Im Rahmen der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Pandemie wurden neurologische Manifestationen (NM) beschrieben, die zunächst als direkter Effekt der viralen Infektion diskutiert wurden. Zum anderen kam es zu einer Reihe von Berichten über „neurologische Kollateralschäden“ verbunden mit COVID-19-assoziierten Therapien, den Impfstoffen, den fehlenden Ressourcen in der Versorgung anderer neurologischer Erkrankungen, der Umstrukturierung von neurologischen Stationen inklusive Neurointensivstationen sowie Einschränkungen in Forschung und Ausbildung. Ziel dieses Artikels ist ein Überblick über den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die oben genannten Aspekte mit besonderem Fokus auf die Neurointensivmedizin zu geben.

Neurologische Manifestationen von COVID-19

Manifestationen und Prävalenz

Das Spektrum und die Ausprägung der durch SARS-CoV‑2 verursachten Symptome variieren stark. Neben den beschriebenen allgemeinen Erkältungssymptomen bis hin zu respiratorischer Insuffizienz und Multiorganversagen wurden seit Beginn der Pandemie auch NM beschrieben. Seit einer initialen retrospektiven Arbeit [25] hat eine Reihe von Studien versucht, die NM zu charakterisieren.

Heterogene Angaben zu Prävalenzen sind vor allem unterschiedlichen Bezugsgrößen geschuldet

Die Angaben zur Prävalenz von NM variieren stark und wurde anfangs mit bis zu 82,5 % angegeben [7]. Wahrscheinliche Gründe für die Variabilität sind Unterschiede in der Definition von NM, der Genauigkeit der Befragung, der verwendeten Untersuchungsmodalitäten, mögliche Selektionsbias in der Erfassung des Kollektivs und Reporting-Bias bei soziokulturellen Unterschieden. Entscheidend für die heterogenen Angaben zur Prävalenz dürften aber vor allem die unterschiedlichen Bezugsgrößen der COVID-19-Gesamtkohorte sein.

In einer Metaanalyse mit Einschluss von 350 Studien und 145.721 individuellen Patientendaten (89 % hospitalisierte Patienten) wurden 41 NM beschrieben (24 Symptome und 17 Diagnosen). Die am häufigsten berichteten Symptome waren Agitation (44 %), Abgeschlagenheit (32 %), Ageusie (21 %) und Myalgie (20 %), wohingegen die am meisten berichteten Diagnosen neuropsychiatrische Erkrankungen (24 %), Enzephalopathie (7 %), Schlaganfall (2 %; akuter ischämischer Schlaganfall (AIS) 1 %, intrazerebrale Blutungen (ICB) 0,31 %) und Myopathie (2 %) waren [30]. In Studien, die sich auf schwer betroffene COVID-19-Patienten konzentrierten, kristallisierten sich Enzephalopathien (am häufigsten mit Delir), zerebrovaskuläre Erkrankungen (AIS und ICB) und neuromuskuläre Erkrankungen („critical illness polyneuropathy and myopathy“, CIP/CIM) als die häufigsten NM heraus [10, 13, 20]. Des Weiteren leiden COVID-19-Patienten nach prolongiertem Intensivaufenthalt vermehrt an Dysphagie, was mit einer Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes einhergeht [11, 12]. Beispiele typischer radiologischer Befunde von COVID-19-Intensivpatienten sind in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

a Kraniale Computertomographie (cCT): akutes subdurales Hämatom, b cCT: intrazerebrale Blutungen mit Ventrikeleinbruch, c cCT: akuter ischämischer Schlaganfall rechts parietal, d kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT), Diffusionssequenz: Mittelhirninfarkt, e cMRT, FLAIR („fluid-attenuated inversion recovery“): extrapontine Myelinolyse bei Hyponatriämie, f cMRT, SWAN(„susceptibility-weighted angiography“)-Sequenz: „microbleeds“ bei Hypoxie und „extracorporeal membrane oxygenation“ (ECMO)

