Obwohl die bipolare Depression bzw. die bipolare affektive Erkrankung derzeit besondere Aufmerksamkeit erregt und immer wieder in Zeitschriften und Kongressbeiträgen in den Fokus gerückt wird, darf nicht vergessen werden, dass weiterhin die unipolare Depression nicht nur die häufigste Form der affektiven Erkrankung, sondern auch die häufigste Form der nichtorganischen psychischen Störungen ist. Dies gilt auch ungeachtet der Tatsache, dass die bipolare Erkrankung nach der Ausweitung des Krankheitskonzepts im Sinne eines bipolaren Spektrums eine wesentlich höhere Prävalenz hat als ursprünglich. Die besondere Relevanz der unipolaren Depression zeigt sich auch aus gesundheitsökonomischer Sicht, wenn man z. B. die diesbezüglichen Zahlen der Weltbank zugrunde legt, die zeigen, dass die unipolare Depression den höchsten Belastungswert im Vergleich zu allen anderen klinischen Erkrankungen aufweist und dass die unipolare Depression, selbst unter Einbeziehung der körperlichen Erkrankungen, eine hochrangige gesundheitsökonomische Bedeutung hat, die allen Voraussagen zufolge in den nächsten Jahrzehnten noch weiter ansteigen und den ersten Rangplatz einnehmen wird. Die hohe epidemiologische Verbreitung und die enormen gesundheitsökonomischen Konsequenzen der unipolaren Depression sind gewichtige Gründe, dieser psychischen Störung ein Leitthemenheft zu widmen.

Auch heute noch wird die Depression häufig zu spät diagnostiziert

Trotz erheblicher und kontinuierlicher Fort- und Weiterbildungsanstrengungen in den letzten Jahrzehnten wird auch heute noch die Depression in Deutschland sehr häufig nicht oder zu spät diagnostiziert. Dies hängt unter anderem mit der Vielgestaltigkeit der Erscheinungsbilder der Depression zusammen, wobei insbesondere die vorrangig durch somatische Beschwerden geprägte Depression häufig verkannt wird. Ein weiteres, zur Unterdiagnostizierung führendes Problem ist, dass dieselben Menschen, die an depressiven Symptomen leiden, die Krankheit nicht erkennen und deshalb keine ärztliche Hilfe aufsuchen. Auch die Angst vor Stigmatisierung spielt in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Nicht erkannte und nicht behandelte Depressionen stellen ein großes Problem dar, da die Depression eine Erkrankung ist, die mit hohem Leid und hoher Belastung der Betroffenen und der Familienangehörigen einhergeht und die durch Arbeitsunfähigkeit und ggf. frühzeitige Berentung hohe ökonomische Konsequenzen hat. Nicht zuletzt sei daran erinnert, dass die Depression wegen des hohen Risikos suizidalen Verhaltens prinzipiell als tödliche Erkrankung eingeschätzt werden muss.

In der Behandlung der Depression, insbesondere der mittelgradigen und schweren Depressionsformen, spielt die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva eine wichtige Rolle. Sie wird zu einem großen Teil von Hausärzten durchgeführt. Patienten mit schweren und komplikationsreicheren Depressionsformen werden meistens durch Psychiater, ambulant oder stationär, behandelt. Die Behandlung mit Antidepressiva ist trotz kritischer Hinterfragung der Wirksamkeit der Antidepressivatherapie im Rahmen von metaanalytischen Auswertungen als durchaus klinisch relevant einzuschätzen. Sowohl die Akut- als auch die Erhaltungstherapien erreichen mit einer NNT („number needed to treat“) von 6 für die Akuttherapie und 4 für die Erhaltungstherapie eine Größenordnung, die im Allgemeinen als mittelgradig, als vergleichbar mit vielen internistischen Therapien angesehen werden kann [1]. Auch die in den letzten Jahren intensiv diskutierte Frage, ob die selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer oder überhaupt alle Antidepressiva neben einem die Suizidalität reduzierenden Effekt auch einen Suizidalität induzierenden Effekt bei bestimmten Risikopatienten und unter bestimmten Bedingungen haben kann, sollte keinesfalls dazu führen, einem Patienten die Behandlung mit Antidepressiva vorzuenthalten [2]. Um die Wirksamkeit von Antidepressiva zu optimieren, ist es wichtig, die Entscheidung für eine bestimmte medikamentöse Therapie individuell anzupassen. Dazu können die Berücksichtigung von Subtypen der depressiven Erkrankung sowie auf den Einzelfall bezogene klinische Charakteristika und in Zukunft auch ganz besonders pharmakogenetische Parameter beitragen. Dies gilt sowohl für Wirksamkeitsangaben als auch im Hinblick auf Nebenwirkungen.

Die Entscheidung für ein bestimmtes Antidepressivum ist individuell zu treffen

Während früher die Therapie der unipolaren Depressionen vorrangig als Therapie mit Antidepressiva angesehen wurde, kombiniert natürlich immer mit supportiven Zwiegesprächen und ggf. sozialpsychiatrischen Angeboten, hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Psychotherapie eine immer größere Bedeutung erobert. Im Vergleich zu früher haben in der deutschen Psychiatrie diesbezüglich die pragmatisch einsetzbaren und individuell anpassbaren Verfahren aus dem Bereich der verhaltenstherapeutischen/kognitiven Therapie den psychodynamischen Methoden immer mehr den Rang abgelaufen. Psychotherapeutische Verfahren können, u. a. bei leichten Depressionen und zum Teil auch bei mittelschweren, als Monotherapie oder in Kombination mit Antidepressiva eingesetzt werden, insbesondere bei Depressionen mit erkennbaren psychologischen/biographischen Auslösern. Insbesondere unter bestimmten Bedingungen, u. a. bei chronifizierter Depression, ist eine Kombinationstherapie von antidepressiver Medikation und psychotherapeutischer Behandlung sinnvoll.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller