Obwohl die HIV-Infektion ihren früheren Schrecken durch die immer bessere Behandelbarkeit verloren hat, bleiben die neurokognitiven Manifestationen ein relevantes Thema. Bei leicht steigenden Neuinfektionsraten und längerem Überleben der Infizierten nimmt die Prävalenz der HIV-Infektion zu, und durch das steigende Lebensalter der Patienten wird die Differenzialdiagnose zu den anderen Demenzformen zunehmend zur Herausforderung.

Einleitung und Nomenklatur

Zwar ist mit Einführung der kombinierten antiretroviralen Therapie („combination antiretroviral therapy“, cART) im Jahre 1996 die HIV-Infektion zu einer behandelbaren Krankheit geworden, jedoch ist das HI-Virus nicht eradizierbar und damit die HIV-Infektion nicht heilbar. Daher bleibt die zerebrale Manifestation der HIV-Infektion mit der Störung von kognitiven, motorischen, Verhaltens- und vegetativen Funktionen [3, 65, 76, 102] ein Alltagsproblem in der HIV-Medizin. Für dieses Krankheitsbild wurden verschiedene Begriffe geprägt wie HIV-Enzephalopathie, AIDS-Demenz-Komplex und HIV-assoziierter kognitiv-motorischer Komplex. Nach einer internationalen Konsensuskonferenz wird heute der Begriff HIV-assoziierte neurokognitive Störung (HAND, „HIV-associated neurocognitive disorder“) verwendet [1].

Epidemiologie

Mit der Einführung der cART im Jahre 1996 ist die Inzidenz der HIV-assoziierten Erkrankungen in den industrialisierten Ländern so deutlich zurückgegangen, dass die Lebenserwartung HIV-Infizierter heute der von HIV-Negativen immer näher kommt [2]. Zwar ist auch die Inzidenz von HAND rückläufig, dies aber nicht in dem Maße wie die der anderen AIDS-definierenden Erkrankungen [22]. Die Prävalenz neurokognitiver Störungen durch HIV selbst (in Abgrenzung zu opportunistischen Infektionen) steigt mit der Lebenserwartung naturgemäß an und wird derzeit auf 20–50 % geschätzt [49, 101]. Während somit die prinzipielle Behandelbarkeit von HAND durch die cART außer Frage steht, sind das Maß und die Dauerhaftigkeit des Effekts der cART begrenzt.

HAND tritt heute häufiger in früheren Stadien auf und zeigt einen anderen Verlauf

Verschiedene Autoren berichten von Patienten mit supprimierter Viruslast im Plasma, die chronisch progrediente und teils fluktuierende kognitive Störungen entwickelten [1, 6, 111]. Systematische Längsschnittuntersuchungen zum Verlauf kognitiver Störungen bei asymptomatischen HIV-Infizierten ergaben stabile kognitive Leistungen über 5 Jahre [17]; allerdings war die in dieser Studie angewandte Testbatterie für eine valide Aussage zu wenig umfassend. Außerdem war die Population schulisch und beruflich überdurchschnittlich gut ausgebildet und verfügte daher über ein hohes Maß an kognitiver Reserve. HIV-Patienten mit einem initial schlechten Immunstatus (niedrige CD4-Zellzahlen), der sich unter cART verbesserte, waren einige Jahre nach cART-Beginn kognitiv noch gering schlechter als HIV-Negative, mit teilweise allerdings weiterer kognitiver Besserung im Verlauf [69]. Während somit schwere Ausprägungen von HAND, wie sie vor der cART-Ära üblich waren, bei antiretroviral behandelten Patienten nun selten sind [84], werden in der klinischen Praxis leichtere kognitive Störungen beobachtet, die zudem in früheren Infektionsstadien auftreten [49, 50, 92].

Eine erhebliche sozialmedizinische Relevanz erhält HAND neben der Beeinträchtigung der Erwerbsarbeitsfähigkeit dadurch, dass sie mit einem verkürzten Überleben assoziiert ist [97]. Bei Patienten mit bekanntem Zeitpunkt der (Primär-)Infektion ist nachgewiesen, dass ein früher Abfall der CD4-Lymphozyten und eine initial hohe Plasmaviruslast eine neurokognitive Störung prädizieren [61]. In ähnlicher Weise prädiziert eine klinisch symptomatisch verlaufende Primärinfektion einen schnelleren Beginn und Verlauf neurokognitiver Störungen [115].

