Hintergrund

Die COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme weltweit vor große Herausforderungen. Vor allem Gesundheitsfachkräfte mit direktem oder möglichem direktem Kontakt zu COVID-19-Patienten tragen eine erhebliche Last bei der Bewältigung der Pandemie [37]. Angesichts der arbeitsbedingten Stressoren im Zusammenhang mit Krankheitsausbrüchen (z. B. hohe Arbeitsbelastung, Infektionsgefahr) sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen besonderen Belastungen ausgesetzt [2, 41].

Psychische Belastung

Die Stressorexposition während der COVID-19-Pandemie könnte durch negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen, Fehlzeiten und Personalengpässe die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und die Qualität der Patient*innenversorgung reduzieren [37]. Auf Basis der bisherigen Evidenzlage ist jedoch noch unklar, ob die zusätzlichen Stressfaktoren, denen Gesundheitsfachkräfte ausgesetzt sind, auch zu einer höheren psychischen Belastung führen. Es gibt sowohl Hinweise darauf, dass während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 relevante psychische Mehrbelastungen bei Gesundheitspersonal aufgetreten sind als auch Hinweise auf gleichbleibende Belastung.

Mehrere Übersichtsarbeiten zu psychischer Belastung bei Gesundheitspersonal während der aktuellen Pandemie zeigten bei mindestens einem Fünftel des Klinikpersonals Hinweise auf ein erhöhtes Belastungserleben [6, 26] sowie eine gesteigerte psychische Belastung gegenüber der Allgemeinbevölkerung [33, 37]. Eine kürzlich erschienene Arbeit zu deutschem Klinikpersonal hingegen fand keine Mehrbelastung im Vergleich mit nicht klinisch arbeitendem Personal [34].

Resilienz

Resilienz beschreibt die Aufrechterhaltung oder rasche Rückgewinnung psychischer Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen oder anders ausgedrückt die geringe psychische Belastung trotz Stressoren. Sie kann als dynamischer und veränderbarer Prozess verstanden werden [20]. Makrostressoren wie die COVID-19-Pandemie haben das Potenzial, Resilienz zu verändern [19].

Daten aus der deutschen Allgemeinbevölkerung im Frühjahr 2020 haben keine Veränderung der Resilienz gezeigt [14]. Bislang gibt es keine Studien, die Resilienz bei Gesundheitspersonal während der COVID-19-Pandemie in Deutschland erfassen.

Absentismus

Absentismus beschreibt das krankheitsbedingte Fernbleiben von der Arbeit [11]. Wir definieren Absentismusneigung als das Nachdenken über und die Neigung zum krankheitsbedingten oder krankheitsunabhängigen Fernbleiben von der Arbeit.

Bislang wurden während der aktuellen Pandemie nur wenige Studien zu Absentismus durchgeführt. Eine Konsequenz von Absentismusneigung und tatsächlichem Absentismus kann der Wunsch sein, den Beruf zu wechseln [21]. Da ein personeller Engpass ein großes Problem in der Gesundheitsversorgung darstellt, ist es wichtig, frühzeitig mögliche Prädiktoren für Krankmeldungen und Berufswechselwunsch zu identifizieren, die über eine COVID-19-Erkrankung selbst hinausgehen. Studien zu früheren Epidemien zeigten, dass Absentismus bei Beschäftigten im Gesundheitswesen während Epidemien zunahm [17].

Es gibt Hinweise darauf, dass psychische Belastung ein relevanter Prädiktor von Absentismus ist [16]. Bislang liegen jedoch keine ausreichenden Daten darüber vor, ob eine Zunahme psychischer Beschwerden bei Beschäftigten des Gesundheitswesens das Fernbleiben vom Arbeitsplatz und den Wunsch nach Berufswechsel auch während der aktuellen Pandemie begünstigt. Eine Umfrage unter spanischem Gesundheitspersonal identifizierte die Größe des Krankenhauses und die Schwere des lokalen Ausbruchsgeschehens als Prädiktoren für Absentismus [1]. Allgemein wird eine Zunahme von Absentismus erwartet, der nicht nur durch eine COVID-19-Erkrankung bedingt ist [15].

Soziale Unterstützung und Wertschätzung

Soziale Unterstützung und Wertschätzung am Arbeitsplatz sind sowohl bei Arbeitnehmer*innen im Allgemeinen als auch bei Gesundheitspersonal mit psychischer Belastung [18] und Absentismus [15] assoziiert und können gut durch Interventionen adressiert werden [38].

