Verletzungen des Rückenmarks und der Nervenwurzeln stellen in unserem Fachgebiet weiterhin eine große Herausforderung dar. Sowohl knöcherne als auch ligamentäre Unfallfolgen an der Wirbelsäule können wir konservativ und operativ zumeist sehr gut behandeln. Bei ca. 20 % der Patient*innen mit Wirbelsäulenverletzungen finden sich unfallassoziierte neurologische Defizite. Diese führen oft zu gravierenden physischen, psychischen und sozialen Folgen. Neurologische Folgezustände sind eine wesentliche Ursache von funktionellen Beeinträchtigungen und Invalidität und stellen eine große Belastung für das Gesundheitssystem dar.

Unfallfolgen an der Wirbelsäule können konservativ und operativ meist sehr gut behandelt werden

Früher waren von Wirbelsäulenverletzungen mehrheitlich junge Männer nach Hochrasanzunfällen betroffen. So zeigen aktuelle Auswertungen einen Altersdurchschnitt bei diesen Verletzungen von über 50 Jahren. Patient*Innen älter als 65 Jahre stellen aktuell die größte Gruppe von Wirbelsäulenverletzten mit neurologischen Ausfällen. Häufig bestehen in dieser Patientengruppe parallel degenerative Veränderungen, die bereits vor dem Trauma den Spinalkanal einengen.

In der Vergangenheit galt die Prämisse, dass ein hochgradiges bzw. komplettes Querschnittssyndrom nach einer traumatischen Schädigung nur ein geringes Remissionspotenzial durch chirurgische und rehabilitative Maßnahmen aufweist. Nach initialer Stabilisierung der Vitalparameter wurden chirurgische Maßnahmen erst nach einigen Tagen durchgeführt werden. Nur bei inkompletten oder progredienten Ausfällen sollte zeitnah operativ behandelt werden.

„Time is spine“

Aktuelle Daten zeigen, dass unabhängig vom Ausmaß des Primärschadens das neurologische Outcome durch eine frühzeitige operative Behandlung deutlich verbessert werden kann – vergleichbare Prinzipien kennen wir von Patienten mit Schlaganfall. Diese Ergebnisse konnten auch bei kompletten Querschnittsläsionen bestätigt werden. In jüngsten Studien werden zudem „ultrafrühe“ Behandlungskonzepte innerhalb von 8 h nach Trauma propagiert. Hier konnte gezeigt werden, dass es bei ca. 50 % der Patienten zu einer Verbesserung der ASIA-Klassifikation um 2 Stufen kommt. Bei verzögerter chirurgischer Behandlung zeigten nur 10 % der Patienten eine vergleichbare klinische Verbesserung [1].

In der vorliegenden Themenausgabe geben wir Ihnen mit 2 Arbeiten einen Überblick über die entscheidende perioperative Frühphase sowie die chirurgischen Techniken, die in dieser Phase bei Patienten mit spinalem Trauma angewendet werden sollten. Im Anschluss erhalten Sie spannende Einblicke in die Grundlagen und Trends zur Rehabilitation dieser Patientengruppe. Abschließend wird dargestellt, welche Möglichkeiten bestehen, die für die Lebensqualität essenzielle Arm- und Handfunktion von Tetraplegikern bestmöglich wiederherzustellen.

Neben einer optimalen Frühbehandlung benötigen gerade diese Patienten optimale Bedingungen, individuelle und klar strukturierte Programme in der Nachbehandlung.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser spannenden Themenausgabe.

S. Sehmisch