Im Jahr 2012 infizierten sich in Deutschland knapp 3400 Menschen neu mit dem Virus, und es lebten ca. 78.000 Menschen mit der Infektion (Robert-Koch-Institut, http://www.rki.de, Stand 12.2013). Das mittlere Lebensalter der Infizierten nimmt zu; die höchste Prävalenz besteht nun in der Altersgruppe von 45 bis 50 Jahren. Dies bedingt, dass in der Differenzialdiagnose neurokognitiver Störungen eines HIV-Patienten virusunabhängige, altersassoziierte Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz, vaskuläre und andere Formen der Demenz abgegrenzt werden müssen. Mit höherem Lebensalter eines HIV-Infizierten steigt die Wahrscheinlichkeit, HAND zu entwickeln [13, 64, 108].

Die aktuelle Nomenklatur von HAND [1] beruht auf einer 2007 etablierten Revision der aus 1991 stammenden Klassifikation, die u. a. aufgrund des durch die cART geänderten Verlaufes der Erkrankung notwendig wurde (Tab. 1). Wesentliche Neuerungen sind die Einführung der Kategorie eines „asymptomatic neurocognitive impairment“ (ANI; asymptomatisches, HIV-assoziiertes neuropsychologisches Defizit) und der Verzicht auf motorische und psychiatrische Kriterien (affektive und Verhaltensstörungen). Letzteres stellt unseres Erachtens allerdings einen unnötigen Verzicht auf Symptome dar, die schon früh als konstituierendes Element von HAND erfasst wurden. Insbesondere motorische Störungen sind unabhängig vom ethnischen und Bildungshintergrund und zudem einfach und quantitativ untersuchbar [4, 91].

Eine klinisch-pathologische Studie ergab eine gute Übereinstimmung der histopathologischen Diagnose von HAND mit der Klassifizierung nach der o. g. neuen Nomenklatur [12].

Tab. 1 Internationale Nomenklatur der HIV-assoziierten neurokognitiven Störungen. (Mod. nach [1])

Anamnese und klinischer Befund

HAND entwickelt sich subakut bis chronisch. Bei schnellerer Entwicklung innerhalb weniger Wochen müssen konkurrierende Ursachen ausgeschlossen werden. Ist der Patient zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Fieber, Müdigkeit, Sedierung oder eine akute Erkrankung in einem reduzierten Allgemein- bzw. Bewusstseinszustand, darf die Diagnose HAND nur nach einer Verlaufsuntersuchung unter gebesserten Bedingungen gestellt werden.

Typische Klagen der Betroffenen in den früheren Stadien sind sowohl Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen als auch Störungen der Exekutivfunktionen. Bei Krankheitsprogress treten psychomotorische Verlangsamung mit depressiven und anderen affektiven Symptomen (Reizbarkeit, Affektlabilität) sowie milde und oft subklinische motorische Zeichen hinzu. Besonders im Stadium der HIV-assoziierten Demenz ist eine Fremdanamnese indiziert.

Eine Vigilanzstörung ist mit der Diagnose HAND nicht vereinbar. Eindeutige Herd- oder Seitenzeichen bzw. ein Meningismus gehören nicht zum Bild von HAND. Psychotische Symptome alleine begründen die Diagnose der HAND nicht. Die Koinzidenz von HAND und Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis ist auffallend gering [48].

Bei 5–10 % der Patienten mit fortgeschrittenem HAND kommt es zu fokalen und generalisierten epileptischen Anfällen [118].

Weiterführende Diagnostik

In der Diagnostik von HAND werden neuropsychologische, radiologische, liquoranalytische und neurophysiologische Methoden eingesetzt. Prinzipiell wird die Diagnose HAND allerdings klinisch gestellt, d. h. Einzelbefunde können die Diagnose nicht begründen.

Die Diagnose HAND wird klinisch gestellt

Die neuropsychologische Testung ist am besten geeignet, die kognitiven Defizite quantitativ zu erfassen, ist aber zeit- und personalaufwendig. Geeignete Tests inkl. der speziell für HAND entwickelten HIV-Demenz-Skala sind in der Tab. 2 aufgeführt. Für die HIV-Demenz-Skala existieren alters- und bildungsbezogene Normwerte, die die Sensitivität und Spezifität deutlich erhöhen [71]. Eine Alternative ist die ebenfalls gut validierte und bildungsunabhängige „International HIV Dementia Scale (IHDS)“ [93].

