Die spektakulären Erfolge der Unfallchirurgie während der vergangenen Jahrzehnte wurden im Wesentlichen durch innovative Technologien, wie die Implantatentwicklung, intraoperative Bildgebung, das Schockraum-CT etc., vorangetrieben. Gerade für die Behandlung zeitsensitiver Verletzungen, wie die Polytraumatherapie, wurde die „Inhouse“-Mortalität in den vergangenen 5 Dekaden signifikant reduziert, von ca. 40 % in den 70er-Jahren über ca. 23 % in den 90ern des vergangenen Jahrhunderts bis derzeit seit 2003 relativ stabil um die 18 % [1,2,3].

Durch die prioritätenorientierte Behandlung zeitsensitiver Verletzungen wurde die „Inhouse“-Mortalität reduziert

Diese Erfolge waren neben vielen anderen Teilaspekten ganz entscheidend durch eine beschleunigte Diagnostik und initial stabilisierende Therapie dieser Patienten bedingt. Daraus wird klar ersichtlich, dass der Faktor „Zeit“ eine ganz wesentliche Rolle in der Behandlung schwerstverletzter Patienten spielt und die Reduktion des therapiefreien Intervalls eine der zentralen Säulen in der Polytraumatherapie darstellt. Durch die intensiven Bemühungen der Vergangenheit wurden die innerklinischen Abläufe mittlerweile flächendeckend in den unfallchirurgischen Kliniken so optimiert, dass hier kein Zeitgewinn mehr zu erwarten ist. Für die präklinische Rettungskette wurde genauso intensiv versucht, die Abläufe durch den Einsatz innovativer Technologien, wie des luftgebundenen Transports mittels Hubschrauber, verbesserter Positionierung der Einsatzfahrzeuge etc., zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang scheint das Optimierungspotenzial mit der bestehenden Technik durch die infrastrukturellen Limitationen begrenzt. So ist z. B. der bodengebundene Transport durch den zunehmenden Verkehrskollaps gerade in den Metropolregionen auch mit Sondersignal („Blaulicht“) deutlich erschwert. Klar ist in diesem Zusammenhang auch, dass es gerade in der präklinischen Rettungskette eine ganze Reihe von logistischen Prozessen gibt, die durch luftgebundene Technik nicht nur schneller, sondern auch effektiver durchgeführt werden können (z. B. Vermisstensuche mittels Wärmebildkamera, Transport von lebenswichtigen Medikamenten/Transfusionsblut in entfernte Kliniken etc.). Diese Prozesse werden derzeit prinzipiell von Hubschraubern übernommen, sind jedoch durch deren erheblichen logistischen und finanziellen Aufwand limitiert.

In der allerjüngsten Vergangenheit wurden nun innovative Fluggeräte entwickelt, welche durch die Kombination einer ganzen Reihe von wichtigen Eigenschaften eine disruptive Änderung der gesamten logistischen Prozesse in der präklinischen Rettungskette erlauben werden. Diese Eigenschaften sind:

  • autonomes Fliegen (klassische Drohne),

  • senkrecht starten und landen („vertical take off and landing“, VTOL),

  • elektrischer Antrieb durch Hochleistungsbatterien.

In Kombination mit der damit einhergehenden signifikanten Reduktion von Anschaffungs- und Betriebskosten lassen sich nun an vielen Punkten der präklinischen Rettungskette Potenziale zur Verbesserung der Behandlung von Polytraumapatienten erkennen. Der wesentliche Wirkmechanismus ist dabei immer die Beschleunigung der Prozesse. Dies geht von einem rascheren Auffinden des Verletzten, ggf. Abwerfen initialer therapeutischer Mittel (vgl. Traumabox der Universität Ulm), über automatisierten Transport des Patienten in Kliniken, bis hin zu Transport limitierter lebensrettender Technologie wie z. B. Inkubatoren für Babys, ECMOs etc.

Der prinzipielle Wirkmechanismus dieser medizinischen Maßnahmen ist über die Beschleunigung all dieser Prozesse die Reduktion des therapiefreien Intervalls und damit der Gewinn von wertvoller und lebensrettender Zeit.

Wirkmechanismen sind die Beschleunigung der Prozesse und die Reduktion des therapiefreien Intervalls

Daher ist es dem Springer Verlag hoch anzurechnen, dass er den Unfallchirurgen an dieser Stelle einen Blick in die Zukunft gestattet: In den folgenden Beiträgen wurden nun von ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet potenzielle neue Einsatzgebiete dieser neuen Technologie dargelegt, und ich möchte mich hiermit ganz herzlich bei allen Autoren bedanken, die mit einem erheblichen Einsatz von Zeit und Mühe hier viele der ganz neuen Entwicklungen zusammengetragen haben.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viele interessante Gedanken, lassen Sie sich auf einen Weg in die Zukunft mitnehmen, der sicherlich eine weitere Verbesserung der Behandlung der uns anvertrauten Patienten bringen wird.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr

Peter Biberthaler