Zusammenfassung
Die moderne Intensivmedizin zeichnet sich durch gestiegene Überlebensraten selbst bei schwersten somatischen Krankheiten aus. In einer selbstkritischen und multidimensionalen Outcomeforschung sind aber zusätzliche stärker patientenorientierte Variablen mit zu berücksichtigen. Das Überleben einer intensivpflichtigen Krankheit ist im Langzeitverlauf mit hohen Raten von depressiven, Angst- und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) assoziiert. Bedeutsame Zusammenhänge mit einer erhöhten somatischen Morbidität und Mortalität, mit persistierenden kognitiven Defiziten sowie mit Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sind hierbei zu beachten. In einer empirischen Analyse der Risikofaktoren kommt affektiven Vorerkrankungen, soziodemographischen und -ökonomischen Variablen, typischen pathophysiologischen Grundkonstellationen der intensivpflichtigen Erkrankung, dem Modus der Sedierung und Analgesie, lebensunterstützenden Maßnahmen wie z. B. mechanische Respiration und mannigfaltigen traumatischen Erfahrungen und Erinnerungen eine besondere pathogenetische Bedeutung zu. Eine hierauf überlegt bezogene intensivmedizinische Therapie, spezielle prophylaktische psychopharmakologische Medikationen zur Reduktion des erhöhten PTSD-Risikos, klinisch-psychologische, psychotherapeutische und interpersonal reorientierende Interventionen zur Reduktion früh sich manifestierender akuter Belastungssymptome werden dargestellt.
Abstract
Modern intensive care medicine has led to increased survival rates even after severe life-threatening medical conditions. In self-critical and multidimensional outcome research, however, it must be considered that beyond survival rates treatment on intensive care units (ICU) can also be associated with high long-term rates of depressive, anxiety and posttraumatic stress disorders. Significant correlations with increased somatic morbidity and mortality, persisting cognitive impairments and significant deficits in health-related quality of life must also be taken into consideration. Empirical analysis of the risk factors reveals that a history of premorbid depression, sociodemographic and socioeconomic variables, age, female sex, personality traits, the underlying pathophysiological condition requiring ICU treatment, mode of sedation and analgesia, life support measures, such as mechanical ventilation, manifold traumatic experiences and memories during the stay in the ICU are all of particular pathogenetic importance. In order to reduce principally modifiable risk factors several strategies are illustrated, including well-reflected intensive care sedation and analgesia, special prophylactic medication regarding the major risk of traumatic memories and posttraumatic stress disorder (PTSD), psychological and psychotherapeutic interventions in states of increased acute stress symptoms and aids for personal memories and reorientation.
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Aufnahme und Aufenthalt auf Intensivstation sind für einen Patienten mit einem hohen emotionalen und schmerzbestimmten Disstress verbunden. Dieser kann zuweilen eine dramatische und auch eine traumatische Intensität annehmen. Die individuelle Wahrnehmung und Verarbeitung der multiplen Stressoren vor Ort wird durch eine eingeschränkte Bewusstseinslage, durch beeinträchtigte kognitive Funktionen und affektive Vorbelastungen noch zusätzlich erschwert. Die Rate psychologischer Probleme und psychischer Störungen intensivpflichtiger Patienten ist, wenig überraschend, sehr hoch. Eine diagnostische und therapeutische Mitarbeit durch CL (Konsiliar/Liaison) -Psychiatrie und -Psychosomatik wird häufig benötigt. Delirante, psychotische, ängstliche und depressive Syndrome, eine psychotherapeutische Unterstützung bei einer problematischen Krankheitsverarbeitung sowie bei der Bewältigung emotionaler Krisen trauernder Angehöriger sind die typischen Konsilianforderungen von Intensivstationen.
Die medizinischen Erfolge der modernen Intensivmedizin sind unbestritten. Eine selbstkritische und multidimensionale Outcomeforschung fokussiert heute aber nicht mehr auf die Überlebensquote als einzig bestimmendem Parameter der Ergebnisqualität intensivmedizinischen Handelns. In einer Langzeitperspektive werden mittlerweile verstärkt auch patientenorientierte Outcomevariablen wie bleibende körperliche Funktionsdefizite, Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sowie emotionale und kognitive Langzeitfolgen als bedeutsame Aspekte eines Überlebens erachtet [1]. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über affektive, Angst- und posttraumatische Belastungsstörungen als Konsequenzen einer intensivmedizinischen Behandlung.
Prävalenz/Inzidenz
Die generelle affektive Morbidität von Patienten, die eine akute kritische Erkrankung überlebt haben, ist in der Zeit nach einem Aufenthalt auf Intensivstation sehr hoch [2, 3]. Die Prävalenzraten streuen in Abhängigkeit von der eingesetzten Methodik beträchtlich und sind am höchsten bei einer Bestimmung über Fragebögen. Sowohl auf einer Symptom- als auch auf einer Störungsebene zeichnet sich für diese affektive Morbidität eine oft langwierige Persistenz ab. Diese wird in einigen prospektiven Longitudinalstudien mit sukzessiven Messzeitpunkten für die ersten Monate nach überstandener intensivpflichtiger Erkrankung [4, 5] bis zu 1 und 2 Jahren im weiteren Verlauf [6–8], in einigen Follow-up-Studien auch über einen sehr viel längeren Zeitraum nachgewiesen [9, 10].
Werden Patienten mit definierten Erkrankungen und notwendiger intensivmedizinischer Therapie mit Patienten auf allgemeinmedizinischen Stationen direkt verglichen, dann liegt das Ausmaß an depressiven, ängstlichen und Stresssymptomen bei ersterer Gruppe auf einem signifikant höheren Niveau [11]. Es erscheint als relativ gesichert, dass nicht der Schweregrad eines somatischen Krankheitszustands per se, sondern der Umstand einer notwendigen Behandlung unter den speziellen Bedingungen einer Intensivstation signifikant und unabhängig hierzu beiträgt [12].