Tab. 2 Für das Screening und die Diagnostik der HAND geeignete neuropsychologische Testmethoden. (Mod. nach [1])a

Bei den neurophysiologischen Untersuchungen sind Motoriktests wie z. B. der „Finger-tapping“-Test [3] in der klinischen Diagnostik und in wissenschaftlichen Untersuchungen anwendbar. Bei HAND ist das Elektroenzephalogramm (EEG) normal oder allenfalls gering allgemeinverändert und ohne relevante Herdbefunde. Ereigniskorrelierte Potenziale haben ihren Platz in wissenschaftlichen Verlaufs- und Therapiestudien [35].

Die wichtigste Aufgabe der bildgebenden Methoden ist der Ausschluss anderer Hirnkrankheiten (Tab. 3). In der Magnetresonanztomographie (MRT) sollten folgende Sequenzen als Mindestprogramm durchgeführt werden: DWI, T2, TIRM bzw. FLAIR axial und sagittal, T1 mit Gadolinium. HAND geht oft mit Echoanhebungen in T2-gewichteten Sequenzen in der tiefen weißen Substanz und den Basalganglien einher [46]; allerdings sind diese Veränderungen keinesfalls spezifisch. Die sog. U-Fasern werden dabei im Unterschied zur progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) ausgespart. Es findet sich schon früh eine innere und äußere, nichtfokale Atrophie [86]. Raumforderungen und fokale Kontrastmittel(KM)-Anreicherung sind mit der Diagnose HAND nicht vereinbar. Unter den modernen MR-basierten Verfahren konnten mit der MR-Spektroskopie und den Parametern apparenter Diffusionskoeffizient (ADC), Magnetisierungs-Transfer-Ratio (MTR), „diffusion tensor imaging“ (DTI) und der voxelbasierten Morphometrie (VBM) Zusammenhänge zwischen der Störung des Gewebsaufbaus und klinischen Parametern gezeigt werden [16, 47, 54, 87]. Weiterhin kann eine Hyperechogenität der Substantia nigra in der transkraniellen Sonographie beobachtet werden, die als Ausdruck einer dopaminergen Dysfunktion interpretiert wird [79]. Diese Verfahren eignen sich aber nicht für den Routineeinsatz.

Tab. 3 Differenzialdiagnosen von HAND und diagnostische Maßnahmen

Durch das zunehmende Lebensalter der HIV-Infizierten wird die Abgrenzung der HIV-induzierten Leukenzephalopathie von der subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie (SAE) immer wichtiger. Eine Studie an antiretroviral behandelten Patienten zeigte eine höhere Korrelation der Leukenzephalopathie mit Alter und Blutdruck als mit Parametern der HIV-Infektion [70].

Da die Inzidenz depressiver Störungen bei HIV-Infizierten wesentlich erhöht ist und sich die Symptome von Depression und HAND überschneiden, ist in der Differenzialdiagnose von HAND die psychiatrische Untersuchung zur Frage einer kognitiven Störung im Rahmen einer depressiven Störung (sog. Pseudodemenz) eminent wichtig [112].

Die Bedeutung der Liquoruntersuchungen liegt in der Abgrenzung zu opportunistischen Infektionen und dem ZNS (Zentralnervensystem) -Lymphom (Tab. 3). Unspezifische, mit einer chronischen Entzündung zu vereinbarende Befunde (lymphomonozytäre Pleozytose bis 50 Zellen/μl, Erhöhung des Gesamteiweißes, autochthone Immunglobulin-G[IgG]-Synthese, oligoklonale Banden) finden sich schon bei asymptomatischer HIV-Infektion [30]. Eine cART und insbesondere eine solche mit liquorgängigen Substanzen geht allerdings mit einer geringeren Pleozytose einher [62]. Während vor der cART-Ära die HI-Virus-Last im Liquor eine statistisch signifikante Beziehung zu HAND zeigte [7, 66], wird dieser Zusammenhang nun nicht mehr beobachtet [19, 50, 67, 96]. Es muss beachtet werden, dass auch opportunistische ZNS-Infektionen, die mit einer lymphozytären Pleozytose einhergehen, zu einer erheblichen Erhöhung der Liquorviruslast führen können [72].

