Hintergrund

Die Alzheimer-Erkrankung ist eine im Verlauf mit einer schweren Funktionsbeeinträchtigung und früherem Tod einhergehende neurodegenerative Erkrankung, die sich anfangs unbemerkt über eine präklinische Phase von 10 bis 20 Jahren erstreckt, dann in eine mehrjährige prodromale Phase mit geringen Zeichen mündet, bis sie schließlich in die klinische Phase der Alzheimer-Demenz (AD) übergeht. Eine medikamentöse Therapie der Alzheimer-Erkrankung, die diesen Verlauf aufhält oder gar umkehrt, gab es trotz großer Bemühungen bis vor Kurzem nicht. Überhaupt hat die medikamentöse Therapie der Erkrankung in den vergangenen 20 Jahre wenig Fortschritt erfahren. Durch die Zulassung der US Food and Drug Administration (FDA) von Aduhelm/Aducanumab gibt es seit Juni 2021 allerdings einen Hoffnungsschimmer.

Ziel

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche weiteren Substanzen gegen die Alzheimer-Erkrankung und insbesondere zur Verbesserung der Kognition sich noch in der Prüfung befinden und ob in der nächsten Zeit vielleicht mit weiteren Zulassungen gerechnet werden könnte.

Methode

Die Datenbank www.ClinicalTrials.gov der National Library of Medicine und des National Institute of Health (NIH) der USA wurde am 07.08.2021 durchsucht. Die Suchkriterien waren: „Phase III“, „recruiting“, „not yet recruiting“, „active, not recruiting“ und „Alzheimer“. Es wurde dagegen nicht nach „suspended“, „terminated“ oder „completed“ gesucht.

Die angenommene Wirkung der Substanzen wird nach der Klassifikation der Common Alzheimerʼs and Related Dementias Research Ontology (CADRO) geordnet [1]. Weiterhin werden die Substanzen entweder einer mutmaßlich nur symptomatischen oder einer krankheitsverändernden Wirkung zugeordnet.

Resultate

Mit den geschilderten Suchkriterien wurden 53 Studien gefunden, 32 davon bezogen sich auf die Kognition (Tab. 1). Dies war dadurch definiert, dass der primäre Erfolgsparameter einen Test der Kognition beinhalten sollte. Studien, die sich mit psychiatrischen Fragestellungen (Agitation) oder beispielsweise mit der Lebenssituation, dem Einfluss von Diät oder Licht befassten, wurden nicht in die Auswertung einbezogen (Tab. 1). Die 32 Studien mit einem primären Erfolgsparameter im Bereich der Kognition wurden weiter analysiert. Sie umfassten 25 unterschiedliche Substanzen (Tab. 2). Ein Teil der Phase-III-Studien rekrutiert noch nicht, ein weiterer Teil der Studien ist zwar noch aktiv, rekrutiert aber nicht mehr. Zwanzig Studien befinden sich in der Rekrutierungsphase.

Tab. 1 Ergebnisse der Datenbanksuche bei www.ClinicalTrials.gov [9] nach Studien zur Alzheimer-Erkrankung mit den Suchkriterien: „Phase I/II/III“, „recruiting“, „not yet recruiting“, „active, not recruiting“, „suspended studies“, „Alzheimer“
Tab. 2 Phase-III-Studien zu den bei der Alzheimer-Erkrankung auf die Kognition wirkenden Substanzen (primärer Erfolgsparameter ist ein kognitiver Test) am 01.08.2021

Die Zahl der Studien in Phase I und II zeigt, dass „Nachschub“ an Phase-III-Studien vorhanden ist.

Die Studien werden anhand der Angaben aus der Datenbank in einer Tabelle zusammengefasst (Tab. 2). Die Vielfalt der geprüften Substanzen ist erst einmal verwirrend. Daher wurden sie nach dem mutmaßlichen Wirkprinzip geordnet (Tab. 3). Neben den schon geläufigen Wirkungen hinsichtlich Neurotransmitter (z. B. Hemmung der Acetylcholinesterase), der Wirkung auf Beta-Amyloid (z. B. monoklonale Antikörper) und der Wirkung auf die Tau-Pathologie finden sich auch Entzündungshemmer, Antioxidanzien, Antidiabetika oder Nahrungsergänzungsmittel unter den getesteten Substanzen. Eine etwas ungewöhnliche Substanz ist das Atuzaginstat (COR388, GAIN-Studie). Dabei handelt es sich um einen Inhibitor der Proteasen Lysin- und Arginin-Gingipain des Bakteriums Porphyromonas gingivalis, einem Parodontitiserreger. Porphyromonas gingivalis und Gingipaine wurden auch im Gehirn von Alzheimer-Patienten gefunden.

