Hintergrund

Durch die Fortschritte in der Früherkennung der Alzheimer-Krankheit („Alzheimer’s disease“, AD) sowie der Prädiktion der Alzheimer-Demenz werden hierfür eingesetzte diagnostische und prädiktive Verfahren zunehmend klinisch bedeutsam. Auch führt der wissenschaftliche Fortschritt zu einem verstärkten Bewusstsein um die Früherkennung der AD in der Bevölkerung und entsprechende diagnostische Angebote werden immer häufiger aktiv nachgefragt. Dies steht vor dem Hintergrund, dass die AD bisher nicht heilbar ist und symptomatische medikamentöse Ansätze im Stadium der Alzheimer-Demenz eine nur begrenzte Verzögerung der Krankheitsprogression bewirken können.

Insbesondere bei der leichten kognitiven Störung („mild cognitive impairment“, MCI) werden Patienten, Angehörige und Ärzte mit der Frage der Frühdiagnostik der AD und der Demenzprädiktion konfrontiert. Unter MCI wird eine objektivierbare kognitive Beeinträchtigung bei im Wesentlichen intakten Alltagskompetenzen verstanden [1]. Das MCI-Stadium geht mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Demenz einher. In jüngster Zeit sind durch Fortschritte im Bereich der Biomarkerentwicklung und deren Einsatz in aussagekräftigen longitudinalen Kohortenstudien für MCI-Patienten individuelle Vorhersagen zum Demenzrisiko möglich geworden. Durch die Anwendung von Biomarkern kann zum einen die Alzheimer-Pathologie bei MCI-Patienten nachgewiesen werden. Zum anderen ermöglicht sie, eine Differenzierung der MCI-Risikogruppe in jene mit einem geringen, mit einem mittleren und mit einem hohem Risiko für den Übergang in eine Demenz vorzunehmen [19, 52]. Bei einer ausschließlich biomarkerbasierten Risikovorhersage ist die Spezifität für die individuelle Prädiktion jedoch etwas eingeschränkt, da wichtige klinische Daten wie Alter und Geschlecht nicht in die Prognoseberechnung miteinfließen. Beispielsweise ist der Zusammenhang zwischen Alter, kognitiver Verschlechterung und der Amyloid-Pathologie nicht linear, sondern erreicht im hohen Lebensalter eine Sättigung [26]. Insofern sind für eine individuelle Risikoprädiktion neben der durch Biomarker nachgewiesenen Alzheimer-Pathologie weitere klinische Variablen zu berücksichtigen, für die es jedoch zum derzeitigen Stand keine ausreichenden Validierungen im Rahmen von Studien gibt.

Die Prädiktion einer noch nicht heilbaren Erkrankung wie der Demenz bei Alzheimer-Krankheit wirft für Patienten und Angehörige viele Fragen auf. Sie bringt für Ärzte neue Herausforderungen in der Beratung über die biomarkerbasierte AD-Früherkennung und der Abschätzung des Demenzrisikos anhand individueller Ergebnisse mit sich. Der folgende Artikel trägt internationale Empfehlungen für den Einsatz von Liquorbiomarkern zur Früherkennung der AD und der Demenzprädiktion bei Personen mit MCI zusammen. Die wesentliche Grundlage hierfür sind die Kriterien des National Institute on Aging und der Alzheimer’s Association (NIA-AA), einer Expertenkonsensuspublikation, welche im Rahmen des europäischen BIOMARK-APD-Projektes (Joint Neurodegenerative Disease Research, JPND) publiziert wurde [21] sowie neue Empfehlungen einer multidisziplinären Arbeitsgruppe der Alzheimer’s Association zum Einsatz von Liquorbiomarkern für die Diagnostik der Alzheimer-Krankheit [48]. Weitere thematisch verwandte Publikationen wurden zusätzlich herangezogen.