Ziel der Arbeit

Die vorliegende Arbeit untersucht, ob es in Deutschland während der aktuellen Pandemie zu einer erhöhten psychischen Belastung oder einer Änderung der Resilienz im Vergleich zu Referenzdaten kam und inwiefern bei den Befragten Absentismusneigung bestand. Aufgrund datenschutzrechtlicher Aspekte wurden objektive Daten zu Arbeitsunfähigkeiten (Fehlzeiten) über alle Befragten hinweg nicht erhoben. Darüber hinaus wurden pandemiespezifische Sorgen und Stressoren erhoben, um den COVID-19-bezogenen Anteil an der psychischen Belastung einschätzen zu können. Durch die Erfassung verschiedener Schutz- bzw. Resilienzfaktoren einschließlich der Bewertung der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte und Wertschätzung in der Arbeit sollten mögliche Ansatzpunkte für präventive Interventionen eruiert werden.

Methodik

Studiendesign und Teilnehmer*innen

Im Zeitraum vom 6.04. bis 07.05.2020 wurde eine anonyme Querschnittsbefragung durchgeführt, deren Schwerpunkt auf Pfleger*innen und Ärzt*innen aus Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie Rettungsfachkräften lag. Die Fokussierung auf diese Untergruppen des Gesundheitspersonals erfolgte, um einen möglichst großen Anteil an Personen zu rekrutieren, die beruflich Kontakt zu bestätigten COVID-19-Patient*innen oder Verdachtsfällen haben. Ein positives Votum (Bearbeitungs-Nr.: 2020-14961) der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz für diese Studie („COVID-19-Intensiv-Studie“) lag vor.

Die Teilnehmer*innen wurden über Convenience-Sampling für die mithilfe der Plattform SurveyMonkey [35] erstellte Onlinebefragung rekrutiert. Dafür wurde ein QR-Code bzw. ein Link über E‑Mail-Verteiler von Pflegepersonal und Ärzt*innen der Universitätsklinika Mainz und Berlin, verschiedener hessischer (Raum Frankfurt am Main) und rheinland-pfälzischer regionaler Versorgungskliniken sowie anästhesiologischer Gesellschaften (Berufsverband Deutscher Anästhesisten und Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin) und im Rettungsdienst tätigen Personals, aber auch über Verlinkung auf der Homepage des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) verbreitet. Eingeschlossen wurden Pfleger*innen, Ärzt*innen, im Rettungsdienst Tätige und weiteres Gesundheitspersonal mit potenziellem Kontakt zu COVID-19-Patient*innen (z. B. Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen). Ausschlusskriterien waren Alter unter 18 Jahren und fehlendes Einverständnis, an der Umfrage teilzunehmen.

Instrumente

Soziodemographie und Arbeitsplatz

Der eingesetzte Fragebogen beinhaltete neben soziodemographischen Informationen (z. B. Alter, Wohnort, Beruf) COVID-19-bezogene Fragen. Das Alter wurde in zwei Gruppen aufgeteilt (< 50 Jahre und ≥ 50 Jahre), da das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 bei älteren Menschen erhöht ist [29]. Die COVID-19-bezogenen Fragen umfassten Daten zur subjektiven Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe für einen schweren Verlauf von COVID-19, zum Kontakt zu Patient*innen mit bestätigter oder vermuteter COVID-19-Erkrankung, zum aktuellen Einsatzort, zur Durchführung von Risikotätigkeiten, zum Tragen von Schutzausrüstung bei Kontakt mit COVID-19-Patient*innen und zum Teststatus. Unter unregelmäßigem Tragen der Schutzausrüstung bei Kontakt wurde das Tragen der Ausrüstung während weniger als 100 % der Kontaktzeit verstanden [39]. Als Risikotätigkeiten wurden die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als solche deklarierten Tätigkeiten definiert, z. B. Face-to-face-Kontakt unter 1 m oder endotracheale Intubation [39]. Eine detaillierte Auflistung der Fragen ist im Onlinezusatzmaterial 1 zu finden.

