Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags

  • können Sie für geriatrische Patienten einschätzen, wann orthoplastisch-rekonstruktive Maßnahmen der unteren Extremität sinnvoll sind.

  • können Sie die orthoplastischen Prinzipien und besonderen Strategien, die beachtet werden müssen, verstehen.

  • erkennen Sie, weshalb eine enge multidisziplinäre Betreuung dieser Patienten unabdingbar ist.

  • gelingt Ihnen die wichtige Unterscheidung zwischen Alter und Gebrechlichkeit.

  • können Sie die relevanten präoperativen Abklärungen, die für diese Rekonstruktionen notwendig sind, benennen.

  • erfassen Sie, unter welchen Umständen auch im hohen Alter eine freie Lappenplastik als plastisch-rekonstruktive Maßnahme sinnvoll ist.

  • kennen Sie die für geriatrische Patienten wichtigsten Aspekte, die zu einer Reduktion der peri- und postoperativen Mortalität führen.

Einleitung

Personen im geriatrischen Lebensabschnitt (gr. geron: Alter, Greis) sind die am schnellsten wachsende Untergruppe moderner Gesellschaften, insbesondere in den Industrienationen [1]. Die Zahl der über 65-Jährigen wird zwischen 2000 und 2050 voraussichtlich um 135 % steigen. Die Gruppe der über 85-Jährigen, die am häufigsten Gesundheits- und Langzeitpflegedienstleistungen benötigt, wird in diesem Zeitraum schätzungsweise um 350 % zunehmen. Die Zahl der Hundertjährigen wird im Jahr 2100 weltweit über 25 Mio. betragen [2].

Die Rekonstruktion von komplexen Weichteildefekten der unteren Extremitäten in der geriatrischen Patientenpopulation ist eine besonders anspruchsvolle orthoplastische Aufgabe. Dies liegt v. a. an der zunehmenden Zahl von Komorbiditäten im Alter, die nicht nur den chirurgischen Eingriff selbst erschweren, sondern eine umfassende peri- und postoperative Behandlung erfordern. Das orthoplastische Behandlungskonzept impliziert eine gemeinsame, partnerschaftliche Behandlung zwischen Orthopäden/Traumatologen und plastisch-rekonstruktiven Chirurgen sowie ggf. Geriatern und Gefäßchirurgen mit dem Ziel einer möglichst raschen und koordinierten Behandlung für das optimale Ergebnis. Primär soll über den sinnvollen Extremitätenerhalt entschieden werden. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass eine Amputation der unteren Extremität in dieser speziellen Patientenpopulation mit einer erhöhten Mortalität einhergeht [3]. Sollte nach profunder Evaluation der Extremitätenerhalt geplant werden, müssen komplexe Defekte infolge von Tumor, Trauma, Infektion oder Minderdurchblutung anatomisch und funktionell wiederhergestellt werden.

