.02.2020, zu einem Zeitpunkt, an dem nur wenigen schwante, was sich hier anbahnte. Seither hat die nun bereits seit 7 Monaten andauernde SARS-COV2(„severe acute respiratory syndrome – coronavirus2“)-Pandemie die Medizin, die Politik, die Gesellschaft und nicht zuletzt jede einzelne Person in kaum dagewesener Weise auf die Probe gestellt und uns um einige Erfahrungen reicher und einige Illusionen ärmer gemacht.

Zu den positiven Erfahrungen zählt zweifelsohne, dass die Radiologie fachlich und organisatorisch trotz fehlender Erfahrung mit Pandemien rasch reagiert und die medizinischen und organisatorischen Herausforderungen zunächst äußerst effektiv bewältigt hat. Des Weiteren konnte unser Fach mit wertvollen Informationen zur Diagnostik der Organ- und Organsystembeteiligung der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Erkrankung maßgeblich beitragen und darüber hinaus wichtige Hinweise auf bislang nicht vermutete Phänomene und Manifestationsformen liefern. Überdies haben Radiologinnen und Radiologen die Akutversorgung bis weit über die Fachgrenzen hinaus unterstützt, ihren Workflow in kürzester Zeit an die neuen Gegebenheiten und Hygienekonzepte angepasst und bisweilen sogar Nachtdienste in anderen Fächern übernommen. Überdies haben sie in der Kommunikation mit Angehörigen von Patientinnen und Patienten höchst wertvolle Arbeit geleistet. So freut es uns auch, von Kolleginnen und Kollegen zu hören, die Radiologie verdiene, mehr geachtet und beachtet zu werden, um – ihrer Rolle als zentrales Fach besser gerecht werdend – gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Soweit die Habenseite.

Was die Schattenseite unserer Erfahrungen betrifft, gilt es, mit einigen Illusionen zu brechen. So rasant die technischen Entwicklungen unserer Gesellschaft gewesen sind, so wenig haben sie uns gegen ein winziges Kügelchen mit Noppenbesatz unverwundbar machen können. Vielmehr hat die Mobilität – die berufliche wie die private – die Ausbreitung des Virus noch befeuert. Die Globalisierung, insbesondere die Verlagerung der Produktion diverser Güter und IT-Lösungen in ferne Länder, sollte eigentlich zum Garanten für einen stetig steigenden Wohlstand werden, hat aber letztlich zur Verknappung medizinisch relevanter Güter wie Schutzmasken oder Schutzmäntel beigetragen. Ebenso haben wir erfahren, wie selbst als effizient angesehene europäische Gesundheitssysteme in die Knie gezwungen werden können. Und letztlich hat uns die verhältnismäßig hohe Opferzahl von Angehörigen von Gesundheitsberufen, darunter auch viele Ärztinnen und Ärzte sowie natürlich auch Radiologinnen und Radiologen, vor Augen geführt, dass wir selbst nicht unverwundbar sind.

Daher sollten wir diese Pandemie als Krise nicht ungenützt vorbeiziehen lassen. Im Sinne von Winston Churchill („…never waste a good crisis…“) sind wir aufgerufen, unsere Organisationen einem kritischen Review zu unterziehen, unser fachliches Wissen mit den Erfordernissen der aktuellen und einer möglicherweise auf uns zukommenden nächsten Pandemie abzugleichen und zu überprüfen, inwieweit unsere Infrastruktur geeignet ist, uns optimal zu unterstützen. Die geänderten Anforderungen an die Kommunikation während der Pandemie, die Arbeit von zu Hause im Rahmen der Kohortierung sowie neue Formen des Austauschs mit anderen Fächern im Rahmen von interdisziplinären Fallkonferenzen und Tumorboards haben uns gezeigt, dass all dies möglich ist – möglich wäre. Wenn, ja wenn da nicht der Rückstand in der Digitalisierung wäre. Ein Tumorboard über eine 16 Mbit/s-Leitung zu halten, rangiert irgendwo zwischen Ärgernis und Fiasko. Die Radiologie als die „digitalste“ aller medizinischen Disziplinen hat die krisenadaptierte Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer voranbringen können, stellt aber zugleich den Lackmustest für den Stand unserer digitalen Infrastruktur dar. Dieser Stresstest und die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind eine riesige Chance, die notwendige Infrastruktur in kurzer Zeit sicherzustellen, gesicherte Zugänge zu unseren Datenbanken von extern zu öffnen, Online-Meeting-Software in Blitzesschnelle zu akquirieren und die jeweilig dazugehörende Infrastruktur zu beschaffen. Vorausgesetzt, dass die Chance nicht ungenutzt verstreicht, werden uns diese infrastrukturellen Verbesserungen helfen, auch künftig besser auf Herausforderungen medizinischer und gesellschaftlicher Natur reagieren zu können. Die Arbeit von zu Haus wird nicht mehr eine kritisch hinterfragte oder belächelte Ausnahme, sondern eher die Regel sein, vor allem wenn unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mehrere Aufgaben beruflicher und privater Natur unter einen Hut bringen müssen. Gerade die Radiologie eignet sich wie sonst kaum ein Fach dafür, proaktiv Modelle zu entwerfen, um die Attraktivität unseres Faches nicht nur zu erhalten, sondern zu steigern.

Was die Medizin und nicht nur sie in kurzer Zeit gelernt und geleistet hat, ist unglaublich: ca. 35.000 COVID-19-bezogene wissenschaftliche Publikationen allein in den letzten 6 Monaten. In einer bemerkenswerten kollektiven Anstrengung haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sämtlicher Fachrichtungen dazu beigetragen, dass wir COVID-19 besser verstehen, besser diagnostizieren, besser behandeln und zukünftig auch besser durch präventive Maßnahmen wie Impfungen hintanhalten können. Die Beiträge der Radiologie zur Entdeckung der Erkrankung und zur Identifikation und zur Interpretation neuer morphologischer Muster in den verschiedenen Organen und Organsystemen waren und sind fortwährend höchst wertvoll, nicht zuletzt angesichts der geringen Autopsieraten. Nicht selten haben wir Radiologen und Radiologinnen Patienten und Patientinnen mit negativem PCR-Test und positiver oder fraglich positiver Symptomatik anhand der Lungenveränderungen in der Computertomographie (CT) als suspekt auf das Vorliegen einer SARS-COV2-Infektion identifiziert. Die durch die Bildgebung identifizierten Veränderungen betreffen allerdings nicht nur die Lunge, sondern nahezu alle Organe des menschlichen Körpers und treten potenziell in einem enorm breiten morphologischen bzw. funktionellen Spektrum auf.

Um angesichts der Fülle der publizierten Informationen zu COVID-19 unseren Lesern und Leserinnen einen Überblick über die wichtigsten Themen vermitteln zu können, haben wir dieses Leitthemenheft zusammengestellt. Es wäre vermessen, bezüglich der Inhalte den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Aus diesem Grunde haben wir unsere Autoren und Autorinnen ersucht, auf die wichtigsten und besonders relevanten Inhalte zu fokussieren. In diesem Sinne wären die Literaturverzeichnisse als Anregung zur weiterführenden Lektüre für Interessierte zu verstehen. Gilt das nicht immer?

Wir wünschen Ihnen eine informative, unterhaltsame und spannende Lektüre unserer Beiträge.

Ihre

Prof. Dr. Christian Herold

Prof. Dr. Stefan Delorme

Prof. Dr. Marc-André Weber

Prof. Dr. Wolfgang Reith

Prof. Dr. Thomas Helmberger

Prof. Dr. Dr. h. c. Maximilian Reiser