Einleitung

Die diabetische Neuropathie (DN) ist eine häufige Komplikation der Volkskrankheit Diabetes mellitus, deren Symptome und Komplikationen zu einer erheblichen Reduktion von Lebensqualität und Lebensdauer führen können. Etwa 50 % aller Diabetiker [1] entwickeln Symptome einer Neuropathie [2]. Von allen Neuropathien macht die DN etwa 30–50 % aus. Beeinträchtigend sind unmittelbar die Symptome einer sensomotorischen oder autonomen Neuropathie, Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und stumme Myokardinfarkte können sogar unmittelbar lebensbedrohlich sein.

Methoden

Dieser Artikel fokussiert auf Klinik, Pathophysiologie und Therapie der DN und begründet sich auf eine selektive Literaturrecherche der Datenbanken PubMed und Medline unter den Suchbegriffen „diabetic neuropathy“, „pathophysiology of diabetic neuropathy“, „treatment/therapy of diabetic neuropathy“, „neuropathic pain“, „alpha-lipoic acid“, „aldose reductase inhibitors“ und „1-deoxy-sphingolipids in diabetes mellitus“, wobei Publikationen von 1990 bis 2020 berücksichtigt wurden. Indikations- und Nebenwirkungsspektrum der genannten Medikamente wurden, sofern nicht separat zitiert, der jeweiligen Fachinformation entnommen.

Klinik

Die Diagnose einer DN wird nach klinischen Kriterien gestellt und durch Zusatzuntersuchungen wie die Elektroneurographie unterstützt [3]. Aufgrund der hohen Prävalenz des Diabetes mellitus in der kaukasischen Allgemeinbevölkerung muss berücksichtigt werden, dass nicht jede Koinzidenz einer Polyneuropathie als DN zu werten ist [4]. Basierend auf Verteilungsmuster, Verlauf, Komorbiditäten, Sozial- und Familienanamnese müssen andere, z. T. behandelbare Erkrankungen wie die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikulopathie (CIDP) oder die hereditäre Transthyretin-Amyloidose auch bei bestehendem Diabetes mellitus erkannt werden, da diese spezifische Therapiemöglichkeiten bedingen [3].

Die neurologische Untersuchung eines Diabetespatienten sollte immer eine Inspektion der entkleideten Extremitäten, eine detaillierte Sensibilitätstestung einschließlich Berührungs‑, Vibrations- und Lageempfinden zur Erfassung großer sowie Spitz-Stumpf-Diskrimination und Temperaturempfinden zur Untersuchung kleiner Nervenfasern, eine Gangprüfung mit Frage nach afferenter Ataxie oder Steppergang, eine Einzelkraftprüfung sowie Reflextestung enthalten. Im Rahmen der Disease-Management-Programme sind auch Allgemeinmediziner und Internisten angehalten, mittels Monofilament und Vibrationsgabel (64 Hz) einen orientierenden Sensibilitätsstatus zu erheben [5].

DN können fokal und generalisiert sein, längenabhängig oder diffus verlaufen, überwiegend die kleinen intraepidermalen C‑ und Aδ-Nervenfasern betreffen oder zur Ausprägung einer Polyneuropathie führen (Abb. 1). Am häufigsten ist die distal symmetrische diabetische Polyneuropathie (DSPN), die schätzungsweise 75 % aller Verläufe ausmacht [6]. Initial manifestiert sie sich mit sensiblen Defiziten der Füße. Neuropathische Schmerzen treten etwa bei 25 % der Betroffenen auf. Häufig beschrieben als brennend, stechend oder „schraubstockartig“ gehen sie mit einem erheblichen Leidensdruck einher und bedürfen einer langfristigen symptomatischen Therapie [7]. Paresen finden sich bei 1–6 % aller Diabetiker [2] und betreffen vor allem die distalen Extremitäten, was die Sturzgefahr erhöht. In einer Erhebung der Mayo Clinic aus dem Jahr 1993 wurden bei etwa zwei Drittel der untersuchten Diabetiker Zeichen einer Neuropathie nachgewiesen, während nur 20 % tatsächlich symptomatisch waren [2].