Fallbeispiel 1

Ein 73-jähriger Patient hatte sich bei Gartenarbeiten mit der Fräse beide Achillessehnen schwer verletzt, linksseitig zusätzlich beide Peronealsehnen durchtrennt und eine offene Fraktur des Caput fibulae zugezogen. Nach unfallchirurgischer Erstversorgung entwickelte sich ein Hämatom mit fulminanter Akutinfektion und Nachweis von Staphylococcus aureus. Die angiologische Untersuchung ergab eine mäßige Atherosklerose sowie Abbrüche sowohl der A. tibialis anterior als auch der A. tibialis posterior auf Höhe des oberen Sprunggelenks bei Eingefässversorgung des Fußes über die A. fibularis. Dem Patienten gelang ein kompletter Rauchstopp, und der Ernährungsstatus wurde verbessert. Nach korrektem Débridement zeigten sich ein Weichteildefekt von 6,5 × 17 cm und ein kombinierter Peronealsehnendefekt von 3,8 cm (Abb. 1). In gleicher Sitzung wurde der Defekt mithilfe eines extendierten, sensibilisierten und mit vaskularisierter Trizepssehne augmentierten freien Oberarmlappens rekonstruiert. Durch paralleles Arbeiten betrug die gesamte Zeit der orthoplastischen Operation weniger als 5 h. Die ersten beiden postoperativen Nächte verbrachte der Patient auf der Intensivstation, und ein beginnendes Delir konnte medikamentös rasch behandelt werden. Ab dem 5. postoperativen Tag konnte der Patient unter intensiver physiotherapeutischer Anleitung 2‑mal täglich mit Teilbelastung an Gehstöcken mobilisiert und rasch zum weiteren Kraft- und Ernährungsaufbau in die Rehabilitation verlegt werden. Nach 2 Monaten war es dem geriatrischen Patienten möglich, ohne Gehhilfen voll zu belasten. Alle Wunden waren vollständig verheilt (Abb. 2 und 3), bei uneingeschränkter Funktion (Zusatzmaterial online: Video 1).

Abb. 1
figure 1

a Die Analyse des Weichteildefekts nach korrektem Débridement ergab einen Hautverlust von 7 × 18 cm sowie einen Peronealsehnendefekt von knapp 4 cm. b Die Hakenplatte, wie im Röntgenbild gezeigt, konnte bei der Frühinfektion belassen werden

Abb. 2
figure 2

Drei Monate nach Weichteilrekonstruktion mithilfe eines freien, sensibilisierten, extendierten tenofasziokutanen Oberarmlappens waren Fraktur und Weichteile komplett verheilt, und der Patient konnte ohne Gehhilfen voll belasten

Abb. 3
figure 3

Die Ansicht von dorsal zeigt eine stabile Weichteilrekonstruktion über der genähten Achillessehne bei persistierendem Lymphödem des Lappens. (Der Patient hatte die Kompressionsstrümpfe inkonsequent getragen)

Fallbeispiel 2

Eine 88-jährige Patientin wies 3 Wochen nach primärem Kniegelenkersatz eine Wundheilungsstörung im Bereich des Zugangs auf. Nach einer Unterdruckbehandlung („negative pressure wound therapy“, NPWT) präsentierte sich insgesamt 5 Wochen nach der Knieprothesenimplantation eine große Fistel mit teilweise nekrotischem Streckapparat (Abb. 4). Wie präoperativ aufgrund der schlechten Weichteilverhältnisse bei Platzhalterimplantation (erster Schritt bei zweizeitigem Wechsel) antizipiert, zeigte die mediale Gelenkkapsel distal einen Kapseldefekt mit exponierter Kunststoffkomponente nach Reimplantation einer neuen Kniegelenkprothese. Dem Prinzip folgend, Gleiches mit Gleichem zu ersetzen, wurde bei der Reimplantation (zweiter Schritt) ein gestielter, myokutaner, medialer Gastrocnemiuslappen gehoben (Abb. 5). So konnten die Gelenkkapsel mit der tendinösen Rückfläche des Gastrocnemiuslappens (Abb. 6) und die Haut mithilfe einer perforatorbasierten Hautinsel rekonstruiert werden. Drei Monate postoperativ war eine restitutio ad integrum mit wenig auftragender Hautinsel des Lappens und direkt verschlossener Entnahmestelle erreicht (Abb. 7). Die Kniefunktion betrug Flexion/Extension 130-0-10° (Zusatzmaterial online: Video 2).