Absentismusneigung und Berufswechselwunsch

Die Absentismusneigung und der Berufswechselwunsch wurden mit folgenden selbstentwickelten Items erhoben:

  • „Ich habe darüber nachgedacht, mich krank zu melden.“

  • „Ich habe darüber nachgedacht, den Beruf zu wechseln.“

Die Antworten wurden auf einer 5‑stufigen Likert-Skala erfasst (1: stimme gar nicht zu, 5: stimme voll und ganz zu; siehe auch Onlinezusatzmaterial 8). Um eine aktuelle Ad-hoc-Befragung zu ermöglichen, wurden diese Fragen im Vorfeld nicht pilotiert.

Mangelnde soziale Unterstützung und Wertschätzung am Arbeitsplatz

Die soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und die Wertschätzung in der Arbeit wurden negativ formuliert mit folgenden selbsterstellten Items erhoben:

  • „Ich fühle mich von meinen Vorgesetzten nicht ausreichend unterstützt.“

  • „Ich fühle mich in meiner Arbeit weniger wertgeschätzt als gewöhnlich.“

Die Antworten wurden ebenfalls auf einer 5‑stufigen Likert-Skala erfasst (1: stimme gar nicht zu, 5: stimme voll und ganz zu; siehe auch Onlinezusatzmaterial 8). Die Fragen waren im Vorfeld aus Zeitgründen nicht pilotiert worden.

Psychische Belastung und Resilienz

Die psychische Belastung wurde mittels der deutschen Versionen des General Health Questionnaire-12 (GHQ-12, [32]) sowie des Patient Health Questionnaire‑4 (PHQ‑4, [23, 25]) gemessen. Der GHQ-12 besteht aus 6 positiv und 6 negativ kodierten Fragen zu verschiedenen Bereichen psychopathologischer Symptome (z. B. „Haben Sie das Gefühl gehabt, dauernd unter Druck zu stehen?“) und dient v. a. der niederschwelligen Erfassung psychischer Belastung. Die interne Konsistenz und die Konstruktvalidität werden als sehr gut berichtet (Cronbachs α = 0,89, Korrelation mit der Subskala des Short-Form-36-Fragebogens zu psychischer Gesundheit von r = 0,80; [30]). Der PHQ‑4 ist eine Ultrakurzskala, die jeweils 2 Items zu ängstlicher und depressiver Symptomatik enthält (z. B. „Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung“). Die interne Konsistenz war in einer Validierungsstudie gut (α = 0,85), außerdem zeigte sich eine gute Konstruktvalidität mit einer Korrelation von r = 0,80 mit der Subskala des Short-Form-20-Fragebogens zu psychischer Gesundheit [23].

Im Falle des GHQ-12 wurde ein Cut-off-Wert von ≥ 11 [32], im Falle des PHQ‑4 ein Wert von ≥ 3 als Indikator für eine relevante psychische Belastung verwendet [23]. Höhere Werte indizieren eine höhere Belastung.

Als Annäherungsmaß für die subjektive Einschätzung der Resilienz wurde die aus 3 positiv und 3 negativ kodierten Items (z. B. „Ich neige dazu, mich nach schwierigen Zeiten schnell zu erholen“) bestehende deutsche Brief Resilience Scale (BRS; [10, 24]) verwendet. Die interne Konsistenz wird als gut berichtet (α = 0,85), die Konstruktvalidität als mittelmäßig bis gut (Korrelation mit der Perceived Stress Scale‑4 von r = −0,53; [24]). Ein höherer Wert zeigt eine höhere Resilienz an.

COVID-19-bezogene Sorgen und Stressoren

Zur Erhebung COVID-19-bezogener Sorgen wurde ein Fragebogen aus dem COVID-19 Snapshot Monitoring-Panel (COSMO) herangezogen [5]. Er setzt sich aus 9 Fragen (z. B. „Machen Sie sich Sorgen darüber, dass das Gesundheitssystem überlastet wird?“) zusammen. COVID-19-bezogene psychische Stressoren wurden mithilfe zweier ursprünglich in der DynaCORE-Studie [12] verwendeter Fragenkataloge ermittelt, die nach der subjektiven Belastung durch verschiedene Stresssituationen fragen. Der erste Katalog setzt sich aus 29 COVID-19-spezifischen Stressoren (z. B. „erhöhtes Risiko einer Infektion“, „Verlust sozialer Kontakte“) zusammen, der andere aus 12 allgemeinen Stressoren, die durch die Pandemie möglicherweise verschlimmert wurden (z. B. „Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten in meinem familiären, sozialen oder beruflichen Umfeld“, „finanzielle Probleme“). Die Items wurden mithilfe einer 5‑stufigen Likert-Skala von 1: gar nicht belastend bis 5: äußerst belastend eingeschätzt. Die vollständigen Fragenkataloge sind im Onlinezusatzmaterial 2 und 3 zu finden.