Depressive Störungen
Die Diagnose depressiver Störungen während eines Aufenthalts auf einer Intensivstation stößt auf eine Reihe von Problemen wie z. B. eine zuweilen extrem erschwerte Interviewsituation, die unsichere Bewertung gerade der somatisch-vegetativen Symptome eines depressiven Syndroms im Hinblick auf die Schwere der somatischen Erkrankung und den speziellen Behandlungskontext, noch nicht erfüllte Zeitkriterien oder aber die oft nicht mögliche Abgrenzung gegenüber deliranten Syndromen. Trotzdem scheinen die Prävalenzraten depressiver Störungen auch schon zu diesem Zeitpunkt bedeutsam erhöht zu sein [4, 12]. Sie können bei jenen Patienten mit langfristig notwendiger mechanischer Respiration 40 % und mehr erreichen [13].
Die Persistenz der depressiven Morbidität ist hoch
Nach intensivmedizinischen Behandlungen wegen eines akuten Lungenversagens („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) liegt die Inzidenz einer neu auftretenden Major-Depression durchschnittlich bei ca. 25 % [14, 15]. Im Allgemeinen sind die Häufigkeiten depressiver Störungen bei einem definierten Organversagen oder Multiorganversagen mit jenen Raten nach Verbrennungen, Polytrauma oder anderen internistischen und chirurgischen Indikationen für eine intensivpflichtige Behandlung recht gut vergleichbar [16]. Prospektiv zu mehreren Zeitpunkten im weiteren Verlauf erfasste depressive Störungen belegen eine hohe Konstanz der jeweiligen Depressionsraten für die untersuchten Patientenkohorten. Hierbei sind die zu einem früheren Zeitpunkt diagnostizierten depressiven Störungen auch für spätere Zeitabschnitte stark prädiktiv, was auf eine bedeutsame Persistenz der depressiven Morbidität bei betroffenen Patienten hinweist [7, 8, 17].
Angststörungen
Angstreaktionen von Patienten auf Intensivstation sind häufig und oft massiv ausgeprägt. Sie liegen erneut in einem besonders hohen Ausmaß bei Patienten mit mechanischer Beatmung vor [18]. In einer meist erst im Verlauf möglichen Einordnung dieser Angstsymptome stellt sich einerseits ein Zusammenhang zur erlebten situativen Desorientiertheit und Unverständlichkeit der an der eigenen Person vorgenommenen intensivmedizinischen Interventionen, andererseits auch zu extreme Angst auslösenden halluzinatorischen und wahnhaften Erlebnissen im Rahmen von Deliren oder psychotischen Zuständen dar [19].
Nach intensivmedizinischer Behandlung schwanken die Häufigkeiten für Angststörungen in einem systematischen Review zwischen 23 und 48 % [15] bzw. zwischen 38 und 44 % in einer prospektiven Studie über einen 2‑Jahres-Zeitraum [8]. In einer näheren diagnostischen Spezifizierung wird einerseits über eine hohe Rate an Panikstörung [20], andererseits auch an generalisierter Angststörung berichtet [21].
Posttraumatische Belastungsstörungen
Erst in den letzten 15 Jahren wird dem Sachverhalt verstärkte klinische Beachtung geschenkt, dass ein Aufenthalt auf einer Intensivstation infolge einer lebensbedrohlichen Erkrankung und der speziellen Behandlungsumstände auch traumatischen Charakter tragen kann. Explizite Studien zur systematischen Erfassung der Häufigkeiten von akuten und posttraumatischen Belastungsstörungen mittels standardisierter Interviews schon bei akut intensivpflichtigen Patienten liegen derzeit noch nicht vor. Trotzdem weisen mehrere Studien nach, dass der mit validierten psychologischen Methoden erfasste aktuelle Disstress auf Intensivstation bei bewusstseinsklaren und vom Respirator entwöhnten Patienten hoch prädiktiv für im weiteren Verlauf klinisch diagnostizierbare affektive, Angst- und posttraumatische Störungen, aber auch für kognitive Störungen ist (z. B. Posttraumatic Stress Symptoms-10 Scale, PTSS-10 [13]; Posttraumatic Stress Disorder [PTSD] Checklist-civilian version, PCL-C [17]; Hospital Anxiety Depression Scale, HADS und Post-traumatic Stress Syndrome 10-Questions Inventory, PTSS-10 [22]; Intensive Care Psychological Assessment Tool, IPAT [23]).
Traumatische Erfahrungen sind zahlreich und unterschiedlicher Natur [3]. Sie beziehen sich sowohl auf faktische Ereignisse (z. B. mechanische Respiration, Intubation, Absaugen, Defibrillation) und assoziierte Erfahrungen (z. B. starker Schmerz, respiratorischer Disstress, Unfähigkeit zu sprechen, sich zu bewegen, überhaupt zu kommunizieren, Erstickungsangst, Todesangst) als auch auf halluzinatorische und wahnhafte Erlebnisse, die in besonderer Intensität und Hartnäckigkeit als intrusive traumatische Erinnerungen persistieren können [19]. Letzteren scheint eine pathogenetisch höhere Relevanz für später diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörungen zuzukommen [19, 24].