Die Bestimmung von Neopterin, p24-Antigen, β2-Mikroglobulin, dem Antikörperindex für HIV im Liquor oder von Zytokinen wie TNF-α (Tumornekrosefaktor-α) oder MCP-1 („monocyte chemotactic protein-1“) ist für die Routinediagnostik von HAND nicht sinnvoll.

Eine Arbeit berichtet von einer Erniedrigung des β-Amyloid (Aβ42) und einer Erhöhung von Tau-Protein (Tau) und phosphoryliertem Tau im Liquor von Patienten mit HAND [15]. Neuere Untersuchungen ergaben eine Korrelation zwischen HAND und dem Gesamt-Tau, aber nicht mit Phospho-Tau, was darauf hinweist, dass HAND keine Unterform der Alzheimer-Demenz darstellt [104]. Allerdings ist eine zufällige Koinzidenz noch nicht ausgeschlossen, sodass die Untersuchung dieser Parameter derzeit nicht empfohlen wird.

Differenzialdiagnosen

Da das Durchschnittsalter der HIV-Infizierten steigt, die klassischen opportunistischen Infektionen seltener auftreten und die HIV-Infektion einen Gefäßrisikofaktor darstellt, treten in der Differenzialdiagnostik diejenigen Ätiologien von Demenzen in den Vordergrund, die auch bei HIV-negativen Patienten relevant sind (M. Alzheimer, SAE, Demenz mit Lewy-Körpern, Hydrocephalus aresorptivus etc.). Die wichtigsten Differenzialdiagnosen von HAND und das diagnostische Vorgehen sind in Tab. 3 aufgeführt.

Neuropathologische Befunde und Pathogenese

Das morphologische Korrelat von HAND wird im Wesentlichen durch zwei Befundkonstellationen repräsentiert [10]. Die HIV-Enzephalitis zeigt histologisch disseminierte, oft perivaskulär gelegene Herde aus Mikroglia, Makrophagen und multinukleären Riesenzellen [9]. Sie wird von der HIV-Leukoenzephalopathie abgegrenzt, die durch eine mehr diffuse bilateral-symmetrische Schädigung der weißen Substanz mit Verlust von Myelin, reaktiver astrozytärer Gliose, Makrophagen und mehrkernigen Riesenzellen definiert ist [10]. Diagnostisches Kriterium in beiden Manifestationsformen sind mehrkernige Riesenzellen, bei denen es sich um fusionierte Makrophagen handelt. Eine diffuse astrozytäre Gliose kann den anderen morphologischen Veränderungen vorausgehen [68].

Das HI-Virus dringt bei allen Infizierten im Zuge der Primärinfektion wahrscheinlich hämatogen in infizierten Monozyten und Lymphozyten sowie transependymal aus dem Ventrikelliquor ins Hirnparenchym ein [41]. Dies bedingt, dass meist gering entzündliche Liquorveränderungen bei praktisch allen Infizierten schon in den asymptomatischen Stadien gefunden werden [30, 62]. Die schon früh und hauptsächlich betroffenen Hirnregionen sind die Basalganglien und die frontale weiße Substanz [77]. Das Virus wird nicht bzw. nur inkonstant in den eigentlichen funktionellen Elementen des ZNS (den Neuronen, der Oligo- und Astroglia) gefunden, sondern deutlich überwiegend in den immunkompetenten Zellen wie der perivaskulären und residenten Mikroglia sowie in Lymphozyten [98], in denen das Virus auch repliziert. Dennoch sind eine reduzierte Dichte an Nervenzellen bzw. Synapsen [33] und eine Apoptose [40] als morphologisches Korrelat einer indirekten Nervenzellschädigung beschrieben worden.

