Hintergrund

Die Alzheimer-Krankheit (AK) ist eine der großen Volkskrankheiten, somit häufig, chronisch progredient, schwerwiegend und kostenträchtig. In Deutschland sind derzeit rund 700.000 Menschen an einer Alzheimer-Demenz (AD) erkrankt, damit ist sie die häufigste Form der Demenzerkrankungen. Jedes Jahr erkranken etwa 200.000 Menschen neu [14]. Der Alzheimer-Demenz geht eine 15- bis 20-jährige präklinische Phase voraus sowie eine 3‑ bis 6‑jährige Prodromalperiode vor der Demenzmanifestation [30].

Bisherige pharmakologische Therapiemöglichkeiten bei der AK sind rein symptomatischer Natur und die verfügbaren Substanzen basieren auf Wirkmechanismen der Neurotransmittermodulation [27]. Die derzeitigen innovativen Therapiestudien bei AK gehen von Konzepten der Krankheitsmodifikation aus, d. h. sie postulieren eine therapeutische Beeinflussung grundlegender Mechanismen der Ätiopathogenese der AK. Es wurden über spezifische pathogenetische Mechanismen, welche über experimentelle, molekularpathologische Biomarkerveränderungen an Patienten identifiziert wurden, pharmakologische Ziele abgeleitet und Substanzen entwickelt. Diese Wirkmechanismen unterscheiden sich von älteren Konzepten der Neuroprotektion bei chronisch neurodegenerativen Erkrankungen, die sich vorwiegend auf Befunde aus experimentellen Forschungsparadigmen stützen und weniger über Biomarkerbefunde an Patienten belegt sind. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Translation experimenteller Befunde in klinische Studienergebnisse gelingt.

Die Pathobiologie der AK wird wesentlich als komplexe zerebrale Proteinopathie zweier Proteinsysteme verstanden: Nach der Amyloid-Kaskaden-Hypothese [28] und ihren Erweiterungen [6] stellt die Amyloidproteinopathie das erste zentrale Ereignis der Pathophysiologie dar, das mit der Tau-Proteinopathie interagiert [3, 4] und dann eine Vielzahl weiterer molekularer Kaskaden anstößt, die zu synaptischer Dysfunktion und Neurodegeneration führen [25]. Aus diesen Erkenntnissen wurden entsprechend zwei spezifische molekular definierte Therapiestrategien abgeleitet:

  1. 1.

    die Entstehung pathologischer Amyloidaggregate und amyloider Plaques zu reduzieren und

  2. 2.

    die Entstehung hyperphosphorylierten Tau-Proteins und dessen Aggregation zu neurofibrillären Bündeln zu reduzieren.

Die sporadische AK ist zusätzlich eine sehr stark altersassoziierte Erkrankung, und das Gehirn ist als postmitotisches Organ besonders empfindlich gegenüber Alterungseffekten. Deswegen werden spezifische molekulare Mechanismen der Hirnalterung, wie genomische Instabilität, Mitophagie, zelluläre Seneszenz, Proteinaggregation, mitochondriale Dysfunktion und Neuroinflammation auch als therapeutische Ziele bei AK erforscht. [8, 15].

Die Auswahl der klinischen Studien für die vorliegende Übersicht erfolgte nach einem systematischen Vorgehen und war nicht primär am Wirkmechanismus der Substanzen orientiert: Ausgehend von einer systematischen Analyse der öffentlich zugänglichen klinischen Therapiestudien (Datenbank: FDA/US National Library of Medicine of the National Institutes of Health Clinicaltrials.gov; [8]) wurden die derzeit laufenden oder abgeschlossenen klinischen Studien identifiziert. Daraus wurden wegen der Praxisrelevanz die am weitesten fortgeschrittenen Studien (laufende oder abgeschlossene Phase-3-Studien) ausgewählt (Tab. 1) und die Substanzkandidaten vorgestellt. Dies impliziert, dass hoch innovative, aber (noch) nicht klinisch relevante Ansätze wie gentherapeutische oder stammzellbezogene Ansätze hier nicht vorgestellt werden, ebenso wie wegen inadäquater klinischer Studienlage manche Ansätze mit natürlich vorkommenden Substanzen. Zusätzlich werden die absehbaren Auswirkungen der ersten zugelassenen Amyloidantikörpertherapie für die klinische Versorgung bei AK diskutiert.