Die hohe PTSD-Inzidenz nach intensivmedizinischer Behandlung ist belegt
Es liegt mittlerweile eine Fülle von Studien vor, die bei Überlebenden einer intensivmedizinischen Behandlung in weiterer Folge hohe Inzidenzen einer PTSD belegen. Mehrere systematische Reviews zeigen eine bedeutsame Streubreite in den Häufigkeitsraten. Diese stark divergente Datenlage ist durch eine Reihe von Faktoren zu erklären:
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prospektive vs. retrospektive Studiendesigns,
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variable Zeitabstände zur intensivmedizinischen Behandlung,
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verschiedene Einschlusskriterien der klinischen Samples,
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spezielle vs. allgemeine ICU („intensive care unit“) -Patientensamples,
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z. T. erheblicher Verlust von Patienten während des Follow-up-Zeitraums und damit fragliche Generalisierbarkeit der gefundenen Ergebnisse hinsichtlich der definierten Ausgangsstichprobe,
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dimensionale vs. kategoriale psychologische/psychiatrische Diagnostik,
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unsichere Abgrenzung von PTSD und Depression,
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Nichtbeachtung zwischenzeitlicher Einflussfaktoren [25].
Eine rezente Metaanalyse unterstreicht aber überzeugend, dass im Durchschnitt ca. ein Fünftel der überlebenden Patienten im ersten Jahr nach einer Behandlung auf Intensivstation unter klinisch relevanten posttraumatischen Symptomen bzw. einer PTSD leidet [26].
Die Diagnose einer PTSD kann häufig bereits bei Entlassung von der Intensivstation bzw. vom Krankenhaus gestellt werden. Persistierende posttraumatische Symptome nach 3 Monaten besitzen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine Spontanremission im weiteren Verlauf [27]. In einer prospektiven Kohortenstudie über 2 Jahre mit Messzeitpunkten zu 3, 6, 12 und 24 Monaten nach akutem Lungenversagen stellte sich nicht nur eine hohe Persistenz der PTSD-Symptome dar, sondern auch eine bedeutsame Koexistenz von Angst- und Depressionssymptomen als prävalentem Verlaufstypus in der Patientenkohorte [8]. Eine weitere umfangreiche Multicenterstudie verdeutlichte, dass im prospektiven Verlauf die Rate depressiver Störungen signifikant höher lag als jene von PTSD [7].
Verlaufskonsequenzen
Intensivpflichtige somatische Erkrankungen gehen per definitionem mit einer überdurchschnittlichen Mortalitätsrate bereits während der Behandlung auf Intensivstation einher. Trotz beeindruckender medizinisch-technologischer Fortschritte beträgt die Mortalitätsrate selbst in erfahrenen tertiären intensiv-medizinischen Zentren bei ARDS, Sepsis oder Polytrauma mit Multiorganversagen noch ca. ein Drittel der Patienten [28]. Vorbestehende Depressionen üben einen eigenständigen negativen Einfluss auf die stationäre Mortalitätsrate aus [29].
Auch im poststationären Verlauf bleibt die Mortalität in einem Zeitraum von 1 bis 4 Jahren im Vergleich zu gematchten Personen aus der Allgemeinbevölkerung oder zu parallelisierten somatisch erkrankten Patienten ohne intensivmedizinische Behandlung bedeutsam erhöht. Die Mortalitätsraten streuen für diesen Follow-up-Zeitraum zwischen 7 und 43 %. Alter, ursprüngliche Aufnahmediagnosen auf Intensivstation, Schweregrad der somatischen Erkrankung und Komorbiditäten nehmen einen signifikanten Einfluss auf dieses poststationäre Mortalitätsrisiko [30].
Für eine Fülle definierter somatischer Erkrankungen können bidirektionale Effekte von depressiven, Angst- und posttraumatischen Belastungsstörungen einerseits und somatischen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken andererseits in komplexen psychosomatischen und somatopsychischen Interaktionen empirisch nachgewiesen werden [31]. Angesichts der hohen affektiven Morbidität im Verlauf nach intensivmedizinischer Behandlung muss dieser kausal zu interpretierende Zusammenhang auch im Hinblick auf das erhöhte poststationäre Mortalitätsrisiko früherer Intensivpatienten mitdiskutiert werden.
Körperliche Behinderungen
In einer vielschichtigen Bewertung möglicher Spätfolgen einer intensivpflichtigen Behandlung sind einerseits bleibende körperliche Behinderungen, anderseits zwar langfristig anhaltende, sich aber nach bestimmten Zeitspannen allmählich auch wieder normalisierende somatische Funktionseinbußen zu berücksichtigen. Diese körperlichen Beeinträchtigungen müssen in einem engen Konnex mit affektiven, vor allem mit depressiven Verstimmungen betrachtet werden. Auf einer somatischen Ebene sind ein reduziertes Körpergewicht, eine eingeschränkte körperliche Belastungsfähigkeit, persistierende Schmerzsyndrome, heterotrophe Ossifikationen, kosmetisch störende Narben von Tracheostomien, fixierte Deformationen an Fingern und Schulter anzuführen [30]. Persistierende Neuropathien („critical illness neuropathy“, CIP) und Myopathien („critical illness myopathy“, CIM) nach intensivmedizinischer Behandlung werden als eigenständige neurologische Spätfolgen beschrieben [32]. Pulmonale Funktionsstörungen sind insbesondere bei vormaligen Intensivpatienten mit ARDS und mechanischer Respiration in der Langzeitperspektive studiert worden. Während bereits im kurzfristigen Verlauf sich abzeichnende Komplikationen von Lungenfibrose und pulmonalem Hypertonus eher eine ungünstige Prognose signalisieren, überwiegen bei der Mehrheit der überlebenden ARDS-Patienten leichte bis mittelschwere Defizite der Lungenfunktionen, die bis zu einem Jahr andauern, sich in der Folgezeit aber wieder weitgehend normalisieren können [33].