Abb. 4
figure 4

Klinisches Bild nach der Entfernung des Unterdruckverbands mit exponiertem, teilweise zerstörtem Streckapparat und noch verbliebenen Schaumstoffanteilen im Bereich des Weichteildefekts

Abb. 5
figure 5

Intraoperativer Situs nach Reimplantation einer Knietotalprothese mit medialem Kapseldefekt und exponierter Kunststoffkomponente (weißer Pfeil). Der gestielte, mediale, myokutane Gastrocnemiuslappen war bereits gehoben

Abb. 6
figure 6

Nach subfaszialem Durchzug des Lappens zeigte sich der tendinöse Anteil auf der Lappenrückseite; dieser kann ideal zur Gelenkkapselrekonstruktion verwendet werden

Abb. 7
figure 7

Mediale Ansicht auf das linke Knie 3 Monate nach der Rekonstruktion. Die Patientin konnte das Knie problemlos aktiv beugen und strecken (Zusatzmaterial online: Video 2). Die Entnahmestelle war direkt verschlossen worden

Präoperatives Management

Präoperative Patientenbeurteilung

In der präoperativen Beurteilung ist es beim alten Patienten umso wichtiger, zwischen dem technisch Machbaren sowie dem medizinisch und ethisch Sinnvollen abzuwägen. Folgende Aspekte müssen in der präoperativen Abklärung beachtet werden:

  • Komorbiditäten, v. a. Erkrankungen von Herz und Kreislauf, Lungen, Nieren und Leber,

  • Gefäßstatus (Cave: Atherosklerose),

  • Einschränkungen der Wundheilung (Diabetes, Autoimmunerkrankungen),

  • Ernährungsstatus (Proteinmangel, v. a. Albumin hinsichtlich Wundheilung, Kalorienbedarf),

  • Prehabilitation.

Zur ganzheitlichen Behandlung des Patienten sollten auch Spezialisten anderer Fachgebiete einbezogen werden. Dies ermöglicht eine raschere Versorgung und eine frühere Rehabilitation und verbessert beim geriatrischen Patienten nicht nur die funktionellen klinischen Ergebnisse, sondern senkt auch die längerfristige Mortalität erheblich [4, 5]. In Tab. 1 findet sich eine stichwortartige Zusammenfassung der relevanten Aspekte, die im Behandlungsteam vor Beginn der Behandlung diskutiert und geplant werden sollen.

Tab. 1 Stichwortartige Zusammenfassung der relevanten Aspekte, die im Behandlungsteam vor Beginn der Behandlung diskutiert und geplant werden sollen [21]

Bei Stürzen (häufigste Unfallursache beim geriatrischen Patienten) sollte eine ausführliche Analyse zum Ausschluss neurologischer oder kardiologischer Ursachen durchgeführt werden, z. B. durch EEG, EKG, Belastungs-EKG und transösophageale Echokardiographie (TEE).

Präoperativ sollten routinemäßig laborchemische Untersuchungen des Elektrolyt- und Glucosehaushalts, Blutbilds (Hämoglobin, Leukozyten- und Thrombozytenzahl), sowie der Nierenfunktion erfolgen, ebenso der Ausschluss einer Mangelernährung (Gesamteiweiß‑, Albumin- und Vitaminspiegel).

Ältere Patienten sind häufig mit Vitamin-K-Antagonisten oral antikoaguliert, daher muss die Blutgerinnung präoperativ kontrolliert und angepasst werden. Aufgrund vielfacher Wechselwirkungen mit anderen Antikoagulanzien und weiteren Medikamenten sollte niederschwellig ein Hämatologe involviert werden [4, 6].

Der erste Schritt zum Ausschluss einer relevanten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) bleibt die Palpation der distalen Fußpulse (Knöchel-Arm-Index: Quotient aus Blutdruck am Unterschenkel und Blutdruck am Oberarm zur Abschätzung einer Durchblutungsstörung im Seitenvergleich), da bei gut palpablen distalen Pulsen eine relevante PAVK sehr unwahrscheinlich ist [7].