Autonome diabetische Neuropathien können isoliert oder, häufiger, in Kombination mit anderen DN-Formen auftreten und dabei gleichermaßen das sympathische und/oder parasympathische System betreffen. Wichtige Manifestationen sind gastrointestinale Passagestörungen, fäkale Inkontinenz oder neurogene Blasenentleerungsstörungen, Erektions- und Ejakulationsstörungen, orthostatische Hypotonie, Ruhetachykardie, Störungen des Schwitzens sowie der Pupillomotorik. Hypoglykämien werden zum Teil erst verspätet bemerkt. Die kardiovaskuläre autonome Neuropathie stellt einen erheblichen Risikofaktor für diabetesassoziierte Mortalität dar [8].

Andere mit Diabetes mellitus assoziierte Neuropathien sind Mononeuritiden, die isoliert einen Hirn- oder Extremitätennerven oder die Bauchwandmuskulatur (Pseudohernie) betreffen können. Auch proximale lumbosakrale [9], zum Teil aber auch zervikale [10] Schädigungsmuster wie bei der diabetischen Radikuloplexoneuropathie, auch diabetische Amyotrophie oder Bruns-Garland-Syndrom genannt, sind bei ca. 1 % aller Diabetiker, häufiger allerdings bei Typ-2-Diabetikern männlichen Geschlechts mit vergleichsweise gut eingestelltem Blutzucker und kurzer Diabetesvorgeschichte zu beobachten [9]. Pathophysiologisch handelt es sich um eine ischämische bzw. mikrovaskulitische Axonopathie [11], die in ihrer Differenzialdiagnostik von Wurzelkompressionssyndromen, infiltrierenden Prozessen im Becken und – bei oft erhöhtem Liquoreiweiß – elektrophysiologisch von der CIDP abgegrenzt werden muss. Klinisch gekennzeichnet ist diese Art der Neuropathie durch einen zunächst einseitigen, tief sitzenden und ausstrahlenden Schmerz gefolgt von proximaler Muskelschwäche und -atrophie mit Areflexie bei vergleichsweise geringem Sensibilitätsverlust, dabei aber erheblicher Gewichtsabnahme [9]. Der Verlauf ist subakut und einzeitig; in ca. der Hälfte der Fälle geht die Symptomatik innerhalb von sechs Monaten auf die andere Seite über, bleibt dabei aber asymmetrisch. Nach 18 Monaten ist bei selbstlimitierendem Verlauf typischerweise mit vollständiger Remission zu rechnen. In Ermangelung randomisierter, kontrollierter Studien ist der Einsatz von immunmodulierenden Medikamenten wie Kortikosteroiden individuell abzuwägen [9].

Isolierte Small fiber Neuropathien äußern sich typischerweise durch neuropathische Schmerzen häufig in Verbindung mit anderen sensiblen oder auch autonomen Defiziten, allerdings ohne motorische Beteiligung. Ihr Verteilungsmuster kann wie das der DSPN längenabhängig, durchaus aber auch diskontinuierlich sein [3]. Eine vergleichsweise akute Small fiber Neuropathie mit starken neuropathischen Schmerzen und begleitenden autonomen Symptomen kann durch zu schnelle und dabei rigorose Senkung des HbA1c-Werts (>2 % innerhalb von drei Monaten) ausgelöst werden [12]. Als Ursache werden inflammatorische Prozesse vermutet, die aber bislang nicht vollständig verstanden sind.