Tab. 3 Wirkprinzip der aufgelisteten Substanzen aus den Phase-III-Studien. (Einteilung nach [1, 5])

Unter der Überlegung, dass Behandlungsmöglichkeiten am ehesten bei der initialen Alzheimer-Erkrankung wirksam sein werden, schließen die Studien ganz überwiegend Patienten mit prodromaler bis milder bzw. initialer Alzheimer-Demenz ein. Als primärer Erfolgsparameter wurde in vielen Studien die Clinical Dementia Rating Scale Sum of Boxes (CDR-SOB) gewählt, welche die vor einigen Jahren noch häufiger verwendete Alzheimer’s Disease Assessment Scale-Cognitive Subscale (ADAScog) als Erfolgsparameter zu verdrängen scheint. Bedingt durch die hohen Kosten einer Phase-III-Studien sind die Studieninitiatoren vor allem Pharmafirmen, selten beispielsweise Universitäten (Tab. 2). Der überwiegende Teil der Substanzen zielt auf einen krankheitsverändernden Verlauf ab (Tab. 3).

Diskussion

Es gibt eine große Zahl von Studienregistern, z. B. das Clinical Trial Registry der Europäischen Union [10]. Sie sind über die International Clinical Trials Registry Platform (ICTRP) der Weltgesundheitsorganisation (WHO; [2]) auffindbar. Da der größere Teil der Studien zur Demenz in den USA initiiert wird, wurde das amerikanische Register www.ClinicalTrials.gov für die Auswertung herangezogen.

In Anbetracht der Zeit, die zwischen einer Phase-I- oder -II-Studie und der eventuellen Zulassung vergeht, wurden nur die Phase-III-Studien ausgewertet. Auflistungen über alle Phasen finden sich jedoch in der Literatur (z. B. [5, 7]). Hierzu wurden 53 Studien vorgefunden. Davon wurden nur diejenigen weiter betrachtet, bei denen eine Verbesserung der geistigen Leistung ein primäres Studienziel war. Studien zu Verwirrtheit, Biomarkern oder anderen Ergebnissen wurden hier nicht betrachtet. Nach dieser Einschränkung ergaben sich 25 Substanzen in 32 Studien. Etwas über 250 Studien befinden sich derzeit in der Phase I und II. Aus den Angaben in der Datenbank wurden die Studien in einer Tabelle angeordnet, aus der unter anderem die Substanz, der Status der Studie und das voraussichtliche Enddatum hervorgehen (Tab. 2). Eine jährlich durchgeführte Analyse dieser Art ließe einen Trend zum Schwerpunkt der Studientätigkeit erkennen [7].

Die einzuschließenden Probanden sollten überwiegend eine prodromale bis milde Alzheimer-Demenz aufweisen. Nur eine der Studien lässt auch eine schwerere Form der AD zu (MRCT mit Tricaprilin), was die aktuelle Auffassung widerspiegelt, dass initiale Formen einer Therapie besser zugänglich sind.

Für die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung werden zumeist positive Biomarker (z. B. Liquorpunktion, Amyloid-PET) gefordert. Eine Veränderung der Biomarker unter der Therapie wäre ein gutes Argument für eine den Krankheitsverlauf verändernde Wirkung und ein Vorteil bei der Zulassung.

Als Status der Studien wird in der Datenbank „not yet recruiting“, „recruiting“ sowie „active, not recruiting“ angegeben. „Recruiting“ zeigt an, dass die Studie läuft und Probanden eingeschlossen werden. Der Grund, warum eine Studie aktiv ist, jedoch nicht mehr rekrutiert, kann variieren. So hat die GAIN-Studie (Tab. 2) die vorgesehene Zahl von 643 Probanden rekrutiert und nimmt daher keine weiteren Probanden auf. Zusätzlich wurde von der FDA die unverblindete Fortführung der Studie in einer „open label extension“ (OLE) abgebrochen, da hepatische Nebenwirkungen beobachtet wurden. Der Status „not yet recruiting“ wird in erster Linie deshalb bestehen, weil die betreffende Studie noch nicht bei der vorgesehenen Probandenrekrutierung angelangt ist.

Die postulierten Wirkungsweisen der gefundenen Substanzen werden nach der Klassifikation CADRO geordnet [1]. Die Klassifikation bietet 18 Wirkweisen an, in die die Medikamente eingeordnet werden können. In Tab. 3 sind hiervon nur diejenigen aufgeführt, denen tatsächlich Medikamente zugeordnet werden konnten. Die Einstufung ist nicht immer eindeutig und erfolgte daher überwiegend nach der Literatur [5]. In manchen Teilen bleibt die Eingruppierung spekulativ. So wurden die Studien mit Omega-3-Fettsäuren dem Bereich „oxidativer Stress“ zugeordnet [5]. Andere Kategorien wären ebenfalls denkbar gewesen. Die Unsicherheit wird auch dadurch deutlich, dass die Autoren das Wirkprinzip 2020 noch bei „synaptischer Plastizität/Neuroprotektion“ sahen [4], 2021 aber bei „oxidativem Stress“ [5].