„Mild cognitive impairment“

Bei MCI handelt es sich um ein Syndrom zwischen „gesundem Altern“ und der frühen Demenz, wobei im Verlauf von MCI eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten mit vollständiger Remission ebenso wie ein Fortschreiten zur Demenz möglich sind [43]. Das MCI-Syndrom ist daher ein Risikostadium für eine Demenz und kann das Prodromalstadium einer Demenz bei AD oder anderer neurodegenerativer Erkrankungen darstellen. Man kann das MCI-Syndrom anhand der domänenspezifischen kognitiven Einschränkungen differenzieren in ein amnestisches MCI mit im Vordergrund stehender Gedächtnisstörung und ein nichtamnestisches MCI, bei dem nicht das Gedächtnis betreffende kognitive Einschränkungen dominieren (z. B. Sprache, Exekutivfunktion, Visuokonstruktion etc.; [43]). Die metaanalytische MCI-Prävalenz bei Personen ≥60 Jahren liegt in der Allgemeinbevölkerung bei ca. 14–16 % und in Kollektiven aus Gedächtnisambulanzen bei ca. 16–19 % [22, 44, 45]. Das MCI-Syndrom geht mit einem erhöhten Risiko für eine Alzheimer-Demenz von etwa 33 % in 3 Jahren einher [38]. In einer Metaanalyse konnten mittlere jährliche Übergangsraten vom MCI-Stadium in eine Alzheimer-Demenz von 6,8 % (95 %-CI = 1,9–14,5 %) in der Allgemeinbevölkerung und von 8,1 % (95 %-CI = 6,3–10,0 %) in spezialisierten Gedächtnisambulanzen nachgewiesen werden [38]. Limitierend ist, dass die der Metaanalyse zugrunde liegenden Studien aufgrund heterogener Untersuchungsmethoden (Diagnosekriterien für MCI, Untersuchungsmethoden etc.) und Studiensettings eine erhebliche Varianz aufzeigen.

Durch das MCI-Syndrom sind anhand klinischer Diagnosekriterien keine ausreichenden Rückschlüsse auf die Ätiopathologie möglich. Eine möglichst präzise ätiologische Einordnung von MCI kann jedoch aufgrund der unterschiedlichen Prognosen zugrunde liegender Erkrankungen und den therapeutischen Implikationen sinnvoll sein.

Zur Operationalisierung des MCI-Konzeptes im Rahmen der AD sind Kriterien entwickelt worden, die sich im wissenschaftlichen und zunehmend auch im klinischen Kontext etabliert haben [1]. Die MCI-Kriterien der ersten NIA-AA-Konsensuspublikation aus dem Jahr 2011 basieren zunächst auf klinischen Charakteristika (Tab. 1). Zusätzlich gibt die genannte Konsensuspublikation basierend auf den Biomarkerprofilen die Wahrscheinlichkeiten für eine zugrunde liegende Alzheimer-Krankheit an.

Tab. 1 NIA-AA-Kriterien für MCI bei Alzheimer-Krankheit (2011; [1])

Biomarker für die Alzheimer-Krankheit

Die AD wird definiert durch pathophysiologische Veränderungen, die sich in vivo durch Biomarker und autoptisch durch histologische Untersuchungen nachweisen lassen [4]. Neuropathologische Korrelate der AD sind extrazelluläre Ablagerungen des Amyloid‑β1–42-Proteins und intrazelluläre Ablagerungen des phosphorylierten Tau-Proteins (pTau; [5]).

Die Unterteilung der Biomarker erfolgte zunächst in die Gruppe der Marker für die Amyloid-Pathologie (A) und die Marker für die Neurodegeneration (N; [25]). Basierend auf dieser Einteilung wurden in der NIA-AA-Konsensuspublikation aus dem Jahr 2011 die Wahrscheinlichkeiten angegeben, mit denen ein MCI durch eine AD verursacht wird („likelihood of MCI due to AD“; [1]). Bei einem Nachweis pathologischer Amyloid- und Tau-Biomarker besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine zugrunde liegende AD. Sind hingegen entweder nur die Amyloid-Biomarker oder nur die Tau-Biomarker pathologisch, besteht eine mittlere Wahrscheinlichkeit und bei unauffälligen Amyloid- als auch Tau-Biomarkern besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer AD [1].

