Hintergrund

Das DGPPN-Positionspapier zum Umgang mit Religiosität (R) und Spiritualität (Sp) in Psychiatrie und Psychotherapie [29] formuliert Anforderungen und Grenzen hinsichtlich der Einbeziehung religiös(r)-spiritueller(sp) Elemente in die Behandlung. Mangelnde Kenntnisse und fehlende spirituelle Kompetenz (SpK) werden immer wieder als Hindernisse genannt, die der Implementierung von Spiritual Care (SpC) im Wege stehen [1,2,3, 20, 30]. Die Positionspapiere der DGPPN [29] und der WPA [18] machen deutlich, dass in der aktuellen psychiatrischen Fort- und Weiterbildung die Wissensvermittlung bezüglich R/S und deren Auswirkungen auf das Erleben psychisch kranker Menschen zu wenig berücksichtigt werden.

Curlin und Kollegen [8] stellten bei US-amerikanischen Psychiatern (Rücklaufquote 63 %) fest, dass sich diese im Vergleich zu anderen medizinischen Fachgruppen seltener als r bezeichnen, sie schilderten aber in der Behandlung von Patienten sowohl häufiger Spontanberichte als auch die eigene proaktive Exploration dieses Erlebnisbereiches. Eine Befragung aller erreichbaren niedergelassenen Psychotherapeuten im nordbayerischen Raum (n = 1081, Rücklaufquote 65 %; [17]) zeigte, dass ca. zwei Drittel der Therapeuten R für ein wichtiges Thema in der Psychotherapie halten, aber nur ca. ein Fünftel routinemäßig eine sp Anamnese erhebt. Eine solche sp Kurzanamnese ist insbesondere im US-amerikanischen Raum in vielen Bereichen etabliert [24] und wird zunehmend auch im deutschsprachigen Raum praktiziert [12]. Die eigene Nähe zur R korreliert positiv mit der Tendenz, die Kurzanamnese in die Therapie einzubinden. Bei ca. einem Drittel der Therapeuten besitzt R einen wichtigen Stellenwert innerhalb der eigenen Weltanschauung („personal bias“; [17]).

Freund und Kollegen [11] befragten psychiatrische Weiterbildungsermächtigte in Deutschland. Insgesamt bezeichneten sich 60 % der antwortenden Weiterbildungsermächtigten selbst als r und/oder sp. Der Großteil der Befragten misst der Integration von sp Fragestellungen in die Facharztweiterbildung eine hohe Bedeutung bei. Eine Signalwirkung kommt der Richtlinie des österreichischen Gesundheitsministeriums zu [15], die eindringlich vor der Gefahr des Missbrauchs sp Methoden in der Psychotherapie warnt.

Ein aktueller Handbuchbeitrag [21] beklagt den psychiatrischen Nachholbedarf im Vergleich zu SpC innerhalb der Palliativmedizin; es existiere noch immer kein Konsens über psychiatrische SpC-Kernkompetenzen. Stattdessen werde versucht, r/sp Patientenbelange an die Seelsorge zu delegieren.

Die aktuelle Studie erfragt erstmals im deutschen Sprachraum sowohl einzelne Bereiche der selbsteingeschätzten Spiritual-Care-Kompetenz (SpCK) aller psychiatrisch-psychotherapeutischen Berufsgruppen als auch das globale Urteil dieser Experten bezüglich der SpK ihrer Berufsgruppe. Mittels eines standardisierten und validierten Befragungsinstrumentes werden die folgenden Forschungsfragen bearbeitet:

  1. 1.

    Wie schätzen Psychiater und andere an der psychiatrischen Akutversorgung beteiligte Berufsgruppen ihre Zuständigkeit bzw. Nichtzuständigkeit für SpC ein?

  2. 2.

    Von welchen Variablen wird die Einschätzung fehlender Zuständigkeiten für SpC beeinflusst?

  3. 3.