Körperliche Funktionseinbußen verstärken depressive Verstimmungen
Es überrascht wenig, dass dauerhafte körperliche Funktionseinbußen und chronische Schmerzen wichtige Faktoren sind, die auch zu einer Persistenz vor allem von depressiven Verstimmungen beitragen. Umgekehrt beeinflussen letztere das allgemeine Krankheitsverhalten und die persönliche Krankheitsverarbeitung negativ und bedingen zusätzlich auch eine intensivere Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen im poststationären Verlauf [6, 7, 34]. In prospektiven Longitudinalstudien kündigten Besserungen zuvor bestehender körperlicher Beeinträchtigungen auch eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Remission von depressiven, Angst- und posttraumatischen Symptomen zum jeweils nachfolgenden Messzeitpunkt an [8].
Kognitive Defizite
Relevante, mehrheitlich persistierende kognitive Defizite müssen ebenfalls als eigenständige Langzeitkonsequenzen einer intensivmedizinischen Behandlung festgehalten werden. Es bestehen sowohl auf der Ebene einer klinischen Syndromanalyse als auch auf der Ebene pathogenetischer Mechanismen wichtige Überschneidungen zwischen kognitiver und affektiver Morbidität [2, 3].
Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Ein relevanter Zusammenhang zwischen körperlichen und emotionalen Langzeitfolgen einerseits und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität andererseits wird allein schon durch die je typische konzeptuelle Konstruktion von „gesundheitsbezogener Lebensqualität“ (z. B. SF-36) vorbereitet. Koexistente körperliche und affektive Beeinträchtigungen bei vormaligen Intensivpatienten sind hoch signifikant miteinander korreliert und bedingen bedeutsame Einbußen in den differenziellen Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Gesamtwerte der Lebensqualität sind auch im Langzeitverlauf statistisch signifikant niedriger als jene von gematchten Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Die Scores in der Dimension der körperlichen Funktionsfähigkeit bessern sich am deutlichsten während des ersten halben Jahres nach Intensivstation, im weiteren Verlauf meist nicht mehr entscheidend. Bei der „körperlichen Rollenfunktion“, also dem Ausmaß, wie sehr der vorliegende körperliche Gesundheitszustand die Arbeit und Alltagsaktivitäten behindert, sind hingegen weiterhin kontinuierliche Verbesserungen möglich [35].
Persistierende depressive, Angst- und posttraumatische Symptome sind insbesondere mit erniedrigten Werten in den Dimensionen der emotionalen und sozialen Rollenfunktion verknüpft. Kognitive Defizite als Spätfolgen tragen eigenständig zu einer geminderten Lebensqualität bei. Sie reduzieren entscheidend die Fähigkeit, wieder zu einer geregelten beruflichen Tätigkeit zurückzukehren, beeinträchtigen die Arbeitsproduktivität und die allgemeine Lebenszufriedenheit signifikant [2, 3, 36].
Ätiopathogenetische Faktoren
Multiple Faktoren beeinflussen das somatische, affektive und kognitive Outcome von Patienten nach lebensbedrohlicher Erkrankung und intensivmedizinischer Behandlung in komplexen Interaktionen. Einzelne ätiopathogenetische Aspekte sind auf die jeweiligen Charakteristika einer definierten somatischen Grunderkrankung, die in einer bestimmten krisenhaften Situation zur intensivmedizinischen Behandlung führt, andere Aspekte wiederum auf den speziellen Kontext, die Behandlungsmodalitäten und Komplikationen einer Intensivstation selbst zu beziehen. Stets zu beachtende psychologische und biologische Variablen der Persönlichkeit wie auch des näheren sozialen Umfelds machen prinzipiell eine Analyse dieser einzelnen Einflussfaktoren innerhalb eines biopsychosozialen Modells unabdingbar. Es sollen hier nur einige Aspekte der intensivmedizinischen Behandlung in ihrer potenziellen Bedeutung für affektive und posttraumatische Langzeitfolgen skizziert werden (Abb. 1).
Prä-ICU-Aspekte
Zwischen einzelnen definierten somatischen Erkrankungsrisiken und affektiven Vulnerabilitäten bzw. Störungen bestehen engmaschige bidirektionale Interaktionen [31]. Eine positive Anamnese einer depressiven, Angst- oder posttraumatischen Störung bedeutet auch ein erhöhtes affektives Rezidivrisiko unter den speziellen Bedingungen einer Intensivstation [2]. Weibliches Geschlecht, niedriger sozioökonomischer Status gehen als unabhängige Variable mit ein [4]. Ein jüngeres Lebensalter besitzt im Vergleich zu einem höheren Lebensalter möglicherweise ein bedeutsameres Risiko, nach traumatischen Expositionen auf Intensivstationen eine PTSD zu entwickeln [24]. Jegliche kognitive Vorbeeinträchtigung schließt auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit ein, dass sich die neurokognitiven Funktionen unter intensivmedizinischen Bedingungen weiter verschlechtern; hierbei ist ein höheres Lebensalter als bedeutsame Kovariable zu bewerten [37]. Persönlichkeitscharakteristika wie allgemeine Ängstlichkeit, exzessive Besorgnisse, Copingstile wie Optimismus vs. Pessimismus, aber auch soziale Variable wie Bildungsstatus, familiäre und soziale Unterstützung beeinflussen die Qualität der psychologischen Verarbeitung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und deren häufig traumatisierenden Therapien. Sie bestimmen die emotionale Befindlichkeit bzw. die affektiven Morbiditätsrisiken mit [3].
ICU-Aspekte
Klinische Charakteristika der intensivpflichtigen somatischen Erkrankung
Kritisch-medizinische Bedingungen.
Intensivpflichtige Situationen können infolge eskalierender pathophysiologischer Entgleisungen bei den unterschiedlichsten somatischen Erkrankungen auftreten. Grundlegende pathophysiologische Konstellationen wie Hypoxämie, Glukosedysregulation, Hypotension und Proinflammation definieren eine lebensgefährliche medizinische Allgemeinbedingung noch vor den Detailaspekten der je zugrunde liegenden Krankheit.