Die durch Jack und Kollegen im Jahr 2016 eingeführte Neukonzeption der AD-Biomarker unterscheidet zwischen Biomarkern für die Amyloid-Pathologie (A), für die Tau-Pathologie (T) und für die Neurodegeneration (N; Tab. 2; [23, 25]). Bei der binären A/T/N-Klassifikation wird jeder Biomarker mit pathologisch (+) oder nichtpathologisch (−) klassifiziert [24]. Basierend hierauf wurde im Jahr 2018 durch die NIA-AA-Arbeitsgruppe eine Neukonzeption der AD für die Forschung vorgestellt, die die Alzheimer-Krankheit vollständig über Biomarker definiert und die Symptomatik als Stadium der Erkrankung wertet [24]. Diese Neukonzeption befindet sich aktuell in der wissenschaftlichen Evaluation und wird für die klinische Anwendung bisher nicht empfohlen.

Tab. 2 Einteilung der Biomarker für die Alzheimer-Krankheit. (Mod. nach [23, 24])

Marker für die Amyloid-Pathologie

Für die Erfassung der Amyloid-Pathologie können im Liquor das β‑Amyloid1–42 und die β‑Amyloid42/40-Ratio bestimmt werden. Die β‑Amyloid42/40-Ratio kann im Vergleich zum β‑Amyloid1–42 die Sensitivität und Spezifität der Detektion einer AD verbessern [32]. Hierbei zeigt ein Quotient von <0,8–1,0 eine Amyloid-Pathologie an [31]. Eine weitere Möglichkeit ist die Darstellung der zerebralen Amyloiddeposition mittels Amyloid-Positronenemissionstomographie(PET)-Tracern, von denen mittlerweile mehrere zur Verfügung stehen. Zahlreiche Studien haben eine Korrelation zwischen der zerebralen Amyloid-Tracer-Bindung und einer erniedrigten β‑Amyloid1–42-Konzentration bzw. β‑Amyloid42/40-Ratio im Liquor nachweisen können [11, 31].

Marker für die Tau-Pathologie

Die Tau-Pathologie der AD lässt sich durch die Messung des phosphorylierten Tau-Proteins (pTau) im Liquor darstellen. Für die Erfassung der zerebralen Tau-Deposition gibt es Tau-PET-Tracer, die derzeit noch in der Entwicklungsphase sind. Erste Studien zeigen eine positive Korrelation zwischen zerebraler Tau-Deposition gemessen mit Tau-PET und pTau- sowie tTau-Konzentrationen im Liquor sowie dem histopathologischen Tau-Nachweis [8, 14, 49]. Da die Dateninterpretation der Tau-Tracer, auch in Bezug auf Spezifität der Anreicherung, wesentlich komplexer als die der Amyloid-Tracer ist, sind noch weitere Entwicklungen notwendig, ehe sie klinische Anwendung finden werden.

Marker für die Neurodegeneration

Die Biomarker für die Neurodegeneration stellen Indikatoren eines Nervenzellverlustes dar und sind nicht spezifisch für eine AD. Das Gesamt-Tau-Protein (tTau) im Liquor weist auf einen Nervenzellverlust und eine Neurodegeneration hin und korreliert bei der AD mit der pTau-Konzentration im Liquor [32]. Mittels struktureller Magnetresonanztomographie (MRT) kann das Atrophiemuster beurteilt werden. Insbesondere die mediale Temporallappenatrophie gilt als typisch für die Neurodegeneration bei AD, jedoch ist sie nicht spezifisch hierfür [12]. Neuere Studien beschreiben ein AD-typisches Muster der Reduktion der kortikalen Dicke, welches ebenfalls als ein MRT-Marker für die Neurodegeneration bei AD verwendet werden kann [24]. Mittels FDG-PET kann der zerebrale Glukosemetabolismus dargestellt werden, der auf die synaptische Dysfunktion und das Ausmaß der Neurodegeneration hinweist. Für die AD typisch sind ein Hypometabolismus im medialen Parietallappen (Präkuneus) und in den temporoparietalen sowie frontalen Hirnarealen [39].