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Eine große Studie mit Einbezug der gesamten Bevölkerung in Schweden fand ein 2,1- bis 6,2fach erhöhtes Risiko von AIS bei COVID-19-Patienten [18]. Die Prävalenz für AIS bei COVID-19-Erkrankten wird zwischen 1–2,5 % angegeben [2]. Eine Hyperkoagulabilität im Rahmen eines „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) mit Beteiligung des Endothels der großen und kleinen Gefäße wird dabei als Pathomechanismus postuliert. Passend zu der Hypothese konnte eine Korrelation zwischen Prävalenz und Schweregrad der Erkrankung gezeigt werden [10, 13, 32]. Die Frage, ob es sich dabei um einen SARS-CoV-2(„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)-spezifischen Effekt handelt, bleibt jedoch unklar. Als Hinweis auf einen potenziell virusspezifischen Effekt zusätzlich zu einer systemischen Inflammation zeigte sich die Prävalenz für AIS bei COVID-19-Patienten im Vergleich zu ähnlich betroffenen Influenzaerkrankten signifikant höher [41]. Was COVID-19-Intensivpatienten betrifft, zeigt sich die AIS-Prävalenz jedoch vergleichbar zu anderen Kohorten kritisch kranker Patienten mit „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS), Sepsis oder „extracorporeal membrane oxygenation“ (ECMO), sodass hier spezifische Effekte infrage gestellt werden müssen [10].

Auch bei hämorrhagischen Schlaganfällen (ICB und Subarachnoidalblutungen) finden sich diskrepante Angaben in der Literatur. In einigen größeren Kohortenstudien sowie Metaanalysen wird die Prävalenz zwischen 0,4 und 2 % angegeben [13, 32, 38]. Allerdings ist bei der Subgruppe der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten mit hohem Anteil an ECMO-Verfahren eine deutlich höhere Prävalenz von 3–5 % beschrieben [10, 20]. Letzteres kann durch die positive Korrelation von Prävalenz und dem Schweregrad der Erkrankung bzw. dem hohen Anteil an ECMO-Verfahren mit entsprechender Antikoagulation erklärt werden [10, 13, 20, 41]. In anderen schwer kranken intensivpflichtigen Kohorten findet sich eine ähnliche Prävalenz [31].

Als Subgruppe der hämorrhagischen Schlaganfälle werden „microbleeds“ in MRT-Studien berichtet. Dabei war das Verteilungsmuster gemischt (lobär und tief) und zeigte passend zu der bereits beschriebenen Entität der „critical illness-associated cerebral microbleeds“ (CIAMs) eine Häufung im Bereich des Corpus callosum sowie juxtakortikal [33, 38]. Ähnlich wie für sonstige Intensivkohorten mit „microbleeds“ ergaben sich Korrelationen mit Hypoxämie, Invasivität der Beatmung und Schweregrad der Erkrankung, sodass eine SARS-CoV-2-spezifische Pathophysiologie auch hier unwahrscheinlich erscheint [1, 33, 38].

Enzephalopathie und Delir

Enzephalopathie und Delir werden sehr häufig bei COVID-19 diagnostiziert. Die Prävalenz variiert zwischen 7 % und 69 % [2]. Die Aussagekraft der meisten Studien hierzu ist limitiert durch die Variabilität der jeweiligen Definitionen (insbesondere fehlende Differenzierung zwischen dem allgemeineren Begriff der Enzephalopathie und Delir), die Erfassung durch zumeist nicht ausgebildetes Personal und fehlende validierte Biomarker. In einer der wenigen prospektiven Studien mit Fokus auf Intensivpatienten (Pooled Analysis of Neurologic DisordErs Manifesting in Intensive care of COVID-19, PANDEMIC) bestehend aus 392 COVID-19-Patienten (70,7 % männlich, mittleres Alter 65,3 [±13,1], 48,5 % in der kritischen Phase der Erkrankung nach LEOSS [20]) wurde das klinische Syndrom einer Enzephalopathie als häufigste NM (46,2 %) beschrieben. Da ein erheblicher Teil der Patienten eingeschränkt beurteilbar war, muss allerdings eine höhere Dunkelziffer angenommen werden [10].