Diese allgemeinen, ätiologisch unspezifischen, kritisch-medizinischen Bedingungen gehen fast regelhaft mit einer akuten unspezifischen Hirnschädigung unterschiedlichen Ausmaßes einher. Zerebrale Funktionsstörungen können sowohl mit Methoden des Neuroimagings als auch der Neuropsychologie nachgewiesen werden. Sie beschreiben zunächst im Wesentlichen die Ausgangsbedingungen eines erhöhten Delirrisikos. Sie sind in einer prozesshaften Verlaufsperspektive aber auch mit persistierenden kognitiven Defiziten und einem stationär wie poststationär erhöhten affektiven Morbiditätsrisiko korreliert [38].
Systemische proinflammatorische Prozesse, erhöhter oxydativer und metabolischer Stress, die bei ARDS, Sepsis, Verbrennungen oder Polytrauma zentral vorherrschen, gehen mit relevanten früh einsetzenden Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus und der Schmerzwahrnehmung sowie einer nachfolgenden affektiven und kognitiven Dysregulation einher [31].
Mechanische Respiration.
Zahlreiche Studien belegen, dass Intensivpatienten unter den notwendigen Bedingungen einer mechanischen Respiration wahrscheinlich ein besonders hohes akutes und auch anhaltendes affektives, insbesondere Angst- und PTSD-Risiko tragen [3]. Eine Indikation zu Intubation und mechanischer Ventilation wird bei akutem Lungenversagen gestellt.
Respiratorischer Disstress kann eine traumatische Intensität mit realer Erstickungsangst annehmen.
Einer Hypothese zufolge ist plötzlich auftretende Panik pathophysiologisch auf einen „Erstickungsalarm“ zu beziehen. Panikattacken resultieren demnach aus einer abnorm sensitiven Reagibilität der medullären Chemorezeptoren, dem Atmungskontrollsystem im Hirnstamm auf ansteigendes arterielles CO2. Dieser pathophysiologische Zustand charakterisiert Lungenerkrankungen in symptomatischen Krisen, regelhaft in den Spätstadien und scheint bei ARDS-Patienten besonders ausgeprägt zu sein. Ein Übergang aus intensiven Panikzuständen in eine PTSD ist möglicherweise mit der Intensität und vor allem der oft prolongierten Dauer der extrem bedrohten Atmung zu erklären. Reale Erstickungsangst, vernichtende Gefühle zu sterben sind in der Initialphase der intensivmedizinischen Behandlung häufig. Auch in der Phase der Entwöhnung vom Respirator kann erneut ein verstärkter respiratorischer Disstress auftreten, der einen Circulus vitiosus von bedrohter Atmung, massiven Panikaffekten und posttraumatischer Entwicklung weiter fördert [39].
In einer prospektiven Beobachtungsstudie zu Langzeitüberlebenden nach akutem Lungenversagen war die hohe Inzidenz von 35 % klinisch relevanter PTSD-Symptome über eine Reihe von Risiko- und protektiven Faktoren vermittelt: Erhöhte Odds Ratios (OR) fanden sich für prästationäre Depression (OR = 1,96), Dauer der intensivmedizinischen Behandlung mit prolongierter Respiration (OR = 1,39), Sepsis (OR = 1,08) und die Erfordernis hoher Opiatdosen (OR = 2,13), erniedrigte Odds Ratios aber für die Anzahl der Tage mit niedriger Opiatmedikation (OR = 0,83) und Dauer der Kortikoidapplikation (OR = 0,91; [40]).
Schlafstörungen.
Schlafstörungen zählen zu den häufigsten Symptomen von Patienten auf einer Intensivstation. Schlafunterbrechungen und Schlafdeprivation sind multifaktoriell bedingt. Sie werden durch die vorherrschenden somatische Grundbedingungen, begleitende psychologische Stressoren, mechanische Respiration, Lärmpegel, Beleuchtung, Schmerzzustande, invasive medizinische Interventionen und insbesondere auch durch Medikationen bedingt und aufrechterhalten. Typischerweise zeigt die Schlafarchitektur von Intensivpatienten nur eine geringe Schlaftiefe mit den Stadien I und II, immer wieder durch Aufwachperioden unterbrochen, kaum aber tiefere Schlafstadien, auch der REM („rapid eye movement“) -Schlaf ist verringert. Elektroenzephalographische (EEG-)Untersuchungen decken atypische Muster im Frequenzspektrum sowohl im Wachzustand mit Delta- und Theta-Aktivität als auch im tief komatösen Zustand mit vermehrten Wellen aus dem Alpha- und Beta-Bereich auf [41].
Schlafstörungen prädisponieren zu Delir und kognitiven Dysfunktionen, ausgeprägte Schlafdeprivation kann zu Albträumen mit möglichem Übergang auch in den Wachzustand und zu akuter paranoid-halluzinatorischer Symptombildung führen. Störungen des Schlafrhythmus bestehen oft über den Aufenthalt auf einer Intensivstation hinaus fort und sind mit einem erhöhten affektiven Morbiditätsrisiko sowie mit bedeutsamen Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität poststationär korreliert [42].
Schmerzen.
Extreme Schmerzen bzw. eine unzureichende Analgesie müssen als eigenständiger Risikofaktor für eine PTSD oder Depression gewertet werden [43]. Schlecht kontrollierte Schmerzen können nach schwerwiegenden Verletzungen, Verbrennungen oder aber nach großen Operationen vorübergehend, zuweilen auch längerfristig auf Intensivstationen vorliegen und traumatisch wirken [9]. In einer prospektiven Studie wies die Einweisung auf eine chirurgische Intensivstation und hier zu unterstellendem erhöhten Opiateinsatz im Vergleich zu internistischen Stationen ein erhöhtes Depressionsrisiko (OR: 2,2) 6 Monate poststationär auf [44].