Tab. 1 Derzeit in klinischen Studien der Phase 3 der Medikamentenentwicklung befindliche Wirkstoffe bei Alzheimer-Krankheit mit potenziell krankheitsmodifizierendem Wirkmechanismus

Grundlegende ätiopathogenetische Mechanismen mit Einfluss auf die Proteinopathie bei AK

Die zentrale Rolle der Amyloidpathologie in der Pathogenese der AK ist durch viele experimentelle, pathologische, genetische und Biomarkerstudien sowohl bei der familiären (früh einsetzenden) als auch bei der sporadischen (später einsetzenden) AK bestätigt. Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese integriert diese Befunde in ein komplexes Modell der Ätiopathogenese [28] und ist derzeit der wichtigste Ausgangspunkt zur Identifizierung pharmakologischer Ziele für krankheitsmodifizierende Therapien [12]. Im Zentrum der Hypothese steht eine Störung des Metabolismus des Amyloidvorläuferproteins (Amyloid-Precursor-Protein, APP). Dies führt zur Generierung mehrerer Isoformen des β‑Amyloid-Peptids unterschiedlicher Länge, die zu zunächst löslichen toxischen Polymeren autoaggregieren. Die Amyloidoligomere sind das derzeit wichtigste pharmakologische Ziel. Die schließlich entstehenden amyloiden Plaques werden extrazellulär abgelagert und sind Kristallisationspunkt für vielfältige neuroinflammatorische Reaktionen.

„Tau-Seeds“ überschreiten zelluläre Barrieren und „infizieren“ gesunde Zellen

Ausgehend von diesem Modell werden vielfältige Rückschläge bei der Therapieentwicklung v. a. auf Schwächen in der Konzeption, Durchführung und Auswertung der klinischen Studien zurückgeführt. Die Rückschläge führten aber auch zu einer intensiven Diskussion um die Validität des ätiopathogenetischen Modells [13]. Für dieses Modell spricht auch, dass die sog. isländische Mutation, eine genetische APP-Variante, die zu einem Rückgang der Amyloidproduktion um etwa 40 % führt, mit einem geringeren Alzheimer-Risiko assoziiert ist [19]. Auf der Basis der Amyloid-Kaskaden-Hypothese lassen sich die Ergebnisse vieler klinischer Verlaufsstudien mit Biomarkern in ein diagnostisches Rahmenkonzept mit Relevanz für klinische Studien integrieren, wonach das Auftreten zerebraler Amyloidablagerungen der Tau-Pathologie vorangeht und somit als notwendige Bedingung für die Progression der AK gilt [17]. Amyloideplaques sind aber möglicherweise nur eine zelluläre Reaktion, durch die lösliche, toxische Amyloidoligomere sequestriert und neutralisiert werden [6], weshalb Oligomere derzeit für das effektivere therapeutische Ziel gehalten werden.

In den derzeitigen Modellvorstellungen geht man von komplexen Interaktionen zwischen Amyloid- und Tau-Pathologie aus, die den Krankheitsprozess der AK aufrechterhalten und vorantreiben [24]. Das mikrotubulusassoziierte Protein Tau (MAP-Tau) ist ein intrazelluläres, komplex reguliertes und translational vielfältig modifiziertes Protein, das axonale Transportmechanismen stabilisiert. Hyperphosphorylierte Formen von Tau sind instabil und aggregieren. Intraneuronal entstehen zunächst Aggregate pathologisch veränderten Tau-Proteins („seeds“), diese können zelluläre Barrieren überschreiten und über einen prionenartigen Mechanismus gesunde Zellen „infizieren“. In der Folge breitet sich die Tau-Pathologie entlang neuronaler Bahnen im Gehirn aus, wobei die von den betroffenen Neuronen produzierten „Tau-Seeds“ in gesunde, aber anfällige Zellen eindringen, wo sie physiologisches Tau über eine Konformationsänderung sequestrieren und umwandeln. Neuronale Schäden entstehen durch eine Kombination aus Verlust physiologischer Funktionen und Zunahme toxischer Funktionen des veränderten Tau-Proteins [3]. Es ist lange bekannt, dass nicht amyloide Plaques, sondern das Ausmaß der neurofibrillärer Degeneration mit dem Grad der kognitiven Störung korreliert und prädiktiv für den weiteren klinischen Verlauf ist [4]. Hieraus pharmakologische Ziele zu definieren, ist wegen der Komplexität und der intrazellulären Lokalisation des Tau-Proteins sowie der noch lückenhaften Kenntnisse zu den Mechanismen der pathologischen Tau-Ablagerung deutlich schwieriger als beim Amyloid [10].

