Fall 1
Ein 62-jähriger Deutschlehrer stellte sich mit einer seit drei Tagen bestehenden Gangstörung vor, aufgrund derer er nicht mehr habe Treppen steigen können, da er mit seinen Füßen an den Stufen hängengeblieben sei. Zusätzlich sei ihm eine Wortfindungsstörung sowohl für seine Muttersprache als auch für die deutsche Sprache aufgefallen, die er in der Jugend erlernt hatte und für die er eigenanamnestisch keine prämorbiden Auffälligkeiten zeigte. Die Schwierigkeiten habe er v. a. beim Verfassen von E‑Mails bemerkt. In der durchgeführten cMRT zeigte sich ein lakunärer Infarkt in der linken Capsula externa, der das externe Pallidumsegment tangierte und sich bis in das frontale Marklager erstreckte (Abb. 4, Patient 1).
In der logopädischen Untersuchung zeigten sich Defizite des Sprachverständnisses bei der Verarbeitung komplexer Syntax. Die spontane Sprachflüssigkeit war vermindert mit einer vereinfachten Satzstruktur, ohne dass grammatikalische Fehler auftraten. Dies zeigte sich auch beim Benennen, wohingegen das Benennen auf Wortebene regelrecht war. Das Nachsprechen sowie die Schriftsprache stellten sich zum Untersuchungszeitpunkt unauffällig dar (Tab. 1). Eine Sprechapraxie oder Dysarthrie bestand nicht. Bei Durchführung des AAT hatte schon eine beginnende Rekonstitution eingesetzt, die Punktwerte (Prozentränge) ergaben: Token-Test 0 (99), Nachsprechen 148 (97), Schriftsprache 90 (100), Benennen 110 (94), Sprachverständnis 106 (93).
Tab. 1 Charakterisierung der Sprachstörungen der aphasischen Patienten Fall 2
Eine 80-jährige Patientin stellte sich aufgrund einer seit dem Vortag bemerkten Verlangsamung der Sprachproduktion vor. In der erweiterten Anamnese wurden vorbestehende sprachliche oder anderweitige kognitive Defizite seitens des Ehemanns verneint. MR-tomographisch fand sich eine Diffusionsrestriktion in der linken Capsula externa, die in das frontale periventrikuläre Marklager reichte und dort das Corpus nuclei caudati erreichte (Abb. 4, Patientin 2).
In der logopädischen Untersuchung zeigte sich ein reduziertes auditives Sprachverständnis auf Wort- und Satzebene mit im Vordergrund stehenden semantischen Fehlern. Die Spontansprache war durch einen stockenden Redefluss mit Wortfindungsstörungen und Interjektionen sowie durch Suchverhalten, mit aber letztlich erfolgreichem Wortabruf, geprägt. Die Spontansprache war syntaktisch vereinfacht, jedoch ohne grammatikalische Fehler. Das Benennen auf Wortebene zeigte syntagmatische Paraphasien (Wortumschreibungen wie z. B. „Behälter für Briefe“ anstatt „Briefkasten“) und den Gebrauch von Floskeln; auch auf Satzebene war das Benennen von Aktionen gestört. Das Nachsprechen war erst auf Satzebene beeinträchtigt, wobei es vorwiegend zu Auslassungen von Satzteilen kam. Die Schriftsprache war leichtgradig eingeschränkt mit vereinzelten Paragraphien (Buchstabenverwechslungen; Tab. 1). Eine Sprechapraxie oder Dysarthrie lag nicht vor. Der AAT mit Punktwerten (Prozenträngen) fiel wie folgt aus: Token-Test 9 (83), Nachsprechen 139 (84), Schriftsprache 81 (90), Benennen 95 (72), Sprachverständnis 97 (79). Nebenbefundlich ergaben sich in einer neuropsychologischen Kurztestung Hinweise auf kognitive Defizite (Mini Mental State 23/30, Demtect 4/18 Punkten), welche fremdanamnestisch nicht vorbekannt gewesen seien.
Fall 3
Eine 64-jährige Patientin stellte sich vor, da sie sowohl undeutlich als auch stockend sprechen würde. Zusätzlich sei ihr ein Schweregefühl des rechten Armes aufgefallen. Die Symptome hätten zwei Tage vor der Vorstellung begonnen. In der durchgeführten cMRT konnte ein linksseitiger lakunärer Infarkt mit Beteiligung des kaudalen Putamens und Ausbreitung in die Capsula externa nachgewiesen werden (Abb. 4, Patientin 3).