Typ-1- und Typ-2-Diabetes mellitus: unterschiedliche Wege zur Neuropathie

Das relative Neuropathierisiko eines Typ-1-Diabetikers kann durch optimale Glukosekontrolle um 78 % gesenkt werden. Dagegen gelingt bei Typ-2-Diabetikern durch dieselben Maßnahmen nur eine 5‑ bis 9 %ige Risikoreduktion [1]. Dass der Diagnosestellung eines Typ-2-Diabetes mellitus oft lange Zeiträume unerkannter Hyperglykämien vorausgehen, ist nur eine von mehreren Hypothesen, die diesen Unterschied zu erklären versucht. Da es auch im Rahmen des prädiabetischen metabolischen Syndroms zum Erwerb einer Neuropathie kommen kann, scheinen auch andere vaskuläre Risikofaktoren, insbesondere Dyslipidämie, Übergewicht, Nikotinkonsum und arterielle Hypertonie zur Pathophysiologie beizutragen [13, 14]. Transkriptomanalysen aus Nervenbiopsien von Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus deuten auf „pathways“ von Inflammation und Adipogenese hin, die in diesem Patientenkollektiv recht spezifisch hochreguliert sind. Polymorphismen in Genen wie ACE, AKR1B1, APOE, NOS3, TLR4 und VEGF wirken sich potenziell begünstigend für den Erwerb einer diabetischen Polyneuropathie aus [15]. Insulin selbst, welches bei Typ-1-Diabetikern absolut, bei Typ-2-Diabetikern nur relativ erniedrigt ist, könnte als neuronaler Wachstumsfaktor [16] abhängig von der Art des Mangels bzw. dem Beginn der Substitution einen direkten Einfluss auf die Entwicklung einer DN haben.

Pathophysiologie

Ursachen und Risiken für das Entstehen einer DN sind vielfältig. Wir werden sie im Folgenden schematisch vereinfacht zusammenfassen (Abb. 2).

  • Akkumulation toxischer Metabolite: Bei hyperglykämischer Stoffwechsellage akkumuliert Glukose in Nerven‑, Nieren- und Retinazellen, wo es unter Verbrauch von NADPH zur Bildung von Sorbitol kommt. Als Zwischenstufe in der Umwandlung von Glukose zu Fruktose und umgekehrt ist Sorbitol physiologischer Bestandteil des Polyolstoffwechsels. Als zellschädigend wird neben der osmotischen Wirkung auch die durch die verminderte Verfügbarkeit von NADPH vermehrte Anfälligkeit für oxidativen Stress diskutiert [17]. Die Aldosereduktase ist das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Polyolbildung. Zu einer Enzymüberexpression führende Polymorphismen im AKR1B1-Gen kommen in ca. 26 % der Bevölkerung vor und sind mit einem höheren Risiko vergesellschaftet, bei vorliegendem Diabetes eine Neuropathie zu entwickeln. Im Mai 2020 wurde erstmalig eine erbliche axonale Neuropathie beschrieben, die durch biallelische Mutationen im SORD-Gen ähnlich der diabetischen Neuropathie mit Störungen im Sorbitolstoffwechsel assoziiert ist [18].

    Alanin ist eine glukogene Aminosäure, die bei Diabetikern erhöhte Serumspiegel aufweist. Hierdurch wird die Serin-Palmitoyl-CoA-Transferase, das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Sphingolipidsynthese, zum Substratwechsel verleitet, sodass die für den Abbau der Sphingoidbasen entscheidende OH-Gruppe fehlt [19]. Desoxysphingolipide führen zu einem verminderten axonalen Aussprossen und sind bei Patienten mit diabetischer Polyneuropathie erhöht [19].

  • Inflammatorische Prozesse: Durch Bildung von „advanced glycation end-products“ (AGE) und mitochondriale Dysfunktion entsteht oxidativer Stress, sodass es zu DNA-Schäden und somit zu Zellnekrosen oder, vermittelt durch Zytokine wie z. B. TNF‑α und IL‑6, zur Inflammation kommt [20]. Inflammatorische Prozesse werden durch den Transkriptionsfaktor NF-κB verstärkt, der über den Phospholipase-C-Pathway exprimiert und in den Zellkern verlagert wird. In Gegenwart ungefalteter Proteine oder Störungen der Kalziumhomöostase reagiert das endoplasmatische Retikulum überlastet („ER-Stress“), was wiederum zur Bildung freier Radikale sowie zur Induktion proinflammatorischer Kaskaden führt. Im Mausmodell konnten in Korrelation zum ER-Stress erniedrigte sensomotorische Nervenantwortpotenziale sowie eine Reduktion der intraepidermalen Nervenfaserdichte nachgewiesen werden [21].