    Wie unterscheiden sich die Berufsgruppen hinsichtlich der Gründe, die der Umsetzung von SpC im Wege stehen?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Probanden und Rekrutierung

Rekrutierung

Psychiatrisch-psychotherapeutisch Tätige im Isar-Amper-Klinikum München (Rücklaufquote ca. 31 %), im Landesklinikum Mauer (39 %) und in drei Kliniken des Trägers Gesundheitswelt Chiemgau (60 %) wurden persönlich kontaktiert. Interessierte erhielten den Fragebogen in Papierform und wurden in der Folge einmal erinnert. Alle Teilnehmenden erklärten ihre Bereitschaft zur anonymisierten Verwendung der Daten.

Soziodemographische und berufsbezogene Daten

Alle Probanden wurden nach ihrem Geschlecht, Alter, Familienstand, Religionszugehörigkeit sowie nach Merkmalen ihrer beruflichen Tätigkeit gefragt. Außerdem konnten sie sich äußern, ob sie sich als aktiv gläubige Person bezeichnen würden (4-stufige Zustimmungsskala: ja, unbedingt; ja, etwas; eher nein; nein, gar nicht) oder wie häufig sie beten oder meditieren (regelmäßig; hin und wieder; eher selten; gar nicht).

SpC-Kompetenzen

Zur Beurteilung der selbsteingeschätzten SpCK wurde der Spiritual Care Competence Questionnaire (SCCQ) verwendet [13]. Dieser nutzt 26 Items und differenziert 7 Dimensionen (Cronbachs α 0,73–0,86):

  1. 1.

    Wahrnehmungs-K (z. B. Bedürfnisse der Angehörigen oder Patienten wahrnehmen),

  2. 2.

    Team-Spirit (z. B. Austausch im Team über das Thema oder eigene Sp),

  3. 3.

    Dokumentations-K (z. B. Kenntnis von Instrumenten zur Erfassung sp Bedürfnisse, Fähigkeit zur nachvollziehbaren Dokumentation),

  4. 4.

    Selbsterfahrung und proaktive Öffnung (z. B. Vertiefung eigener Sp, Zuwendung zu Patienten, um deren sp Bedürfnisse anzusprechen),

  5. 5.

    Wissen über andere Religionen (z. B. Kenntnisse zu Besonderheiten verschiedener Religionsgemeinschaften und deren Berücksichtigung),

  6. 6.

    Gesprächsführungs-K (z. B. offenes Gespräch über existenzielle oder religiöse Themen führen können),

  7. 7.

    proaktive Empowerment-K (z. B. Ermöglichung der Teilnahme an r Feiern, geeigneter Rahmen für sp Gespräche).

Umsetzungshindernisse für SpC wurden mit 4 zusätzlichen Items erfasst (Cronbachs α 0,72: Ich weiß zu wenig über R/Sp, um mich kompetent einbringen zu können; keine Zeit für r/sp Themen; kein geeigneter Raum vorhanden, um geschützt über r/sp Themen zu sprechen; empfinde mich für r/sp Themen als nicht zuständig). Für die Zustimmung bzw. Ablehnung der entsprechenden Aussagen des SCCQ wurde eine 4‑stufige Skalierung gewählt (0 – stimmt nicht; 1 – stimmt kaum; 2 – stimmt eher; 3 – stimmt genau).

Statistische Analysen

Die deskriptive, Varianz, Korrelations- (Spearman ρ) und stufenweise Regressionsanalysen wurde mit dem Programm SPSS in der Version 23.0 durchgeführt. Es wurde ein Signifikanzniveau von <0,01 gewählt. Für die Korrelationsanalysen wurde eine Korrelationskoeffizient r > 0,5 als starke Korrelation angesehen, r zwischen 0,3 und 0,5 als moderate Korrelation, r zwischen 0,2 und 0,3 als schwache Korrelation und r < 0,2 als keine oder vernachlässigbare Korrelation.