In der logopädischen Untersuchung zeigte sich das Sprachverständnis auf Satzebene geringgradig eingeschränkt. Darüber hinaus ließ sich neben einer paretischen Dysarthrie eine nichtflüssige Spontansprache mit vereinfachter Syntax ohne grammatikalische Fehler mit leichten Wortfindungsstörungen und Interjektionen, schlussendlich aber korrektem Wortabruf, abgrenzen. Beim Benennen waren die Sätze vereinfacht und inhaltlich ungenau, das Benennen auf Wortebene war hingegen unauffällig. Das Nachsprechen zeigte keine Einschränkungen. Die Schriftsprache war nur unmittelbar bei Aufnahme mit einzelnen Buchstabenverwechslungen auffällig (Tab. 1). Im AAT ließen sich folgende Punktwerte (Prozentränge) nachweisen: Token-Test 0 (99), Nachsprechen 149 (99) Schriftsprache 90 (100), Benennen 110 (94), Sprachverständnis 112 (98).
Nichtaphasischer Kontrollpatient (Fall 4)
Ein 51-jähriger Patient bemerkte am Morgen des Vorstellungstages nach dem Erwachen eine leichtgradige Hemiparese rechts sowie eine milde Dysarthrie. Beim Eintreffen zeigte sich die Symptomatik bereits zunehmend rückläufig. Logopädisch wurde eine Aphasie oder Sprechapraxie ausgeschlossen. In der cMRT zeigte sich ein linksseitiger, subakuter Infarkt im kraniodorsal der Capsula interna gelegenen Marklager mit Angrenzung an das dorsale Putamen (Abb. 4, Patient 4).
Zusammenfassend
zeigte sich in der logopädischen Untersuchung in den ersten drei Fällen eine leicht- bis mäßiggradige nichtflüssige Aphasie mit vereinfachter Syntax in der Spontansprache und beim Benennen sowie eine Verständnisstörung für komplexe Syntax (Tab. 1). Inkonstant fanden sich Probleme beim Nachsprechen und eine Dysarthrie.
Bildmorphologisch zeigte sich in allen drei Fällen eine weit lateral gelegene Lakune mit Beteiligung der linken Capsula externa und Ausbreitung bis in das periventrikuläre frontale Marklager. Die Lakune des nichtaphasischen Kontrollpatienten lag im Vergleich zu den Lakunen der aphasischen Patienten weiter ventrokaudal (Abb. 1 und 4), wobei die Lakune der Patientin 3 die größte Schnittmenge mit der Lakune des nichtaphasischen Kontrollpatienten aufwies.
Die Fasertraktographie in den Gehirnen zweier gesunder Probanden, ausgehend von den Orten der Lakunen der drei aphasischen Patienten und der Lakune des Kontrollpatienten, zeigte bei allen Patienten eine Betroffenheit des linken Fasciculus longitudinalis superior sowie bei den aphasischen Patienten eine deutliche Beteiligung des linken Fasciculus arcuatus (Abb. 2). Zusätzlich fand sich bei den aphasischen Patienten eine Affektion des frontostriatalen Trakts und des frontalen Aslant-Trakts. Transkallosale sowie weiter absteigende Fasern in die Capsula interna waren vereinzelt nachweisbar, ohne ein konsistentes Muster zu zeigen (Abb. 2). Mittels probabilistischer Fasertraktographie fanden sich bei den aphasischen Patienten kortikale Projektionen im Bereich des temporalen Kortex sowie des Gyrus frontalis inferior mit hauptsächlicher Projektion in die Pars triangularis und opercularis (Abb. 3a, b). Bei dem nichtaphasischen Patienten projizierten die verfolgbaren Fasern entsprechend der Zielregionen des Fasciculus longitudinalis superior in den präfrontalen und parietalen Kortex sowie in den Gyrus praecentralis (Abb. 3a, b). Fasern aus dem Teil der Lakune von Patientin 3, der der Lakune des nichtaphasischen Patienten am nächsten gelegen, jedoch nicht überlappend war, projizierten in die Pars triangularis und opercularis des inferioren frontalen Gyrus und in die anteriore Insel (Abb. 3c, d).