Insbesondere vor mikrochirurgischen Eingriffen ist sicherheitshalber eine genauere Gefäßdiagnostik, zumindest mithilfe der Duplexsonographie, zu empfehlen [8]. Sollten bereits Wundheilungsstörungen oder Nekrosen vorliegen, ist von einer „critical limb ischemia“ (Fontaine-Stadium IV [9]) auszugehen sowie eine angiologische Untersuchung und bildgebende Untersuchung (CT- oder MRI-Angiographie) unabdingbar. Stellen sich darin relevante Gefäßeinschränkungen dar, sollten nach Bedarf die Kollegen der Angiologie, interventionellen Radiologie oder Gefäßchirurgie hinzugezogen werden, um interdisziplinär z. B. eine präoperative Stent-Einlage/Dilatation oder eine Bypass‑/Loop-Anlage zu besprechen.

Klassifizierung – Alter vs. Gebrechlichkeit

In der Literatur ist die Definition von „alt“ sehr heterogen und hat sich im Laufe der Zeit stark verändert – früher galten Patienten bereits ab 50 Jahren als „alt“. Heute existieren verschiedene Klassifizierungen, wie z. B. jung-alt (> 65 Jahre) vs. alt-alt oder sehr alt (> 80 Jahre); dazu noch die sog. Supersenioren (90 bis 100 Jahre) und die „supercentenarians“ (> 110 Jahre; [10, 11, 12]). Entscheidend erscheint das biologische Alter und nicht das chronologische. Beim Fokus auf das biologische Alter werden biophysiologische Messungen durchgeführt, um das mit dem Alter steigende Risiko für medizinische Zwischenfälle zu berechnen („adverse events“ oder „adverse outcomes“, [13]). Ausschlaggebend sind verschiedene biologische Faktoren, wie beispielsweise der vaskuläre Ab- und Umbau sowie verschiedene systemische Biomarker [14].

Hinzukommt der Begriff der Gebrechlichkeit, englisch „frailty“, definiert „als Akkumulation von Defiziten, welche den Patienten in medizinischen Notsituationen vulnerabler machen“ [15]. Dieser Ansatz bietet im Gegensatz zum rein chronologischen Alter den großen Vorteil, dass unmittelbare Rückschlusse auf die Behandlung und die Prognose des Patienten möglich sind [13, 16, 17]. Geriatrische Patienten sind demnach untereinander eine heterogene Gruppe, da hohes Alter nicht mit denselben Komorbiditäten und einheitlicher Lebenserwartung einhergeht. Bei geriatrischen Patienten ist es wichtig, dass der Behandler (Chirurg) den Patienten in seiner Ganzheitlichkeit kennt, um die entsprechende(n) interdisziplinäre(n) Zusammenarbeit(en) zu veranlassen.

Merke

Gebrechlichkeit und biologisches Alter erlauben, im Gegensatz zum chronologischen Alter, einen Rückschluss auf die Prognose des Patienten.

Allgemeine Kontraindikationen gegen rekonstruktive Eingriffe

Kontraindikationen gegen Eingriffe zur Wiederherstellung der unteren Extremität beinhalten:

  • allgemeine Inoperabilität (schlechter Allgemeinzustand, Bettlägerigkeit, sehr kurze Lebenserwartung, hohes Risiko für schwere Morbidität/Mortalität),

  • knöcherne Stabilisierung nicht möglich,

  • keine adäquaten Spendergefäße verfügbar/rekonstruierbar (Revaskularisation nicht möglich),

  • mangelnde Compliance (z. B. Drogenmissbrauch, psychiatrische/demenzielle Erkrankungen).

  • Bei malignen Extremitätentumoren muss in einer potenziell kurativen Situation, unabhängig vom Alter des Patienten, bei gegebener Operabilität onkologisch radikal therapiert werden. Vermeidungsstrategien und vermeintliche kleinere chirurgische Lösungen führen häufiger zu Komplikationen, z. B. Wundheilungsstörungen, verzögerter Rehabilitation und Lokalrezidiven. Eine isolierte Radiatio kann erwogen werden, wenn bereits Fernmetastasen vorliegen und keine kurative Intention mehr besteht.