Resilienzfaktoren

Optimismus wurde als Einzelfrage auf einer visuellen Analogskala von 0 (gar nicht optimistisch) bis 7 (sehr optimistisch), Selbstwirksamkeit mit der Allgemeinen Selbstwirksamkeit-Kurzskala (ASKU; [3]), positives Copingverhalten der Studienteilnehmer*innen mit 9 Fragen aus dem Brief Coping Orientation to Problems Experienced (COPE) erfasst [9]. Zur Erfassung eines positiven Neubewertungsstils wurden 11 Fragen aus dem Cognitive Emotion Regulation Questionnaire (CERQ) herangezogen [13]. Darüber hinaus wurde die COVID-19-bezogene positive Neubewertung mit 2 weiteren für die DynaCORE-Studie entwickelten Fragen überprüft [12]. Die Erhebung der einzelnen Faktoren wird ausführlich im Onlinezusatzmaterial 5 beschrieben.

Endpunkte

Als Endpunkte wurden in der aktuellen Studie die psychische Belastung (GHQ-12, PHQ-4), Resilienz (BRS), Absentismusneigung und der Berufswechselwunsch (jeweils Einzelfragen) untersucht.

Vergleichsdaten

Zum Vergleich der Werte im PHQ‑4 mit der Allgemeinbevölkerung vor Beginn der COVID-19-Pandemie wurden Daten aus einer Studie von Löwe et al. aus dem Jahr 2010 [25] herangezogen. Es handelt sich um eine für die deutsche Allgemeinbevölkerung repräsentative Stichprobe (n = 5010). Bei den Vergleichsdaten für den GHQ-12 vor der Pandemie wurde eine 2016 publizierte für Deutschland bevölkerungsrepräsentative Stichprobe aus einer Studie von Romppel et al. mit 1977 Teilnehmer*innen verwendet [31]. Die Daten zum GHQ-12 in der Allgemeinbevölkerung während der ersten Pandemiewelle stammen aus der DynaCORE-Studie, die eine nichtrepräsentative Stichprobe von 15.790 Europäer*innen, zum Großteil Deutschen, untersucht hat [36]. Zum Vergleich der BRS mit präpandemischen Daten wurde die deutsche Validierungsstudie von Kunzler et al. aus dem Jahr 2018 herangezogen (n = 1128; [24]), für den Vergleich mit Daten während der ersten Pandemiewelle Werte aus der COSMO-Studie. Bei der letzteren handelt es sich um ein wöchentliches Monitoring von Wahrnehmung und Einschätzung COVID-19-bezogener Themen in einer deutschlandweiten nichtprobabilistischen Quotenstichprobe [5]. Es wurde mit den Daten von 1012 Individuen aus der 8. Erhebungswelle (21.04. bis 22.04.2020) verglichen [14].

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mithilfe von R, Version 4.0.2 [28]. Für den GHQ-12 und den PHQ‑4 wurden Summenscores berechnet und sowohl die Prävalenzen über dem jeweiligen Cut-off-Wert als auch deskriptive Statistiken (Mittelwerte [M] und Standardabweichungen [SD]) der Gesamtscores berechnet.

Gleiches galt für Fragebögen zu Stressoren, Sorgen und Resilienzfaktoren. Deskriptive Statistiken (M ± SD) auf Basis von Einzelitems wurden für Optimismus und die Bewertung der beruflichen Situation berechnet.

Zum Vergleich der aktuellen Stichprobe mit Referenzstichproben im Hinblick auf psychische Belastung, Resilienz und COVID-19-bezogene Sorgen wurden zweiseitige t‑Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt. Gruppenunterschiede wurden mithilfe ein- und mehrfaktorieller Varianzanalysen (ANOVAs) ermittelt. Bivariate Zusammenhänge zwischen soziodemographischen Faktoren, Resilienzfaktoren und Stressoren einerseits und der psychischen Belastung, Resilienz, Absentismusneigung und Berufswechselwunsch andererseits wurden mittels Korrelationsanalysen (Pearson-Korrelationen) ausgewertet. Als Maß der Effektstärke wurde entweder der Korrelationskoeffizient r, Cohen’s d (t-Tests) oder das partielle η2 (ANOVAs) berechnet.