Als Prädiktoren für das Auftreten einer Enzephalopathie konnten in der Studie ARDS, Alter und Geschlecht identifiziert werden, was sich mit der aktuellen Literatur zu Prädiktoren für Delir weitgehend deckt. Insgesamt konnte auch in dieser Hinsicht bisher kein SARS-CoV-2-spezifischer Pathomechanismus identifiziert werden [2, 10].

Peripher-neurologische Erkrankungen

In Zusammenhang mit COVID-19 dominieren in der Literatur zu peripheren neurologischen Erkrankungen Arbeiten zum Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und zu CIP/CIM. Das GBS wurde insgesamt selten und meist in Form von Fallberichten/-serien berichtet. Statistisch und im Vergleich zu Vergleichskohorten konnte keine direkte Relation zu SARS-CoV‑2 gefunden werden [2, 40]. Anders als bei den bekannten GBS Auslösern Campylobacter jejuni und Zytomegalievirus (CMV) scheint SARS-CoV‑2 keine homologen Epitope zu entwickeln, um „molecular mimicry“ zu aktivieren [3]. Dadurch ist die biologische Plausibilität eines kausalen Zusammenhangs ebenfalls limitiert. Die CIP und CIM, oft zusammengefasst als „intensive care unit-acquired weakness“ (ICUAW), wurden bei 17,6 % der COVID-19-Intensivpatienten der PANDEMIC-Studie gefunden [10]. Nur ARDS konnte die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen [10]. Auch hier scheint sich die Prävalenz und Ätiologie nicht relevant von anderen Intensiverkrankungen zu unterscheiden.

Pathomechanismen

Eine Vielzahl potenzieller Routen viraler Neuroinvasion wird für die Entstehung von NM postuliert. Viele Aspekte der zugrunde liegenden Pathomechanismen blieben jedoch unklar. Zum einen basieren viele Annahmen auf Studien mit deutlichen methodischen Schwächen (vor allem einer fehlenden adäquaten Kontrollgruppe), zum anderen ist anzunehmen, dass bei der Variabilität der berichteten NM unterschiedliche Mechanismen vorliegen. Grundsätzlich bestehen für NM im Rahmen von COVID-19 pathophysiologisch im Wesentlichen vier Optionen:

  1. 1.

    direkte Schädigung des Nervengewebes durch das Virus an sich,

  2. 2.

    indirekte Schädigung durch inflammatorische Prozesse,

  3. 3.

    Schädigung als „Kollateralschaden“ (z. B. durch Therapien, Kreislauf- oder respiratorische Insuffizienz) oder

  4. 4.

    Kombination der oben genannten Varianten.

Für eine direkte Schädigung ist der Kontakt des Virus mit dem Nervengewebe erforderlich. Dafür gibt es theoretisch vier mögliche Wege, die schematisch in Abb. 2 und 3 dargestellt sind. Argumente aus der Literatur, die einen Neurotropismus des SARS-CoV-2-Virus stützen, basieren einerseits auf Tier‑, Liquor‑, Autopsie- und klinischen Daten zu den ebenfalls den humane Coronaviren (HCoV) zugehörigen Erregern der SARS- und MERS(„middle east respiratory syndrome“)-Pandemien [9]. Des Weiteren hat SARS-CoV‑2 für den Angiotensinkonversionsenzym 2(ACE2)-Rezeptor über das Spike-Protein S eine hohe Affinität und besitzt mit der „transmembrane protease serine 2“ (TMPRSS2) eine Möglichkeit zur Endozytose. Da Gliazellen und Neuronen ACE2 exprimieren, werden sowohl eine direkte Invasion als auch eine indirekte Schädigung durch Ausschaltung der neuroprotektiven Effekte des ACE2-Rezeptors als Gegenspieler für ACE postuliert [16]. Empirische Daten basierend auf einzelnen Fällen mit positivem PCR(„polymerase chain reaction“)-Nachweis für SARS-CoV-2-RNA im Liquor oder Parenchym nach Autopsie befeuerten zunächst die Theorie des Neurotropismus.