Behandlungsziele

Primäres Ziel ist die Wiederherstellung der Beinfunktion – schmerzfreies Stehen und Gehen – und der Mobilität, um die Eigenständigkeit des alten Patienten zu wahren. Zur Prävention von Stürzen sind Propriozeption und Sensibilität notwendig; eine Sturzneigung kann auch durch ein Nervenkompressionssyndrom bedingt sein (N. tibialis und N. peroneus communis; [18]). Lange Hospitalisationen infolge von Stürzen haben oft weitreichende Folgen (z. B. Pneumonie, Thrombose, Lungenembolie), die letal enden [19, 20] können.

Merke

Ziele der Behandlung sind die schmerzfreie Geh- und Stehfunktion sowie der Erhalt von Mobilität und Autonomie.

Entscheidungsfindung und Behandlungsalgorithmus

Die individuelle Verfahrenswahl orientiert sich klassischerweise am Konzept der plastisch-rekonstruktiven Stufenleiter (Abb. 8). Diese führt vom Direktverschluss über die Hauttransplantation zur lokalen und schließlich zur freien Lappenplastik („so aufwendig wie nötig, so einfach wie möglich“). Um das Ziel einer passgenauen Rekonstruktion hinsichtlich Form, Funktion und Ästhetik durch Gewebe mit ähnlichen Eigenschaften („Gleiches durch Gleiches ersetzen“) zu erreichen, müssen gemäß dem moderneren Konzept des plastisch-rekonstruktiven Aufzugs bei Bedarf Stufenleitersprossen übersprungen werden. Als Beispiel ist die Spalthauttransplantation auf Muskel zu erwähnen, die häufig zu störenden Einziehungen, instabilen Narben und nicht selten neuropathischen Schmerzen führt, zu erwähnen. Dies kann beispielsweise am Fuß, der mechanisch stark belastet wird, chronische Probleme bedingen. Eine mikrochirurgische Lappenplastik erlaubt hingegen eine passgenaue, sensibilisierte Rekonstruktion eines dreidimensionalen Defekts, einschließlich Plombierung von Totraum, sowie einen spannungsfreien und belastungsfähigen Wundverschluss. Die robustere Lappenperfusion ermöglicht zusätzlich eine effektivere antibiotische Infektionsbehandlung. Die wichtigsten Verfahren zur lokalen und zur freien Lappenplastik sind in Tab. 2 wiedergegeben.

Abb. 8
figure 8

Rekonstruktive Leiter für Weichteildefekte der untere Extremität

Tab. 2 Lokale und mikrochirurgische Lappenplastiken zur Rekonstruktion an der unteren Extremität beim alten Patienten

Merke

Die Entscheidungsfindung folgt dem Prinzip der „rekonstruktiven Stufenleiter“ oder dem moderneren Ansatz des „rekonstruktiven Aufzugs“.

Chirurgische Planung und Durchführung

Geriatrische Patienten tolerieren Stress, hohe intraoperative Belastung und postoperative Komplikationen schlechter, da ihre Organreserven geringer sind. Deswegen muss die Zahl der Narkosen auf ein Minimum reduziert und die am wenigsten belastende Narkosetechnik (wenn möglich regionale Anästhesie in weitgehend sitzender Position) gewählt werden [23]. Das chirurgische Vorgehen sollte, wenn möglich, einzeitig sein. Dies ist nur mithilfe fundierter, interdisziplinärer, präoperativer Planung möglich. So können die verschiedenen intraoperativen Befunde antizipiert sowie Lösungswege präoperativ diskutiert und festgelegt werden. Die Operationszeit muss auf ein Minimum reduziert werden. Dies kann durch das Arbeiten mehrerer Teams mit erfahrenen Chirurgen, die z. B. gleichzeitig an Hebe- und Empfängerstelle arbeiten, erreicht werden. Ferner sollten diese Eingriffe nicht als langwierige Lehreingriffe dienen. Offene Wunden führen die Patienten in einen katabolen Metabolismus, weshalb die Rekonstruktion so rasch als möglich erfolgen sollte.