Chronologisches Modell der Alzheimer-Pathologie

Ein hypothetisches Modell für die Chronologie der pathophysiologischen Veränderungen im Verlauf der AD wurde von Jack und Kollegen im Jahr 2013 vorgeschlagen [25]. Hierbei beginnt die Erkrankung Jahrzehnte vor Symptombeginn mit einer Amyloiddeposition. Dem Modell folgend können als erstes die Amyloidablagerungen durch Liquor- oder PET-Untersuchungen bereits im präklinischen Stadium nachgewiesen werden. Die Ausbreitung der Tau-Pathologie erfolgt dann über die medialen Temporallappen hinaus [5] und sowohl die tTau- als auch die pTau-Konzentrationen im Liquor werden im Verlauf dieser Ausbreitung auf andere Gehirnregionen pathologisch. Die Ausbreitung von Tau kann in vivo auch mittels Tau-PET dargestellt werden. Es folgt die Neurodegeneration, bei der die zerebrale Atrophie mittels MRT-Untersuchungen und die neuronale Funktionsstörung durch FDG-PET-Untersuchungen nachgewiesen werden können. Auf die pathophysiologischen Veränderungen der Alzheimer-Krankheit folgen zeitlich versetzt die klinischen Symptome. Mit dem Nachweis von Neurodegeneration sind die Patienten häufig symptomatisch und haben das Prodromalstadium (das MCI-Stadium) oder das Demenzstadium der AD bereits erreicht. Dieses Modell verdeutlicht auch, dass die klinischen Funktionseinschränkungen als Kontinuum zu verstehen sind, mit fließenden Übergängen zwischen dem kognitiv normalen Zustand über das MCI-Stadium bis hin zur Demenz. Bedeutsam ist, dass es sich bei der beschriebenen Chronologie um ein vereinfachtes Modell der Amyloid-Hypothese handelt. Das vorzeitige Ende einiger amyloidbasierter klinischer Studien spricht grundsätzlich nicht gegen die Amyloid-Hypothese, sondern unterstreicht die Notwendigkeit primärpräventiv angelegter krankheitsmodifizierender klinischer Studien.

Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und Demenzprädiktion mit Biomarkern

Untersuchungen haben gezeigt, dass die klinische Diagnose der Alzheimer-Demenz in nur 70–80 % der Fälle mit der Alzheimer-Pathologie in postmortem Untersuchungen korreliert [3, 29]. Eine Metaanalyse zum Einsatz von Amyloid-PET-Untersuchungen bei Patienten mit klinischer Demenzdiagnose zeigte, dass 12 % aller Patienten mit einer Alzheimer-Demenz keine Amyloid-Pathologie im PET aufwiesen [42]. Diese diagnostische Unsicherheit ist unter anderem darin begründet, dass die Symptome der AD nicht vollständig spezifisch sind und es insbesondere mit steigendem Alter Überlappungen mit anderen neurodegenerativen bzw. vaskulären Pathologien gibt, die ähnliche Symptome bedingen können. Bei MCI zeigen etwa 50–60 % aller Patienten keine biomarkerbasierten bzw. neuropathologischen Korrelate der AD [47, 53].

