Hintergrund

Die meist letale Borna-Virus-Enzephalitis (BVE) wird durch das „Borna disease virus 1“ (BoDV-1) und „variegated squirrel bornavirus 1“ (VSBV-1) verursacht [2]. Die aktuelle Inzidenz der Borna-Virus-Enzephalitis in Deutschland beträgt ca. 2 Infektionen/Jahr, meist in endemischen Gebieten im Südosten Deutschlands [2, 5]. Wir möchten über zwei Erkrankungsfälle berichten, die klinisch zunächst als seronegative Autoimmunenzephalitiden (AE) interpretiert wurden, sich jedoch beide als eine BVE herausstellten.

Fallbeispiel 1

Die 32-jährige Patientin wurde im Februar 2021 aus einem Krankenhaus der Grundversorgung intubiert übernommen, wo sie wegen Diarrhöen, Fieber und Gliederschmerzen aufgenommen worden war und innerhalb einer Woche eine Dysphagie und Vigilanzminderung entwickelte. Die Liquoranalyse ergab unauffällige Notfallwerte mit einer negativen Multiplex-PCR, das cMRT war unauffällig.

Eine Liquorkontrolle erbrachte eine leichte lymphozytäre Pleozytose (23/µl) bei ansonsten normalen Parametern. Die Untersuchungen auf Antikörper in Serum und Liquor waren negativ (onkoneural, GQ1b, GM1 und GM2, Glutamat-Decarboxylase, LGI1, AMPA1, AMPA2, GABA, NMDA, Kaliumkanalkomplex). Unauffällig waren auch ein Vaskulitis- und immunologisches Screening, die Infektionsserologie und eine Porphyriediagnostik.

Im Verlauf zeigte die Patientin fokale klonische Anfälle des rechten Armes, weshalb eine antiepileptische Therapie begonnen wurde.

Unter der Arbeitsdiagnose einer seronegativen AE wurde eine Therapie mit Prednisolon (1000 mg) über 5 Tage etabliert und um eine Plasmapherese über 5 Tage ergänzt.

Zunächst stabilisierte sich der Zustand der Patientin, sodass sie 2 Wochen nach Zuverlegung in wachem Zustand ohne motorisches Defizit extubiert werden konnte. Die klinische Besserung wurde als ein Ansprechen auf die Therapie und als Bestätigung der Verdachtsdiagnose gewertet. Wegen einer persistierenden ausgeprägten Dysphagie und respiratorischer Verschlechterung musste sie jedoch reintubiert werden.

Trotz erneuter Plasmapherese über 7 Tage und nachfolgender immunsuppressiver Therapie mit Rituximab (2-mal je 1000 mg) und Cyclophosphamid (2-mal je 1050 mg) verschlechterte sich der Zustand der Patientin bis hin zum Koma.

Nach 6 Wochen zeigte eine erneute cMRT eine deutliche Befundverschlechterung mit Nachweis fleckiger symmetrischer kontrastmittelaufnehmender Hyperintensitäten (T2/Flair) frontotemporoparietal beidseits unter Einbeziehung der Basalganglien und Aussparung des Thalamus (Abb. 1). Zur weiteren diagnostischen Einordnung wurde eine Hirnbiopsie durchgeführt, die zunächst eine lymphozytär vermittelte Enzephalitis bestätigte. Daraufhin wurde unter der weiteren Annahme einer AE Bortezomib verabreicht.

Abb. 1
figure 1

Fleckige Hyperintensitäten im frontotemporoparietalen Rindenbereich beidseits in FLAIR/T2 mit Einbeziehung der Basalganglien und Aussparung des Thalamus. a,b Transversale FLAIR-gewichtete cMRT-Schnittbilder

Eine erneute Untersuchung (Liquor, Serum, Hirnbiopsat) unter Einbeziehung des Borna-Virus ergab einen eindeutig positiven Befund auf BoDV‑1 im Biopsiematerial und einen grenzwertig positiven PCR-Befund im Liquor (CT-Wert 37).

Nach Beendigung der immunsuppressiven Therapien wurde eine antivirale Therapie mit Favipiravir begonnen, wodurch es zu keiner klinischen Besserung kam. Im Rahmen eines palliativen Therapiezielwechsels verstarb die Patientin nach insgesamt 10 Wochen stationären Aufenthaltes in unserer Klinik.

Ein Kontakt zu potenziell mit BoDV‑1 infizierten Tieren konnte retrospektiv nicht eruiert werden, letztlich bleibt der Übertragungsweg bei der Patientin unklar.

Fallbeispiel 2

Die 23-jährige Patientin wurde im April 2021 mit Kopfschmerzen, subfebrilen Temperaturen und einem erstmaligen generalisierten epileptischen Anfall stationär aufgenommen.