Ergebnisse

Beschreibung der teilnehmenden Personengruppe

Es konnten Datensätze von 647 Personen ausgewertet werden: 12 % Ärzte, 60 % Pflegende, 18 % andere (Therapeuten, Psychologen). Diese Berufsgruppen unterscheiden sich signifikant sowohl in Bezug auf Alter und Geschlecht, Arbeitszeit und Berufstätigkeit als auch bezüglich der Religionszugehörigkeit und der Häufigkeit r Praxis (Tab. 1). Im Schnitt haben 33 % keinerlei Religionszugehörigkeit, der Anteil der Katholiken ist bei den Ärzten deutlich geringer und der Anteil der Protestanten etwas höher; die Hälfte der untersuchten Personen bezeichnet sich als „gläubig“.

Tab. 1 Soziodemographische und berufsbezogene Daten der psychiatrisch tätigen Personen

Empfundene Zuständigkeit für SpC

In der Gesamtgruppe stimmen 27,5 % nicht zu, eine besondere SpK zu haben, 37,0 % stimmen kaum zu, 29,0 % stimmen eher zu und 6,5 % stimmen genau zu. Der verneinenden Aussage, dass ihre Berufsgruppe nicht für SpC zuständig sei, wurde in der Gesamtgruppe zumeist nicht zugestimmt: 37,0 % stimmten nicht zu, 27,7 % stimmen kaum zu, 22,3 % stimmen eher zu und 13,0 % stimmen genau zu.

Es zeigte sich ein Trend für besonders geringe Zustimmung bei den Ärzten, dass sie eine besondere SpK hätten (Tab. 2).

Tab. 2 Zugeschriebene SpK/Zuständigkeit in den Berufsgruppen (Zustimmungsscores 0–3)

Für beide Aussagen gab es altersassoziierte Unterschiede: Mit zunehmendem Alter wurde eine besondere SpK gesehen bzw. wurde die Nichtzuständigkeit verneint (Tab. 2). Geschlechtsassoziierte Unterschiede ließen sich nicht finden (nicht dargestellt).

Personen, die häufiger beten oder meditieren, zeigen eine etwas höhere Zustimmung, eine besondere SpK zu haben als Personen, die dies nicht oder nur selten tun würden. Die Nichtzuständigkeit wird signifikant eher von den nicht bzw. wenig betenden oder meditierenden Personen benannt als von den „religiöseren“ Personen (Tab. 2).

SpC-Kompetenzen der Berufsgruppen

Die selbsteingeschätzten SpCK zeigen deutliche Ausprägungsunterschiede (Tab. 1). Die Gesprächsführungs-K wird als hoch eingeschätzt (besonders von Ärzten, signifikant geringer von Pflegenden), ebenso die Wahrnehmungs-K (signifikant geringer bei Pflegenden) und Empowerment-K (mit geringen Unterschieden zwischen den Berufsgruppen). Deutlich geringe K-Zuschreibungen finden sich für Selbsterfahrung und Öffnung (signifikant höher bei den anderen Berufsgruppen und gering bei den Pflegenden), Team-Spirit (ohne signifikante Unterschiede zwischen den Berufsgruppen) und besonders gering für Dokumentations-K (besonders gering bei Ärzten und anderen Berufsgruppen).

Signifikante geschlechtsassoziierte Unterschiede lassen sich nicht finden (nicht dargestellt). Mit zunehmendem Alter steigen K im Bereich Selbsterfahrung und Öffnung (F = 13,5; p < 0,0001), Empowerment-K (F = 6,1; p < 0,0001) und das Wissen über andere Religionen (F = 4,0; p = 0,008) an.