Die mangelnde Spezifität klinischer Symptome für die AD-Pathologie kann durch Biomarkeruntersuchungen für die Alzheimer-Krankheit kompensiert werden. Im MCI-Stadium ist durch Bestimmung der Biomarker ein Ausschluss bzw. Nachweis der AD-Pathologie möglich [21, 48]. Basierend auf der derzeit umfassendsten Metaanalyse zur biomarkerbasierten AD-Früherkennung können für MCI-Patienten differenzierte Aussagen zum Krankheitsverlauf und der Wahrscheinlichkeit für eine Demenz getroffen werden ([52]; Tab. 3). Die Risikoschätzungen basieren auf der A/N-Einteilung [25, 52]. Die Grenzen der Datengrundlage für die biomarkerbasierte Demenzprädiktion sind derzeit unter anderem darin begründet, dass es noch keine zentrumsübergreifenden Methodenstandards und Normwerte für AD-Biomarker gibt und bisher keine individuellen Patientencharakteristika (Alter, Geschlecht, komorbide Erkrankungen etc.) in die Prädiktionsmodelle integriert wurden [52]. Kürzlich entwickelte eine niederländische Arbeitsgruppe ein biomarkerbasiertes Prädiktionsmodell aus dem Alzheimer’s Biomarkers in Daily Practice (ABIDE) Projekt und legte einen wichtigen Grundstein für die individualisierte Risikoprofilanalyse von Personen mit MCI [36, 37]. Als Grundlage dienten Daten von über 2600 MCI-Patienten aus 4 großen Kohorten (European Medical Information Framework for Alzheimer’s disease [EMIF], Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative [ADNI], Amsterdam Dementia Cohort [ADC] und Swedish BioFINDER studies). Es wurden insgesamt 4 verschiedene Prädiktionsmodelle untersucht, die die demographischen Daten Geschlecht, Alter und Mini-Mental-Status-Test (MMST), die individuellen Liquorbiomarkerdaten, MRT-basierte hippokampale Volumina sowie das A/T/N-Modell berücksichtigten und Übergangsraten in eine Demenz innerhalb von 1, 3 und 5 Jahren berechneten. Die Autoren haben bei der Validierung des biomarkerbasierten Prädiktionsmodells unter anderem verschiedene Assays für Liquoranalysen und die verschiedene Software für die MRT-basierte Bestimmung der hippokampalen Volumina berücksichtigt. Die Untersuchungen zeigten, dass das A/T/N-Modell die präziseste Prädiktion hinsichtlich des Demenzrisikos liefert [36]. Da die prädiktive Liquordiagnostik mittlerweile eine gängige klinische Praxis ist, gewinnt die Qualitätskontrolle zunehmend an Bedeutung. Durch automatisierte Assay-Durchführung kann die methodische Zuverlässigkeit optimiert werden. In diesem Zusammenhang hat eine der größten europäischen Forschungsverbünde, mit über 18 teilnehmenden Ländern, das BIOMARK-APD-Projekt, maßgeblich zur Standardisierung und Optimierung von Probengewinnung, Probenlagerung, Probentransport sowie Probenbearbeitung beigetragen. Der Einsatz von Amyloid-PET als Früherkennungsuntersuchung der AD und für die individuelle Prädiktion einer Alzheimer-Demenz in Prädemenzstadien wird derzeit intensiv beforscht [35, 56]. Aus Studien ist bekannt, dass die Anwendung von Amyloid-PET, ähnlich wie der Einsatz von Liquorbiomarkern, im MCI- und Demenzstadium die Patientenversorgung verbessern kann (Diagnoserevision und Anpassung des klinischen Managements; [46, 55]). Aufgrund noch fehlender pharmakologischer Ansätze im prodromalen AD-Stadium wirken sich die Änderungen des klinischen Managements bei Amyloidpositivität für MCI-Patienten geringer aus, als die Änderungen der Krankheitsprognose bei Amyloidpositivität. Kriterienansätze für die klinische Anwendung der Amyloid-PET-Diagnostik bei MCI- und Demenzpatienten wurden von einer US-amerikanischen Expertengruppe entwickelt (Amyloid Imaging Task Force, the Society of Nuclear Medicine and Molecular Imaging [SNMMI] und Alzheimer Association; [27]). Der Einsatz der Amyloid-PET im Rahmen einer AD-Früherkennungsdiagnostik erfolgt derzeit primär im Rahmen von (klinischen) Studien. Dies ist unter anderem darin begründet, dass die prädiktive und prognostische Wertigkeit weiter untersucht werden müssen [35, 56]. In Deutschland wird derzeit die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen für Amyloid-PET in der Regel nicht gewährt.

Tab. 3 Demenzprädiktion im MCI-Stadium anhand von Liquorbiomarkerprofilen. (Mod. nach [52])

Zusammenfassend sind die Grenzen der Datengrundlage für die biomarkerbasierte Demenzprädiktion derzeit unter anderem darin begründet, dass es noch keine zentrumsübergreifenden Methodenstandards und Normwerte für AD-Biomarker gibt, auch müssen oben genannte Prädiktionsmodelle in prospektiven Studien weiter validiert werden, ehe sie in der klinischen Praxis eingesetzt werden können.

Auswirkungen der Bestimmung von Biomarkern auf das klinische Management und das psychische Wohlbefinden

Die Datenlage zu den Effekten der biomarkerbasierten Früherkennung der AD auf das klinische Management ist begrenzt. Die Studienlage zeigt, dass bei MCI und Demenz die Durchführung von Biomarkeruntersuchungen in 7–60 % der Fälle zu einer Diagnoseänderung und somit Anpassung der Behandlungsplanung führt [9, 28, 40, 46, 54]. Kürzlich publizierte Arbeiten der US-amerikanischen Amyloid-PET-Studie Imaging Dementia – Evidence for Amyloid Scanning (IDEAS) und des eingangs erwähnten niederländischen ABIDE-Projektes belegten Änderungen der Therapiestrategien (Umstellung der medikamentösen Therapie, intensivierte Beratungsangebote, optionaler Einschluss in klinische Studien) in Abhängigkeit der Resultate der Amyloid-PET-Untersuchungen [46, 54]. Die Autoren der Studien kommen zu dem Schluss, dass der Einsatz von Biomarkern für Ärzte einen Zugewinn an Informationen und an Sicherheit in der diagnostischen Zuordnung bietet.

