Die Frakturheilung ist ein komplexer biologischer Prozess, der durch verschiedenste metabolische und hormonelle Faktoren reguliert wird [5]. Er setzt einen vielschichtigen Ablauf von Zellrekrutierung, Proliferation und Differenzierung voraus, an dem u. a. mesenchymale Stammzellen, Osteoprogenitorzellen, Thrombozyten, Makrophagen oder auch Endothelzellen beteiligt sind. Verschiedenste Faktoren beeinflussen dieses Zusammenspiel und können eine ausbleibende Frakturheilung bzw. die Entstehung einer Pseudarthrose bedingen. Deren Häufigkeit liegt auch unter modernen Therapieansätzen, je nach Frakturentität, bei etwa 10 % [4]. Trotz der immer noch weit verbreiteten Definition zur Pseudarthrose nach 6 Monate lang ausbleibender Heilung ist es dabei klinisch hilfreicher, eine Pseudarthrose dann zu diagnostizieren, wenn der normale Frakturheilungsprozess vor Abschluss zum Erliegen kommt und es ohne eine weitere Behandlung nicht zur Ausheilung kommen würde.

Neue Scoring-Systeme, wie der NUSS („non union scoring system“)-Score können eine große Hilfe sein, um die Ursache einer Pseudarthrose und die notwendige Therapie besser abschätzen zu können [2]. Bezüglich der biologischen Genese von Pseudarthrosen berücksichtigt dieser u. a. auch Faktoren zur initialen Weichteilschädigung, vorausgegangenen Eingriffen und den aktuellen Zustand der Weichteile und erlaubt so eine systematische Abschätzung dieser genannten Einflüsse auf den weiteren Heilungsverlauf. Vorteile von Scoring-Systemen und Behandlungsalgorithmen sowie neue diagnostische Methoden möchten wir gerne im Rahmen dieses Themenheftes beleuchten.

Ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor auf die Frakturheilung ist die Biomechanik [3]. Diese wird hauptsächlich durch die Frakturform, die Art und Stabilität der Osteosynthese und durch die individuelle Belastung der operierten Extremität durch den Patienten beeinflusst. Auch diese Einflüsse können mit Scoring-Systemen abgeschätzt werden. Im Fokus aktueller Entwicklungen im Bereich der kinematischen muskuloskelettalen Messungen und der Computersimulation steht die Visualisierung dieser mechanischen Einflussfaktoren. Entsprechende Techniken zur Beurteilung der Durchbauung von Frakturen und auch eine direkte Darstellung der Mechanik des Frakturspalts wurden bereits in kleineren Fallserien bei Frakturpatienten beschrieben [1, 6]. Diese Techniken bieten sich auch prinzipiell zur Beurteilung von Pseudarthrosen an. Im Rahmen dieses Themenheftes möchten wir daher einen neuen Mess- und Simulations-Workflow vorstellen, der dabei helfen kann die lokale Biomechanik von Patienten mit manifesten Pseudarthrosen mit Hilfe von Computersimulation abzuschätzen. Anhand derer wird es in in Zukunft möglich sein z. B. Revisionseingriffe besser planen und das Ausheilungsergebnis prognostizieren zu können.

Eine weitere große Herausforderung in der Pseudarthrosenchirurgie ist die Behandlung von Infektpseudarthrosen. Diese reichen von latenten Keimbesiedelungen, wie etwa bei Klavikula- oder auch Sternumpseudarthrosen, deren Wertigkeit nach wie vor Fokus aktueller Diskussionen ist, bis hin zu ausgedehnten Infektsituationen, die ein mehrschrittiges, oftmals sehr aufwendiges Revisionsprocedere erfordern. Es war uns daher ein besonderes Anliegen, dieses schwierige, kontrovers diskutierte Thema auch im Rahmen dieses Themenheftes aufzuzeigen.

Nur 2 Jahre nach der letztmaligen Veröffentlichung eines Themenheftes zur Pseudarthrose möchten wir Ihnen mit diesem Heft einige spannende Neuerungen auf dem Gebiet der Diagnostik und Behandlung dieser herausfordernden Entität vorstellen. Ganz bewusst haben wir daher Themen mit direktem klinischen Bezug und hoher Alltagsrelevanz gewählt und gleichzeitig spannende Neuerungen eingeschlossen, die aufzeigen, welche zukünftigen Entwicklungen zu erwarten sind.

Mit den besten Wünschen zu einer spannenden Lektüre aus Tübingen,

Tina Histing und Benedikt Braun