Mehrere Untersuchungen fanden eine Korrelation zwischen einerseits der Quantität des Virus bzw. viraler Produkte (z. B. gp120 und gp41) in Liquor und Parenchym und andererseits der Ausprägung der histopathologischen zellulären Veränderungen [8, 21, 81, 106, 116]. Zudem wurde ein Zusammenhang zwischen dem Maß der histopathologischen Veränderungen (hauptsächlich Makrophagenaktivierung) und der klinisch-neurologischen Funktionsstörung gefunden [14, 21, 37]. Die Höhe der Viruslast im Liquor vermag auch, die spätere Entwicklung einer HAND zu prädizieren [29]. Somit besteht also ein sicherer kausaler Zusammenhang zwischen HI-Virus und Krankheit im Sinne des Schemas Virus/virale Produkte → Histopathologie → klinisch-neurologische Funktionsstörung. Allerdings ist dieser Zusammenhang zwar statistisch signifikant, aber insgesamt schwach ausgeprägt. Schon in der Prä-cART-Ära hatten Patienten mit HAND eine nur knapp signifikant erhöhte Liquorviruslast gegenüber Nichtdementen [7, 66], und diese Korrelation wurde in der cART-Ära nicht mehr nachgewiesen [19, 50, 67, 96].

Es besteht also keine direkte und eindimensionale Beziehung zwischen Virus und neuronaler Funktionsstörung.

Vielmehr bewirkt die Infektion mit HIV einen komplexen und vielschrittigen immunpathologischen Prozess, der durch multiple virale und Wirtsfaktoren gesteuert wird.

Das HIV ist genetisch hochvariabel und adaptiert daher schnell an unterschiedliche zelluläre und immunologische Umgebungen. Ursprüngliche Hypothesen über gehirnspezifische Sequenzen der ZNS-Viren haben sich zwar nicht bestätigt [51]. Allerdings zeigten viele Autoren eine genetische Verschiedenheit von Viren aus dem ZNS im Vergleich zu anderen Organen wie Blut, Knochenmark und Milz, und dies war bei Patienten mit HAND ausgeprägter als bei Infizierten ohne zerebrale Beteiligung [25, 52, 105]. Multiple Studien haben eine mindestens partielle Kompartimentierung der Virusreplikation zwischen ZNS und dem Blut als Hinweis auf Adaptierung an die spezifischen Bedingungen im ZNS-Blut gefunden [24, 88].

An der Steuerung humoraler und zellulärer Mechanismen sind eine Vielzahl von Zyto- und Chemokinen beteiligt, und es scheinen bestimmte Muster mit der Schwere der Hirninfektion zu korrelieren [78, 103]. Auch die Expression des Chemokins CCL-2 (früher MCP-1), das die Einwanderung immunkompetenter Zellen in den Liquor und die Replikation des HIV stimuliert, ist mit kognitiven Leistungen assoziiert [96, 119]. Ein weiteres Argument für die Bedeutung von Wirtsfaktoren ist, dass die Vulnerabilität für HAND vom genetischen Hintergrund des Wirts bestimmt wird. Dies wurde für genetische Polymorphismen mit Einfluss auf die Produktion von CCL-2 [38] und von TNF-α [109] sowie für die δ32-Deletion im CCR5-Gen [85] gefunden.

In früheren Untersuchungen waren der Verlauf systemischer virologischer (Viruslast im Plasma) und immunologischer Parameter (CD4-Zellzahl) signifikante Prädiktoren für die Entwicklung von HAND, wobei diese fast ausschließlich in späten Stadien auftrat. In der cART-Ära fanden mehrere longitudinale Studien mit initial nicht dementen HIV-Infizierten überraschenderweise, dass der Verlauf der Parameter Plasmaviruslast und CD4-Zellzahlen nicht mit dem Risiko von HAND korrelierten. Vielmehr erwiesen sich Parameter wie der Bildungsgrad, eine vorbestehende schwere Immunsuppression, AIDS-definierende Erkrankungen, höheres Alter und erhöhte Plasmakonzentrationen für TNF-α und CCL-2 (MCP-1) als prädiktiv für HAND [5, 89, 96, 107]. Ein wichtiger und einer Intervention zugänglicher Risikofaktor ist auch der Nadir der CD4-Lymphozyten [28]. In einer internationalen Population von durchschnittlich 40-jährigen, antiretroviral behandelten HIV-Patienten waren manifeste kardiovaskuläre Krankheiten und ihre Risikofaktoren (Blutdruck, Cholesterin) mit einer schlechteren neurokognitiven Leistung assoziiert [120].

Die klinische Beobachtung der Entwicklung und Persistenz von HAND trotz systemisch „funktionierender“ Therapie ist eventuell durch die Beobachtung chronisch erhöhter Parameter der Immunaktivierung im ZNS erklärbar. So fanden sich bei Patienten mit lange supprimierter Viruslast in Plasma und Liquor persistierend erhöhte Werte für Neopterin und Anti-MOG (Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein)-Antikörper im Liquor [23, 36, 55]. Dies legt eine gewisse „Abkoppelung“ der Vorgänge im Gehirn von denen im systemischen Kompartiment und ein Persistieren der Virusreplikation im ZNS auf niedrigem Niveau nahe.

