Einleitung

Durch Anschläge wie am Berliner Breitscheidplatz mit einem Lkw oder in Münster, ebenfalls mit einem Fahrzeug, und den Amoklauf in München rücken Verletzungen mit Kampf- und Sprengmitteln wieder in den Fokus der deutschen Bevölkerung. Bilder aus Nizza, Boston, London, Brüssel oder Madrid erschienen doch weit weg und erweckten den Eindruck, dass man selbst nicht betroffen sei. Ärzte sind hier besonders gefordert, die anfallenden Verletzten zu triagieren und die notwendigen Versorgungen suffizient und zielgerichtet durchzuführen. Anschläge wie in Straßburg, 90 Autominuten von Mannheim entfernt, stellen für viele auch einen realen Bezug zur Sache her. Es existiert bis zum heutigen Tag weder ein strukturiertes Fortbildungscurriculum für Ärzte, keine Zusatzbezeichnung und auch in den meisten Medizinstudiengängen in Deutschland hat das Thema „Terror“ oder „Einsatzmedizin“ keinen festen Platz [1]. In Ländern mit einer dauerhaften und konkreten Bedrohungslage, wie z. B. Israel, ist das naturgemäß anders. In einigen Ländern wird bereits in der Schule damit begonnen, Terror als Bedrohung und Mechanismen zur Bewältigung zu vermitteln [3, 2,3,4,5].

Die Notwendigkeit, sich mit dem Themenkomplex zu beschäftigen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wurde von den Ärztevertretungen, aber auch den politischen Vertretern erkannt. So haben verschiedene Städte und Krankenhäuser bereits Übungen abgehalten, die den Fokus speziell auf die Terrorlage gelegt haben. Es existieren bis zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nur sehr wenige Veröffentlichungen aus Deutschland, die das Training oder Übungsszenarien näher beleuchten.

Um bereits Studierende für dieses Thema zu sensibilisieren und v. a. Interesse für diesen Themenkomplex zu wecken, wird seit dem Sommersemester 2017 im Rahmen des Mannheimer Reformierten Curriculum Medizin plus (MaReCuM plus) das verpflichtend zu besuchende Seminar „Krisenmedizin – Operieren im Ausland“ in der Dauer von 2 Unterrichtseinheiten vom Autor gehalten. Durch die Tätigkeit des Autors als Reserveoffizier des Heeres und die Erfahrung mehrerer Auslandseinsätze als Chirurg und Notarzt wurde die notwendige Erfahrung generiert, um aus erster Hand über die Behandlung von Schuss- und Explosionsverletzungen sowie den damit verbundenen Eigenschutz zu berichten.

Ähnliche Ansätze wurden bereits in einigen Ländern an Schulen und Universitäten verfolgt; auch in Berlin wurde eine Veranstaltung für Studierende angeboten [3, 2,3,4, 6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16].

Unklar ist jedoch, ob und in welchem Ausmaß sich die Studierenden über diesen Themenkomplex vor diesen Lehrveranstaltungen informieren, und ob Interesse daran gegeben ist.

Ziel der Studie war es zu erheben, ob bei Studierenden der Medizin im MarReCuM plus vor diesem Seminar bereits eine Sensibilität für das Thema oder Interesse daran besteht, und ob sich dies nach dem Seminar verändert. Geschlechtsneutral wird im Folgenden „Studierende“ verwendet.

Methodik

Allen Studierenden wurde nach einer Erklärung von Sinn und Zweck der Untersuchung die freiwillige und anonyme Teilnahme an der Studie im Wintersemester 2018/2019 angeboten.

Der Fragebogen besteht aus 6 Fragen sowie der Angabe von Alter und Geschlecht (Zusatzmaterial online: Fragebogen). Die Fragen 1, 3, 4, 5 und 6 konnten in 4 Stufen mit „trifft voll zu“ bis „trifft gar nicht zu“, Frage 2 konnte mit „größer, gleich oder geringer“ beantwortet werden. Den Antworten wurden Werte zwischen 1 (trifft voll zu) und 4 (trifft gar nicht zu) (1–3 bei Frage 2/Fragebogen Teil 1) zugeordnet und daraus ein Mittelwert errechnet.

Vor Beginn der Vorlesung wurden die Fragebogen Teil 1 und 2 ausgeteilt und die Studierenden gebeten, diesen auszufüllen (Zusatzmaterial online).