Merke

Der geriatrische Patient erfordert einen adaptierten Behandlungsablauf – je rascher und koordinierter die Behandlung, desto besser.

Lokoregionale Lappen

Genaueres Wissen über die Gefäßanatomie bis auf die Ebene der Perforatoren, auch bedingt durch neue hochauflösende Bildgebung (CT- und MR-Angiographie, Duplexsonographie) und neue chirurgische Techniken, hat die Optionen der lokalen und regionalen Lappen für die Rekonstruktion der unteren Extremität wesentlich erweitert. Sie kommen grundsätzlich für kleinere (< 50 cm2) und einfachere Wunden in Betracht, wenn ausreichend Gewebe außerhalb der Verletzungszone mobilisiert werden kann. Perforatorbasierte Lappen können abhängig von lokal festgestellten Gefäßen individuell angepasst werden („free style perforator flaps“). Ein wesentlicher Vorteil ist die meist deutlich kürzere Operationszeit.

Mikrochirurgie

Die Erfolgsrate freier Lappen beträgt heute über 90 %, sodass diese auch bei alten Patienten indiziert sein können. Spezielle Risiken ergeben sich bei ausgeprägten Gefäßerkrankungen, jedoch ist die Gefahr von Wundheilungsstörungen und Nekrosen in diesen Fällen bei lokalen Lappenplastiken ebenfalls gegeben. Wenn trotz gefäßchirurgisch/angiologischer Intervention keine verbesserte Perfusion erzielt werden kann, können Veneninterponate, Bypässe oder arteriovenöse (AV‑)Loops zum Anschluss des freien Lappens als Alternative zur Amputation diskutiert werden.

Das Argument gegen eine mikrochirurgische Rekonstruktion bei hochbetagten Patienten war früher v. a. die hohe Belastung infolge der langen Operationsdauer in Vollnarkose. Heute sind solche Operationen aufgrund des anästhesiologischen und chirurgischen Fortschritts zuverlässiger planbar und sicher und weisen eine deutlich reduzierte perioperative Morbidität und Mortalität auf [24]. Die Mikrochirurgie ist heute nicht mehr Ultima Ratio (s. auch rekonstruktiver Aufzug [25]), wenn alles andere versagt hat, sondern wird oft als komplikationsarmes Routineverfahren für einzeitige Rekonstruktionen bevorzugt, z. B. in der orthoplastischen Chirurgie [26, 27, 28, 29].

Das Vorgehen in 2 OP-Teams (gleichzeitige Vorbereitung der Empfängerstelle, Lappenhebung und Verschluss der Spenderstelle) sowie die Verwendung schneller und zuverlässiger Techniken mit langen und konstanten Gefäßen aus der unteren Extremität (z. B. Grazilislappen oder anterolateraler Oberschenkellappen [ALT]) reduzieren Operationszeit und die operative Belastung des Patienten. Bei stark atherosklerotischen Gefäßen sollten 8/0- oder 7/0-Nähte mit stärkeren Nadeln und möglichst keine Klemmen am Gefäß verwendet werden; gute Alternativen sind Tourniquets oder intraluminale Verschlussvorrichtungen.

Freie, mikrochirurgische Lappenplastiken sind besonders geeignet für:

  • ausgedehnte Weichteildefekte der unteren Extremität, komplexe osteo- und tenofasziokutane Defekte sowie Defekte des Kniestreckapparats oder freiliegende Knie- und Sprunggelenkprothesen;

  • Unterschenkelverletzungen nach hochenergetischem Trauma,

  • offene Frakturen: Tibiafrakturen des Grades III mit erheblichem Gewebeverlust und damit verbundenem hohen Risiko für Infektionen, Pseudarthrosen, verlängertem Krankenhausaufenthalt und Amputation – mithilfe lokaler Lappen kann oft keine suffiziente Deckung erreicht werden;