Aufgrund derzeit fehlender substanziell wirksamer Behandlungsoptionen, hat die Früherkennung der AD in den Prädemenzstadien keine unmittelbare Auswirkung auf die leitliniengerechte medikamentöse Therapie [21, 48]. Die in den S3-Leitlinien empfohlenen symptomatischen Therapien mit Acetylcholinsterasehemmern (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin) und Modulatoren des glutamatergen Systems (Memantin; [10] sind ausschließlich für das Demenzstadium zugelassen. Die Datenlage zu gesundheitsökonomischen Folgen der Liquorbiomarkeruntersuchung ist sehr limitiert. Nur eine Arbeit adressierte die möglichen Kosteneffekte von Liquoruntersuchungen, bei denen unter anderem die Auswirkungen auf die Verordnung von Donepezil bei Patienten mit MCI („off-label“) bzw. klinischer Demenzdiagnose untersucht wurden [50].

Die Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden nach Mitteilung der Biomarkerergebnisse sind in verschiedenen Patientenkollektiven (subjektive kognitive Störung, MCI und leichte Demenz) untersucht worden [16, 33, 41, 51]. Grundsätzlich zeigen diese ersten Studien, dass die Mitteilung von Biomarkerergebnissen bei Patienten und deren Angehörigen, auch bei nachgewiesener Alzheimer-Pathologie, in der Regel nicht zu klinisch ausgeprägten psychischen Belastungsreaktionen führt.

Bei diesen Ergebnissen muss berücksichtigt werden, dass im Kontext klinischer Studien eine ausführliche Beratung der Studienprobanden über die Biomarkerdiagnostik vorausging. Darüber hinaus gibt es bei der Beratung von MCI-Patienten und Demenzpatienten relevante inhaltliche Unterschiede. Während im Demenzstadium die AD-Biomarker genutzt werden, um eine Alzheimer-Pathologie zu bestätigen bzw. auszuschließen, ermöglichen sie im Prädemenzstadium neben dem Nachweis der Alzheimer-Pathologie auch eine Prognose zum Krankheitsverlauf und eine Demenzprädiktion. Die Demenzprädiktion kann wiederum erhebliche Auswirkungen auf die psychosoziale Situation und die weitere Lebensplanung der Betroffenen und Angehörigen haben. Differenzierte Untersuchungen zu den Auswirkungen der biomarkerbasierten Früherkennung der AD und der Demenzprädiktion in Prädemenzstadien auf Patienten und Angehörige werden zurzeit durchgeführt.

Empfehlungen für den Einsatz von Biomarkern bei MCI-Patienten

Obwohl die Liquorbiomarkeruntersuchung im MCI-Stadium in Deutschland eine gängige Praxis ist, gibt es für deren Einsatz zur Früherkennung der AD und zur Demenzprädiktion keine Empfehlungen oder Leitlinien. Die S3-Leitlinie Demenzen bietet Empfehlungen zur differenzialdiagnostischen Anwendung der Liquoruntersuchung bei Demenz [10], jedoch wird (noch) keine explizite Handlungsanweisung zur biomarkerbasierten Früherkennung der AD und der Demenzprädiktion beim MCI gegeben.

Die Autoren der europäischen (BIOMARK-APD) und US-amerikanischen (AA) Konsensuspublikationen legen Empfehlungen zum Einsatz von Biomarkern bei MCI vor, die im Folgenden zusammengefasst werden [21, 48].