Die zeitliche Dynamik der proteinbezogenen ätiopathogenetischen Veränderungen wird als entscheidend für die klinische Manifestation der AK angesehen. Denn Erkenntnisse zu krankheitsassoziierten Genen sowie experimentelle Befunde zur Rolle mikrogliavermittelter Neuroinflammation belegen, dass über die Proteinaggregate angestoßene Veränderungen des Immunsystems ein wichtiger pathogenetischer Faktor als Motor der Neurodegeneration sind und entscheidend die Symptomatik und den Verlauf der Erkrankung bestimmen [5]. Eine schematische Illustration der ätiopathogenetischen Hypothesen der Alzheimer-Krankheit und daraus resultierender pharmakologischer Angriffspunkte ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Pharmakologische Angriffspunkte proteinbezogener Therapien bei Alzheimer-Krankheit. Schematische Illustration der ätiopathogenetischen Hypothesen der Alzheimer-Krankheit und daraus resultierende pharmakologische Angriffspunkte. Schwarzer Text und dicke Pfeile: die β‑Amyloid-Kaskade und die Tau-Aggregation; schwarze dünne Pfeile: pharmakologische Angriffspunkte; blauer Text: pharmakologisch relevante Pathomechanismen nach der CADRO(Common Alzheimer’s Disease Research Ontology)-Klassifikation und einzelne Substanzen

Wirkstoffe in fortgeschrittener klinischer Entwicklung (Phase 3)

Die Arzneimittelentwicklung bei AK fokussiert v. a. auf Wirkmechanismen, die nach der CADRO(Common Alzheimer’s Disease Research Ontology)-Klassifikation als krankheitsmodifizierend bewertet werden [16]. Diese Wirkstoffe befinden sich zumeist in Studien zur Sekundärprävention bei Patienten mit präklinischer oder prodromaler AK sowie leichter AD [25]. Verschiedene therapeutische Ansätze wurden wegen Negativergebnissen wieder aufgegeben, z. B. β‑ und γ‑Sekretase-Inhibitoren [12]. Viele hoch innovative therapeutische Ansätze befinden sich erst in frühen klinischen Stadien der Medikamentenentwicklung (Phase 1–2). Viele dieser Entwicklungen werden aufgrund negativer Studienlage im Verlauf der Phase 2 aus unterschiedlichen Gründen wieder eingestellt, sodass sich Fragen zu klinisch relevanten Ergebnissen (noch) nicht stellen. Deswegen wird diese Studienlage hier nicht diskutiert.

Im US-amerikanischen Studienregister (FDA/US National Library of Medicine of the National Institutes of Health Clinicaltrials.gov) werden 2021 14 Wirkstoffe in Phase-3-Studien an Patienten mit einer symptomatischen AK (im Stadium der leichten kognitiven Störung oder leichten-mäßigen Demenz) aufgeführt (Tab. 1). Darunter befinden sich 4 Biologika und 10 orale Wirkstoffe/kleine Moleküle. Alle 4 Biologika haben Amyloid als primären oder hauptsächlichen Angriffspunkt. Andere pharmakologische Targets nach der CADRO-Klassifikation sind Tau-Pathologie (ein Wirkstoff), Entzündung/Infektion (3 Wirkstoffe, davon einer mit Wirkmechanismus über die Darm-Hirn-Achse), Stoffwechsel und Bioenergetik (3 Wirkstoffe) und synaptische Plastizität/Neuroprotektion (3 Wirkstoffe). Vier der Wirkstoffe sind bereits für andere Indikationen zugelassen („repurposed drugs“; [8]).

