Das Lungenkarzinom ist in Deutschland bei Männern das häufigste und bei Frauen das zweithäufigste zum Tode führende Karzinom [26]. Die schlechte Prognose des Lungenkarzinoms ist zu einem großen Teil dadurch zu erklären, dass die meisten Tumoren-zu einem Zeitpunkt diagnostiziert werden, an dem keine kurative Therapie mehr möglich ist.

Das National Lung Screening Trial (NLST) konnte 2011 mit mehr als 50.000 Studienteilnehmern zeigen, dass durch ein jährliches Screening einer Hochrisikopopulation durch eine Niedrigdosis-CT, die Lungenkarzinommortalität um 20 % gesenkt werden kann [1]. In dieser Studie war die Risikopopulation durch eine Raucheranamnese von zumindest 30 Packungsjahren und einem Alter zwischen 55 und 75 Jahren definiert. Ehemalige starke Raucher wurden nur dann eingeschlossen, wenn sie das Rauchen erst innerhalb der letzten 15 Jahre aufgegeben hatten. Trotz der vielversprechenden Ergebnisse des NSLT gibt es derzeit in Europa, abgesehen von einzelnen lokalen Screening-Projekten, kein systematisches Lungenkarzinom-Screening. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig und liegen zum Teil in der Kosteneffektivität des Screenings und der Übertragbarkeit der NLST-Studienbedingungen auf europäische Gesundheitssysteme begründet. Aus diesem Grund kommt den im Vergleich zum NLST deutlich kleineren europäischen Screening-Studien eine wesentliche Bedeutung zu.

Ergebnisse europäischer Screening-Studien

Etwas ernüchternder als die die Ergebnisse des NLST waren die ersten Daten einiger Europäischer Screening-Studien. In der italienischen DANTE-Studie (Detection and screening of early lung cancer by novel imaging technology and molecular assays) wurden in der CT-Screening-Gruppe zwar mehr Lungenkarzinome nachgewiesen als in der Kontrollgruppe (4,7 % vs. 2,8 %), jedoch führte dies zu keiner nachweisbaren Reduktion der Lungenkarzinommortalität [8]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die MILD-Studie (Multicentric Italian Lung Detection) aus Mailand, bei der sogar eine (statistisch nicht signifikante) gering höhere Lungenkarzinommortalität in der Screening-Gruppe beobachtet werden konnte [13]. Eine gepoolte Analyse der Daten der beiden Italienischen Screening-Studien (MILD und DANTE) konnte eine (ebenfalls nicht statistisch signifikante) Verbesserung der Gesamtmortalität um 11 % durch ein Lungenkarzinom-Screening zeigen [9].

Auch in der dänischen DLCST(Danish Lung Cancer Screening Trial)-Studie wurden in der CT-Screening-Gruppe mehr Lungenkarzinome entdeckt als in der Kontrollgruppe (69 vs. 24), der Unterschied der Lungenkarzinommortalität zwischen beiden Gruppen war jedoch statistisch nicht signifikant[18].

Allen genannten europäischen Studien ist gemeinsam, dass sie infolge der relativ geringen Größe der Studienpopulation nicht darauf ausgelegt waren, eine Verbesserung der Mortalität zu zeigen (Abb. 1). Daneben kam es bei der dänischen DLCST-Studie sowie den italienischen MILD- und DANTE-Studien zu Fehlern in der Randomisierung [9, 25]. So unterschieden sich beispielsweise in der DLCST beide Gruppen signifikante in Bezug auf die Raucheranamnese und das Ausmaß der Obstruktion in der Lungenfunktion [25].

Abb. 1
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Prospektive randomisierte Lungenkarzinom-Screening-Studien in Europa

Darüber hinaus definierten die Einschlusskriterien der europäischen Studien auf Grund eines deutlich niedrigeren Mindestalters und der geringeren Raucheranamnese eine Gruppe von Personen mit einem deutlich geringeren Risiko, ein Lungenkarzinom zu entwickeln.

Die einzige europäische Studie, die darauf ausgelegt war, eine Verbesserung der Mortalität zu zeigen, ist die niederländisch-belgische NELSON(Nederlands-Leuvens Longkanker Screenings Onderzoek)-Studie. In diese prospektive Screening-Studie wurden mehr als 16.000 Teilnehmer aufgenommen und in 2 Arme randomisiert, ein CT-Screening-Arm und eine Kontrollgruppe [23]. Die finale Auswertung der NELSON-Studie steht derzeit noch aus.

