Das Post-COVID(„coronavirus disease 2019“)-Syndrom ist ein Krankheitsbild, bei dem Neurologie und Psychiatrie gleichermaßen gefordert sind – wegen der typischen Kombination neurologischer und psychischer Symptome bei den Betroffenen, und weil nur ein dualer Ansatz mit somatischer und psychiatrischer Diagnostik und Betreuung dem Krankheitsbild gerecht wird. Und das Ganze ist ein zahlenmäßig relevantes Problem: Wie ein aktuelles Review [1] zur globalen Post-COVID-Prävalenz zeigt, ist bei 43 % aller Infizierten mit Langzeitfolgen zu rechnen, nach stationärer Behandlung bei 54 % und bei ambulanten Betroffenen bei 34 %, also immerhin bei jedem Dritten. Bei nach Schätzungen der World Health Organization (WHO) weltweit 470 Mio. Sars-CoV-2-Infizierten wären dies 200 Mio. Langzeitbetroffene. Es gibt dabei deutliche regionale Unterschiede, aber die Zahlen sind immens.

Neuropsychiatrische Symptome sind die zweithäufigsten Manifestationen

Nach den pulmonalen Langzeitbeschwerden rangieren neuropsychiatrische Symptome beim Post-COVID-Syndrom an zweiter Stelle der Häufigkeit. Dabei sind Fatigue, neurokognitive Probleme und Schlafstörungen sowie Angsterkrankungen die häufigsten Manifestationen. Während bei der akuten Erkrankung Männer oft schwerer erkranken und auch häufiger neuropsychiatrische Symptome entwickeln, betrifft das Post-COVID-Syndrom Frauen öfters. Zusätzlich scheint ein hoher Body-Mass-Index (BMI) eine Rolle zu spielen [2].

Das Hauptproblem der neuropsychiatrischen Post-COVID-Folgen ist die Frage nach dem Kausalzusammenhang mit der Infektion. Wenn stationär behandelte COVID-19-Infizierte verglichen werden mit einem Kollektiv gleich schwer Erkrankter mit anderen Ursachen, zeigen sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der neuropsychiatrischen Diagnosen 6 Monate nach dem Krankenhausaufenthalt [3]. In dieser Studie war lediglich eine Riechstörung 4‑mal häufiger bei den COVID-19-Überlebenden. Auch schnitten die COVID-19-Betroffenen in der neuropsychologischen Testung mit dem Montreal Cognitive Assessment (MoCA) etwas schlechter ab als diejenigen mit anderen Erkrankungen. Die Frage ist also: Was ist durch die Infektion und was durch den Krankenhausaufenthalt, eine etwaige Beatmung oder die Umstände der Pandemie bedingt? Wie die Arbeiten aus Frankreich und England zeigen, ist der Noceboeffekt der Annahme, man habe sich mit Sars-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“) infiziert, nicht zu unterschätzen [4, 5].

Das zweite große Problem, das wir bei der Beurteilung von Post-COVID-Symptomen haben, ist, dass es keine validen Biomarker gibt. Wenn in zeitlichem Zusammenhang mit einer Sars-CoV-2-Infektion neurologische oder psychiatrische Symptome auftreten, beweist dies noch nicht, dass auch ein Kausalzusammenhang besteht. Eindrücklich zeigen dies Lehmann et al. (Köln) in ihrem Beitrag über die Untersuchungsbefunde bei neuromuskulären Manifestationen. Und die in der Magnetresonanztomographie gefundenen Veränderungen bei Betroffenen mit neurokognitiven Einschränkungen helfen nur dann weiter, wenn Vergleichsaufnahmen in gleicher Qualität vor der Infektion vorliegen [6]. Es gibt Hinweise auf erhöhte Entzündungsmarker nach Sars-CoV-2-Infektion, aber letztlich sind die beschriebenen Serumbefunde unspezifisch [7]. Und nicht jeder Patient wird sich einer Lumbalpunktion unterziehen, auch wenn hier am ehesten Autoimmunbefunde bei Manifestationen im Zentralnervensystem zu erwarten sind, wie Gerhard et al. (Berlin) in diesem Heft zeigen.

Kognitive Beeinträchtigungen wie verminderte Konzentrationsfähigkeit, Wortfindungsstörungen und Gedächtnisdefizite („brain fog“), Schlafstörungen und Fatigue beklagen ca. 20–30 % der Betroffenen als Kernsymptome des Post-COVID-Syndroms. Der Beitrag von Schilling et al. (Mannheim) widmet sich der Neuropsychologie und Pathophysiologie von Kognitions- und Schlafstörungen im Kontext des Post-COVID-Syndroms und stellt den Stand der Literatur zu Therapieoptionen dar. Hellwig und Domschke (Freiburg) berichten über klinische Aspekte der Post-COVID-assoziierten Fatigue in Überlappung mit und in Abgrenzung zu anderen psychischen Erkrankungen wie Depression und Angsterkrankungen, fassen aktuelle Befunde zu neuronalen und neuropathologischen Korrelaten der Fatigue zusammen und stellen pharmakologische, psychotherapeutische sowie körper- und bewegungsfokussierte Behandlungsmöglichkeiten vor.

Interdisziplinäre und sektorenübergreifende Versorgungs- und Forschungsstrukturen sind notwendig

Angesichts der oben dargestellten klinischen wie wissenschaftlichen Herausforderungen sind dedizierte und adäquat vergütete interdisziplinäre und sektorenübergreifende Versorgungs- und Forschungsstrukturen für schwere und komplexe Post-COVID-Syndrome nötig. Wie in diesem Heft von Adorjan et al. (München) exemplarisch anhand des Post-COVIDLMU-Netzwerks dargestellt, sollten hier verschiedene Fachrichtungen klinischer Einrichtungen – z. B. Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik, Pneumologie, Kardiologie, Schmerz- und physikalische Medizin und Rheumatologie – eng mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sowie Rehaeinrichtungen kooperieren. Ziel der Behandlung sind neben Reduktion der Symptomatik das Wiedererreichen der Alltagskompetenz und die berufliche Reintegration.

Dennoch fallen zahlreiche Post-COVID-Betroffene im erwerbsfähigen Alter längerfristig am Arbeitsplatz aus. Vor allem in den Gesundheitsberufen kann das Post-COVID-Syndrom dabei eine Berufserkrankung oder ein Arbeitsunfall sein. Hier brauchen wir dringend Kriterien, die uns helfen eine sachgerechte Einschätzung vorzunehmen. Tegenthoff et al. (Bochum) stellen die bisherigen Kenntnisse hierzu zusammen.

Das Post-COVID-Syndrom wird uns vermutlich noch über Jahre beschäftigen. Die derzeitigen Forschungsaktivitäten zielen darauf, die Pathogenese der Symptome besser zu definieren und valide Biomarker zu finden. Hierbei und in der Betreuung und Versorgung des Krankheitsbildes sind unsere beiden Fächer gemeinsam gefordert: Neurologie und Psychiatrie in enger Zusammenarbeit – zum Wohle der Post-COVID-Betroffenen.