Die Liquoruntersuchung erbrachte eine leichte Pleozytose (49/µl) bei sonst unauffälligen Notfallwerten. Ein aussagekräftiges cMRT war trotz Sedierung nicht möglich.

Bei zunehmender Agitation und Halluzinationen wurde unter dem Verdacht einer AE neben Levetiracetam eine hochdosierte Steroidpulstherapie mit Prednisolon über 5 Tage (500 und 1000 mg) durchgeführt, gefolgt von einer IVIG-Therapie (je 40 g) über 3 Tage.

Fünf Tage nach Aufnahme führten erneute generalisierte epileptische Anfälle und eine zunehmende Vigilanzminderung zur maschinellen Beatmung auf der Intensivstation. Die AE-Antiköperbestimmungen im Liquor und Serum waren negativ.

Nach erfolgloser Plasmapherese (7 Tage) entwickelte die komatöse Patientin eine zunehmende Störung der Pupillomotorik sowie der Temperaturregulation als Hinweis auf eine Hirnstammaffektion. Im cMRT zeigten sich ödematöse Veränderungen im Bereich der Hippocampi beidseits mit einer rechtsbetonten Diffusionsstörung, kompatibel mit der Verdachtsdiagnose einer AE (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

a Ödemäquivalente Signalalterationen der Hippocampi beidseits in FLAIR/T2. b Diffusionsgewichtete koronare Sequenz mit rechtsbetonter Diffusionsstörung der Hippocampi

Nach einer Therapieeskalation mittels Cyclophosphamid (900 mg) und Rituximab (1000 mg) wurde 14 Tage nach Einlieferung in unsere Klinik der Nachweis von BoDV-1-RNA im eingesandten Liquor bestätigt, der Serumbefund war negativ.

Bei anhaltend ausgefallenen Hirnstammreflexen, einem Burst-suppression-Muster im EEG sowie einem pathologischen Apnoetest entschieden wir uns aufgrund der infausten Prognose für eine Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen. Die Patientin verstarb 16 Tage nach der Einlieferung in unsere Klinik.

Eine postmortale Hirnbiopsie ergab eine hohe Borna-Virus-Last in dem eingesandten Punktat.

Rückblickend ließ sich eruieren, dass die Katze der Patientin 2 Monate vor Symptombeginn eine Spitzmaus apportiert hatte. Die Patientin selbst hatte keinen direkten Kontakt zu der Maus. Dieses Ereignis wurde retrospektiv als vermutlicher Infektionsweg gewertet.

Diskussion

In beiden Fällen wurde initial von einer seronegativen AE ausgegangen, da typische Charakteristika wie psychiatrische Symptome, Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle und eine Liquorpleozytose sowie im ersten Fall zunächst eine vermeintliche Responsivität auf die initiale immunsuppressive Therapie vorlagen. Zudem zeigten sich im zweiten Fall auch zu einer AE passende T2-Hyperintensitäten im Hyopthalamus beidseits ([4]; Tab. 1).

Tab. 1 Diagnostische Kriterien für eine mögliche Autoimmunenzephalitis

Eine frühe – notfalls eskalative – immunsuppressive Therapie bei einer AE gehört zu den wichtigsten Prognosefaktoren [1], weshalb bei unseren Patientinnen bei rascher klinischer Verschlechterung therapeutisch eskaliert wurde.

Die Fälle verdeutlichen die hohe Variabilität des Verlaufes einer BVE und den Stellenwert frühzeitiger diagnostischer Schritte in Endemiegebieten, auch wenn letztlich ein unauffälliger Liquorbefund keinen sicheren Ausschluss einer BVE bedeutet. Im Zweifelsfall sollte bei einer negativen PCR im Liquor eine Diagnostik mittels einer Hirnbiopsie ergänzt werden.

Bildmorphologisch charakteristisch für die BVE sind T2-Hyperintensitäten im Nucleus caudatus, der Insel und im limbischen System – nie jedoch temporal oder okzipital [3].

Eine zugelassene Therapie der BVE gibt es zum aktuellen Zeitpunkt nicht, ob die in In-vitro-Studien nachgewiesene Wirksamkeit von Favipiravir und Ribavirin eine klinische Relevanz hat, bleibt zum aktuellen Zeitpunkt unklar [6].

Fazit für die Praxis

  • Die BVE ist eine seltene endemisch auftretende Erkrankung, die im klinischen Bild einer AE ähneln kann.

  • Bei Verdacht auf eine AE sollte frühzeitig auch an die Borna-Virus-Infektion gedacht und die entsprechenden diagnostischen Schritte eingeleitet werden.

  • Die Diagnose wird durch den Nachweis von BoDV-1-RNA mittels PCR im Liquor, Serum und/oder Hirnbiopsat gestellt.

  • Bei der Diagnose einer BVE sollte eine Meldung bei dem zuständigen Kompetenzzentrum des Robert Koch-Institutes für Krankheiten durch hochpathogene Erreger erfolgen.