Grundsätzlich sollten vor der Biomarkeruntersuchung das MCI-Syndrom klinisch bestätigt und durch die unten aufgeführten diagnostischen Maßnahmen potenziell behandelbare Ursachen erkannt werden (Tab. 1; [1, 10, 21, 30]). Das MCI-Syndrom kann anhand des klinischen Bildes nach ausführlicher Eigen- und Fremdanamnese und durch Ergänzung der neuropsychologischen Testung festgestellt werden. Als nächste Maßnahmen sollten sich eine Blutuntersuchung und die zerebrale Bildgebung (Magnetresonanztomographie [MRT] oder Computertomographie [CT]) anschließen, um mit diesen Verfahren diagnostizierbare Ursachen des MCI auszuschließen (Tab. 1). Mögliche Ursachen können psychische Erkrankungen (z. B. depressive Störung, Angststörung, Schlafstörung), Arzneimittelnebenwirkungen oder -interaktionen, internistische oder neurologische bzw. neurodegenerative Erkrankungen sein. Von der europäischen BIOMARK-APD-Projektgruppe wurde eine Entscheidungshilfe für das klinisch-diagnostische Vorgehen mit und ohne Biomarkeruntersuchung bei MCI entwickelt (Abb. 1; [21]).

Abb. 1
figure 1

Entscheidungshilfe für die diagnostische Abklärung und prädiktive Diagnostik bei „mild cognitive impairment“ (MCI). pTau phosphoryliertes Tau, tTau gesamtes Tau, MRT Magnetresonanztomographie, PET Positronenemissionstomographie, FDG Fluordesoxyglucose. (Mod. nach [21])

Nach Bestätigung der MCI-Diagnose und Ausschluss spezifischer Ursachen sollte im Anschluss eine Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und der damit verknüpften Möglichkeit der Demenzprädiktion erwogen werden [21, 48]. Hierbei betonen beide Konsensuspublikationen die informierte Einwilligung des Patienten in die Biomarkerdiagnostik nach umfassender Beratung über die Möglichkeiten und Risiken der Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und der Demenzprädiktion als entscheidende Voraussetzung für die Untersuchungen. Das Beratungsgespräch dient dazu, MCI-Patienten und ihre Angehörigen anzuregen, sich mit den Themen Biomarkeruntersuchung und Demenzprädiktion sowie dem individuellen Für und Wider auseinanderzusetzen. Inhalte des Beratungsgesprächs sollten Informationen zum Krankheitsmodell und zur Symptomentwicklung sowie zu (präventiven) Ansätzen, u. a. durch Lebensstilmodifikationen, sein (Tab. 4; [18]).

Tab. 4 Vorgehensempfehlungen für das Beratungsgespräch über die Biomarkerdiagnostik der Alzheimer-Krankheit. (Mod. nach [20, 21])

Kernthemen des Beratungsgespräches sollten ferner die Möglichkeit der frühen Feststellung einer AD bereits im MCI-Stadium und die Erläuterung möglicher Biomarkerresultate in Bezug auf das Demenzrisiko sein. Insbesondere sollten die Patienten und Angehörigen darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Früherkennung der AD im MCI-Stadium eine Prognose zum Krankheitsverlauf und zum Demenzrisiko ermöglicht, jedoch keine Demenzdiagnose darstellt.

Die Prädiktion einer noch nicht behandelbaren Erkrankung, wie der Alzheimer-Demenz, kann zu erheblichen Belastungen führen, daher sollte im Beratungsgespräch darauf hingewiesen werden, dass nach der Befundmitteilung psychologische Begleitreaktionen, Veränderungen im sozialen und beruflichen Umfeld, neue sozialrechtliche Herausforderungen und mögliche Benachteiligungen bei Versicherungen auftreten können [2, 6, 20, 21, 51].

Grundsätzlich ist aus der Literatur und den Erfahrungen aus Gedächtnisambulanzen bekannt, dass viele Patienten, trotz derzeit fehlender Optionen eine mögliche Demenz substanziell aufzuhalten, über die AD und ihr individuelles Demenzrisiko informiert werden möchten, um ihre weitere Lebensplanung danach auszurichten und durch gezielte präventive Therapieansätze eine Verlangsamung der Krankheitsprogression zu erzielen [13, 17, 34, 51].