Die Einschätzung als gläubiger bzw. wenig/nichtgläubiger Mensch ist mit unterschiedlich hoch ausgeprägten SpCK assoziiert: Selbsterfahrung und Öffnung (F = 109,9; p < 0,0001) und Wahrnehmungs-K (F = 13,3; p < 0,0001) sind bei Gläubigen deutlich stärker ausgeprägt, etwas weniger ausgeprägt auch Empowerment-K (F = 4,6; p = 0,033), Gesprächsführungs-K (F = 4,5; p = 0,034) und Dokumentations-K (F = 4,2; p = 0,041), während die Umsetzungshindernisse (F = 10,3; p = 0,001) bei den Wenig‑/Nichtgläubigen signifikant größer waren. Lediglich für Team-Spirit und Wissen über andere Religionen zeigen sich keine Gruppenunterschiede.

Empfundene Zuständigkeit für SpC und Einflussvariablen

Wie hängt die empfundene Zuständigkeit bzw. Nichtzuständigkeit mit den SpCK und berufsbezogenen Variablen zusammen? In Korrelationsanalysen ergibt sich kein signifikanter Zusammenhang mit Berufsjahren, Arbeitszeit oder beruflicher Zufriedenheit (r < 0,12). Die selbsteingeschätzte „besondere SpK“ der Berufsgruppe ist moderat assoziiert mit Wahrnehmungs-K, Team-Spirit und Selbsterfahrung und Öffnung (r > 0,30, p < 0,0001); die Nichtzuständigkeit hat einen moderaten Zusammenhang mit Umsetzungshindernissen (r = 0,49; p < 0,0001) sowie moderat invers mit Selbsterfahrung und Öffnung (r = −0,412, p < 0,0001).

Die Bedeutsamkeit dieser assoziierten Variablen wird mithilfe einer Regressionsanalyse ausgewertet (Tab. 3). Für die besondere SpK sind 4 SpCK als Prädiktoren bedeutsam (21 % Varianzerklärung), wobei Selbsterfahrung/Öffnung alleine bereits 13 % der Varianz erklärt. Für die Nichtzuständigkeit sind Umsetzungshindernisse und Selbsterfahrung/Öffnung signifikante Prädiktoren, die 28 % der Varianz erklären (Umsetzungshindernisse bereits 24 %). In keinem der Regressionsmodelle waren die Alterskohorte oder die Häufigkeit von Gebet/Meditation von signifikanter Bedeutung.

Tab. 3 Prädiktoren der empfundenen besonderen SpK bzw. der Nichtzuständigkeit (schrittweise Regressionsanalysen)

Umsetzungshindernisse für SpC

Nach Hinderungsgründen gefragt, stimmen die meisten Befragten eher wenig zu (Tab. 4), was für Professionalität und Offenheit angesichts eines ungewohnten Themenbereiches spricht. Das Thema zu wechseln, wenn Patienten auf r Themen zu sprechen kommen, findet keinerlei Zustimmung. Mangelnde Zeit, um sp Themen mit Patienten anzusprechen, findet eine gewisse Zustimmung, ebenso der Wunsch, mehr Zeit zu haben, um mit Patienten über deren sp Bedürfnisse zu sprechen. Keine geeigneten Räumlichkeiten als Hinderungsgrund wurden signifikant eher von Pflegenden angegeben. Ein zu geringes Wissen oder keine Zuständigkeit für den Themenbereich hatte eher eine Bedeutung. Die fehlende Zuständigkeit wurde signifikant häufiger von den Pflegenden bejaht. Die abwehrende Aussage, nicht alles lösen zu können, spielt keine große Bedeutung im Kollektiv, fand aber signifikant eher bei den Ärzten Zustimmung.

Tab. 4 Umsetzungshindernisse: Was steht der Thematisierung sp Themen im Wege?

Diskussion

Die in der Einleitung formulierten Forschungsfragen können wir folgendermaßen beantworten:

  1. 1.

    Eine besondere Zuständigkeit für SpC wird eher nicht gesehen (etwas weniger von Ärzten), aber eben auch nicht eine besondere Nichtzuständigkeit. Hier drückt sich eine deutliche Zurückhaltung und Unsicherheit zur eigenen Positionierung aus. Eine „professionelle Neutralität“ ist auch bei US-amerikanischen Allgemeinmedizinern belegbar [7].