Schwere Ausprägungen von HAND kommen heute praktisch nur noch bei nicht oder hochgradig insuffizient antiretroviral Behandelten vor [32, 84].

Es besteht ein vordergründiger Widerspruch zwischen der frühen Infektion des ZNS und der Entwicklung von HAND erst in späten Stadien. Verantwortlich hierfür ist wahrscheinlich, dass die zerebrale und systemische Immunabwehr, die die ZNS-Infektion initial weitgehend kontrolliert, quantitativ und qualitativ zusammenbricht, mit der Folge einer dann weitgehend unkontrollierten Virusreplikation im ZNS [82]. Bezüglich der Qualität der Virus-Wirts-Interaktion ist bekannt, dass das Virus in späteren Infektionsstadien in höherem Maß in Monozyten repliziert. Hierzu passt der Zusammenhang zwischen der Konzentration der HIV-DNA in mononukleären Blutzellen inkl. Monozyten und HAND [53, 99] sowie die Beobachtung, dass bei Kindern eine höhere Zahl zirkulierender Monozyten die Entwicklung von HAND prädiziert [94]. Die pathogenetische Rolle der Immunabwehr wird auch gestützt durch Berichte über das Immunrekonstitutionssyndrom (HIV-IRIS). Es entwickelt sich bei antiretroviral behandelten Patienten mit systemisch gut supprimierter Viruslast u. a. als schwere Leukenzephalopathie [39] mit Nachweis einer Virusreplikation in ZNS. Auffallend sind neben den bisher bekannten zellulären Veränderungen auch zahlreiche perivaskulär und im Parenchym teils in unmittelbarer Nähe zu Neuronen gelegene CD8-positive Lymphozyten [111].

Jüngere Arbeiten zeigten eine vermehrte zerebrale Deposition von β-Amyloid, wie sie beim M. Alzheimer gefunden wurde [42]. Entsprechend fanden sich erniedrigte Werte (wie bei der Alzheimer-Demenz) von Aβ42 und erhöhte Werte von Gesamt-Tau und phosphoryliertem Tau im Liquor [15].

Angesichts der steigenden Zahl von Patienten, die mit HIV und dem Hepatitis-C-Virus (HCV) koinfiziert sind, wurde die Frage der Assoziation der zerebralen HCV-Infektion mit neurokognitiven Störungen diskutiert [113].

Einen vollkommen anderen pathogenetischen Aspekt ergab eine Studie, die eine überraschende Besserung kognitiver Leistungen nach Unterbrechung einer länger dauernden cART zeigte [90]. Eine mögliche Erklärung ist eine mitochondriale Toxizität der cART, wie sie auch in der Entstehung der HIV-Polyneuropathie diskutiert wird. Entsprechend ergaben MR-spektroskopische Untersuchungen bei Patienten, die mit den Substanzen d4T bzw. ddI behandelt wurden, eine Minderung des zerebralen Signals für das mitochondriale Produkt N-Acetylaspartat (NAA; [95]).

Therapie und Prävention

In der Annahme, dass das agens movens der HAND-Pathogenese die Replikation des HIV im ZNS ist, muss das Ziel einer kausalen Therapie die Suppression der Virusreplikation im ZNS sein. Die Erreichbarkeit dieses Ziels wurde virologisch durch den Nachweis der Erniedrigung der Viruslast im Parenchym [56], durch den Abfall der Viruslast im Liquor [26, 27], durch Besserung motorischer und elektrophysiologischer Leistungen [34, 114] und Besserung neurokognitiver Parameter gezeigt [100]. Bis zur messbaren Besserung vergehen dabei 4 bis 8 Monate [20]. Das Maß der klinischen Besserung korreliert mit dem Anstieg der CD4-Lymphozyten [49, 50].