  • chronische Osteomyelitis (z. B. durch Trauma oder Diabetes, mit multiplen resistenten Keimen, Knochendefekten, ausgedehnter Narbenbildung und Fibrose aus früheren Behandlungsversuchen, die häufig Kontraindikationen für die Anwendung von lokalen Lappen darstellen);

  • frakturassoziierte Infektion und periprothetische Gelenkinfektion;

  • Fuß- und Sprunggelenkdefekte (mit frei liegenden Knochen und Sehnen oder Verlust der belasteten Fußsohlenfläche, die lokale Lappen ausschließen, eine längere Ruhigstellung und einen protrahierten Krankenhausaufenthalt verursachen können, z. B. aufgrund von Mehrfachoperationen);

  • onkologische Resektionen (z. B. bei Weichteilsarkom), bei denen komplexe Weichteildefekte entstehen [30].

Postoperative Versorgung und erwartetes Ergebnis

Engmaschige Kontrollen auf der Intensivstation sind häufig notwendig, um bei Komplikationen sofort eingreifen zu können. Bei älteren Patienten wurde ein Trend zu nicht direkt operationsbedingten Komplikationen beobachtet, v. a. an Herz (Infarkt), Lungen (Pneumonie, Embolie) und Nieren. Eine intensivmedizinische Überwachung über 12–48 h erlaubt:

  • Lappenüberwachung zur Früherkennung von Perfusionsproblemen,

  • restriktives Flüssigkeits- und Blutdruckmanagement (Vasoaktiva),

  • Aufrechterhaltung der Körpertemperatur,

  • optimale Ernährung,

  • spezialisierte Pflege und Physiotherapie, frühzeitige Mobilisierung, einschließlich Atemgymnastik und Lappentraining,

  • Schmerzkontrolle,

  • Delirprophylaxe.

Komplikationsmanagement

Komplikationsraten, Mortalität und Morbidität können durch die oben genannten Konzepte reduziert werden [8]. Früherkennung ist wichtig, um eine schnelle Verschlechterung des Zustands eines älteren Patienten mit geringerer Organsystemreserve und geringerer Komplikationstoleranz zu vermeiden. Allgemeine Komplikationen der Organfunktionen und des mentalen Status sollten multidisziplinär angegangen werden. Lokale Komplikationen an der Spender- und Empfängerstelle sollten rasch chirurgisch behandelt werden.

Fazit für die Praxis

  • Der stetig steigende Anteil älterer Menschen (jenseits des 7. Lebensjahrzehnts) an der Bevölkerung in vielen modernen Gesellschaften geht mit einem erhöhten Bedarf an komplexen Rekonstruktionen der unteren Extremitäten einher.

  • Die Rekonstruktion der unteren Extremität kann bei älteren Patienten sicher, mit hoher Erfolgsrate und überschaubaren Komplikationen durchgeführt werden. Mikrochirurgische Verfahren sind aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht per se kontraindiziert (biologisches vor chronologischem Alter); vielmehr dienen sie in geeigneten Fällen dazu, die Gehfähigkeit, Mobilität, Autonomie und Lebensqualität der älteren Menschen zu erhalten.

  • Zu den Voraussetzungen gehören: umfassende präoperative, interdisziplinäre Beurteilung des Patienten sowie Optimierung der Risikofaktoren wie z. B. Diabetes, Mangelernährung, verminderte Extremitätenperfusion, gestörte Nieren- und Herzfunktion, sorgfältige präoperative interdisziplinäre peri- und operative Planung, intraoperative Anpassung der Anästhesie sowie adaptierte und effiziente Operationstechnik, spezialisierte postoperative Überwachung und frühzeitige Mobilisierung entsprechend den spezifischen Bedürfnissen des Patienten im fortgeschrittenen Alter.