Am häufigsten sind die Amyloidablagerungen Ziel der Studiensubstanzen und dabei vor allem monoklonale Antikörper wie Solanezumab, Donanemab, Gantenerumab oder Lecanemab (Tab. 2). Im Verlauf der letzten Jahre ist allerdings der Anteil der Anti-Amyloid-Studien etwas rückläufig [7].

Im Zusammenhang mit der Wirkungsweise ist die Frage interessant, welche der Substanzen den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung verändern könnten und welche nur symptomatisch wirken (Tab. 3). Die hier getroffene Zuordnung zu „symptomatisch“ oder „krankheitsverändernd“ folgt erneut überwiegend nach Angaben aus der Literatur [5]. Eine krankheitsverändernde Therapie wird am ehesten von den monoklonalen Antikörpern gegen Beta-Amyloid zu erwarten sein, die bereits im Tierexperiment sowie in Studien am Menschen nachweisen konnten, dass sie die Amyloidmenge im Gehirn reduzieren können (z. B. [11]).

Die Datenbank gibt auch ein geschätztes Studienende an (Tab. 4), wobei es natürlich zu Verschiebungen kommen kann, z. B. da die Rekrutierung der Probanden länger als geplant dauert.

Tab. 4 Voraussichtliches Ende der jeweiligen Phase-III-Studie

2020, 2021: Die T2-Protect-AD-Studie mit BHV-4157 (Troriluzole) sollte plangemäß 2020 abgeschlossen werden. In einer Pressemitteilung der Firma Biohaven wurde im Januar 2021 gemeldet, dass die beiden primären Endpunkte keinen Unterschied zur Placebogabe aufwiesen, die Studie also nicht erfolgreich verlaufen war [3].

In Februar 2021 sollte die Studie mit Octohydroaminoacridine beendet sein, ein Medikament, das in China bereits seit 2019 für leichte bis moderate Alzheimer-Erkrankung zugelassen ist [12]. Die Studie ist aber offensichtlich noch nicht abgeschlossen.

Bei der Studie mit COR388 (GAIN) wird für das Studienende das Jahr 2022 angegeben, Resultate wurden im Internet aber schon für Dezember 2021 angekündigt. Nach ersten Hinweisen verfehlte die Substanz eine Signifikanz bei den primären Endpunkten.

2022, 2023: Insgesamt können für 2022 und 2023 bei 17 Substanzen Resultate erwartet werden. Bei firmengetriebenen Studien werden die ersten Ergebnisse unmittelbar nach der Analyse zur Information der Investoren bereitgestellt, die medizinische Publikation kann dann Monate später folgen. Ein Beispiel dafür sind die Ergebnisse der Solanezmab- bzw. der EXPEDITION-Studie. Die Pressemitteilung von Lilly zum Studienergebnis erschien sofort nach Abschluss der statistischen Analysen im November 2016 [8], die Veröffentlichung [6] mehr als ein Jahr später im Januar 2018. Hinsichtlich der Studienergebnisse können also Pressemitteilungen weitaus aktueller sein als die Datenbank.

Eine Limitation der Betrachtung ist, dass Studien zur Alzheimer-Erkrankung nicht zwangsläufig auf www.clincaltrials.gov eingetragen werden müssen, sodass es sein kann, dass lokale und kleinere Studien durch diese Herangehensweise nicht erfasst werden. Allerdings ist für die Zulassung eines Medikamentes eine aussagekräftige Phase-III-Studie nötig.

Das Ergebnis ist von den verwendeten Suchbegriffen und dem Zeitpunkt der Suche abhängig. Abgeschlossene („completed“) oder beendete („terminated“) Studien wurden hier nicht berücksichtigt. So tauchen beispielsweise die Studien zu Aducanumab (EMERGE und ENGAGE) der Firmen Biogen und Eisai nicht mehr in der Tabelle auf, können aber nach Eingabe entsprechender Suchkriterien in der Datenbank gefunden werden.

Weiterhin kann nicht garantiert werden, dass die in der Datenbank vorhandenen Daten alle aktuell sind. Gegebenenfalls können Angaben im Internet oder der Literatur weitere Informationen liefern.

Trotz der genannten Einschränkungen erlaubt die Datenbank www.ClinicalTrials.gov eine differenzierte Suche und gibt einen raschen Überblick über die derzeit stattfindenden Studien.

Fazit für die Praxis

  • In den kommenden Jahren kann mit einer Reihe von Ergebnissen zur medikamentösen Behandlung der Alzheimer-Erkrankung gerechnet werden.

  • Die meisten Studien zielen auf eine den Krankheitsverlauf verändernde Behandlung ab.

  • Auf die auf Amyloid und Tau wirkenden Substanzen, insbesondere auf die monoklonalen Antikörper, konzentrieren sich die größten Erwartungen.

  • Kurz vor der Zulassung stehende Substanzen lassen sich derzeit nicht identifizieren.