  2. 2.

    Für die Einschätzung einer besonderen SpK der eigenen Berufsgruppe sind Selbsterfahrung und proaktive Öffnung der beste Prädiktor, während die Nichtzuständigkeit besonders mit Umsetzungshemmnisses begründet wird, also eine eher abwehrende Haltung den r/sp Themen gegenüber. Hier spielt also die eigene (ablehnende) Grundhaltung eine bedeutende Rolle.

  3. 3.

    Für die Einschätzung einer besonderen SpK der eigenen Berufsgruppe ist Selbsterfahrung/proaktive Öffnung der beste Prädiktor, während die Nichtzuständigkeit besonders mit Umsetzungshemmnissen begründet wird, also eine eher abwehrende Haltung den r/sp Themen gegenüber widerspiegelt. Hier spielt also die eigene (ablehnende) Grundhaltung eine bedeutende Rolle. Die einzelnen SpCK sind unterschiedlich stark ausgeprägt und zeigen signifikante Unterschiede zwischen den in der Psychiatrie beschäftigen Berufsgruppen. Innerhalb der SpCK sind insbesondere Selbsterfahrung/Öffnung und Wahrnehmungs-K bei Gläubigen deutlich stärker ausgeprägt, während Hemmnisse eher bei den Wenig‑/Nichtgläubigen zu finden waren. Hinsichtlich der Gründe, die der Umsetzung von SpC im Wege stehen, unterscheiden sich die Berufsgruppen kaum. Die Pflegenden geben signifikant häufiger an, es sei „kein geeigneter Raum vorhanden“, die Ärzte, sie könnten „nicht alles lösen“.

Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass SpC die Seelsorge nicht ersetzen, dass aber die dementsprechende Sensibilisierung und Kompetenzvertiefung der Gesundheitsberufe die Zusammenarbeit mit der Seelsorge erleichtern kann [22, 23]. Im Unterschied zum sehr restriktiven österreichischen Positionspapier [15] sieht das DGPPN-Positionspapier [29] einen größeren Spielraum vor, um die positiven, resilienzfördernden Möglichkeiten der Einbeziehung von R/Sp zu gewährleisten, ohne zu versäumen, auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Ebenso wie das DGPPN-Positionspapier [29] versteht die Mehrheit der Literatur Sp als den im Vergleich zu R umfassenderen Begriff. Eine pflegewissenschaftliche Konzeptanalyse [5] subsummiert Sp als das wertebasierte Denken der Patienten, ihre Fähigkeit zur Interaktion mit anderen, ihre Suche nach Lebenssinn und Verbundenheit („connectedness“) mit anderen Menschen und mit dem transzendenten Heiligen. Psychiatrisches SpC könne tröstliche Effekte haben und das Coping der Patienten fördern. Eine aktuelle psychotherapeutische Studie [32] belegt die Zusammenhänge zwischen R/Sp einerseits und der Suche nach dem Lebenssinn und fordert, dass Psychotherapeuten ihren Patienten die Exploration von R/Sp ermöglichen, gleichzeitig jedoch ihre professionellen Grenzen wahren sollten.

SpCK im Sinne der in der vorliegenden Studie gemessenen Selbsteinschätzungen umfasst Wahrnehmung‑, Gesprächsführungs- und Dokumentations-K [13], klinisch gesprochen: die Fähigkeit zur Erhebung einer proaktiven sp Anamnese [29], die im deutschen Sprachraum noch zurückhaltend praktiziert wird [17]. Hingegen erklärten 93 % der von Curlin et al. [8] befragten US-amerikanischen Psychiater (vs. 53 % in anderen Facharztgruppen), es sei angemessen, R/Sp aktiv in der Anamnese zu explorieren. Eine polnische Studie [4] begründet die Zurückhaltung gegenüber der proaktiven sp Anamnese mit dem ethischen Argument des Patientenschutzes vor Grenzverletzungen und mit dem Mangel an diesbezüglichem Training.