Die Vorlesung startet mit Bildern als Eyecatcher. Die Unterschiede in Anforderung an die Einsatzkräfte und Ressourcen in den verschiedenen Lagen werden dargelegt. Sichtung und Triage werden den Studierenden nähergebracht. Die Wichtigkeit der Priorisierung bei Knappheit der vorhandenen Mittel und die Bedeutung des Eigenschutzes in einer Gefahrenlage werden dargelegt. Es folgen Beispiele aus Auslandseinsätzen in Afghanistan und Afrika. Es werden Ballistik und Verletzungsmuster von Schusswaffen und Sprengmitteln erklärt und auf deren Behandlung im Rahmen der „damage control surgery“ eingegangen. Fallbeispiele von Versorgungen und Behandlungen runden das Seminar ab, endend mit möglichen Fragen an den Vortragenden.

Schließlich werden die Studierenden gebeten, den Teil 2 des Fragebogens ohne Zeitdruck auszufüllen.

Ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission wurde eingeholt und eine Power-Analyse vor Durchführung der Studie durchgeführt. Die ethischen Standards der Deklaration von Helsinki und das Genfer Gelöbnis wurden eingehalten. Die statistische Auswertung der demografischen Daten sowie die Testung erfolgten mit dem gepaarten Student’s t‑Test (SPSS 24, IBM Corp., Armonk, NY, USA).

Ergebnisse

102 Fragebogen wurden ausgeteilt, 97 Studierende haben an der Studie teilgenommen und die Fragebogen ausgefüllt, davon 53 weibliche und 44 männliche Studierende. Das mittlere Alter lag bei 25,4 Jahren (22 bis 32 Jahren). Die Ergebnisse der beiden Fragebogen zeigt Tab. 1.

Tab. 1 Zahlenwerte der Bewertungen der Fragen beider Bogen

Frage 1 des Bogens Prä Seminar („Wie hoch ist Ihr Interesse am Thema Einsatzmedizin“) zeigte Mittelwert von 1,99 und im Post-Seminar-Bogen von 2,02. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p > 0,05).

Frage 2/Prä Seminar („Verglichen mit anderen Modulen ist mein Interesse für diese Vorlesung …“) zeigte einen Mittelwert von 1,55, was zwischen „größer“ und „genau gleich“ liegt.

Frage 2/Post Seminar („Meine Erwartungen an die Vorlesung wurden erfüllt“) zeigte einen Mittelwert von 1,36, die Erwartungen an die Veranstaltung wurden daher als erfüllt angesehen. Da die beiden Fragen – prä und post Seminar – nicht direkt vergleichbar waren, wurde keine statistische Testung durchgeführt.

Frage 3 („Ich habe mich schon vor der Vorlesung über das Thema Einsatzmedizin informiert“ bzw. „Während der Vorlesung kamen Themen auf, die ich nun vertiefen möchte“) zeigte Mittelwerte von 3,11 bzw. 2,35. Dieser Unterschied war statistisch signifikant (p < 0,0001). Frage 4 („Mir ist bewusst, dass Management von Verletzungen durch Waffen größere Herausforderungen an die Versorgung stellt als andere“) zeigte Mittelwerte von 1,50 und 1,30, was einen statistisch signifikanten Unterschied bedeutete (p = 0,036).

Bei Frage 5 („In Deutschlands Krankenhäusern muss man sich auf die Behandlung von Opfern nach Terroranschlägen vorbereiten“) zeigte ebenfalls einen statistisch signifikanter Unterschied (2,16/2,30, p = 0,048).

An eine Karriere bei der Bundeswehr (Frage 6) dachten vor der Veranstaltung nur wenige Studierende; dies änderte sich auch nach der Veranstaltung nicht (3,32/3,32). Jene Studierenden, die bereits an eine Karriere bei der Bundeswehr gedacht hatten, taten dies weiterhin. Es änderte kein Studierender seine Meinung dazu.