Abb. 2
figure 2

Mechanismen der Neuroinvasion (erstellt mit BioRender.com). (Mod. nach [24], CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Abb. 3
figure 3

Neuropathologische Mechanismen (erstellt mit BioRender.com). (Mod. nach [24], CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Jedoch konnten im Verlauf der Pandemie diese Ergebnisse nicht bestätigt werden. In größeren Studien war nur in Ausnahmefällen die Liquor-PCR von Patienten mit NM positiv [10, 17, 34]. Ein positiver PCR-Nachweis in histologischen Schnitten von verstorbenen Patienten ist als Beweis für einen primären Befall des Nervengewebes nicht hinreichend, da die RNA aus Endothel‑, Immun- oder sonstige Blutszellen stammen könnte. Immunhistochemische Untersuchungen nach Autopsie wiesen nur einen sehr kleinen Anteil zytotoxischer T‑Zellen auf, was ebenfalls gegen eine Virusenzephalitis spricht. Zuletzt konnten elektronenmikroskopische Studien intakte Viruspartikel im Riechendothel, nicht aber in Nervengewebe nachweisen [4], sodass die Theorie des Neurotropismus von SARS-CoV‑2 noch nicht sicher bestätigt werden konnte.

Für sekundäre Auswirkungen inflammatorischer Prozesse gibt es zahlreiche Nachweise

Anders als für eine relevante primäre Schädigung gibt es für sekundäre Auswirkungen lokaler oder systemischer inflammatorischer Prozesse zahlreiche Nachweise. Diese betreffen sowohl das zentrale Nervengewebe als auch das periphere Nervengewebe und die Muskulatur. Eine wichtige Rolle dabei scheint dabei neben einer direkten Gewebeschädigung, z. B. der Muskulatur, eine Beteiligung des Endothels im Sinne einer Endothelitis oder Endotheliopathie mit konsekutiver Beteiligung der mikro- und makrovaskulären Strukturen zu spielen [8, 26]. Im Liquor von COVID-19-Patienten mit neurologischen Symptomen konnten eine hohe Konzentration an proinflammatorischen Zytokinen (Interleukin 6, 8, 15 und „macrophage inflammatory protein-1b“), Autoantikörper für eine Reihe ZNS(Zentralnervensystem)-spezifischer Antigene, eine deutliche Aktivierung extrafollikulärer B‑Zellen sowie eine klonale Expansion von CD4+-Zellen nachgewiesen werden [4]. Eine T‑Zellen-Invasion wurde eher in perivaskulären Räumen als im Parenchym gezeigt. Einige Studien beschreiben eine Aktivierung der Mikroglia und Astrozyten während der Infektion, die möglicherweise als Auswirkung einer Sepsis oder Hypoxie interpretiert werden kann. Zudem korreliert diese Aktivierung nicht mit dem Nachweis von Virus-RNA in Hirngewebe [27]. Diese Ergebnisse konnten auch in PET(Positronenemissionstomographie)-Studien von COVID-19-Patienten mit Enzephalopathie (teilweise kombiniert mit Autopsiedaten) bestätigt werden, die einen Hypometabolismus frontoparietal als Auswirkung einer Mikrogliaaktivierung zeigten [28].