Neben den umfangreichen Studien an symptomatischen AK-Patienten laufen mehrere analoge Phase-3-Präventionsstudien an kognitiv unbeeinträchtigten Risikopopulationen (präklinische AK). Eine der Phase-3-Studien rekrutiert wegen der speziellen Probandenpopulation (Mutationsträger) sowohl präklinische Patienten als auch Patienten mit „mild cognitive impairment“/leichter AD (DIAN-TU-Studie; [8]).

Lecanemab zeigte klinische Effekte in kognitiven Tests

Die Antiamyloidansätze in Phase 3 umfassen ausschließlich monoklonale Antikörper. Die Studien mit Aducanumab sind abgeschlossen (siehe unten). Solanezumab wird nach negativen Phase-3-Studien an symptomatischen Alzheimer-Patienten [13] nur noch für eine präventive Indikation untersucht. Gantenerumab wird nach ersten negativen Phase-3-Studien in höherer Dosierung und in Studien längerer Dauer weiterentwickelt [23]. Lecanemab zeigte in einer Phase-2-Studie nach 18 Monaten eine signifikante Reduktion der Amyloidlast im Gehirn und klinische Effekte in kognitiven Tests und der globalen klinischen Einschätzung. Liquorbiomarker sprachen zusätzlich für einen Behandlungseffekt auf Neurodegeneration [29]. Dieser Antikörper wird derzeit in einer Phase-3-Studie konfirmatorisch auf Wirksamkeit geprüft. In einer Phase-2-Studie zeigte Donanemab bei Patienten im Frühstadium der AK nach 18 Monaten positive Effekte auf Kognition und Alltagskompetenz gegenüber Placebo [19]. Eine Phase-3-Studie ist gerade gestartet.

Alle bisherigen Tau-Antiköper-Studien gingen negativ aus [18]. Viele kleine Moleküle zur Verringerung der Tau-Pathologie sind in der Entwicklung. Darunter sind Modulatoren der posttranslationalen Modifikation, Aggregationshemmer und Abbaupromotoren, meist noch im präklinischen Stadium. Eine Phase-3-Studie zu dem Aggregationshemmer TRx0237 läuft derzeit noch [33]. Eine aktive Vakzine (AADvac1) wurde in einer klinischen Phase-2-Studie mit Erfolg getestet [22]. Eine Phase-3-Studie mit der Substanz ist in Vorbereitung.

Oligomannat ist eine in China zugelassene Substanz, die in einer Phase-3-Studie eine Verbesserung der Kognition gezeigt hatte. Als Wirkmechanismus im Darmmikrobiom wird angenommen, dass die Substanz die Zusammensetzung der Darmflora normalisiert und dann über periphere Entzündungsmediatoren die Neuroinflammation reduziert [32].

Zulassung des ersten Amyloidantikörpers als krankheitsmodifizierende Therapie in den USA

Im Juni 2021 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA Aducanumab für die Behandlung der leichten AK zugelassen (Dosierung: 10 mg/kg Körpergewicht, monatliche i.v. Infusion). Der Hersteller wurde verpflichtet, nach der Zulassung eine zusätzliche konfirmatorische klinische Studie zum klinischen Nutzen von Aducanumab vorzulegen. Sollte der Nutzen nicht belegt werden können, kann die FDA die Zulassung widerrufen.

Diese Zulassung markiert einen Wendepunkt in der psychiatrischen Pharmakotherapie, da erstmals eine Substanz gegen die grundlegende Pathophysiologie einer Erkrankung aufgrund relevanter Effekte auf Biomarkerebene zugelassen wurde, jedoch nicht aufgrund klinischer Belege. Diese sollen erst durch die Ergebnisse einer bis 2030 vorzulegenden zusätzlichen Studie bestätigt werden.