Diskussion

Wir konnten in der vorliegenden Untersuchung zeigen, dass sich bei Studierenden der Medizin im 5. Studienjahr des Mannheimer Reformierten Curriculums der Medizin (MaReCuM plus) im Vergleich vor und nach dem Seminar „Krisenmedizin – Operieren im Ausland“ das Interesse an den vermittelten Inhalten signifikant steigern ließ, und dass ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Vorbereitung auf die Behandlung von Anschlagopfern gebildet wurde, da es sich hierbei um Verletzungsmuster handelt, die üblicherweise nicht auftreten. Spätestens nach dem 11. September 2001 in den USA hat die Sichtweise auf Terroranschläge weltweit und v. a. in Europa eine signifikante Änderung erfahren [17]. Die Wahrnehmung von Bedrohungen durch die Bevölkerung ist wesentlich präsenter; zumindest war sie das unmittelbar nach den Ereignissen. Auch durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und in Syrien sowie die Meldungen über Verwundete und Gefallene rufen diese Konflikte in Europa und den USA in Erinnerung. Vergeht nach einem Anschlag Zeit, rücken andere Inhalte in den Fokus.

In verschiedenen Ländern wurde der Themenkomplex Terror und Einsatzmedizin aus z. T. unmittelbarer Betroffenheit heraus sowohl in Schulen als auch in die Medizinuniversitäten aufgenommen. In Israel, wo der Terror täglich präsent ist und der Bedarf an Wissen im Umgang mit den entsprechenden Verletzungen eine zwingende Notwendigkeit im Krankenhaus ist, werden die wichtigen Inhalte bereits früh in der Ausbildung vermittelt und auch wiederkehrend geübt. Auch in anderen Ländern, wo medizinische Einrichtungen in manchen Regionen nur schwer zugänglich sind, werden die entsprechenden Inhalte zur Behandlung von Schuss- und Explosionsverletzungen früh vermittelt. Insbesondere beschäftigen sich einige Autoren mit den psychischen Auswirkungen von Terrorsituationen auf die Opfer und die behandelnden Ärzte [5, 18,19,20,21,22]. Die Qualität der Vermittlung von Inhalten der Traumaversorgung ist auch in Deutschland bereits Gegenstand von Untersuchungen gewesen. Hierbei werden die verschiedensten Methoden der modernen Wissensvermittlung evaluiert und teilweise besonderer Fokus auf das selbstbestimme Lernen der Studierenden gelegt [14, 23,24,25,26,27,28,29]. Die nun vorliegende Untersuchung kann nun zeigen, dass sich Studierende zwar nur teilweise mit dem Themenkomplex Einsatzmedizin beschäftigen, ein Grundinteresse jedoch besteht. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass durch die Vorlesung ein messbar zunehmendes Verständnis für Terror-Awareness generiert werden kann.

Limitationen

Die Teilnahme an der Studie war freiwillig, dadurch ergibt sich ein Bias von interessierten Studierenden, die sich die Zeit genommen hatten, aktiv mitzuwirken. Studierende, welche die Bogen nicht ausfüllen wollten, hätten möglicherweise das Ergebnis bei den Einzelfragen verändern können, obwohl die Akzeptanz der Teilnahme sehr hoch war: Lediglich 5 Studierende lehnten sie ab. Auch wurde die Teilnahme gemeinschaftlich angeboten, sodass die Teilnahme unter einer Art Gruppenzwang nicht ausgeschlossen werden kann. Die Studie bietet nur Einblick in eine einzige Kohorte der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Daraus lassen sich keinesfalls allgemein gültige Aussagen über Studierende anderer Fakultäten oder sogar anderer Fachrichtungen treffen. Hierzu sind weitere, multizentrische Studienansätze notwendig. Außerdem konnte durch die Befragung unmittelbar vor und nach dem Seminar nur ein kurzfristiger Effekt gemessen werden. Ob die Studierenden sich auch längerfristig mit dem Thema beschäftigen werden, kann nicht gesagt werden.

Ausblick

Die Implementierung von verpflichtenden Vorlesungen oder Seminaren, die das Thema Behandlung von Terroropfern mit Schuss- oder Explosionsverletzungen zum Thema haben, sollte in jeder medizinischen Fakultät in Deutschland angedacht werden. Neben dem praktischen findet sich hier auch ein ethischer Aspekt wieder, der aufgrund der aktuellen Entwicklungen und Geschehnisse der Vergangenheit nicht außer Acht gelassen werden darf. Die Fachgesellschaften stellen sich diesem Thema bereits, und es werden Kursformate wie Terror and Disaster Surgical Care (TDSC®) angeboten, welche auf hohes Interesse stoßen. Diese Untersuchung konnte zeigen, wie sehr Veranstaltungen zu praktisch wichtigen und aktuellen Themen auf hohes Interesse bei Studierenden stoßen. Die Ergebnisse können ein Ansporn sein, dies in multizentrischem Rahmen wissenschaftlich zu untersuchen.