  • Dysfunktionale Schwann-Zell-Interaktion: Axone sind aufgrund ihrer Länge und der damit assoziierten Entfernung vom Zellkörper besonders vulnerabel für eine Schädigung und in ihrem Metabolismus auf den engen Kontakt zu Schwann-Zellen angewiesen. Über Gap junctions werden sie mit Metaboliten wie Laktat versorgt [22], ein Mechanismus, der sich bei systemischer Insulinresistenz erschöpft. In Zellkulturen kommt es unter Laktatdeprivation zu einer verminderten Neurofilamentexpression und, hier diskutiert für das zentrale Nervensystem, zum Verlust von Axonen [22]. Besonders vulnerabel für eine Minderversorgung mit ATP erscheinen dünn oder unmyelinisierte Axone, weil die nichtsaltatorische Leitung vergleichsweise energieaufwändiger ist [23]. Eine Lipidüberladung von Schwann-Zellen führt darüber hinaus zur Bildung neurotoxischer Acylcarnitine, welche bei Weitergabe an die Axone zu einer Störung der Mitochondrienfunktion führen [24].

  • Mikroangiopathie: Vaskuläre Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie, Hypertonie und Übergewicht sind unabhängig von der Glukosekontrolle mit einer höheren Auftretenswahrscheinlichkeit einer DN assoziiert [13], und auch bei prädiabetischem metabolischem Syndrom kann eine DN entstehen. Derselbe oxidative Stress, der auf Nervenzellen einwirkt, erreicht auch das vaskuläre Kompartiment. Mikrovaskuläre Veränderungen äußern sich bereits früh durch eine insuffiziente NO-mediierte Vasodilatation mit Auffälligkeiten von Blutfluss und Gefäßpermeabilität [25]. Es kommt zur Endotheldysfunktion und zur Überproliferation der Extrazellulärmatrix [25]. Als Ausdruck einer endoneuronalen Mikroangiopathie [26] konnten sowohl bei Patienten mit diabetischer als auch mit prädiabetischer Neuropathie verdickte Basalmembranen mit endothelialer Hyperplasie sowie verminderte endoluminale Durchmesser nachgewiesen werden [25,26,27]. Eine bedeutende ischämische Komponente als Ursache der Nervenschädigung konnte spezifisch für die diabetische Plexusneuropathie gezeigt werden, welche histologisch auf eine lokalisierte aseptische Mikrovaskulitis zurückgeführt werden konnte [11].

Therapie

Blutzuckermanagement

Essenzielle Behandlungsgrundlage der DN ist eine strikte Blutzuckereinstellung (Tab. 1). Da aber auch Hypoglykämien zu einer axonalen Schädigung führen [12, 27], sind größere Blutzuckerschwankungen zu vermeiden. Die von 1982 bis 1993 an 1441 Typ-1-Diabetikern durchgeführte Studie „Diabetes Control and Complications Trial“ (DCCT) zeigte eine Risikoreduktion für den Erwerb einer Neuropathie unter intensivierter gegenüber der konventionellen Insulintherapie [28]. Dass gerade zu Beginn der Diabeteserkrankung eine bestmögliche Blutzuckerkontrolle entscheidend ist, konnte in der weitere 20 Jahre umfassenden Folgestudie „Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications“ (EDIC) gezeigt werden [29]. Verglichen mit Typ-1-Diabetikern sprechen Patienten mit Insulinresistenz und metabolischem Syndrom schlechter auf blutzuckersenkende Therapien an. Einen guten Überblick über die entsprechende Studienlage bis 2012 liefern Callaghan und Kollegen [14].

Vergleicht man orale Antidiabetika untereinander, so scheinen Insulinsensitizer gegenüber Sulfonylharnstoffen mit einem besseren Neuropathieoutcome assoziiert zu sein. Mögliche Erklärungen hierfür sind die vergleichsweise geringere Gewichtszunahme sowie die Vermeidung von Hypoglykämien. Die langfristige Einnahme von Metformin ist mit einem schwereren Neuropathieverlauf assoziiert, was auf einen iatrogenen Vitamin-B12-Mangel zurückgeführt wird [30]. Es empfiehlt sich, Vitamin-B12-Spiegel unter Metformintherapie zu überwachen und ggf. zu substituieren. Der Einsatz von Statinen zur Behandlung der bei metabolischem Syndrom häufig auftretenden Hyperlipidämie nimmt nach aktueller Studienlage keinen negativen Einfluss auf den Verlauf einer diabetischen Neuropathie [31].

