Die Behandlung der verzögerten oder ausbleibenden Frakturheilung (Pseudarthrose) stellt nach wie vor eine große Herausforderung in der Unfallchirurgie und Orthopädie dar. In 5–10 % aller konservativ wie operativ behandelter Frakturen kommt es zu einer Komplikation. Dabei ist die Ursache der gestörten Frakturheilung multifaktoriell zu suchen.

Sie besteht in einer Wechselwirkung von verschiedenen biologischen und biomechanischen Faktoren mit systemischen und lokalen Interaktionen. Störungen, die einen Faktor bzw. mehrere Faktoren betreffen, können die Frakturheilung als Ganzes beeinträchtigen. Als systemische Risikofaktoren gelten u. a. fortgeschrittenes Alter des Patienten, Diabetes mellitus, die Einnahme von Immunsuppressiva, Kortikosteroiden und nichtsteroidalen Antiphlogistika sowie insbesondere Tabakkonsum.

Als lokale Verursacher gelten eine ungeeignete oder fehlerhafte mechanische Stabilisierung ggf. mit langer Minderbelastung, ein ausgeprägter Weichteilschaden, eine Minderdurchblutung der Extremität und die traumatische oder iatrogene Zerstörung des Periosts als permissiv für eine ausbleibende Frakturheilung.

Die klassische Einteilung der Pseudarthrosen nach Weber und Cech (1973) erfolgte nach rein morphologischen Gesichtspunkten [1]. Historisch wurde von einer verzögerten Frakturheilung gesprochen, wenn in einem Zeitraum von 3 bis 6 Monaten keine Konsolidierung der Fraktur erfolgte. Bei ausbleibender Heilung nach 6 bzw. 9 Monaten wurde die Diagnose einer Pseudarthrose gestellt. Diese zeitliche Einteilung berücksichtigt jedoch nicht die Lokalisation der Fraktur oder den Weichteilschaden. Beispielhaft kann eine offene distale Femurfraktur mit noch nicht vollständiger Konsolidierung nach 4 Monaten dennoch noch „regelhaft“ ohne Intervention verheilen, während eine nichtkonsolidierte Klavikulafraktur nach 10 Wochen bereits als verzögert betrachtet werden muss.

Heute spricht man von einer Pseudarthrose, wenn eine Fraktur ohne weitere Intervention nicht zur Ausheilung kommt – unabhängig von der bisherigen Behandlungsdauer.

Vereinfacht können Pseudarthrosen der Ursache nach folgendermaßen untergliedert werden:

  • mechanische Ursache: hypertrophe Pseudarthrose,

  • biologische Ursache: atrophe Pseudarthrose,

  • ausgedehnter Defekt: Defektpseudarthrose,

  • Infektion: Infektpseudarthrose

Neuere Klassifikationen wie das Non-Union Scoring System (NUSS) berücksichtigen neben den rein morphologischen Aspekten daher auch Parameter der primären Verletzung einschließlich der Knochenqualität, den stattgehabten Weichteilschaden und das individuelle Patientenrisiko wie z. B. Rauchen. Aus dem NUSS Score lassen sich patientenindividuell direkt Behandlungsempfehlungen ableiten.

Häufig können Störungen der Frakturheilung durch etablierte Methoden erfolgreich behandelt werden. Dazu zählen z. B. die Dynamisierung eines statisch verriegelten Marknagels bei langen Röhrenknochen der unteren Extremität bei hypertrophen Pseudarthrosen, der Wechsel zu einem aufgebohrten intramedullären Nagel, eine lokale autologe Spongiosaplastik bei atrophen Pseudarthrosen oder die additive Stabilisierung der Fraktur mit einer Antirotationsplatte.

Aber auch nichtinvasive Methoden wie eine konsequente Belastung oder eine Ultraschalltherapie sind gerade in der Frühphase der Therapie (also in den ersten Monaten) bei einer verzögerten Heilung unter einer ausreichenden Stabilität der Fraktur u. U. aussichtsreich.

Die Anzahl der Vorbehandlung ist ein entscheidender Faktor bei der individuellen Risikoanalyse. Die Erfolgsrate etablierter Methoden sinkt mit zunehmender Zahl an Voroperationen.

Insgesamt problematisch ist die Behandlung von Patienten mit einer therapierefraktären Pseudarthrose. Dabei zeigen Patienten mit einer geringen biologischen Aktivität unabhängig vom Osteosyntheseverfahren Defizite in den Serumspiegeln von relevanten Knochenwachstumsfaktoren wie dem „transforming growth factor β“ (TGFβ1) und dem „fibroblast growth factor“ (FGF). In diesen Fällen erscheint es z. T. notwendig und sinnvoll, die Frakturheilung durch Knochenwachstumsfaktoren zu unterstützen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass hier rein biomechanische Therapieansätze häufig frustran verlaufen. Zu besonderen Herausforderungen gehören hier atrophe Pseudarthrosen, langstreckige ossäre Defekte sowie Infektionen u. U. in Kombination mit Weichteilschäden.

Dies macht ein individuelles patientenspezifisches Vorgehen notwendig. In dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren international das „Diamant-Konzept“ in der Pseudarthrosenbehandlung zunehmend etabliert. Die Therapie besteht aus einer optimierten Behandlungskombination von biologischen und biomechanischen Faktoren.

Dabei wird die Pseudarthrose zunächst nach den folgenden Kriterien analysiert:

  • biomechanische Stabilität,

  • osteogene Zellen,

  • osteokonduktive Strukturen,

  • Wachstumsfaktoren

  • Vaskularisation.

Unter Einbezug von individuellen klinischen und radiologischen Parametern werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung diese fehlenden Faktoren zur Erstellung eines Therapiekonzepts herangezogen; dadurch wird eine systematische Optimierung der biologischen und biomechanischen Behandlung der Pseudarthrose angestrebt.

Mit diesem Themenheft wollen wir Ihnen einige wichtige Aspekte bei der Diagnostik und Therapie der Pseudarthrose darstellen, wobei hier nicht der Anspruch auf Vollständigkeit aller Optionen gestellt werden kann. Die Diagnostiken, Möglichkeiten und Therapieansätze werden in vielen Zentren stetig weiterentwickelt. Wir hoffen, dass wir Ihnen hierdurch jedoch einige hilfreiche Informationen für die Behandlung dieser sehr komplexen Fälle geben können.

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Univ.-Prof. Dr. med. Gerhard Schmidmaier, Heidelberg