Grundsätzlich kann basierend auf den klinischen MCI-Diagnosekriterien [1] und bei unbekanntem Biomarkerstatus eine allgemeine Prognose über den Krankheitsverlauf mitgeteilt werden [38]. Hierbei entspricht das Risiko für Personen mit MCI, innerhalb von 3 Jahren eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln, ca. 33 %. [38]. Da etwa 50–60 % aller MCI-Patienten keine Alzheimer-Pathologie aufzeigen [47, 53] und somit ein geringeres Risiko für den Übergang in eine Alzheimer-Demenz haben als MCI-Patienten mit einer Alzheimer-Pathologie [7, 52], ist ohne eine Biomarkeruntersuchung eine differenzierte Prognose im Hinblick auf das Demenzrisiko nicht möglich. Die biomarkerbasierte Feststellung der AD ermöglicht es, MCI-Patienten genauere Prognosen zum Krankheitsverlauf mitzuteilen [21, 34, 51]. Je nach Konstellation des Biomarkerprofils können aktuell drei verschiedene Szenarien in Bezug auf das Demenzrisiko unterschieden werden.

Beim Vorliegen einer AD (Amyloid- und Tau-Pathologie) liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 5 Jahren nach der MCI-Diagnosestellung eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln, bei fast 90 % [52]. Sind nur eine Amyloid- oder eine Tau-Pathologie vorhanden, liegt das Übergangsrisiko innerhalb von 5 Jahren nach der MCI-Diagnosestellung zwischen 45–50 %. Bei unauffälligen Biomarkern liegt das Risiko für eine Alzheimer-Demenz bei circa 10 %.

Wird vom Patienten eine Biomarkeruntersuchung gewünscht, schließt sich nach der Lumbalpunktion eine Befundmitteilung an, die, soweit möglich, in Anwesenheit eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person durchgeführt werden sollte. Grundsätzlich wird empfohlen, die Befundmitteilung in einer einfach verständlichen Sprache zu vermitteln, ausreichend Zeit für Rückfragen einzuplanen und auf mögliche psychische Belastungsreaktionen zu achten [20, 34]. Zur Vermittlung des Demenzrisikos sind visuelle Hilfsmitteln wie Grafiken, Balkendiagramme oder Piktogramme nützlich, die bisher nur für Studienzwecke entwickelt worden sind [15, 20, 34]. Hilfreich ist zudem die Anwendung der Teach-back-Methode, bei der die Patienten und Angehörigen gebeten werden, die wesentlichen Inhalte der Befundmitteilung in eigenen Worten wiederzugeben. Bei der Befundbesprechung sollten erneut die präventiven Therapieansätze erläutert und die Patienten und Angehörigen über mögliche psychische Begleitreaktionen aufgeklärt werden (Tab. 5; [20, 21, 48]). Wird eine AD nachgewiesen und liegt damit ein erhöhtes Demenzrisiko vor, sollte ein Behandlungsplan mit regelmäßigen klinischen Verlaufskontrollen einschließlich der Behandlung komorbider Erkrankungen aufgestellt werden. Falls ein Fortschreiten zur Demenz stattfindet, wird der frühestmögliche Beginn einer symptomatischen antidementiven Therapie empfohlen.

Tab. 5 Vorgehensempfehlungen für die Befundmitteilung und die klinischen Verlaufskontrollen bei MCI-Patienten mit Alzheimer-Krankheit. (Mod. nach [20, 21])

Fazit für die Praxis

Die Anwendung der biomarkerbasierten Früherkennung der AD und Demenzprädiktion bei MCI-Patienten wird in der klinischen Praxis immer häufiger angefragt. Aufgrund fehlender nationaler Leitlinienempfehlungen und der komplexen Interpretation von Biomarkerprofilen werden besondere Herausforderungen an Patienten, Angehörige und Ärzte gestellt. Grundsätzlich wird empfohlen, vor der Durchführung von Biomarkeruntersuchungen auf die Möglichkeiten und Grenzen einer prädiktiven Diagnostik hinzuweisen und Patienten und Angehörige im Sinne eines „informed-consent“ und „Shared-decision-making“-Prozesses zu begleiten. Durch die Früherkennung der AD können individuelle Prognosen zum Krankheitsverlauf und zur Prädiktion der Alzheimer-Demenz gemacht werden. MCI-Patienten mit AD haben ein fast 90%iges Risiko innerhalb von 5 Jahren eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Da die AD nicht heilbar ist, können diese Prognoseabschätzungen Folgen für die Lebensplanung und das psychische Wohlbefinden der Betroffenen haben, weshalb regelmäßige Verlaufskontrollen mit Angeboten zu Präventions- und frühen Therapiemaßnahmen empfohlen werden.