A priori wurden 45 Hypothesen zur Änderung der psychischen Belastung (GHQ-12, PHQ-4) und zur Beeinflussung der psychischen Belastung durch die Bewertung der beruflichen Situation, soziodemographische Aspekte, pandemiespezifische Belastungen und Resilienzfaktoren spezifiziert. Um das nominelle Signifikanzniveau von 0,05 insgesamt einzuhalten, wurde das korrigierte Signifikanzniveau nach Bonferroni auf 0,001 festgelegt. Bei konfirmatorischen Tests (für GHQ-12 und PHQ-4) wird dieses Signifikanzniveau α (in Klammern) mit angegeben. Für explorative Auswertungen (bei den sekundären Endpunkten BRS, Absentismusneigung und Berufswechselwunsch) wurde das Signifikanzniveau von 0,05 beibehalten. Die sich auf diese Auswertungen beziehenden Ergebnisse sind als hypothesengenerierend zu verstehen.

Als Sensitivitätsanalyse wurde eine multiple Imputation für die Variablen GHQ-12, ASKU, BRS und Absentismusneigung durchgeführt, die mit der Methode „multiple imputation by chained equations“ mithilfe des R Pakets MICE [8] implementiert wurde. Es wurden 10 imputierte Datensätze erstellt, in denen die Variablen jeweils mittels Predictive-mean-Matchings imputiert wurden. Für die imputierten Variablen wurden die nach den Regeln von Rubin gepoolten Schätzer für Mittelwert, Streuung und Korrelation bestimmt.

Ergebnisse

Rücklauf und fehlende Daten

Von 1255 begonnenen Fragebögen wurden 650 vollständig beantwortet und in die Analyse einbezogen. Für die Teilnehmer*innen, die die Studie vorzeitig beendeten, ergab sich eine ähnliche soziodemographische Zusammensetzung wie für die Teilnehmer*innen, welche die Fragebögen vollständig bearbeiteten (siehe Onlinezusatzmaterial 4 und 5). In der multiplen Imputation für die Variablen psychische Belastung (GHQ-12), Selbstwirksamkeit (ASKU), Resilienz (BRS) und Absentismusneigung zeigten sich im Vergleich mit Referenzstichproben sowie in den Korrelationsanalysen ebenfalls keine relevanten Unterschiede zur Analyse der vollständigen Datensätze (Onlinezusatzmaterial 6 und 7), sodass auf weitere Imputationsverfahren für fehlende Daten für die übrigen Analysen verzichtet wurde.

Soziodemographie, Vorerkrankungen und Kontakt zu COVID-19-Patient*innen

Das durchschnittliche Alter der Befragten betrug 38,9 Jahre (SD 11,5 Jahre), 24,2 % der Befragten waren 50 oder mehr Jahre alt. 56,9 % der Teilnehmer*innen waren weiblich. Die Verteilung von soziodemographischen Charakteristika und Risikomerkmalen wird deskriptiv in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Stichprobencharakteristika

Der Großteil (54,5 %) der Proband*innen gab als Herkunftsbundesland Rheinland-Pfalz an. Da die Frage nach der Herkunft (Bundesland) erst zwei Tage nach dem Beginn der Befragung hinzugefügt wurde, ist bei 11,2 % der Teilnehmer*innen das Bundesland unbekannt.

Die Mehrzahl der Teilnehmer*innen war von Beruf Pflegefachkraft und Ärzt*in, und zwar vor allem aus konservativen Fachrichtungen wie der inneren Medizin oder Neurologie. Die meisten Teilnehmer*innen arbeiteten an einer Universitätsklinik, etwa ein Viertel arbeitete hauptsächlich in der präklinischen Notfallmedizin. Bei 12 % der Befragten war in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden und 13,8 % gaben an, sich einer Risikogruppe für einen schweren Verlauf im Falle einer COVID-19-Erkrankung zugehörig zu fühlen. Über ein Fünftel der Teilnehmer*innen hatten in der vorangegangenen Woche auf einer Intensivstation gearbeitet. Etwa ein Drittel der Teilnehmer*innen hatten Patient*innen behandelt, bei denen eine gesicherte COVID-19-Erkrankung vorlag, und knapp ein weiteres Drittel berichtete, Verdachtsfällen ausgesetzt gewesen zu sein. Von den Teilnehmer*innen, die einen Kontakt zu Verdachtspatient*innen oder bestätigten Patient*innen berichteten, hatten dabei knapp zwei Drittel die empfohlene Schutzausrüstung während der gesamten Kontaktzeit getragen. Mehr als die Hälfte aller Befragten hatte eine mit einem besonders hohen Risiko behaftete Tätigkeit an Verdachtspatient*innen oder bestätigten COVID-19-Patient*innen ausgeübt.