Prognose und Outcome

Obwohl die Mehrzahl der NM nach Ende der Infektion rückläufig sind, können Symptome wie Abgeschlagenheit, Anosmie, Kopfschmerzen und kognitive Einschränkungen lange persistieren. Für stationäre Patienten mit NM, insbesondere in den ersten Wellen der Pandemie, zeigt sich eine prolongierte Hospitalisierung, ein schlechteres funktionales Ergebnis bei Entlassung sowie eine höhere Mortalität [10, 13, 14, 39]. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse hatten 50 % dieser Patienten ein schlechtes funktionelles Ergebnis mit einem modified Ranking Scale (mRS) Score von 3–6 (7 % mRS 0 = keine Symptome). Das Auftreten eines Komas, das mit einem schlechteren Outcome korrelierte, war deutlich wahrscheinlicher, je intensiver und länger ein SIRS angehalten hat [6]. Die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Ergebnisses war bei Patienten mit zerebrovaskulären Ereignissen signifikant höher als bei anderen NM [39]. Sechs Monate nach Entlassung war die Hälfte der Patienten einer prospektiven Studie von Frontera et al. mit einem Anteil von 22 % Intensivpatienten kognitiv beeinträchtigt und nur 53 % konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen [14].

In der oben erwähnten PANDEMIC Studie zeigte sich das Auftreten einer zerebrovaskulären Erkrankung als der relevanteste Prädiktor für Tod während des stationären Aufenthaltes (Odds Ratio [OR] 8,2, 95 %-Konfidenzintervall[CI] 3,8–17,3). Insbesondere ICB und AIS erhöhten die Wahrscheinlichkeit zu versterben, auch nach Adjustierung für andere Parameter (ICB: OR 6.1, 95 % CI 2,5–14,9; AIS: OR 3.9, 95 % CI 1,9–8,2) [10]. Die Gesamtmortalität dieser Studie betrug 36 % und ist somit vergleichbar mit anderen Studien mit ähnlichen Patientencharakteristika [13, 30].

Impfungen

Seit Ausbruch der Pandemie wurden in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt und große Teile der Bevölkerung geimpft. Neben einer beeindruckenden Effektivität und Sicherheit der Impfstoffe wurden mitunter auch neurologische Begleiterscheinungen berichtet. Als schwerwiegende und teils intensivpflichtige NM wurden GBS, zerebrovaskuläre Ereignisse (AIS und zerebrale Sinus- und Venenthrombose [SVT]), epileptische Anfälle, demyelinisierende Erkrankungen und Myelitis beschrieben [21]. Am häufigsten wurden zerebrovaskuläre Erkrankungen beschrieben. Gleichzeitig zeigte eine neuere Studie ein geringeres Risiko für AIS und Myokardinfarkte von COVID-19-Patienten, wenn diese geimpft waren [19].

Insgesamt kann ein Zusammenhang zwischen AIS, GBS oder sonstigen selten aufgetretenen Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS), akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM), Myelitis oder Hirnnervenparesen nicht sicher hergestellt werden [4, 40]. Hingegen wird nach Gabe eines Vektorimpfstoffs mit „vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia“ (VITT) und SVT ein kausaler Zusammenhang stark vermutet. Hier ist ein Heparin-induced-thrombocytopenia(HIT)-ähnlicher Mechanismus, basierend auf Platelet-factor 4-Antikörper (PF4-AK), für die Aktivierung von Thrombozyten mit konsekutiver Thrombose und Thrombopenie verantwortlich. Eine frühe Behandlung mit Immunglobulinen und eine Antikoagulation mit nichtheparinbasierten Antikoagulationsregimen können einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen. Salih et al. konnten in einer Fallsammlung zeigen, dass starke Kopfschmerzen und Thrombopenie (mit positivem Nachweis von PF4-AK) einer SVT oder sonstigen Thrombose vorausgehen können und ein frühzeitiges Erkennen und Initiierung der Therapie möglich machen [37].

Therapie neurologischer Manifestationen beim Intensivpatienten

Therapeutisch steht in den meisten Fällen die COVID-19-Erkrankung mit SIRS und ggf. Multiorganversagen im Vordergrund. Jedoch sollten spezifische Therapien beim Auftreten von NM nicht vernachlässigt werden, weswegen eine Früherkennung bzw. Ausschluss solcher Differenzialdiagnosen essenziell sind. So sollten z. B. eine systemische Lysetherapie oder mechanische Thrombektomie COVID-19-Patienten mit AIS nicht vorenthalten werden, die Anlage einer externen Ventrikeldrainage (EVD) bei entsprechender Indikation bei ICB mit Ventrikelbeteiligung unverzüglich durchgeführt werden, ein Status epilepticus mittels Antiepileptika oder einer Narkose rasch durchbrochen werden und akute autoimmunentzündliche Erkrankungen wie z. B. ein GBS mit Immunglobulinen oder Plasmapharese behandelt werden.