Psychotrope Effekte intensivmedizinischer Medikationen
Den diversen medikamentösen Strategien zur Sedierung kommt auf Intensivstation eine zentrale Bedeutung zu. Spezielle therapeutische Interventionen wie mechanische Respiration, prolongierte Schlafstörungen oder aber Zustände von starker Angst und Agitation sind häufige Indikationen für den Einsatz von Sedativa. Generell üben Art, Tiefe und Dauer einer Sedierung einen wichtigen Einfluss auf das Risiko von Deliren, Entzugssyndromen, kognitiver, affektiver und posttraumatischer Morbidität aus [24].
Benzodiazepine.
Einzelne Medikamentenklassen entfalten differenzielle Wirkungen [45]. Studien unterstreichen, dass der Grad einer Sedierung nicht automatisch mit Schlaftiefe bzw. mit erholsamem Schlaf gleichzusetzen ist, häufig im Gegenteil. GABAerge Substanzen wie insbesondere Benzodiazepine (z. B. Midazolam, Lorazepam) fördern die Schlafstadien I und II, sie unterdrücken aber tiefere Schlafstadien und REM-Schlaf. Sie reduzieren den zerebralen Blutfluss und sind wahrscheinlich nicht nur mit häufigeren Deliren und kognitiven Dysfunktionen [46], sondern auch mit einer höheren Rate an depressiven und posttraumatischen Symptomen assoziiert [2, 3, 25].
Benzodiazepine besitzen eigenständige Effekte auf die Gedächtnisleistungen. Nicht immer führen sie zu einer totalen Amnesie. Zwar besteht ein Haupteffekt in der Behinderung der Kodierung und Konsolidierung von Langzeiterinnerungen. Möglicherweise sind hiervon vorrangig neutrale Gedächtnisinhalte betroffen, nicht so sehr aber schmerzhafte oder emotional stark aufgeladene Erfahrungen.
Pharmakokinetisch ist ferner die Tendenz zur Kumulierung der eingesetzten Benzodiazepine mit einer resultierenden Übersedierung gerade bei langfristiger mechanischer Ventilation zu beachten; diese Übersedierung geht wiederum mit prolongierten Weaning-Phasen vom Respirator, mit heftigeren Entzugssyndromen und vermehrten Deliren einher [47].
Verringert verfügbares Kortisol erhöht möglicherweise das PTSD-Risiko
Benzodiazepine reduzieren die Freisetzung von Kortisol. Kortisol unterdrückt unwillentliche intrusive traumatische Wiedererinnerungen und übt so einen wahrscheinlich protektiven Effekt aus. Verringert verfügbares Kortisol wiederum spielt möglicherweise eine wichtige pathogenetische Rolle in der Vermittlung eines höheren PTSD-Risikos. Die wenigen kontrollierten Studien zum Früheinsatz von Benzodiazepinen nach Traumaexpositionen haben entweder keinen präventiven oder aber einen bedeutsam nachteiligen Effekt gezeigt [48].
Propofol und Dexmedetomidin.
Das ebenfalls GABAerge Propofol zeigt ein ähnliches Wirkprofil auf die Schlafarchitektur wie Benzodiazepine. Es beeinträchtigt zudem den Glukosemetabolismus mit nachteiligen Effekten auf einen erholsamen Schlaf. Dexmedetomidin vermittelt sedative Effekte über einen α2-Agonismus. Es reduziert REM-Schlaf und Schlafstadium III. Es besitzt möglicherweise Vorteile durch eine leichtere Aufweckbarkeit der Patienten aus der Sedierung.
Opiate.
Auch Opiate (z. B. Fentanyl) zeigen einen REM-suppressiven Effekt mit einem möglichen Rebound von Albträumen bei Reduktion und Absetzen [45]. Der Einsatz von Opiaten ist unabdingbar. Allerdings müssen gerade bei hohen Dosen auch die nachteiligen Effekte auf kognitive Funktionen berücksichtigt werden. Eine wirksame, sichere und im Hinblick auf affektive und kognitive Morbiditätsrisiken überlegte Analgosedierung bleibt eine intensivmedizinische Herausforderung [24].
Katecholamine.
Neben einer mechanischen Unterstützung der Atmung bei Lungenversagen ist sehr häufig auch eine Behandlung weiterer kritischer Organdysfunktionen z. B. eines kardiovaskulären Versagens notwendig. Oft sind hohe Dosen exogener Katecholamine zur Stützung der Kreislauffunktionen unabdingbar (Noradrenalin bei vaskulärem Versagen mit Hypotension, Adrenalin bei Herzversagen). Dies kann zu einer zusätzlichen Eskalierung der physiologischen Stressreaktionen beitragen.
Im Hinblick auf ein PTSD-Risiko sind auch Dysfunktionen der HPA ( Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden)-Achse zu beachten. Allerdings sind die in einigen Studien registrierten Veränderungen mit relativer Kortisolinsuffizienz, Hyperkortisolämie, reduziertem Kortisolmetabolismus und variabler Glukokortikoidrezeptorsensitivät komplex und z. T. widersprüchlich. Zur hohen Variabilität dieser HPA-Dysfunktionen tragen neben ganz unterschiedlichen intensivmedizinischen Ausgangsbedingungen auch genetische Polymorphismen u. a. im Glukokortikoidrezeptorgen und im „corticotrophin-releasing hormone binding protein“-Gen bei [49].
Hydrokortison.
Stressdosen von Hydrokortison zur intensivmedizinischen Standardtherapie führen bei Patienten mit septischem Schock signifikant rascher und günstiger zu einer Stabilisierung des kritischen somatischen Zustands als die intensivmedizinische Standardtherapie alleine [50]. Ein protektiver Effekt von Hydrokortison auf das hohe PTSD-Risiko bei diversen somatisch-kritischen Krankheitszuständen mit anteilig hoher proinflammatorischer Beteiligung (z. B. ARDS, Sepsis, herzchirurgische Eingriffe) ist in mehreren placebokontrollierten Studien nachgewiesen worden [51–53].