Absentismusneigung, Berufswechselwunsch

Im Hinblick auf die berufliche Situation gaben 14,7 % der Teilnehmer*innen an, über eine Krankmeldung nachgedacht zu haben, 10,9 % erwogen einen Berufswechsel. Außerhalb der primären Studienziele zeigte sich auf Basis institutioneller Daten, die für ein Zentrum verfügbar waren (ca. ein Drittel der Stichprobe), dass die durch Krankheitsausfall verlorenen Arbeitsstunden im März/April 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2019 um 21 % gestiegen waren. Dieser Anstieg wurde in den meisten Fällen nicht durch Quarantänemaßnahmen oder COVID-19-Erkrankungen verursacht.

Psychische Belastung, subjektive Einschätzung der Resilienz

Den Grenzwert für eine erhöhte psychische Belastung überschritten 47,1 % (n = 306, GHQ-12) bzw. 36,2 % (n = 235, PHQ-4) der Teilnehmer*innen. Im Vergleich zu Normdaten der deutschen Allgemeinbevölkerung vor der Pandemie (Referenzdaten zu deutschem Gesundheitspersonal waren nicht verfügbar) ergab sich eine erhöhte Belastung (GHQ-12: MW ± SD = 12,2 ± 5,6 vs. 9,7 ± 4,9; p < 0,001 [α 0,001]; d = 0,42; [30]) und eine erhöhte Neigung zu depressiver und ängstlicher Symptomatik (PHQ-4: MW ± SD = 2,38 ± 2,69 vs. 1,76 ± 2,06; p < 0,001 [α 0,001]; d = 0,30; [25]). Bei Vergleich der Werte im GHQ-12 mit der europäischen Allgemeinbevölkerung während der ersten Pandemiewelle zeigte sich eine geringere Belastung (12,2 ± 5,6 vs. 15,5 ± 6,2; p < 0,001 [α 0,001]; d = 0,53; [36]).

Die Resilienz wurde subjektiv höher als in der Allgemeinbevölkerung vor und während der Pandemie eingeschätzt (BRS: 3,67 ± 0,76 vs. 3,49 ± 0,84, p < 0,01; d = 0,23; [10, 14]).

Identifizierung von Risikofaktoren für psychische Belastung

Soziodemographische Faktoren

Einen Überblick über Gruppenunterschiede für soziodemographische Parameter gibt Tab. 2. Vor allem weibliches Geschlecht, psychische Vorerkrankungen, aber auch (wenngleich mit niedrigerer Effektstärke) die subjektive Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und unregelmäßiges Tragen der Schutzausrüstung (nur GHQ-12) waren mit einer erhöhten psychischen Belastung (GHQ-12 und PHQ-4) assoziiert.

Tab. 2 Gruppenunterschiede für psychische Belastung

Die Teilnehmer*innen, die Kontakt zu vermuteten oder bestätigten COVID-19-Patient*innen hatten, waren nicht mehr belastet als diejenigen, die nicht direkt mit solchen Patient*innen gearbeitet hatten.

Psychologische Faktoren

COVID-19-bezogene spezifische Stressoren und Stressfaktoren, die sich unter der aktuellen Pandemie möglicherweise verschlimmert haben, zeigten sowohl eine mittlere Korrelation mit dem GHQ-12 als auch mit dem PHQ‑4 (Tab. 3). Sorgen um das Virus waren ebenfalls deutlich mit psychischer Belastung assoziiert (Tab. 2).