Konkrete Empfehlungen können der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) entnommen werden [22]. Zudem wurden kürzlich von der Global COVID-19 Neuro Research Coalition Empfehlungen zum Management von Enzephalopathie und Delir veröffentlicht [29].

Managementaspekte (Triage, Umorganisation, Ressourcen, Ausbildung von Neurointensivmedizinern)

Neben den oben diskutierten möglichen direkten und indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit sind im Rahmen der Pandemie eine Reihe von „Kollateralschäden“ entstanden. Hierunter fallen unter anderem eine mangelhafte Betreuung chronisch Kranker, eine verzögerte Vorstellung akut kranker Patienten sowie die Einschränkungen in Weiterbildung und Forschung [5, 36].

Ein weiterer wichtiger Effekt für die Neurointensivmedizin war die Umwidmung der spezifischen Neurointensivstationen zu COVID-19-Stationen. Obwohl Neurointensivmediziner COVID-19-Patienten vergleichbar gut zu anderen Intensivmediziner behandelten, hatten Neurointensivpatienten durch Fehlbelegungen möglicherweise ein schlechteres Ergebnis [35]. Die Wahrnehmung des Neurointensiv-Personals in einer Umfrage in 47 Ländern bestätigt die Sorgen einer mangelnden Behandlung während der Pandemie. Zudem haben Teilnehmer eine Reduktion der neurologischen Aufnahmen, einen Mangel an wichtigen Medikamenten oder Materialien, fehlende Verfügbarkeit zeitgerechter Diagnostik sowie den Ausfall von Fortbildungsveranstaltungen bemängelt [23]. Der Mangel an Intensivbetten hat eine Diskussion hinsichtlich der Triage von Patienten ausgelöst. Neurointensivmediziner in Deutschland haben Patientenwünsche, Vorzustand, Sequential Organ Failure Assessment Score (SOFA) und Alter als die wichtigsten Einflussfaktoren identifiziert. Zudem wurde dem Konzept „first-come, first-serve“ Vorrang gegenüber einem Losverfahren eingeräumt [15]. Zuletzt birgt die Erfahrung der Pandemie die Gefahr, dass etablierte Strukturen zur Versorgung kritisch kranker neurologischer Patienten infrage gestellt werden. In den oben genannten Umfragen scheint ein erheblicher Teil der Neurointensivstationen, insbesondere in ärmeren Ländern, nicht zurück zu ihrer spezialisierten Rolle gefunden zu haben [23].

Fazit für die Praxis

  • Im Rahmen von COVID-19 (coronavirus disease 2019) sind neurologische Manifestationen mit hoher Prävalenz beschrieben worden. Die Mehrheit stellt unspezifische Symptome dar.

  • Bei schwer kranken Intensivpatienten werden Enzephalopathien, zerebrovaskuläre Erkrankungen und ICUAW (intensive care unit-acquired weakness) am häufigsten berichtet.

  • Obwohl ein direkter neuronal schädigender Effekt des Virus nicht etabliert werden konnte, sind sekundär ausgelöste Begleiterkrankungen oft mit einem schlechteren Ergebnis verbunden. Somit ergibt sich in diesem Kontext eine hohe Relevanz für das Screening und die Behandlung durch Neurologen.

  • Obwohl Neurointensivstationen mit gutem Ergebnis schwer kranke COVID-19-Patienten behandeln konnten, gibt es einen dringenden Bedarf zur Rückkehr in die fachspezifische Versorgung und zum Schließen der durch die Pandemie entstandenen Lücke in Forschung, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Neurointensivmedizin.