Umsetzung eines Lungenkarzinom-Screenings in Europa

Die Ergebnisse des NLST waren für große wissenschaftlichen Gesellschaften der USA wie der American Association of Thoracic Surgeons, der American Cancer Society, der American College of Chest Physicians, der American Lung Association und auch der US Preventive Services Task Force die wissenschaftliche Basis, um ein systematisches Lungenkarzinom-Screening zu empfehlen. Auch die European Society of Radiology und die European Respiratory Society sowie europäische Fachexperten haben sich für ein Screening ausgesprochen [10, 11]. Doch es gibt auch kritische Stimmen, die die derzeitige Datenlage für nicht ausreichend befinden, um eine diesbezügliche Empfehlung abzugeben [16]. So werden vor allem die fehlenden positiven Daten europäischer Studien sowie offene Fragen in Bezug auf die Definition der Screening-Population, des Screening-Intervalls sowie der Kosteneffektivität angeführt [2, 16, 17, 20].

Ein nicht zu unterschätzendes Problem im Lungenkarzinom-Screening ist die Überdiagnose. Hierbei handelt es sich um Tumoren, die bei entsprechenden Komorbiditäten keinen Effekt auf das zu erwartende Gesamtüberleben hätten. Während in der italienischen ITALUNG-Studie keine Überdiagnose beobachtet wurde [24], wird der Anteil der überdiagnostizierten Rundherde im NLST auf 18,5 % [14] und in der dänischen DLCST sogar auf 67,2 % geschätzt [7]. Der Anteil von überdiagnostizierten Rundherden hängt neben dem Alter und Gesundheitsstatus der gescreenten Personen wesentlich von der Verteilung der histologischen Subtypen und dem Screening-Protokoll ab [5]. Da eine invasive Abklärung von Rundherden immer mit einem gewissen Risiko für den Patienten einhergeht, muss durch ein qualitätsgesichertes Protokoll gewährleistet werden, dass möglichst nur jene Rundherde invasiv abgeklärt werden, die eine hohe Vortestwahrscheinlichkeit für ein behandlungsbedürftiges Karzinom aufweisen.

Einige der o. g. Probleme und offenen Fragen würden wahrscheinlich durch ein Pooling der europäischen Studien und die finalen Auswertungen der NELSON-Studie beantwortet werden können. Die Fragen nach der Kosteneffizienz des Screenings müssen in den einzelnen Staaten individuell beantwortet werden. Mikrosimulationsanalysen aus Deutschland und auch der Schweiz konnten zeigen, dass ein Lungenkarzinom-Screening in beiden Ländern kosteneffizient durchgeführt werden kann [20, 21]. Da mit dem neuen deutschen Strahlenschutzgesetz nun auch in Deutschland eine Strahlenanwendung ohne Krankheitsverdacht vorgesehen ist, besteht die Möglichkeit, dass besorgte Personen sich ein Screening wünschen, und es so zu einem grauen Screening kommt. Die Gefahr eines solchen unkontrollierten Screenings ist, dass durch fehlende Qualitätskriterien der mögliche Schaden eines solchen Screenings den möglichen Nutzen überwiegt. So ist zu befürchten, dass vor allem auch Personen ein Screening verlangen, bei denen das Risiko, ein Lungenkarzinom zu entwickeln, gering ist. Der mögliche Schaden resultiert weniger aus den Folgen der Strahlenexposition als aus falsch-positiven Befunden, die möglicherweise invasive Maßnahmen zur Abklärung nach sich ziehen – von der Besorgnis der betreffenden Personen einmal ganz abgesehen.