Der häufig diskutierte r/sp „gap“ zwischen psychiatrischen Patienten und ihren Behandlern [6, 19] oder auch der weltanschaulichen „Kultur“ von Kliniken [11] wird dadurch vertieft, dass deutschsprachige Fachpersonen ihre SpK oft überschätzen und einschlägige Weiter- und Fortbildungsangebote noch immer dünn gesät sind [14]. Weder eine undifferenzierte Pathologisierung des r/sp Patientenerlebens noch die naive Idealisierung jedweder Sp sind in therapeutischer Hinsicht hilfreich [9]. Vielmehr setzt sich die Haltung durch, dass SpK zum kultursensiblen Umgehen mit Diversität gehört, das von den psychiatrischen Berufen zu fordern ist [16, 26]. Psychiatrisch Tätige brauchen SpK und psychopathologisches Urteilsvermögen, um r/sp Bedürfnisse einerseits, religiöse Wahnbildungen u. a. Krankheitssymptome andererseits zu unterscheiden und differenziert beantworten zu können [9]. Wenn z. B. das Verstummen r/sp Äußerungen zum Erfolgskriterium für die antipsychotische Medikation wird, verschließt sich ein unter Coping-Gesichtspunkten wichtiger Zugang zum Patienten [10]. Dazu bedarf es einer Verbesserung der Ausbildung [27, 28], der Weiterbildung [11, 28] und der Fortbildung [20, 25, 28, 31].

Limitationen

Das Thema eines „personal Bias“ spielte in unserer Studie eine ebenso große Rolle wie in früheren Untersuchungen. Mit einer Selbstselektion ist schon bei der Entscheidung zur (Nicht‑)Teilnahme zu rechnen. Dieser Selektionseffekt geht allerdings auch mit einem Sensibilisierungseffekt einher: Das Bewusstwerden der eigenen r/sp Orientierung fördert das Einnehmen einer professionellen Haltung zu den r/sp Patientenbedürfnissen [10]. Es erleichtert dem Umgang mit sich wandelnden Definitionen von R/Sp: Während früher jegliche Sp im Kontext von R gesehen oder gar beide Terme gleichgesetzt wurden, wird nun zunehmend akzeptiert, dass es sp Bedürfnisse und Orientierungen auch außerhalb institutionalisierter R geben kann. Die damit gegebene begriffliche Unschärfe ist Vor- und Nachteil zugleich: Frühere Modelle wie die Gemeinschaftsspiritualität r gebundener Krankenschwestern oder die Gleichsetzung von wissenschaftlicher und atheistischer Haltung weichen weniger globalen und damit stärker personenbezogenen Zugangsweisen.

Fazit für die Praxis

  • SpK wird im Sinne der Patientenzentrierung gefordert (Matching zwischen sp Bedürfnissen psychisch Kranker und der diesbezüglichen Sensibilisierung der Behandler).

  • Mithilfe des SCCQ können Maßnahmen der Aus‑, Fort- und Weiterbildung personen- und gruppenbezogen konzipiert und evaluiert werden.

  • Verbesserung der SpK in der Psychiatrie kann durch Überarbeitung und Ergänzung von Lerninhalten und -zielen sowie durch Organisations- und Kulturentwicklung psychiatrisch-psychotherapeutischer Institutionen erreicht werden.

  • Zentral ist die Förderung spezifischer diagnostischer Fähigkeiten, um auf r/sp Bedürfnisse und Krankheitssymptome differenziert einzugehen.

  • Solange ein r/sp „personal bias“ des Behandlers unbewusst bleibt, kann es die Wahrnehmung verzerren. Wird es thematisiert und professionell gehandhabt, fördert es die Patientenorientierung.