Therapeutisch sollten möglichst liquorgängige Substanzen eingesetzt werden

Vor dem Hintergrund von heute über 20 zugelassenen antiretroviralen Substanzen ist jedoch weitgehend unklar, welche Substanzen in welcher Kombination am besten geeignet sind. Eine plausiblerweise wichtige Rolle spielt das Ausmaß der Penetration der antiretroviralen Substanzen in den Liquor bzw. das Hirnparenchym. Ein Hinweis auf die Wichtigkeit der ZNS-Penetration der cART ergab sich aus dem Verlauf der Liquorviruslast von Patienten mit reiner Proteaseinhibitorentherapie (die eine geringe ZNS-Penetration haben) im Vergleich zu Patienten, die Kombinationen mit nukleosidischen cART-Substanzen erhielten. Beide Gruppen erreichten eine gute Suppression der Blutviruslast, aber die Gruppe mit reiner Proteaseinhibitorentherapie zeigte deutlich häufiger eine messbare Liquorviruslast [45]. Mehrere Autoren bearbeiteten die Frage des Einflusses der ZNS-Penetration auf die Liquorviruslast mit stark divergierenden Ergebnissen (Übersicht bei [58]). In eigenen Arbeiten fanden wir keinen Zusammenhang zwischen der Liquorviruslast und ihrem Verlauf unter Therapie und den gemessenen Liquorspiegeln der Substanzen [24].

Vermutlich ist dieser Unterschied bedingt durch große methodische Unterschiede und Unsicherheiten darin, wie man die ZNS-Penetration der Substanzen misst und definiert. Von Letendre et al. [59] wurde auf der Basis der verfügbaren Daten zur ZNS-Gängigkeit der antiretroviralen Substanzen der sog. CNS Penetration Effectiveness Score (CPE-Score) etabliert (Tab. 4). Die meisten Arbeiten, die den CPE-Score maßen, inkl. einer kleinen randomisierten Studie, ergaben eine bessere Wirkung einer cART mit höherem CPE-Score auf die Suppression der Viruslast im Liquor und auf neurokognitive Leistungen [20, 58, 110, 117]. Eine Arbeit bestätigte zwar die bessere Wirkung auf die Liquorviruslast, nicht aber auf die kognitiven Leistungen [63], und Simioni et al. [101] fanden einen lediglich nichtsignifikanten Einfluss des CPE-Scores auf die Kognition bei Patienten mit langzeitig supprimierter Plasmaviruslast.

Tab. 4 Der CNS Penetration Effectiveness Score. (Mod. nach [57])a

Somit existiert kein endgültiger Beweis für einen günstigen Zusammenhang zwischen Regimen mit hoher ZNS-Penetration und neurokognitiver Funktion. Dennoch ist die Gabe von liquorgängigen Substanzen besonders bei symptomatischer ZNS-Manifestation sinnvoll.

Ein weiterer Aspekt in der Entscheidung zur antiretroviralen Therapie ist auch die Rolle des ZNS als Virusreservoir und die Beobachtung diskordanter Entwicklungen von Resistenzmutationen des Virus im ZNS und systemischen Kompartiment [11].

Gelegentlich zeigen antiretroviral behandelte Patienten trotz einer im Liquor supprimierten Viruslast eine Verschlechterung ihrer kognitiven Leistungen. In diesem Fall sollten Differenzialdiagnosen zu HAND erwogen werden. Bestätigt sich die Diagnose HAND, sollten eine geringe residuale Virusreplikation im ZNS bzw. Resistenzen von ZNS-Viren gegen antiretrovirale Substanzen gesucht werden und ggf. die cART in Hinblick auf die ZNS-Penetration optimiert werden. Das MIND-EXCHANGE-Programm hat hierzu einen sinnvollen Algorithmus erstellt (Abb. 1, [43]).

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zur Frage des Vorgehens bei antiretroviral behandelten Patienten mit Verschlechterung der kognitiven Leistungen trotz einer im Liquor supprimierten Viruslast. (Adaptiert aus [43]). cART kombinierte antiretrovirale Therapie, CPE central nervous system penetration effectiveness, CSF Zerebrospinalflüssikgeit, HAND HIV-associated neurocognitive disorder, NCI neurokognitive Störung, NPsych neuropsychologische Testung, SAE subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, VL Viruslast

Der Beginn einer cART wird heute in jedem Stadium der HIV-Infektion empfohlen. Die aktuelle Leitlinie der europäischen AIDS-Gesellschaft berücksichtigt HAND bei der Frage der Präparatewahl (http://www.europeanaidsclinicalsociety.org).