Allerdings bedeutet die Öffnung des Strahlenschutzgesetzes für Strahlenanwendung ohne Krankheitsverdacht keine uneingeschränkte Freigabe: Vielmehr kommt dem deutschen Bundesamt für Strahlenschutz die Aufgabe zu, nach wissenschaftlicher Beratung die Krankheitsentitäten einzeln zu benennen, für die dies zulässig ist, und in einem gewissen Rahmen auch die erforderlichen Rahmenbedingungen festzulegen. Hinzu kommt, dass auch die Sozialversicherung einzubinden ist, die ihrerseits Bedingungen stellen wird. Dass Personen Symptome vorschieben, um an diesem System vorbei zu einer CT zu kommen, und dass sie Radiologen finden werden, die dabei mitspielen, wird nicht zu vermeiden sein, aber dieses Problem besteht bereits heute, noch vor Inkrafttreten des Strahlenschutzgesetzes.

Daher müssen, selbst im Fall, dass kein systematisches Lungenkarzinom-Screening eingeführt werden sollte, Qualitätskriterien für ein individuelles Lungenkarzinom-Screening festgelegt werden. Diese Qualitätskriterien sollten insbesondere auch die Rolle der am Screening beteiligten Fachrichtungen berücksichtigen, die Einschlusskriterien für das Screening definieren und das Management von gefundenen Rundherden festlegen. Die europäischen Gruppen, die sich mit dem Screening des Lungenkarzinoms befassen, haben diesbezüglich im Konsensus ein Positionspapier publiziert, in dem detailliert auf die Rahmenbedingungen eingegangen wird, die erfüllt sein sollten, damit der Schaden nicht den Nutzen der Screening-Maßnahme überwiegt [11].

Gerade in Hinblick auf den positiven Effekt der Raucherentwöhnung in Kombination mit dem Screening sollten auch Pneumologen und Allgemeinmediziner mit in das Screening einbezogen werden. Die Raucherentwöhnung ist hinsichtlich einer Senkung der Mortalität effektiver als das Screening [12]. Daneben ist die Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören, bei Personen, die an einem Screening teilnehmen, höher als bei anderen Personen [22].

Von besonderer Bedeutung für die Effizienz eines Lungenkarzinom-Screenings ist es, das Screening auf jene Patientenpopulation zu beschränken, die von einem Screening profitieren wird. Seit der Publikation des NLST wurden von mehreren Gruppen Risikomodelle entwickelt, mit welchen sich das individuelle Lungenkarzinomrisiko deutlich besser abschätzen lässt als durch die Einschlusskriterien des NLST [3, 4, 6, 15, 19]. So werden in das PLCOm2012-Risikomodel neben Alter und Raucheranamnese auch Ethnizität, der Body-Mass-Index (BMI), das Vorliegen eines Lungenemphysems sowie die persönliche und familiäre Tumoranamnese als weitere Risikofaktoren herangezogen [19]. Durch engere Einschlusskriterien kann nicht nur die Kosteneffektivität, sondern auch der positive Effekt des Screenings auf die Mortalität verbessert werden.

Die Umsetzung der o. g. Maßnahmen und Interventionen wird eine nicht zu unterschätzende Herausforderung an die Strukturen im Gesundheitssystem stellen: Standards für die Patientenführung, Kooperationen zwischen Pneumologie, Radiologie und Chirurgie müssen in den jeweiligen Ländern erarbeitet und etabliert werden. Die Ansprüche insbesondere an die Radiologie werden nebst der fachlichen Qualifikation auch die technischen Voraussetzungen (Volumetrie, standardisiertes Reporting und ein interdisziplinäres Team) einschließen [11]. Analog zum etablierten Mammographie-Screening sollte das individuelle Lungenkrebs-Screening, wiewohl außerhalb eines dem Mammographie-Screening vergleichbaren Programms, ebenfalls an akkreditierten Zentren (mit Mindestzahlen, Untersuchungsprotokollen, regelmäßiger Qualitätssicherung und entsprechender Betreuung der am Screening teilnehmenden Personen) durchgeführt werden.

Fazit für die Praxis

  • Trotz der momentan noch relativ kontroversen Evidenz für ein Lungenkarzinom-Screening finden sich in Europa zunehmend Stimmen, die einer Einführung positiv gegenüberstehen.

  • Für die Implementierung eines flächendeckenden Lungenkarzinom-Screenings in den verschiedenen Ländern Europas müssen Screening-Protokolle entwickelt werden, die an das jeweilige Gesundheitssystem und das Lungenkarzinomrisiko angepasst sind.

  • Die Erfahrungen und Daten europäischer Screening-Studien können für diese Zwecke wertvolle Hilfe leisten.