Psychischer Disstress/Störungen als Risikoindikatoren
Psychische Störungen wie Delire, depressive und Angststörungen sowie akute Belastungsstörungen stellen für sich bereits genuine Indikationen für gezielte CL-psychiatrische und -psychosomatische Akutinterventionen dar. Dieser erhöhte emotionale und kognitive Disstress während einer intensivmedizinischen Behandlung muss aber auch im Hinblick auf das erhöhte Risiko einer beträchtlichen kognitiven und affektiven Morbidität im weiteren poststationären Verlauf als relevant gewertet werden [3, 24, 26].
Delire treten bei intensivpflichtigen Patienten in über 50 % auf. In einer prospektiven Beobachtungsstudie an einer Patientenkohorte war ein ICU-Delir in poststationärer Perspektive mit Angst, mit Depression vor, aber nicht nach Kontrolle der Altersvariable, aber nicht mit PTSD signifikant assoziiert [5]. In einer ebenfalls prospektiven Beobachtungsstudie prädizierte das Ausmaß der mit der PTSD-Checklist gemessenen akuten Belastungssymptome auch ausgeprägte kognitive Beeinträchtigungen im Follow-up [17]. Akute Belastungssymptome sind hoch prädiktiv für depressive Störungen und PTSD [4].
Einen entscheidenden pathogenetischen Einfluss auf ein späteres PTSD-Risiko üben traumatische Erfahrungen während des Aufenthalts auf Intensivstation aus. Kodierung und Konsolidierung dieser traumatischen Erlebnisse werden durch komplexe Interaktionen von Glukokortikoiden, Katecholaminen und Endocannabinoiden auf neurobiologischer Ebene vermittelt [54]. Erinnerungen an definierte faktische traumatische Erlebnisse (z. B. unzureichend kontrollierter Schmerz, respiratorischer Disstress) zeigen sich in einigen Studien als signifikant korreliert mit PTSD-Symptomen [9, 51, 52, 55–59].
Eine Amnesie gilt als ein Risikofaktor
Überlebende Intensivpatienten haben zuweilen aber nur wenige reale Erinnerungen speziell an die Aufnahmesituation und die erste Zeit auf der Intensivstation [4, 60]. Eine Amnesie an die frühen Abschnitte der intensivmedizinischen Behandlung gilt als ein Risikofaktor im Hinblick auf das spätere PTSD-Risiko [61]. Von höherer pathogenetischer Bedeutung als faktische Traumata aber scheinen jene oft über lange Jahre persistierenden traumatischen Erlebnisse im Kontext psychotischer Zustände, reduzierter oder oneiroider Bewusstseinszustände und Albträume für das PTSD-Risiko im weiteren Verlauf zu sein [58]. Auch wenn in Einzelfällen plausibel nachvollzogen werden kann, dass die bewusste Registrierung und spätere Erinnerung an konkrete Vorfälle selbst aversiver oder traumatischer Qualität bedeutsam für die personale Reorientierung während und nach einem Aufenthalt auf Intensivstation ist [60], kann kein genereller protektiver Effekt dieser faktischen Traumaerinnerungen in kategorialer Abgrenzung zu wahnhaften, halluzinatorischen oder albtraumhaften Traumaerinnerungen bestätigt werden [24]. Möglicherweise aber trägt das Fehlen faktischer Erinnerungen dazu bei, jenen lebhaften wahnhaften Erinnerungen und Konfabulationen dadurch ein so negatives Übergewicht zu verleihen, weil keine Korrektur durch verfügbare reale Erinnerungen erfolgen kann [3].
Post-ICU-Aspekte
Der vielfach noch langwierig komplizierte Krankheitsverlauf mit erhöhter somatischer und psychischer Morbidität, mit zahlreichen mühsamen Rehabilitationen, erneuten Krankenhausaufenthalten und wiederholt notwendig werdenden Behandlungen auf einer Intensivstation, aber auch erhöhte interpersonale und familiäre Stressoren sowie nachteilige soziale Konsequenzen infolge eines persistierenden Krankenstands verstärken die affektive Langzeitmorbidität und halten sie aufrecht [31].
Therapeutische Optionen zur Modifikation beeinflussbarer Risikofaktoren
Therapeutische, vor allem psychopharmakologische Interventionen bei akut auftretenden psychischen Störungen wie Delire und affektive Syndrome während eines Aufenthalts auf einer Intensivstation werden hier nicht näher behandelt. Hierzu wird auf detaillierte Darstellungen verwiesen [62]. Es sollen lediglich Strategien diskutiert werden, die eine vorteilhafte Modifikation von wahrscheinlichen Risikofaktoren für eine affektive und posttraumatische Morbidität versprechen.
Sedierung
Sedierung ist häufig notwendig, eine Übersedierung ist aber zu vermeiden. Der unbekümmerte Einsatz von Benzodiazepinen ist kritisch zu reflektieren und zugunsten möglicherweise vorteilhafteren Substanzen wie Propofol oder Dexemedetomidin zu ersetzen [63, 64]. Kontrollierte Studien mit kurzfristigen täglichen Unterbrechungen einer kontinuierlichen Sedierung bei intensivpflichtigen Patienten unter mechanischer Respiration reduzierte die Rate späterer PTSD-Symptome [65–67]. Eine randomisiert kontrollierte Studie („randomized controlled trial“, RCT) mit einem Nichtsedierungsprotokoll, das aber eine gezielte Opiatanalgesie und eine Haloperidolmedikation bei auftretenden Zeichen eines Delirs gestattete, erwies sich ebenfalls als nicht nachteilig hinsichtlich nachfolgender affektiver und kognitiver Morbiditätsrisiken [68].