Als Ursache kognitiver Störungen müssen grundsätzlich auch toxische Effekte der cART erwogen werden. Neuropsychiatrische Symptome unter der Substanz Efavirenz sind bekannt, sind aber meist passager. Relevanter sind von manchen Autoren erhobene, von anderen infrage gestellte Ergebnisse über neurokognitive Störungen unter stabiler cART, die sich nach Absetzen besserten [44, 73, 90]. Allerdings werden das Absetzen der cART oder auch sog. strukturierte Therapieunterbrechungen (STIs) schon wegen der Effekte auf die systemische HIV-Infektion nicht empfohlen. Bei einem Patienten mit neurokognitiver Störung und Verdacht auf Neurotoxizität der cART sollte allenfalls das Regime modifiziert werden.

Einige nicht primär antiretrovirale Substanzen sind in der Therapie von HAND geprüft worden (Minocyclin, Memantin, Selegilin, Lithium, Valproat, Lexipafant, CPI 1189, Peptid T, Nimodipin und Psychostimulantien). Obwohl sie sich als sicher erwiesen, waren die Substanzen nicht signifikant effektiv [75].

Nichtmedikamentöse Interventionen mit wahrscheinlicher Wirksamkeit sind die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Hepatitis C und depressive Störungen, das Management kardiovaskulärer und metabolischer Risikofaktoren und die Verbesserung der Therapieadhärenz [31].

Alle HIV-Infizierten sollten auf HAND gescreent werden, wobei die erste Untersuchung möglichst früh nach der (diagnostizierten) Infektion und vor Beginn der cART liegen sollte, damit Ausgangsdaten vorliegen. Das Intervall des Screenings sollte je nach Risikokonstellation 6 bis 24 Monate betragen [43]. Als formales Instrument geeignet sind z. B. die HIV-Demenz-Skala [71], der MoCA-Test [80] und die Kombination aus dem Pfadfindertest A und B mit einem verbalen Lerntest [74]. Für die spezifischere neuropsychologische Testung als „Goldstandard“ müssen die Domänen Sprache, Aufmerksamkeit/Arbeitsgedächtnis, Abstraktion/Exekutivfunktion, Lernen/Abrufen, Informationsverarbeitunsgeschwindigkeit und motorische Fertigkeiten untersucht werden [60]. Zur Unterscheidung von der Alzheimer-Demenz kann die Verschiedenheit des neuropsychologischen Profils herangezogen werden (Störung von Enkodierung und Abruf bei Alzheimer).

Für die Prävention von HAND könnte ein früher Beginn der cART günstig sein [18, 28]; allerdings fehlen hier randomisierte Studien, und der Wert von ZNS-gängigen Substanzen für die Prävention von HAND ist unklar.

Ausblick

Aufgrund der stabilen Zahl an Neuinfektionen, der guten Behandelbarkeit der HIV-Infektion und der Migration aus Endemiegebieten wird die Prävalenz der HIV-Infektion, und damit auch die von HAND, zunehmen. Das zunehmende Lebensalter der HIV-Infizierten bedingt die immer häufigere Notwendigkeit der Differenzialdiagnose zwischen anderen neurokognitiven Störungen wie der Alzheimer-Demenz und von HAND. Da nicht alle Infizierten an HAND erkranken, ist eine Aufgabe für die Zukunft die Suche nach einfach zu bestimmenden Faktoren zur Risikostratifizierung; dies umfasst spezifischere Screening- und Diagnoseinstrumente. Angesichts der Unmöglichkeit, das HIV zu eradizieren, bedarf es neben der Fortentwicklung der cART anderer Methoden und Wirkprinzipien zur Prävention und Therapie von HAND.

Fazit für die Praxis

  • Die Prävelenz der HIV-Infektion und das Lebensalter der Patienten in Deutschland steigen.

  • Die Differenzierung von anderen Demenzformen wird immer wichtiger.

  • HAND ist eine subkortikale Demenzform mit zuvorderst psychomotorischer Verlangsamung.

  • Die Diagnose HAND wird klinisch gestellt; technische Zusatzuntersuchungen dienen hauptsächlich der Differenzialdiagnostik.

  • Therapeutisch sollten möglichst liquorgängige Substanzen eingesetzt werden.

  • HIV-Infizierte sollten regelmäßig auf neurokognitive Störungen gescreent werden.