Symptomatische Therapie

Wichtige Säulen der symptomatischen Therapie sind die neuropathische Schmerztherapie, Physiotherapie sowie Fußpflege und Ulkusprophylaxe.

Nach aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien werden Medikamente aus dem Formenkreis sowohl der Antikonvulsiva als auch der Antidepressiva zur Behandlung neuropathischer Schmerzen empfohlen (Tab. 1) [32], die ggf. kombiniert werden können. Von allen symptomatischen Therapieoptionen verfügt Pregabalin über die umfangreichste Studienlage und wird als effektiv eingestuft [14, 32]. Andere Optionen mit vergleichbarer „number needed to treat“ von drei bis sechs Patienten für eine 50 %ige Schmerzreduktion [33] sind Gabapentin, ebenfalls ein Kalziumkanalblocker, oder der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin und das Trizyklikum Amitriptylin, welche nach Ansprechen und Nebenwirkungsspektrum ausgewählt werden. Pregabalin und Gabapentin müssen bei begleitender Niereninsuffizienz in der Dosis angepasst werden. Eine häufige Nebenwirkung ist Müdigkeit. Das zyklische Antidepressivum Amitriptylin erfordert aufgrund anticholinerger Nebenwirkungen z. B. mit Mundtrockenheit eine langsame Dosissteigerung. Ein AV-Block muss im 12-Kanal-EKG ausgeschlossen werden. Bei Hinweisen auf eine begleitende autonome Neuropathie sollte auf zyklische Antidepressiva verzichtet werden. Cytochrominteraktionen sind bei beiden genannten Antidepressiva möglich. Hierfür besonders bekannt ist zudem der Natriumkanalblocker Carbamazepin aus der Gruppe der Antikonvulsiva. Es kann darüber hinaus zu Leberwerterhöhung, Hyponatriämie und Blutbildveränderungen führen, erhöht die UV-Empfindlichkeit der Haut und beeinflusst den hepatischen Abbau anderer Medikamente wie Phenprocoumon oder oraler Kontrazeptiva. Opioidanalgetika können ergänzend zur Schmerztherapie hinzugezogen werden. Ebenfalls hilfreich ist die topische Applikation von Lidocain oder Capsaicin [32].

Ziel der Schmerztherapie ist u. a. die Fähigkeit, körperlich aktiv zu sein und z. B. Physiotherapie wahrzunehmen. Dies reduziert vaskuläre Komplikationen, verbessert die Muskelkraft und verhindert Stürze. Zur Vermeidung nichtschmerzhafter Wunden müssen die Füße regelmäßig inspiziert und das Schuhwerk angepasst werden [34]. Eine gute Patientenschulung ist diesbezüglich essenziell.

Weitere (experimentelle) Therapieansätze

Aufgrund ihrer Eigenschaft als Antioxidans und Radikalfänger, Recycler von Vitamin C, E und Glutathion sowie Regulator z. B. der Expression des Transkriptionsfaktors NF-κB wird α‑Liponsäure seit Langem als potenzielles Therapeutikum diabetischer Neuropathien diskutiert. Eine vier randomisierte Studien umfassende Metaanalyse beschrieb eine signifikante Verbesserung des totalen Symptomscores sowie des Neuropathy Impairment Score der unteren Extremität nach dreiwöchiger intravenöser Gabe [35]. In Deutschland ist α‑Liponsäure zur Behandlung neuropathischer Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie in intravenöser Verabreichung zugelassen.

Aldosereduktaseinhibitoren setzen am Polyol-Pathway an und verhindern die Bildung von Sorbitol aus Glukose. Nach einer an 196 Patienten mit diabetischer Neuropathie durchgeführten randomisierten und placebokontrollierten Studie zu Epalrestat, welches über 12 Wochen in einer Dosierung von 150 mg/Tag oral gegeben wurde, fand in Japan die Zulassung dieses Aldosereduktaseinhibitors statt. Er hatte sich positiv auf neuropathische Schmerzen, Vibrationsempfinden und Nervenleitgeschwindigkeiten ausgewirkt [36]. Eine 10 Studien umfassenden Metaanalyse zeigte, dass sich unter Epalrestat für autonome Testparameter wie die Herzfrequenzvariabilität und den Schellong-Test marginal signifikante Besserungen bewirken ließen [36].