Die Zulassung von Aducanumab erfolgte aufgrund relevanter Effekte auf Biomarkerebene

Die bisherigen klinischen Studiendaten waren uneindeutig und mit operationalen Schwächen behaftet. Eine Phase-1-Studie zur Untersuchung der Sicherheit von Aducanumab hatte eine signifikante Reduktion der Amyloidlast im Gehirn gezeigt und die klinischen Daten legten nahe, dass der kognitive Abbau dosisabhängig verlangsamt wurde. Wegen der positiven Ergebnisse wurden die sonst üblichen Phase-2-Studien übersprungen und sofort zwei Phase-3-Studien mit jeweils etwa 1640 Patienten begonnen. Diese Studien wurden Anfang März 2019 nach einer negativen Zwischenanalyse gestoppt. Infolgedessen konnten 37 % der Teilnehmer die 78-wöchige Studiendauer nicht abschließen. Im Oktober 2019 wurde bekannt gegeben, dass nach einer neuen Zwischenauswertung doch Beweise für Wirksamkeit vorliegen. Diese Schlussfolgerung bezog Daten von weiteren 318 Teilnehmern ein, die vor dem Abbruch der Studien, aber nach dem Stichtag der Zwischenauswertung erhoben wurden. In einer der beiden Studien führte die höchste Dosis (10 mg/kg Körpergewicht) zu einer signifikanten Verlangsamung des kognitiven Abbaus um 22 % im Vergleich zu Placebo. Eine niedrigere Dosis in dieser Studie und beide Dosierungen in der zweiten Studie zeigten keine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo. Nur eine Post-hoc-Analyse der Teilnehmer der Untergruppe mit hoher Dosis und längster Behandlungsdauer in der insgesamt negativen zweiten Studie ergab Hinweise auf Wirksamkeit. Die signifikante Reduktion der Amyloidlast im Gehirn wurde in beiden Phase-3-Studien bestätigt und war die Grundlage der Zulassung. Die klinische Relevanz dieser Ergebnisse wurde sehr kontrovers diskutiert.

Die häufigste Nebenwirkung von Aducanumab waren amyloidbezogene Bildgebungsanomalien (ARIA) in der Magnetresonanztomographie (MRT) bei 35,2 % der Patienten in der Hochdosisgruppe im Vergleich zu 2,7 % in der Placebogruppe. Das sind vorübergehende, meist asymptomatische Schwellungen oder fokale zerebrale Mikroblutungen (74 % asymptomatisch). Typische Symptome von ARIA waren Verwirrtheit, Delir, Schwindel oder Sehstörungen (in 67,7 % leicht, in 4 % schwer ausgeprägt). Weitere Nebenwirkungen waren Stürze und Diarrhö und sehr selten allergische Reaktionen [8].

Klinische Voraussetzungen der therapeutischen Anwendung in der Praxis

Die Anwendung von Aducanumab in der Praxis wird ähnliche Herausforderungen mit sich bringen wie andere i.v. Infusionstherapien, mit den Besonderheiten einer aufwendigen Eingangsdiagnostik und einem langfristigen Monitoring auf Nebenwirkungen mittels MRT bei einer besonders vulnerablen Population von Menschen im meist hohen Alter. Für das praktische Vorgehen wurden kürzlich Expertenempfehlungen vorgelegt [7], die entlang der Eingangskriterien für die Zulassungsstudien formuliert wurden (Tab. 2). Hierzu gehören der Nachweis leichter kognitiver Defizite sowie der positive Nachweis der zerebralen Amyloidpathologie. Aducanumab soll über einen Zeitraum von 6 Monaten in mehreren Stufen auf eine Dosis von 10 mg/kg titriert werden, unter sorgfältigem MRT-Monitoring für ARIA vor Beginn und mindestens 4‑mal im ersten Behandlungsjahr. Bei symptomatischen oder mittelgroßen ARIA ohne Symptome soll die Behandlung nach einem bestimmten Algorithmus unterbrochen, kontrolliert und wiederaufgenommen bzw. beendet werden. Eine ausführliche regelmäßige Beratung der Patienten und ihrer Bezugspersonen und deren Beteiligung an den Therapieentscheidungen werden gefordert. Dies setzt entsprechende Kompetenzen auf allen Seiten voraus.