Tab. 3 Korrelationen von psychischer Belastung, Resilienz, Absentismusneigung und Berufswechselwunsch

Identifizierung von Schutzfaktoren für psychische Belastung

Psychologische Faktoren

Selbstwirksamkeit zeigte eine mittlere Korrelation (r = −0,4) mit geringerer psychischer Belastung (GHQ-12 und PHQ-4). Außerdem zeigte sich eine geringere Belastung bei Befragten, die zu positiven Bewältigungsstrategien (z. B. offen ihre Gefühle zu zeigen) neigten, optimistisch waren und einen positiven Neubewertungsstil (nur GHQ-12) bezüglich der COVID-19-Pandemie berichteten (Tab. 2 und 3).

Identifizierung von Einflussfaktoren für die Absentismusneigung und Berufswechselwunsch

Es zeigte sich eine mittlere Korrelation zwischen psychischer Belastung und der Absentismusneigung bzw. dem Berufswechselwunsch. Ebenso waren COVID-19-bezogene Stressoren und Sorgen, psychische Vorerkrankungen, das Ausführen von Risikotätigkeiten sowie unregelmäßiges Tragen der persönlichen Schutzausrüstung mit Absentismusneigung und dem Berufswechselwunsch assoziiert. Die subjektive Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe war mit einer höheren Absentismusneigung assoziiert. Befragte, die ihre Resilienz subjektiv hoch einschätzten, ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit berichteten sowie mehr Wertschätzung in ihrer Arbeit und Unterstützung durch den Vorgesetzten erfuhren, hatten eine geringere Neigung zu Absentismus und Berufswechsel (Tab. 3 und 4).

Tab. 4 Gruppenunterschiede für Absentismusneigung und Berufswechselwunsch

Weitere im Text nicht berichtete Ergebnisse werden im Onlinezusatzmaterial 9 dargestellt.

Diskussion

Die vorliegende Arbeit berichtet Daten zu psychologischen Effekten in einer nichtrepräsentativen Stichprobe von Mitarbeitenden an Krankenhäusern und im Rettungsdienst während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie in Deutschland. Beschäftigte im Gesundheitswesen wiesen im Vergleich zu Referenzdaten der deutschen Allgemeinbevölkerung vor der Pandemie eine höhere psychische Belastung auf. Im Vergleich zur europäischen Allgemeinbevölkerung während der Pandemie zeigte sich jedoch eine geringere psychische Belastung. Gründe dafür könnten neben der etwas höheren Resilienz eine auch unabhängig von der COVID-19-Pandemie hohe Arbeitsbelastung im Gesundheitsbereich und die verglichen mit vielen anderen Berufen unproblematischere Weiterführung der Alltagsroutine sein.

Allgemeine Stressoren werden durch die COVID-19-Pandemie verschärft

Nichtsdestotrotz überschritt ein erheblicher Anteil (36 % bzw. 47 %) der Befragten in der aktuellen Studie die Grenzwerte des PHQ‑4 bzw. des GHQ-12 als Hinweise für eine erhöhte psychische Belastung und das Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen. Diese vergleichsweise schlechte psychische Verfassung war einerseits stark mit COVID-19-bezogenen Stressoren und Sorgen assoziiert, andererseits mit allgemeinen Stressoren wie beruflichen oder familiären Konflikten, die durch die COVID-19-Pandemie verschärft wurden. Das deutet darauf hin, dass auch COVID-19-unabhängige Faktoren wie Personalengpässe und finanzielle Probleme eine Rolle bei den aktuellen Belastungen spielen könnten. Dass Frauen – konsistent mit der bisherigen Evidenzlage [26, 37] – stärker betroffen sind, könnte mit der pandemiebedingten Verschärfung von Konflikten zwischen Arbeit und Familie zusammenhängen, die Frauen in höherem Maße als Männer erleben [7].

Überraschenderweise unterschied sich die psychische Belastung bei Teilnehmer*innen, die bestätigten oder vermuteten COVID-19-Fällen ausgesetzt waren, nicht von denjenigen, die nicht direkt mit solchen Patient*innen gearbeitet hatten. Dieser Befund könnte auf die Bedeutung der wahrgenommenen Belastung im Gegensatz zur tatsächlichen Exposition hinweisen. Das Ergebnis steht in Kontrast zu bisherigen Übersichtsarbeiten zu Studien aus dem Frühjahr 2020, die den direkten Kontakt zu COVID-19-Patient*innen als Risikofaktor identifizierten [22, 37].