Die orale Supplementation der Aminosäure L‑Serin kann der Bildung neurotoxischer 1‑Desoxy-Sphingolipide entgegenwirken, die bei Überangebot der glukogenen Aminosäure L‑Alanin entstehen [22]. An mit Streptozotocin behandelten Ratten konnten durch Zufütterung mit L‑Serin eine Reduktion der 1‑Desoxy-Sphingolipid-Spiegel und eine Besserung verschiedener Neuropathiekennwerte wie der thermischen „response“, der Nervenleitgeschwindigkeit und der intraepidermalen Nervenfaserdichte gezeigt werden [22]. Eine Zulassung des Nahrungsergänzungsmittels L‑Serin zur Behandlung der DN ist derzeit nicht in Aussicht.

Schlussfolgerungen

Die diabetische Neuropathie ist häufig, ihr Erscheinungsbild vielfältig und komplikationsreich. Sie gilt als Ausschlussdiagnose, sodass auch bei Diabetikern an andere behandelbare Neuropathieursachen gedacht werden muss. Während sich das Risiko einer diabetischen Neuropathie bei Typ-1-Diabetikern durch Optimierung des Blutzuckers erheblich senken lässt, nehmen beim Typ-2-Diabetes andere Faktoren des metabolischen Syndroms ebenfalls Einfluss auf die insgesamt schlechtere Prognose. Symptomatische Therapien neuropathischer Schmerzen stammen aus dem Formenkreis der Antikonvulsiva und Antidepressiva. Gerade bei autonomer Beteiligung ist auf etwaige anticholinerge Nebenwirkungen zu achten. Die Entwicklung von Ursachentherapien bedarf weiterer Forschung.

Abb. 1
figure 1

Darstellung der häufigsten Manifestationsmuster der DN

Abb. 2
figure 2

Pathophysiologie der DN als Schemazeichnung

Tab. 1 Medikamentöse Behandlungskonzepte der diabetischen Neuropathie. In fetter Schrift dargestellt sind Medikamentenklassen, die zur Blutzuckerkontrolle eingesetzt werden, in kursiver Schrift Medikamente, die zur Therapie neuropathischer Schmerzen empfohlen werden. In normaler Schrift dargestellt werden beispielhaft Medikamente aufgeführt, die in die Pathophysiologie der DN eingreifen, deren Nutzen aber so unzureichend belegt ist, dass es bisher zu keiner weltweiten Zulassung gekommen ist

Fazit für die Praxis

  • Auch wenn die Hälfte aller Diabetiker an einer diabetischen Neuropathie erkrankt, müssen bei Koinzidenz von Diabetes mellitus und Neuropathie andere Ursachen untersucht und ggf. behandelt werden.

  • Die Pathophysiologie der diabetischen Neuropathie ist komplex und ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Mikroangiopathie, dysfunktionaler Schwann-Zell-Interaktion, Akkumulation toxischer Metabolite und inflammatorischen Prozessen.

  • Patienten mit Neuropathie bei Typ-2-Diabetes mellitus sprechen schlechter auf eine therapeutische Blutzuckerkontrolle an, was vermutlich auf die begleitenden Risikofaktoren im Rahmen des metabolischen Syndroms zurückzuführen ist.

  • Neuropathische Schmerzen erzeugen einen erheblichen Leidensdruck und sollten abhängig vom individuellen Nebenwirkungs- und Risikoprofil in erster Wahl mit Medikamenten wie Pregabalin oder Gabapentin, Amitriptylin oder Duloxetin behandelt werden.

  • Wirkstoffe wie α‑Liponsäure, Epalrestat oder L‑Serin setzen an pathophysiologischen Mechanismen wie oxidativem und osmotischem Stress an, sind aber aufgrund der unzureichend nachgewiesenen Wirksamkeit nur in einzelnen Ländern bzw. gar nicht zugelassen.