Überlegte Maßnahmen zur Förderung der Schlafhygiene wie tagsüber regelmäßige interpersonale Ansprache und Reorientierung zur Aufrechterhaltung von Wachheit, früh einsetzende Mobilisierung, ruhevolle Umgebungsgestaltung, Entspannungsübungen, Augen- und Hörschutz nachtsüber, reflektierte Schlafmedikation sind von grundlegender Bedeutung [3].
Analgesie
Eine gezielte Analgesie ist auf Intensivstation unabdingbar und reduziert potenziell traumatogene Effekte starker Schmerzen. Eine frühe und ausreichend dosierte Applikation von Opiaten nach traumatischen Verbrennungen [69–71] oder bei schwerwiegenden körperlichen Verletzungen [72] besitzt sehr wahrscheinlich eine präventive Wirkung hinsichtlich eines späteren PTSD-Risikos.
Traumatische Erinnerungen
Das erhöhte PTSD-Risiko unter intensivmedizinischen Bedingungen wird entscheidend durch eine überstarke Bildung und einen ständigen unwillkürlichen Wiederabruf traumatischer Erinnerungen vermittelt. Neurobiologisch kann einer Überkonsolidierung traumatischer Erinnerungen durch die Reduktion einer noradrenergen Hyperaktivität prinzipiell entgegengewirkt werden. Dies kann einerseits mittels postsynaptischem β‑adrenergem (z. B. Propranolol) und α1-adrenergem Antagonismus (z. B. Prazosin), andererseits mittels präsynaptischem α2-Agonismus gelingen (z. B. Clonidin). Ein prophylaktischer Einsatz von Stressdosen Hydrokortison vermag wiederum einen unwillkürlichen intrusiven Retrieval-Prozess wirksam hemmen. Der Einsatz von (nor)adrenalinblockierenden Substanzen wie z. B. Propranol ist in zahlreichen intensivmedizinischen Situationen problematisch und bei Hypotension oder drohendem Kreislaufversagen kontraindiziert. Er wird jedoch bei einer gut stabilisierten Kreislauflage und einsetzenden intrusiven traumatischen Erinnerungen mit Anzeichen einer autonomen Hyperaktivität auch für die Gruppe vormaliger Intensivpatienten diskutiert [73].
Der prophylaktische Einsatz von Stressdosen Hydrokortison ist bei definierten somatischen Krankheiten unter intensivmedizinischen Behandlungsbedingungen empirisch belegt [74]. Kontrollierte Studien zum Früheinsatz von Hydrokortison auch nach zivilen und militärischen Traumata zeigen analoge positive Effekte und bestärken diese Strategie [75].
Akuter Belastungsdisstress
Bereits während des Aufenthalts oder in den ersten Wochen sich manifestierender akuter Belastungsdisstress ist hoch prädiktiv für spätere affektive und posttraumatische Morbiditätsrisiken. Mannigfaltige klinisch-psychologische Interventionen wie Beratung, Psychoedukation, Förderung positiver Copingmechanismen bei Intensivpatienten zeigten in einer RCT eine signifikante Reduktion depressiver, ängstlicher und posttraumatischer Belastungssymptome in der Impact-of-Event-Skala 12 Monate nach Entlassung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe [76]. Ein „stepped care approach“ bei chirurgischen Patienten nach schweren Verletzungen und teilweise intensivpflichtiger Behandlung fokussierte auf früh nach Entlassung auftretende akute Belastungssymptome und erzielte in randomisierten und kontrollierten Studien gegenüber Kontrollgruppen ähnlich überlegene Effekte auf die affektive und posttraumatische Morbidität zum Follow-up-Termin [77, 78].
Intensivstationstagebuch
Auch ein Intensivstationstagebuch, das hauptsächlich von Intensivschwestern und Familienangehörigen geführt, aber auch von Intensivmedizinern während der kritischen Behandlungsphase ergänzt wurde, erwies sich als eine Erfolg versprechende Intervention in einigen RCTs mit positiven Wirkungen auf die psychische Erholung sowohl der Patienten als auch ihrer häufig stark mitbelasteten Angehörigen [79, 80].
Fazit für die Praxis
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Intensivpflichtige Patienten weisen eine hohe Prävalenz kognitiver und affektiver Störungen auf, die gezielte CL-psychiatrische und -psychosomatische Behandlungen erfordern.
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Akute psychische Störungen auf ICU sind nicht nur kurzfristig vorübergehender Natur, sondern haben häufig persistierende Konsequenzen. In der Verlaufsperspektive finden sich hohe Raten depressiver, Angst- und posttraumatischer Belastungsstörungen.
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In einer empirischen Analyse der Risikofaktoren für eine affektive und posttraumatische Langzeitkomorbidität kommt affektiven Vorerkrankungen, Variablen wie Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, typischen pathophysiologischen Grundkonstellationen der intensivpflichtigen Erkrankung, Modus der Sedierung und Analgesie, lebensunterstützenden Maßnahmen wie z. B. mechanischer Respiration, mannigfaltigen traumatischen Erfahrungen und akuter emotionaler Belastungsstress eine besondere pathogenetische Bedeutung zu.
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Eine überlegt gestaltete intensivmedizinische Polypharmazie sowie klinisch-psychologische, psychotherapeutische und interpersonal reorientierende Interventionen zur Reduktion eines früh sich manifestierenden akuten Belastungsdisstresses sind möglich.
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Kapfhammer, HP. Depressive, Angst- und posttraumatische Belastungsstörungen als Konsequenzen intensivmedizinischer Behandlung. Nervenarzt 87, 253–263 (2016). https://doi.org/10.1007/s00115-016-0070-8
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