Derzeit ist vorgesehen, die Behandlung bis in das mittlere Demenzstadium fortzuführen. Sobald eine signifikante Absenkung der Amyloidlast erreicht ist, könnte die Häufigkeit der Infusionen verringert werden. Das impliziert möglicherweise wiederholte Amyloid-Positronenemissionstomographien oder Liquorpunktionen. Eine solche dauerhafte Amyloidabsenkung ist bisher für Donanemab [21], aber nicht für Aducanumab belegt.

Tab. 2 Klinische Voraussetzungen einer adäquaten Anwendung von Aducanumab in der Praxis

Perspektiven und Konsequenzen

Der beschleunigte Zulassungsweg der FDA ist für Medikamente gegen schwere Krankheiten vorgesehen, von denen ein bedeutender Vorteil gegenüber den verfügbaren Therapien erwartet wird, auch wenn eine Restunsicherheit über den endgültigen klinischen Nutzen des Medikaments besteht. Dafür muss ein substanzieller Beweis für die Wirksamkeit des Medikaments auf einem „Surrogat-Endpunkt“ vorliegen – in der Regel ein Biomarker, der die zugrunde liegende Pathologie widerspiegelt. Die Wirkung auf den Surrogat-Endpunkt muss plausibel einem entsprechenden klinischen Nutzen entsprechen. Ob dies für die zerebrale Amyloidablagerung bei Alzheimer gilt, wird kontrovers diskutiert [2, 9, 11, 26]. Aducanumab ist aktuell nur für die USA zugelassen. Wie die europäische Zulassungsbehörde EMA entscheiden wird, ist unsicher, weil in Europa ein analoger Zulassungsweg nicht existiert. Die Zulassung von Aducanumab in Europa ist jedoch beantragt. Auch die drei weiteren o. g. Amyloidantikörper streben eine Zulassung in den USA nach demselben Zulassungsweg wie Aducanumab an.

In der klinischen Alzheimer-Forschung sind große Fortschritte zu verzeichnen wie neue Krankheitskonzepte, Früherkennung und Demenzprädiktion, die Biomarkerentwicklung inklusive blutbasierter Biomarker [31]. Es ist zu erwarten, dass weitere krankheitsmodifizierende Therapien mit anderen Wirkmechanismen zur Zulassung kommen. Die Zukunft der Alzheimer-Behandlung liegt wahrscheinlich in einem multimodalen Therapieansatz mit verschiedenen Substanzen, ähnlich wie bei Chemotherapien. Noch ist nicht klar, welche Substanzen in welcher Reihenfolge sinnvoll kombiniert und wie geeignete Patientengruppen definiert werden können. Diese Trends werden uns neue Arbeitsweisen mit einem hohen Maß an Kooperation abverlangen.

Fazit für die Praxis

  • Die komplexe Proteinopathie (Amyloido- und Tauopathie) bei Alzheimer-Krankheit (AK) ist derzeit der wichtigste Ausgangpunkt für innovative Therapieansätze. Darüber hinaus werden Ansätze gegen Neuroinflammation und Mechanismen der Hirnalterung therapeutisch beforscht.

  • Ein erster monoklonaler Amyloidantikörper ist zur Behandlung der prodromalen AK und leichten Demenz bei Alzheimer-Krankheit in den USA zugelassen worden. Dessen klinische Wirksamkeit muss sich in der Praxis noch beweisen.

  • Wegen der vulnerablen Patientenpopulation und der hohen Patientenzahl ergeben sich zahlreiche praktische Herausforderungen für diese neuen Therapien, ethische Fragen sowie notwendige Regelungen in Bezug auf Allokation und Zugänglichkeit.

  • Es ist unerlässlich, alternative Wege der Pathogenese (u. a. oxidativer Stress, Neuroinflammation, neuronale Plastizität, vaskuläre Faktoren) als mögliche therapeutische Targets zu erforschen.

  • Um diese Therapien erfolgreich zu implementieren, bedarf es neuer Wege der Kooperation zwischen niedergelassenen Nervenärzten und Expertenzentren.