Alarmierend war, dass die psychische Belastung mit einer Absentismusneigung korrelierte. Über einen kausalen Zusammenhang kann hierbei allerdings keine Aussage getroffen werden. Die verfügbaren institutionellen Daten deuten jedoch zumindest für den Arbeitsplatz eines Teils der Befragten darauf hin, dass das krankheitsbedingte Fehlen unabhängig von COVID-19-Infektionen im entsprechenden Zeitraum zugenommen hat. Neben der psychischen Belastung könnten dabei möglicherweise aber auch andere Faktoren eine Rolle spielen, etwa die individuellen Änderungen der Arbeitsbedingungen und damit assoziierte Probleme.

Selbstwirksamkeit und Optimismus sind die relevantesten Schutzfaktoren

In Übereinstimmung mit den WHO-Empfehlungen, welche die Rolle der wahrgenommenen Wertschätzung und der Unterstützung durch Führungspersonal betonen [40], fanden wir, dass beide beruflichen Faktoren mit einer geringeren psychischen Belastung (GHQ-12) sowie einer geringeren Absentismusneigung verbunden waren. Zudem ging eine höhere Resilienz mit geringerer Absentismusneigung einher. Konsistent mit früheren Forschungsergebnissen [4, 36] erwiesen sich Selbstwirksamkeit und Optimismus als die relevantesten Schutzfaktoren.

Limitationen der vorliegenden Arbeit, die mögliche Schlussfolgerungen einschränken können, umfassen neben der fehlenden Repräsentativität wegen Convenience-Samplings und dem querschnittlichen Studiendesign die Erfassung der Absentismusneigung und des Berufswechselwunsches mit nichtpilotierten Einzelitems. Sozial erwünschtes Antworten könnte zu einer Verzerrung mit Unterschätzung der tatsächlichen Absentismusneigung und des tatsächlichen Berufswechselwunsches geführt haben. Zudem liegen zu den tatsächlichen Fehlzeiten lediglich institutionelle Daten vor, die nicht ohne Weiteres auf die Stichprobe übertragbar sind, da sie nicht über alle Studienteilnehmer*innen hinweg als Teil der Befragung erhoben wurden.

Zur Identifikation besonders vulnerabler Gruppen unter Gesundheitspersonal und zur frühzeitigen Prävention psychischer Erkrankungen sowie damit assoziierter Krankmeldungen erscheinen Longitudinalstudien erforderlich, welche potenzielle Änderungen in der psychischen Belastung bei Gesundheitsfachkräften niederschwellig erfassen. Resilienzfördernde Interventionen für besonders vulnerable Gruppen könnten angesichts der oben erwähnten Befunde zu Selbstwirksamkeit und Optimismus insbesondere auf diese Faktoren abzielen. Gesundheitsfachkräften sollten ebenfalls niederschwellig Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit gemacht werden. Derartige Interventionen könnten beispielsweise Balintgruppen zur Stärkung der Selbstwirksamkeit (vgl. Yang et al. [42]), die Einrichtung von Räumen zur Entspannung (vgl. Putrino et al. [27]) beinhalten. Erste Forschungsvorhaben zum Monitoring psychischer Gesundheit, zur Evaluation bisheriger und Planung zukünftiger Unterstützungsangebote für belastetes Gesundheitspersonal werden aktuell im Rahmen des Projektes egePan Unimed „Entwicklung, Testung und Implementierung von regional adaptiven Versorgungsstrukturen und Prozessen für ein evidenzgeleitetes Pandemiemanagement koordiniert durch die Universitätsmedizin“, eines Teilprojektes des nationalen Forschungsnetzwerkes der Universitätsmedizin, umgesetzt.

Fazit für die Praxis

  • Ein Drittel bis die Hälfte der Gesundheitsfachkräfte zeigt eine bedeutsame psychische Belastung, die mit Stressoren durch COVID-19 assoziiert ist.

  • In der ersten Welle der COVID-19-Pandemie war die psychische Belastung jedoch nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung.

  • Psychische Belastung ist mit höherer Absentismusneigung assoziiert, wodurch Personalmangel kritisch verschärft werden könnte.

  • Wertschätzung in der Arbeit und Unterstützung durch Führungspersonal gehen mit geringerer Absentismusneigung einher.

  • Besonders belastete Gruppen sollten möglichst früh identifiziert werden und Interventionsangebote erhalten, die auf Ressourcen wie Selbstwirksamkeit und Optimismus abzielen.